Neuntes Kapitel.

[96] Was dem Don Quixote mit einem verständigen Ritter aus la Mancha begegnete.


Mit der Fröhlichkeit, Zufriedenheit und dem Selbstbewußtsein, welches oben geschildert ist, setzte Don Quixote seine Reise fort, durch den errungenen Sieg überzeugt, er sei der tapferste irrende Ritter, den die Welt in diesem Zeitalter besitze. Er hielt schon alle Abenteuer, die ihm nur immer in Zukunft aufstoßen könnten, für bestanden und glücklich beendigt; er achtete nicht die Bezauberungen und die Zauberer, erinnerte sich nicht der unzähligen Schläge, die er im Verlaufe seiner Ritterschaft empfangen hatte, nicht des Steinwurfs, der ihn der Hälfte seiner Zähne beraubt, nicht der Undankbarkeit der Ruderknechte, nicht des Unfugs und des Prügelregens der Yangueser. Kurz, er war mit sich einig, daß, wenn er nur die Kunst, Art oder Weise wüßte, seine Dame Dulcinea zu entzaubern, er keinen irrenden Ritter aus den verflossenen Zeiten beneiden wolle, wenn dieser auch das allerhöchste Glück erreicht haben sollte.

Er war noch in diesen Vorstellungen versunken, als Sancho zu ihm sagte: »Ist es nicht besonders, gnädiger Herr, daß ich noch immer die ungeheure, verteufelte Nase meines Gevatters Thoms Cecial vor Augen habe?«

»Und glaubst du denn etwa, Sancho, daß der Ritter von den Spiegeln der Baccalaureus Simson Carrasco und sein Stallmeister dein Gevatter Thoms Cecial gewesen?«

»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll«, antwortete Sancho; »aber das weiß ich, daß dasjenige, was er mir von meinem Hause, Frau und Kindern erzählt hat, kein anderer wissen konnte als er selber, und[97] das Gesicht, als er die Nase abgenommen hatte, war das vom Thoms Cecial, wie ich ihn tausendmal im Dorfe, denn er wohnt ja mit mir Wand an Wand, gesehen habe; auch der Ton der Stimme war ganz derselbe.«

»Sprechen wir einmal vernünftig, Sancho«, versetzte Don Quixote, »komm und höre zu: Was hätte doch den Baccalaureus Simson Carrasco bewegen können, als irrender Ritter daherzukommen, mit Waffen zum Angreifen und zur Verteidigung gerüstet, um mit mir zu streiten? Bin ich denn etwa sein Feind? Habe ich ihm jemals Ursache gegeben, auf mich einen Groll zu werfen? Bin ich sein Nebenbuhler, oder bekennt er sich zum Waffenhandwerk, um mir den Ruhm zu beneiden, den ich durch meine Waffentaten erworben habe?«

»Was sollen wir aber dazu sagen«, antwortete Sancho, »daß dieser Ritter, wer es nun auch sein mag, so ganz dem Baccalaureus Carrasco gleichsah und sein Stallmeister meinem Gevatter Thoms Cecial? Wenn das eine Bezauberung ist, wie Ihr sagt, gab es denn nicht zwei andere Menschen in der Welt, denen sie gleichsehen konnten?«

»Alles ist Kunstgriff und List«, antwortete Don Quixote, »von den boshaften Magiern, die mich verfolgen. Da sie vorhersahen, daß ich im Streite Sieger sein würde, richteten sie es so ein, daß der überwundene Ritter mir das Angesicht meines Freundes, des Baccalaureus, zeigen mußte, damit die Freundschaft, die ich zu ihm trage, sich zwischen die Schneide meines Schwertes und die Kraft meines Armes stellte und so den gerechten Zorn meines Herzens mäßigte und auf diese Art sein Leben erhielte, welches er mir durch Hinterlist und Falschheit hatte rauben wollen. Zur Bestätigung dessen weißt du je selbst, Sancho, aus eigener Erfahrung, die dich nicht täuschen oder belügen kann, wie leicht es den Zauberern sei, ein Angesicht in ein anderes zu verwandeln, das Schöne häßlich und das Häßliche schön zu machen; denn es sind noch nicht zwei Tage, als du mit deinen eigenen Augen die Schöne und Herrlichkeit der unvergleichlichen Dulcinea in ihrer eigentümlichen Gestalt und unverändert wahrnahmst, ich aber sah nur die Häßlichkeit und Gemeinheit einer schmutzigen Bäuerin, mit triefenden Augen und einem üblen Geruche aus dem Munde. Dem schändlichen Zauberer, der es sich unterfing, eine so schreckliche Verwandlung vorzunehmen, ist es nichts Sonderliches, diejenige des Simson Carrasco und deines Gevatters zu veranstalten, um mir den Ruhm des Sieges aus den Händen zu reißen; dennoch aber bin ich getröstet, denn welche Gestalt er auch angenommen, so bin ich doch immer Sieger meines Feindes geblieben.«

»Gott weiß die Wahrheit von allem«, antwortete Sancho. Da er wußte, daß die Verwandlung der Dulcinea eine Schelmerei und List von ihm gewesen, so überzeugten ihn die Hirngespinste seines Herrn nicht sonderlich; er wollte aber nichts erwidern, um nicht irgendein Wort fallenzulassen, welches seinen Betrug hätte entdecken können.

Indem sie noch so sprachen, wurden sie von einem Manne eingeholt, der hinter ihnen des nämlichen Weges auf einer Stute, einem sehr schönen Apfelschimmel, geritten kam. Er trug einen Mantel von feinem grünen Tuche, mit bräunlichem Samt besetzt, und eine Mütze von demselben Zeuge. Die Decke der Stute war grasfarben und der Sattel, mit kurzen Bügeln, ebenfalls grün und braungelb. Er trug einen mohrischen Säbel, der an einem breiten Bandelier von Grün und Gold hing, und die Halbstiefeln waren ebenso in Übereinstimmung mit dem Bandelier. Die Sporen waren nicht vergoldet, sondern von einem grünen Firnis angelaufen, aber so blank und poliert, daß sie kostbarer erschienen, da sie zur ganzen Kleidung paßten, als wenn sie von reinem Golde gewesen wären. Als der Reisende zu ihnen gekommen war, grüßte er sie höflich, spornte dann die Stute und ritt vorbei; aber Don Quixote sagte zu ihm: »Herr Kavalier, wenn Euer Weg der nämliche ist wie der unsrige und es Euch nicht darauf ankömmt, zu eilen, so würde ich es als eine Gunst ansehen, wenn wir miteinander ritten.«[98]

»Wahrlich«, antwortete der auf der Stute, »ich würde nicht so vorbeieilen, wenn ich nicht fürchtete, daß durch die Gegenwart meiner Stute Euer Pferd wild werden möchte.«

»Ihr könnt, gnädiger Herr«, antwortete hierauf Sancho, »Ihr könnt nur immer Eure Stute anhalten; denn unser Pferd ist das sittlichste und wohlerzogenste auf der ganzen Welt. Niemals hat es bei ähnlichen Gelegenheiten etwas Unschickliches begangen; ein einziges Mal wollte es die Probe machen, und da mußten wir, mein Herr und ich, die Zeche bezahlen. Ich sage noch einmal, daß Ihr nur anhalten dürft, wenn Ihr wollt; denn wenn man sie ihm auch auf einen Teller präsentierte, so würde der Gaul sie doch nicht berühren.«

Der Ritter hielt den Zügel an und verwunderte sich über die Gestalt und das Gesicht des Don Quixote, das nicht mit dem Helme bedeckt war; denn Sancho führte diesen wie einen Mantelsack an dem vorderen Sattelbogen seines Grauen mit sich. Beschaute aber der Grüne Don Quixote sehr aufmerksam, so beschaute hinwiederum Don Quixote den Grünen noch viel aufmerksamer, der ihm ein Mann von Bedeutung zu sein schien. Sein Alter mochte ungefähr funfzig Jahre betragen; er hatte nur wenige graue Haare und ein Gesicht mit einer Adlernase; seine Miene war nicht fröhlich und nicht ernsthaft, und seine Tracht und seine Gestalt zeigten schließlich an, daß er ein Mann von gutem Herkommen sein müsse. Was der Grüne von Don Quixote von la Mancha urteilte, war: daß er dergleichen Aufzug noch diese Art eines Mannes niemals gesehen hätte. Er bewunderte die Länge seines Pferdes, die Größe seines Körpers, die Dürre und Bleichheit seines Gesichtes, seine Waffen, seinen Anstand und sein Betragen: eine Gestalt und ein Bildnis, das seit ewigen Zeiten nicht in jenen Gegenden war gesehen worden.

Don Quixote bemerkte die Aufmerksamkeit recht gut, mit welcher ihn der Reiter beschaute; und da er darin seinen Wunsch las und er so höflich war, daß er gern jedermann Vergnügen machte, so kam er jenem, ehe er noch gefragt hatte, halb entgegen und sagte: »Diese Gestalt, die mein Herr an mir sieht, ist so neu und so entfernt von denen, die man gewöhnlich er blickt, daß ich nicht erstaunen würde, wenn sie Euch in Erstaunen versetzt hätte. Ihr werdet es aber nicht mehr sein, wenn ich Euch sage, wie ich es jetzt sage, daß ich ein Ritter bin von denjenigen, von denen die Leute zu sagen pflegen, daß sie auf ihre Abenteuer ziehen. Ich habe mein Vaterland verlassen, mein Vermögen verpfändet, mein Wohlleben aufgegeben und mich in die Arme des Glücks geworfen, daß es mich hinführe, wohin es nur mag. Ich will nämlich die schon verstorbene irrende Ritterschaft wieder erwecken; und seit lange schon, indem ich hier stolpere, dort falle, hier herunterstürze und mich an jener Stelle wieder aufhebe, habe ich einen großen Teil meines Vorhabens durchgesetzt; Witwen beigestanden, Jungfrauen geholfen, Eheweibern genützt, nicht minder den Verwaisten und Unmündigen: die natürlichen und eigentümlichen Geschäfte der irrenden Ritter; und so habe ich es durch meine tapfern, vielen und christlichen Taten verdient, mich schon im Druck bei allen oder doch den meisten Nationen der Welt zu befinden. Dreißigtausend Bände sind von meiner Historie gedruckt, und es hat die Aussicht, daß diese dreißigtausend noch zu tausend Malen werden gedruckt werden, wenn es der Himmel nicht verhindert. Kurz, um alles in wenige oder in ein einziges Wort einzuschließen, so vernehmt, daß ich Don Quixote von la Mancha bin, mit einem andern Namen genannt der Ritter von der traurigen Gestalt; und obgleich eigenes Lob herabwürdigt, so bin ich doch zuweilen gezwungen, das meinige auszusprechen, in dem Falle nämlich, wenn kein anderer zugegen ist, der es sagen könnte. Also, mein edler Herr, muß Euch weder dieses Pferd noch diese Lanze, noch dieser Schild, noch Schildknapp, noch diese ganze Rüstung, noch mein bleiches Gesicht, noch mein eingefallener Körper ferner in Verwunderung setzen, da Ihr nun wißt, wer ich bin und zu welchem Handwerke ich mich bekenne.«

Hiermit schwieg Don Quixote. Der vom Grünen aber, indem er zögerte, schien ungewiß, was er antworten[99] solle; nach geraumer Zeit aber sagte er: »Ihr habt, Herr Ritter, aus meinem Erstaunen meinen Wunsch ganz richtig erraten; aber Ihr habt das nicht erreicht, mir meine Verwunderung zu benehmen, die Euer Anblick bei mir erregte. Denn ob Ihr gleich, mein Herr, gesagt habt, daß im Augenblicke, wenn ich erführe, wer Ihr seid, alles Erstaunen aufhören würde, so ist doch dem nicht also gewesen, sondern nachdem ich dieses weiß, bin ich noch weit mehr verwundert und erstaunt. Wie? Ist es denn irgend möglich, daß es heutzutage irrende Ritter in der Welt gibt und daß es gedruckte Historien von wahrhaftigen Rittertaten geben soll? Ich kann mir nicht vorstellen, daß es heutzutage einen auf Erden geben könnte, der Witwen begünstigte, Jungfrauen hülfe, Eheweiber ehrte und Waisen beistände; und ich würde es niemals geglaubt haben, wenn ich es nicht in Euer Gnaden mit meinen eignen Augen gesehen hätte. Nun, gesegnet sei der Himmel, daß die Historie, die, wie Ihr sagt, von Euren erhabenen und wahrhaftigen Rittertaten im Druck erschienen ist, jene unzähligen von erdichteten irrenden Rittern in Vergessenheit bringen wird, mit denen die Welt angefüllt war, sowohl zum Nachteil der guten Sitten als zur Schande und Beschimpfung der wirklichen Historien.«

»Darüber wäre viel zu sagen«, antwortete Don Quixote, »ob die Historien der irrenden Ritter erdichtet sind oder nicht.«

»Und wer zweifelt daran«, antwortete der Grüne, »daß diese Historien falsch sind?«

»Ich zweifle daran«, antwortete Don Quixote, »und für das erste bleibe es dabei; denn wenn unsere Reise länger dauert, so hoffe ich zu Gott, Euch zu überzeugen, wie übel Ihr tut, mit dem Strome zu schwimmen mit allen denjenigen, welche es für ausgemacht halten, daß sie nicht wahrhaftig sind.«

Wegen dieser letzten Rede Don Quixotes geriet der Reiter auf den Argwohn, daß Don Quixote wohl ein Dummkopf sein möchte; deshalb gab er acht, ob andere Merkmale dies bestätigen würden. Ehe sie aber auf ein anderes Gespräch gerieten, bat ihn Don Quixote, ihm zu sagen, wer er sei, da er ihm seinen Stand und seine Lebensweise beschrieben habe.

Worauf der vom grünen Mantel antwortete: »Ich, Herr Ritter von der traurigen Gestalt, bin ein Edelmann, in dem Orte geboren, wo wir heute, wenn Gott will, essen werden. Ich bin mehr als mittelmäßig reich, und mein Name ist Don Diego de Miranda. Ich lebe mit Frau und Kind und meinen Freunden. Meine Beschäftigungen sind die Jagd und der Fischfang, ich halte aber weder einen Falken noch Jagdhunde, sondern ein zahmes Rebhuhn oder eine dreiste Frette. Ich habe ungefähr sechs Dutzend Bücher, wovon einige spanisch, einige lateinisch sind, einige von Historien handeln, andere für die Andacht bestimmt sind. Bücher von Ritterschaft sind noch niemals über meine Türschwelle gekommen. Ich lese mehr in denen, die weltlich als die geistlich sind, wenn sie auf eine anständige Art unterhalten, daß nämlich die Schreibart ergötzt und die Erfindung unsere Neugier und Verwunderung erregt, wovon wir aber nur wenige in Spanien besitzen. Manchmal esse ich bei meinen Nachbarn und Freunden; öfter lade ich sie zu mir ein; meine Mahlzeiten sind rein und schmackhaft und auf keine Weise dürftig. Ich mag nicht verleumden und leide auch nicht, daß andere in meiner Gegenwart verleumden. Ich lästere nicht auf die Lebensart anderer, auch bin ich kein Spion ihrer Handlungen. Jeden Tag höre ich die Messe. Ich teile mein Gut mit den Armen, ohne ein großes Aufheben von meiner Wohltätigkeit zu machen, um nicht der Heuchelei und der Eitelkeit den Zugang zu meinem Herzen zu verschaffen, böse Geister, die sich des frömmsten Gemüts unvermerkt bemeistern können. Ich suche diejenigen zum Frieden zu bringen, die sich entzweit haben. Ich verehre unsere heilige Jungfrau und vertraue beständig auf die unendliche Barmherzigkeit des Herrn, unseres Gottes.«

Sancho hatte dem Berichte von der Lebensweise und den Ergötzungen des Edelmannes sehr aufmerksam zugehört, und da ihm dies alles schön und heilig vorkam und er glaubte, daß derjenige, der so lebe,[100] auch Wunder tun müsse, so sprang er von seinem Grauen, faßte sehr eilig den rechten Steigbügel und küßte jenem, mit andächtigem Herzen und fast weinend, den Fuß zu vielen Malen. Als der Edelmann dies sah, fragte er ihn: »Was macht Ihr da, guter Freund? Was soll dies Küssen vorstellen?«

»Laßt mich nur küssen«, antwortete Sancho; »denn Euer Gnaden ist der erste Heilige, den ich in kurzen Bügeln zeit meines ganzen Lebens gesehen habe.«

»Ich bin kein Heiliger«, antwortete der Edelmann, »sondern vielmehr ein großer Sünder; Ihr wohl, denn Ihr müßt sehr gut sein, mein Freund, wie es Eure Einfalt hinlänglich beweiset.«

Sancho stieg hierauf wieder auf seinen Sattel, nachdem er ein Gelächter aus der tiefen Melancholie sei nes Herrn hervorgeholt und dem Don Diego neue Verwunderung erregt hatte. Don Quixote fragte ihn, wie viele Kinder er habe, und sagte, daß eins von den Dingen, in welches die alten Philosophen, welche die wahre Erkenntnis Gottes entbehrten, das höchste Gut gesetzt hätten, in den Gaben der Natur oder des Glücks bestanden hätte, viele Freunde oder viele und gute Kinder zu besitzen.

»Ich, Herr Don Quixote«, antwortete der Edelmann, »habe nur einen einzigen Sohn; und ich würde mich vielleicht glücklicher schätzen, wenn ich ihn nicht hätte, nicht deswegen, weil er schlimm ist, sondern weil er nicht so gut ist, wie ich ihn gern haben möchte. Er ist ungefähr achtzehn Jahre alt, hat sechs Jahre in Salamanca zugebracht, um die lateinische und griechische Sprache zu erlernen; und da ich nun will, daß er zum Studium anderer Wissenschaften übergehen soll, finde ich ihn so auf die der Poesie versessen – wenn man diese anders eine Wissenschaft nennen kann –, daß es unmöglich ist, ihn zu der Rechtsgelehrsamkeit zu bringen, die er nach meiner Absicht studieren sollte, oder die Königin von allen Wissenschaften, die Theologie. Ich wünschte, daß er die Krone seiner Familie würde; denn wir leben in einer Zeit, wo unsere Könige die tugendhaften und nützlichen Wissenschaften reichlich belohnen; denn Wissenschaften ohne Tugend sind Perlen auf einem Misthaufen. Den ganzen Tag bringt er damit zu, zu untersuchen, ob Homerus sich in dem und dem Verse der Iliade gut ausgedrückt habe oder nicht, ob Martial in einem gewissen Epigramme unkeusch sei oder nicht, ob die und die Verse im Virgilius so oder so zu verstehen sind. Kurz, alle seine Gedanken sind auf die Werke dieser Poeten gerichtet, nebst denen des Horatius, Persius, Juvenal und Tibull; denn aus unsern vaterländischen Dichtern macht er nicht viel. Doch hat er jetzt, trotz seines Widerwillens gegen unsere Poesie, den Kopf voll davon, eine Glosse auf vier Verse zu machen, die man ihm von Salamanca geschickt, und welche, wie es scheint, eine literarische Preisaufgabe ist.«

Auf welche Rede Don Quixote also antwortete: »Die Kinder, mein Herr, sind Stücke aus den Eingeweiden ihrer Eltern; deshalb müssen diese sie lieben, sie mögen nun schlimm oder gut sein, wie wir unsre eignen Seelen lieben, die uns lebend erhalten. Es ist die Pflicht der Eltern, die Kinder von klein an auf den Weg der Tugend zu leiten, der Wohlgezogenheit und der guten und christlichen Gesinnungen, damit, wenn sie erwachsen, sie der Stab ihrer alten Eltern und der Stolz ihrer Nachkommenschaft werden; daß sie sie aber zum Studium dieser oder jener Wissenschaft zwingen sollen, halte ich nicht für gut getan, ob es gleich nicht zu tadeln ist, wenn sie die Überredung versuchen. Hat einer nun nicht nötig, pro pane lucrando zu studieren, indem er so glücklich ist, daß ihm der Himmel wohlhabende Eltern geschenkt hat, so bin ich der Meinung, daß man einen solchen diejenige Wissenschaft ergreifen lasse, zu welcher er den meisten Trieb in sich spürt; und obgleich die der Poesie mehr angenehm als natürlich ist, so entehrt sie doch diejenigen nicht, die sich zu ihr bekennen. Die Poesie, mein edler Herr, kommt mir nicht anders wie eine zarte und blühende Jungfrau vor, die mit der größten Schönheit geschmückt ist; viele andere Jungfrauen sind sorgsam geschäftig, sie kostbar und zierlich auszuputzen, und diese sind alle übrigen Wissenschaften; sie läßt sich von allen bedienen, und alle übrigen erhalten von ihr Glanz und Ansehen. Diese[101] Jungfrau aber will nicht öffentlich durch die Gassen geschleppt sein, nicht in den Ecken der öffentlichen Plätze oder in den Winkeln der Paläste ausgestellt werden. Sie ist aus einem Metalle von solcher Tugend, daß derjenige, der mit ihr umzugehen weiß, sie in das reinste Gold von unschätzbarem Werte verwandelt. Derjenige, der sie besitzt, darf sie aber nicht zu schändlichen Satiren oder zu unverschämten Sonetten mißbrauchen. Sie darf auf keine Weise verkäuflich sein; doch mag dies wohl bei heroischen Gedichten geschehen, mit kläglichen Tragödien oder fröhlichen und kunstgemäßen Komödien. Nicht von Spaßmachern darf sie ausgeübt werden, ebensowenig vom unwissenden Pöbel, der die Schätze nicht erkennen und begreifen kann, die in ihr verschlossen liegen. Und glaubt nicht, mein Herr, daß ich Pöbel hier nur das niedrige und gemeine Volk nenne, sondern jeder Unwissende, er sei Graf und Fürst, muß zur Zahl des Pöbels gerechnet werden. Derjenige also, der so, wie ich beschrieben habe, die Poesie ausübt, wird berühmt und sein Name von allen gebildeten Nationen der Erde hochgeachtet werden. Da Ihr mir gesagt habt, mein Herr, daß Euer Sohn die spanische Poesie nicht sonderlich achtet, so schließe ich daraus, daß er nicht genug mit ihr bekannt ist; mein Grund ist nämlich der: Der große Homerus schrieb nicht Latein, denn er war ein Grieche, und Virgilius schrieb nicht Griechisch, denn er war ein Lateiner. Kurz, alle allen Poeten haben in der Sprache geschrieben, die sie mit der Muttermilch einsogen; sie haben keine fremde aufgesucht, um in ihr ihre hohen Erfindungen auszudrücken. Da dies nun so ist, so wäre es wohl gut, wenn sich dieser Gebrauch über alle Nationen erstreckte und man den deutschen Poeten nicht deshalb verachtete, weil er in seiner Sprache geschrieben, noch den kastilianischen, noch selbst den Biscayer, wenn er in der seinigen dichtet. Wie ich mir aber vorstelle, mein Herr, so mag Euer Sohn vielleicht nicht so sehr gegen die neuere Poesie sein, als gegen die Poeten, die nur ihre eigne Sprache und keine andere sowie keine andere Wissenschaften kennen, die das natürliche Talent schmücken, erwecken und unterstützen. Und doch kann man sich auch hierin wieder irren; denn es ist eine ausgemachte Sache, daß der Poet geboren wird, das heißt, daß der wahre Poet schon aus Mutterleibe als Poet kömmt und daß er mit dieser Neigung, die ihm der Himmel einpflanzte, ohne weiteres Studium und Kunst, Dinge hervorbringt, die den Spruch vollkommen bestätigen: ›Est Deus in nobis‹ etc.. Ebenfalls behaupte ich, daß der natürliche Poet, wenn er von der Kunst unterstützt wird, bei weitem jenen Poeten übertreffen wird, der sich durch die bloße Kunst bestrebt, einer zu sein. Der Grund ist der: daß die Kunst nicht höher steht als die Natur, sondern diese nur vollendet, so daß, wenn Natur mit Kunst und Kunst mit Natur in eins verbunden sind, der vollkommene Poet entsteht. Der Beschluß meiner Rede sei nun, mein edler Herr, daß Ihr Euren Sohn den Weg verfolgen laßt, auf den ihn seine Gestirne rufen; denn da er ein so guter Kopf ist, wie er sein muß, und er glücklich die erste Leiter der Wissenschaften, die Sprachen nämlich, erstiegen hat, so mag er durch diese sich zum Gipfel der humanen Künste erheben, die einem reichen und vornehmen Ritter gut anstehen und ihn so zieren, ehren und schmücken, wie die Mitra den Bischof oder der Mantel den erfahrenen Rechtsgelehrten. Dann aber scheltet mit Eurem Sohne, wenn er Satiren schreibt, in denen er die Ehre anderer kränkt, straft ihn darüber, ja zerreißt sie; schreibt er aber Sermonen nach Art des Horatius, in denen er die Laster im allgemeinen tadelt, wie es jener auf elegante Weise getan hat, so lobt ihn, denn es ist dem Poeten erlaubt, gegen den Neid zu schreiben und in seinen Versen schlecht von den Neidischen zu sprechen, ebenso wie von den andern Lastern, wenn er nicht Leute persönlich aufführt; aber es gibt Poeten, die, um nur eine Bosheit niederzuschreiben, sich der Gefahr aussetzen, nach den Inseln des Pontus verbannt zu werden. Ist der Poet in seinen Gesinnungen keusch, so wird er es auch in seinen Versen sein; die Feder ist die Zunge der Seele, welche Ideen sich in dieser erzeugen, dieselben werden auch in seinen Schriften sein. Und wenn Könige und Fürsten die wunderbare Wissenschaft der Poesie an verständigen, tugendhaften und ehrbaren Untertanen wahrnehmen, so schenken sie ihnen Hochachtung[102] und Reichtum, ja krönen sie mit den Blättern jenes Baumes, den kein Blitzstrahl verletzt, gleichsam zur Andeutung, daß diejenigen, deren Schläfen mit dergleichen Kränzen geehrt und geschmückt sind, von niemandem verletzt werden dürfen.«

Der vom grünen Mantel war durch diese Rede Don Quixotes in Verwunderung gesetzt, und zwar so sehr, daß er die Meinung, auf die er anfangs gefallen, jener sei unklug, gänzlich aufgab. Sancho hatte sich in der Mitte dieses Gesprächs, das nicht sonderlich nach seinem Geschmacke war, vom Wege entfernt, um sich von einigen Hirten etwas Milch geben zu lassen, die dort in der Nähe ihre Schafe melkten. Der Edelmann fing indes ein neues Gespräch mit Don Quixote an, dessen Verstand und Art, sich auszudrücken, ihm überaus gefiel, als Don Quixote den Kopf erhob und gewahr ward, daß ihnen auf ihrem Wege ein Karren entgegenkam, mit vielen königlichen Fahnen besteckt; und da er glaubte, daß dieses ein neues Abenteuer sein müsse, rief er den Sancho mit lauter Stimme, daß er kommen und ihm den Helm geben solle. Als Sancho sich so rufen hörte, verließ er die Schäfer, spornte in aller Hast den Grauen und kam zu seinem Herrn, dem hierauf ein furchtbares und unsinniges Abenteuer begegnete.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 96-103.
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