Dreizehntes Kapitel.

[452] In welchem man findet, wer der vom silbernen Monde war, nebst der Befreiung des Don Gregorio und andern Begebenheiten.


Don Antonio Moreno folgte dem Ritter vom silbernen Monde, und es folgten ihm zugleich, ja, es verfolgten ihn viele Gassenjungen, bis sie ihn endlich in einem Wirtshause der Stadt umlagerten. Don Antonio ging mit dem Vorsatze hinein, ihn kennenzulernen; ein Stallmeister kam, ihn zu empfangen und ihn zu entwaffnen; er schloß sich unten in einem Saale ein und mit ihm Don Antonio, der keine Ruhe hatte, bis er wußte, wer er sei. Da der vom silbernen Monde sah, daß jener Ritter ihn nicht verließ, sagte er zu ihm: »Ich sehe wohl, Señor, weshalb Ihr kommt, Ihr wollt nämlich wissen, wer ich bin, und da ich keine Ursach habe, es zu verbergen, so will ich es Euch sagen, indes mich mein Diener entwaffnet, ohne in einem Punkte von der Wahrheit abzuweichen. So wißt denn, Señor, daß ich Baccalaureus Simson Carrasco heiße. Ich bin mit Don Quixote von la Mancha aus einem und demselben Orte, dessen Narrheit und Albernheit uns alle, die wir ihn kennen, zum Mitleiden bewegt; unter denjenigen, die am vorzüglichsten an ihm teil nehmen, befinde ich mich, und da ich glaube, daß seine Wiederherstellung von seiner Ruhe und davon abhängt, daß er in seiner Heimat und in seinem Hause lebt, entwarf ich einen Plan, ihn dorthin zurückzubringen, und deshalb, es wird jetzt drei Monate sein, machte ich mich als irrender Ritter auf den Weg, unter dem Namen des Ritters von den Spiegeln, in der Absicht, mit ihm zu streiten und ihn zu überwinden, ohne ihm Schaden zuzufügen, da wir es zur Bedingung unsers Zweikampfs machten, daß der Überwundene der Willkür des Siegers überlassen sein solle; ich wollte nämlich von ihm fordern,[453] weil ich ihn schon für besiegt hielt, daß er nach seinem Dorf zurückkehren und es binnen einem Jahre nicht verlassen dürfte, in welcher Zeit er dann geheilt werden könnte; das Schicksal fügte es aber anders, denn er besiegte mich und stürzte mich vom Pferde herunter, und so konnte ich meinen Plan nicht durchführen; er setzte seinen Weg fort, und ich kehrte, besiegt und vom Falle, der ziemlich gefährlich war, zermalmt, um; aber dessenungeachtet gab ich es nicht auf, ihn noch einmal aufzusuchen und zu überwinden, wie es auch heute geschehen ist, da er nun so gewissenhaft ist, die Gesetze der irrenden Ritterschaft zu beobachten, so wird er ohne Zweifel sein Wort halten, welches er mir gegeben hat. Dieses, Señor, ist, was sich zugetragen hat, ohne daß ich Euch noch etwas anders zu sagen hätte; ich bitte Euch nur, entdeckt mich nicht und sagt dem Don Quixote nicht, wer ich bin, damit meine guten Anschläge ihren Erfolg haben und ein Mann seinen Verstand wiedererlangt, der einen trefflichen besitzt, wenn er nicht auf die Albernheiten der Ritterschaft gerät.«

»O mein Herr!« sagte Don Antonio, »Gott vergebe Euch das Unrecht, welches Ihr der ganzen Welt dadurch tut, daß Ihr ihren anmutigsten Narren wieder gescheit machen wollt. Seht Ihr denn nicht, Señor, daß der Nutzen, welcher aus der Klugheit des Don Quixote entspringt, bei weitem nicht so groß sein könne als das Vergnügen, welches seine Unsinnigkeiten hervorbringen? Ich denke aber, daß alle Anstrengung des Herrn Baccalaureus nicht hinreichend sein wird, einen Mann wieder vernünftig zu machen, der so durch und durch ein Narr ist, und wenn es nicht gegen die christliche Liebe wäre, so möchte ich sagen, mag Don Quixote doch nie geheilt werden, denn mit seiner Heilung verlieren wir nicht nur seine Possen, sondern auch die des Sancho Pansa, seines Stallmeisters, wovon eine jede die Melancholie selbst lustig machen könnte. Aber dennoch will ich schweigen und ihm nichts sagen, um zu sehen, ob meine Vermutung nicht eintrifft, daß die Mühe keine Wirkung haben wird, die sich der Herr Carrasco gegeben hat.«

Dieser antwortete, daß das Geschäft nun wenigstens im besten Gange sei und daß er auf einen glücklichen Erfolg hoffe, und nachdem Don Antonio noch einmal versprochen, das zu tun, was ihm am liebsten wäre, nahm jener Abschied von ihm und ließ seine Rüstung auf einem Maultiere festbinden, er selbst aber bestieg das nämliche Pferd, auf welchem er den Zweikampf bestanden hatte, verließ noch an demselben Tage die Stadt und kehrte in sein Vaterland zurück, ohne daß ihm etwas begegnete, welches verdiente, in dieser wahrhaften Geschichte aufgezeichnet zu werden.

Don Antonio erzählte dem Vizekönige alles wieder, was er von Carrasco erfahren hatte, worüber der Vizekönig keine große Freude hatte, weil in der Zurückgezogenheit des Don Quixote die Lust verlorenging, welche alle diejenigen haben konnten, die von seinen Torheiten etwas erfuhren.

Sechs Tage brachte Don Quixote in seinem Bette zu, höchst verdrießlich, traurig, nachsinnend und übel zugerichtet, indem er die unglückliche Begebenheit seiner Besiegung in seiner Einbildung auf und ab trieb. Sancho tröstete ihn und sagte zu ihm unter andern Reden: »Gnädiger Herr, hebt doch nur den Kopf in die Höhe, seid munter, wenn Ihr könnt, und dankt dem Himmel, daß, ob Ihr schon zur Erde gestürzt seid, Ihr doch keine Rippe gebrochen habt, und da Ihr wißt, daß, wo man gibt, man auch kriegt und daß man da nicht immer Speck findet, wo man eine Schwarte sieht, so schert Euch den Henker um den Doktor, denn Ihr habt in dieser Krankheit keinen nötig, der Euch kurieren müßte. Wir wollen nach Hause zurückgehen und es lassen, nach Abenteuern in Ländern und an Örtern zu suchen, die wir nicht kennen, und wenn wir es recht betrachten, so bin ich am meisten dabei zu Schaden gekommen, wenn Ihr auch am schlimmsten dabei zugerichtet seid. Ich habe wohl mit der Statthalterschaft die Lust verloren, wieder Statthalter zu sein, aber deswegen habe ich noch immer Lust zum Grafen, was ich niemals werden kann, wenn Ihr nicht mehr König werdet, da Ihr von der Ausübung der Ritterschaft abkommt, und so werden alle meine Hoffnungen in Rauch verwandelt.«[454]

»Schweige, Sancho, denn du weißt, daß meine Einsamkeit und Ruhe sich nur auf den Zeitpunkt eines Jahres erstreckt, dann werde ich sogleich zu meinen ehrenvollen Übungen zurückkehren, und es wird mir nicht an einem Königreiche fehlen, das ich gewinnen, und an einer Grafschaft, die ich dir schenken kann.«

»Das höre Gott«, sagte Sancho, »und der Teufel sei taub, denn ich habe immer sagen hören, daß eine gute Hoffnung besser sei als ein schlechter Besitz.«

Indem sie so sprachen, kam Don Antonio herein und sagte mit der Miene der größten Zufriedenheit: »Gute Zeitung, Herr Don Quixote, denn Don Gregorio und der Renegat, der nach ihm war, sind auf der Reede, was sage ich, auf der Reede? sie sind schon im Palast des Vizekönigs und werden sogleich hier sein.«

Don Quixote wurde ein wenig munter und sagte: »In Wahrheit, ich muß gestehen, daß ich mich freuen würde, wenn das Gegenteil erfolgt wäre, dann wäre ich verpflichtet gewesen, nach der Barbarei überzugehen, wo ich mit der Gewalt meines Armes nicht nur dem Don Gregorio, sondern zugleich allen christlichen Sklaven in der ganzen Barbarei die Freiheit gegeben hätte. Aber was spreche ich doch, ich Elender? Bin ich nicht der Überwundene? Bin ich nicht der zu Boden Gestürzte? Bin ich nicht derjenige, der in Zeit eines Jahres keine Waffen tragen darf? Was verspreche ich denn also? Wessen unterfange ich mich, da es mir eher zukommt, eine Spindel als ein Schwert zu ergreifen?«

»So hört doch auf, gnädiger Herr«, sagte Sancho, »die Henne mag leben, hat sie auch den Pips, denn heute mir und morgen dir, und bei solchen Dingen, wie Treffen und Prügeleien sind, kann man es nicht so genau abmessen, denn der, der heute fällt, kann morgen wieder aufstehen, wenn er nicht im Bette liegen bleibt; ich meine, daß er vorsätzlich in seiner Ohnmacht beharrt, ohne neue Kräfte für neue Streitigkeiten zu sammeln; und jetzt steht auf, um den Don Gregorio zu empfangen, denn die Leute machen unten schon Lärm, ich glaube, daß er schon im Hause sein muß.«

Und so war es auch wirklich, denn da Don Gregorio und der Renegat von ihrer Reise und Zurückkunft dem Vizekönige schon Nachricht gegeben hatten, so kam Don Gregorio, der begierig war, Anna Felix zu sehen, mit dem Renegaten in das Haus des Don Antonio, und obgleich Don Gregorio, als sie ihn von Algier abholten, in Weiberkleidern gewesen war, so hatte er sie doch in der Barke mit denen eines Sklaven vertauscht, welche er bei sich hatte; in welcher Tracht er aber auch sein mochte, so sah man, daß er reizend, edel und vornehm war, denn er war von außerordentlicher Schönheit, und sein Alter betrug siebenzehn oder achtzehn Jahre. Ricote und seine Tochter gingen ihm entgegen, der Vater mit Tränen und die Tochter mit Sittsamkeit. Sie umarmten sich nicht, denn wo große Liebe ist, pflegt man nicht große Kühnheit zu finden. Die vereinigte Schönheit des Don Gregorio und der Anna Felix verwunderte alle insgesamt, welche sich zugegen befanden. Das Schweigen war das, wodurch sich die beiden Liebenden hier besprachen, und die Augen waren ihre Zungen, womit sie ihre fröhlichen und keuschen Empfindungen entdeckten. Der Renegat erzählte die Art und Weise, mit welcher er den Don Gregorio befreit habe. Don Gregorio erzählte die Gefahren und Ängstlichkeit, in denen er sich unter den Weibern befunden, bei welchen er zurückgeblieben war, nicht mit weitläuftigen Reden, sondern in so kurzen Worten, daß man sah, sein Verstand sei seinen Jahren vorausgeeilt. Endlich bezahlte Ricote auch allen mit großer Freigebigkeit, sowohl dem Renegaten wie den übrigen, die die Ruder geführt hatten. Der Renegat vereinigte und versöhnte sich wieder mit der Kirche und wurde wieder aus einem faulenden Gliede ein reines und gesundes, durch Buße und Reue.

Nach zwei Tagen sprach der Vizekönig mit Don Antonio über die Art und Weise, wie man es einrichten könne, daß Anna Felix und ihr Vater in Spanien blieben, da es ihnen nichts Unerlaubtes schien, daß[455] eine so christliche Tochter und ein dem Anscheine nach so gut denkender Vater hier wohnten. Don Antonio erbot sich, am Hofe deswegen zu unterhandeln, an den er doch wegen anderer Geschäfte notwendig gehen mußte, wobei er zu verstehen gab, daß sich dort durch Freundschaft und Geschenke die schwierigsten Dinge möglich machen ließen. »Nein«, sagte Ricote, der bei diesem Gespräche zugegen war, »hierbei darf man sich weder auf Freundschaft noch auf Geschenke verlassen, denn bei dem großen Bernardino de Velasco, Grafen von Salazar, welchem Seine Majestät den Auftrag unserer Vertreibung gegeben hat, gelten weder Bitten noch Versprechungen, noch Geschenke, noch Klagen; denn so wahr es auch ist, daß er die Barmherzigkeit mit der Gerechtigkeit verbindet, da er sieht, daß der ganze Körper unserer Nation angesteckt und verderbt ist, so will er sich doch lieber des glühenden Eisens als der erweichenden Salben bedienen, und so hat er mit Scharfsinn und Eifer und mit Furcht, welche er erregt, auf seine starken Schultern zur unvermeidlichen Ausführung die Last dieses großen Amtes übernommen, ohne daß unsere Pläne, Listen, Bewerbungen und Betrügereien seine stets wachen Argusaugen haben einschläfern können, damit keiner von den Unsrigen bleibe und sich verborgen halte, der als eine verborgene Wurzel mit der Zeit neue Schößlinge treibe und giftige Früchte in Spanien verbreite, das jetzt gereinigt und von aller Furcht befreit ist, in der unsere große Menge es versetzen mußte: ein heroischer Entschluß des großen dritten Philipps und eine beispiellose Weisheit, ihn von diesem Don Bernardino de Velasco ausführen zu lassen.«

»Ich will auf alle Fälle, wenn ich dort bin, allen möglichen Fleiß anwenden, und der Himmel mag dann tun, was ihm gefällig ist«, sagte Don Antonio; »Don Gregorio wird mit mir gehen, um seine Eltern zu trösten, die wegen seiner Abwesenheit in Verzweiflung sein müssen; Anna Felix wird sich in meinem Hause, bei meiner Frau, oder in einem Kloster aufhalten, und ich weiß, daß es der Herr Vizekönig erlaubt, daß der gute Ricote in dem seinigen bleibt, bis ich sehe, wie meine Geschäfte gehen.«

Der Vizekönig willigte in alle Vorschläge; aber Don Gregorio, welcher alles anhörte, sagte, daß er auf keine Weise Doña Anna Felix verlassen werde oder könne; da er aber doch die Absicht hatte, seine Eltern wiederzusehen und Anstalt zu treffen, zu ihr zurückzukommen, so gab er auch zu dem Plane seine Einwilligung. Anna Felix blieb bei der Gemahlin des Don Antonio und Ricote im Hause des Vizekönigs.

Der Tag kam, an welchem Don Antonio abreiste, und zwei Tage nachher machten sich auch Don Quixote und Sancho auf die Reise: denn sein Fall erlaubte es ihm nicht, daß er sich früher auf den Weg begeben konnte. Tränen, Seufzer, Ohnmachten fanden statt, als Don Gregorio von Anna Felix Abschied nahm. Ricote bot dem Don Gregorio tausend Dukaten an, wenn er sie haben wolle; er nahm aber nichts weiter, außer fünf, welche er vom Don Antonio lieh, und versprach, sie ihm in Madrid wiederzugeben. Hiermit reisten die beiden ab und bald darauf, wie schon gesagt, Don Quixote und Sancho: Don Quixote entwaffnet und in Hauskleidern, Sancho zu Fuß, weil der Graue mit den Waffen beladen war.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 452-456.
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