Sechstes Kapitel.

[389] Enthält, wie sich so viele Abenteuer über Don Quixote ergossen, daß eins dem andern keinen Raum ließ.


Als Don Quixote sich im freien Felde sah, von den Bestürmungen der Altisidora erlöst, war es ihm, als wenn er sich wieder in seinem Elemente befinde, sein Geist erwachte von neuem, die Bahn der Ritterschaft zu verfolgen, und indem er sich zu Sancho wandte, sagte er: »Die Freiheit, Sancho, ist eins der köstlichsten Geschenke, welches der Himmel nur immer den Menschen verliehen hat; mit ihr dürfen sich weder die Schätze vergleichen, welche die Erde verschließt, noch welche das Meer bedeckt; für die Freiheit wie für die Ehre kann und soll man das Leben wagen; und als ihr Gegenteil ist die Sklaverei das größte Unglück, welches dem Menschen zustoßen kann. Ich sage dieses, Sancho, weil du wohl die Pracht und den Überfluß gesehen hast, welche uns in diesem Schlosse zu Gebote standen, das wir verlassen haben; allein, mitten unter diesen wohlschmeckenden Gerichten und abgekühlten Getränken schien es mir doch, ich sei vom Hunger umlagert, weil ich nichts mit derjenigen Freiheit genoß, mit der ich es getan hätte, wenn alles das Meinige gewesen wäre: denn die Verbindlichkeiten, die uns erzeigte Wohltaten auflegen, sind ebenso viele Fesseln, welche die Freiheit der Seele beschränken. Glücklich ist derjenige, welchem der Himmel sein Brot gibt, ohne daß er wem anders als dem Himmel Dank schuldig ist!«

»Aber trotz allem«, sagte Sancho, »was Ihr da gesagt habt, ist es nicht gut, wenn wir für die zweihundert Dukaten nicht dankbar wären, die mir der Haushofmeister des Herzogs in einem Beutel gegeben hat und[390] die ich als Stärkung und Pflaster auf meinem Herzen trage, um für alle Fälle etwas zu haben; denn wir finden wohl nicht immer Schlösser, wo man uns verpflegt, sondern geraten auch leicht in Schenken, wo sie uns prügeln.«

Unter diesen und andern Gesprächen zogen der irrende Ritter und sein Stallmeister fort, als sie, nachdem sie ungefähr eine Meile gemacht hatten, auf dem Grase einer grünen Wiese auf ihren Mänteln essen sahen ungefähr zwölf Menschen, die wie Bauern gekleidet waren. Neben ihnen lag etwas, wie weiße Tücher, mit denen sie Sachen zudeckten, die sich unter diesen befanden; die Tücher waren groß, ganz entfaltet und in gewissen Strecken auseinandergelegt. Don Quixote ritt auf die Essenden zu und grüßte sie erst höflich, worauf er sie fragte, was sie mit den Tüchern zugedeckt hätten. Einer von ihnen antwortete: »Mein Herr, unter diesen Tüchern haben wir etliche Bilder von halb erhobener Arbeit, die in einen Altar kommen sollen, der in unserm Dorfe aufgerichtet wird; wir tragen sie so bedeckt, damit sie nichts von ihrem Glanz verlieren, und auf den Schultern, daß sie nicht beschädigt werden.«

»Wenn es Euch gefällig wäre«, antwortete Don Quixote, »so möchte ich sie gern sehen; denn Bilder, die mit solcher Sorgfalt behandelt werden, müssen ohne Zweifel sehr schön sein.«

»Und wie sehr sind sie das!« sagte ein anderer, »ei! wenn sie das nicht wären, würden sie dann wohl so viel kosten? denn es ist in Wahrheit keins darunter, das unter funfzig Dukaten zu stehen kommt, und damit Ihr seht, daß es wahr ist, so geduldet Euch ein wenig, und Ihr sollt es mit Euren eignen Augen sehen.« Dieser stand sogleich vom Essen auf und zog die Decke vom ersten Bilde weg, worauf man sah, daß es den heiligen Georg auf einem Pferde vorstellte, das mit den Füßen in einen Drachen verwickelt war, in dessen Rachen die Lanze drang, mit kühnem Ausdruck, wie man ihn zu malen pflegt. Das ganze Bild schien ein Brand von Gold, wie man sprichwörtlich sagt. Als Don Quixote es sah, sagte er: »Dieser Ritter war einer der vorzüglichsten Irrenden, die nur je unter der göttlichen Fahne gedient haben; er heißt Don Sankt Georg und war ein außerordentlicher Beschützer der Jungfrauen. Wir wollen das zweite betrachten.«

Der Mann deckte es auf, und es stellte den heiligen Martin vor, zu Pferde, der mit einem Armen seinen Mantel teilt. Kaum hatte ihn Don Quixote gesehen, als er sagte: »Dieser Ritter war ebenfalls einer von den christlichen Abenteurern, und ich glaube, er war mehr freigebig als tapfer, wie du hier sehen kannst, Sancho, wo er seinen Mantel mit einem Armen um die Hälfte teilt, es mußte gewiß damals Winter sein, denn sonst hätte er ihm denselben wohl ganz gegeben, da er so überaus mitleidig war.«

»Das braucht's nicht«, sagte Sancho, »sondern er brauchte sich nur an das Sprichwort zu halten: Das Geben und Behalten muß man mit Verstand verwalten.«

Don Quixote lachte und bat, daß man auch das andere Tuch abnehmen möchte, unter welchem sich das Bildnis des Schutzheiligen von Spanien zeigte, mit blutigem Schwerte, Mohren verjagend und über ihren Köpfen fortreitend, und indem es Don Quixote sah, sagte er: »Auch dieser ist ein Ritter und aus dem Geschwader Christi, er heißt Don Sankt Diego Mohrentöter, einer von den tapfersten Heiligen und Rittern, die nur je die Welt besaß und welche der Himmel jetzt besitzt.«

Sie nahmen ein anderes Tuch ab, und man sah den Sturz des Sankt Paulus vom Pferde, mit allen Umständen, wie man immer die Geschichte seiner Bekehrung zu malen pflegt. Als er sich nun so täuschend zeigte, daß man hätte glauben sollen, man hörte Christum sprechen und Paulum antworten, sagte Don Quixote: »Dieser war der größte Feind, den die Kirche des Herrn unsers Gottes damals hatte, und ihr größter Verteidiger, den sie jemals haben wird, irrender Ritter durch sein Leben und Heiliger festen Fußes durch seinen Tod: ein unermüdlicher Arbeiter im Weinberge des Herrn, ein Lehrer der Völker, dem der Himmel zur Schule gedient hatte und den Jesus Christus selbst als Doktor und Meister unterrichtet hatte.«[391]

Weiter waren keine Bilder, und darum befahl Don Quixote, daß man sie wieder zudecken solle, worauf er zu denen sagte, welche sie trugen: »Ich halte es für eine gute Vorbedeutung, ihr Kinder, daß ich das gesehen habe, was ich gesehen habe, denn diese Heiligen und Ritter trieben dasselbe Gewerbe, welches ich treibe, nämlich die Ausübung der Waffen, nur findet sich der Unterschied zwischen ihnen und mir, daß sie Heilige waren und nach dem Göttlichen rangen, ich aber ein Sünder bin und nach dem Menschlichen ringe. Sie eroberten den Himmel durch die Gewalt ihrer Arme, denn der Himmel leidet Gewalt, ich weiß aber nicht, was ich bisher durch die Gewalt aller meiner Leiden erobert habe; wenn aber nur meine Dulcinea von Toboso aus ihrem Zustande erlöst wird, um mein Glück zu erhöhen und meinen Verstand zu verbessern, so kann es sein, daß ich meine Schritte alsdann auf einen bessern Weg lenke, als ich bisher betreten habe.«

»Gott erhöre dies, und der Satan sei taub«, rief Sancho bei dieser Gelegenheit aus.

Die Leute verwunderten sich, sowohl über die Gestalt wie über die Reden des Don Quixote, ohne nur die Hälfte von dem zu begreifen, was er ihnen sagen wollte. Sie endigten ihre Mahlzeit, nahmen ihre Bilder auf und sagten Don Quixote Lebewohl, indem sie ihren Weg verfolgten. Sancho war von neuem über alles, was sein Herr wußte, so erstaunt, als wenn er ihn noch nie gekannt hätte, denn er glaubte, daß keine Geschichte oder keine Begebenheit in der Welt sei, die er nicht an den Fingern hersagen könne und auswendig wisse. »Wahrlich«, rief er aus, »wenn das, mein teurer Herr, was uns jetzt begegnet ist, ein Abenteuer genannt werden kann, so ist es eins der lieblichsten und köstlichsten, die uns nur auf unserer ganzen Wanderschaft zugestoßen sind; ohne Schläge und ohne Angst haben wir es beendigt, ohne die Hand an den Degen zu legen noch mit dem Leibe auf die Erde zu schlagen oder Hunger zu erleiden; gelobt sei Gott, daß es mir vergönnt war, dergleichen mit meinen eigenen Augen zu sehen.«

»Du sprichst recht, Sancho«, sagte Don Quixote; »aber du mußt wissen, daß nicht alle Zeiten gleich sind oder sich auf gleiche Weise gebärden; und das, was der Pöbel gewöhnlich Vorbedeutungen zu nennen pflegt, die nirgend in der Vernunft gegründet sind, werden von den Verständigen nur für glückliche Zufälle gehalten. Einer von diesen Abergläubischen stand am Morgen auf, ging aus seinem Hause und begegnete einem Mönche von dem Orden des heilbringenden Sankt Franziskus, worauf er so schnell, als wenn er einem Greifen begegnet wäre, wieder umkehrte und in sein Haus zurückging. Einem andern, Mendoza, wurde das Salz über den Tisch geschüttet, wodurch sich ihm zugleich eine Melancholie in das Herz schüttete, als wenn die Natur gezwungen wäre, ein künftiges Unglück durch dergleichen Kleinigkeiten, wie die erzählten Dinge sind, vorherzusagen. Der verständige Christ wird nicht durch Armseligkeiten das finden wollen, was der Himmel tun will. Als Scipio nach Afrika kam, fiel er hin, indem er auf das Land sprang, dies hielten seine Soldaten für eine schlimme Vorbedeutung; er aber faßte die Erde in seine Arme und sagte: ›Du kannst mir nicht entfliehen, Afrika, denn ich halte dich fest und in meinen Armen.‹ Darum, Sancho, daß ich diesen Bildern begegnet bin, ist für mich ein sehr glücklicher Zufall gewesen.«

»Das glaube ich auch«, antwortete Sancho, »ich möchte aber wohl das von Euch wissen, warum die Spanier, wenn sie in eine Schlacht gehen, diesen Sankt Diego Mohrentöter mit den Worten anrufen: ›Santiago und Spanien zu!‹ Ist denn Spanien etwa offen, daß man es zuschließen müßte, oder was hat das sonst zu bedeuten?«

»Du bist sehr einfältig, Sancho«, antwortete Don Quixote, »siehe, diesen großen Ritter vom roten Kreuze hat Gott Spanien zum Schutzpatron und Beistande verliehen, vorzüglich in dem harten Streit, den die Spanier mit den Mohren gehabt haben, darum rufen sie ihn in allen ihren Schlachten als ihren Beschützer an, und oft hat man ihn sichtbarlich wahrgenommen, wie er die feindlichen Heerscharen angreift,[392] verfolgt, zerstört und vernichtet; und von dieser Wahrheit könnte ich dir viele Exempel anführen, die in den wahrhaftigen spanischen Historien erzählt werden.«

Sancho veränderte das Gespräch und sagte zu seinem Herrn: »Ich habe mich, gnädiger Herr, über die Leichtfertigkeit der Altisidora, der Kammerfrau der Herzogin, verwundern müssen; tüchtig muß sie doch getroffen und verwundet von dem sogenannten Amor sein, der ein blinzelnder Schlingel sein soll, denn wenn er auch Triefaugen hat oder eigentlich gar nicht sehen kann, so schießt er doch, wenn er sich ein Herz, selbst das kleinste, zum Ziele setzt, dieses mit seinen Pfeilen durch und durch. Ich habe aber auch gehört, daß an der Keuschheit und Ehrbarkeit der Mädchen die Liebespfeile abgestumpft werden; doch scheint es, daß sie an dieser Altisidora eher schärfer als stumpfer werden.«

»Merke, Sancho«, sagte Don Quixote, »daß die Liebe keine Rücksichten kennt, auch niemals in ihrer Laufbahn den Weg der Vernunft verfolgt, so daß sie dieselbe Beschaffenheit hat wie der Tod, der ebensogut die hohen Schlösser der Könige als die niedrigen Hütten der Schäfer besucht, und hat sie einmal eine Seele in Besitz genommen, so ist das erste, was sie tut, daß sie Furcht und Scham vertreibt, und deshalb erklärte Altisidora ihre Absichten so freimütig, die in meinem Herzen eher Verdruß als Mitleiden erregt haben.«

»Himmelschreiende Grausamkeit!« sagte Sancho, »und unerhörte Undankbarkeit! Ich muß sagen, daß ich mich gleich auf die allerkleinste Liebeserklärung ergeben hätte. Ei, Teufel noch einmal! Was ist das für ein Herz von Marmor! für ein Eingeweide von Erz und eine Seele von Stein! Ich kann mir aber nicht vorstellen, was das Mädchen an Euch gesehen haben sollte, das sie so verliebt hätte machen können. Was für Schönheit, frisches Ansehen, Lieblichkeit, Angesicht, was von diesen Dingen für sich allein oder alle zusammen hat sie doch wohl entzückt? denn, meiner Seele, ich betrachte Euch oft von den Füßen bis auf das letzte Härchen Eures Kopfes, und ich sehe Dinge, die eher erschrecken als verliebt machen könnten, und doch habe ich sagen hören, daß die Schönheit das erste ist, was die Liebe erregt; da Ihr nun aber gar keine besitzt, so weiß ich nicht, worein sich die arme Kreatur verliebt hat.«

»Merke, Sancho«, antwortete Don Quixote, »daß es zwei Arten von Schönheit gibt, eine des Körpers und eine andere der Seele; die der Seele leuchtet im Verstande hervor, in der Tugend, im edlen Betragen, in der Freigebigkeit und in anständigen Sitten, und alle diese Eigenschaften können sich in einem häßlichen Manne befinden; wird nun das Auge auf diese Schönheit und nicht auf die des Körpers gerichtet, so entsteht die Liebe gewöhnlich um so schneller und heftiger. Ich sehe wohl, Sancho, daß ich nicht schön bin, aber ich weiß auch, daß ich nicht mißgestaltet bin; und bei einem edlen Manne ist es hinlänglich, geliebt zu werden, daß er kein Ungeheuer sei, wenn er nämlich die Vorzüge des Geistes besitzt, die ich genannt habe.«

Mit diesen Gesprächen und Unterhaltungen gerieten sie in einen Wald, der vom Wege entfernt lag, und plötzlich, ohne daran zu denken, fand sich Don Quixote in Netzen von grünen Fäden verwickelt, die von etlichen Bäumen nach den jenseitigen ausgespannt waren; und ohne zu begreifen, was dies sein sollte, sagte er zu Sancho: »Ich glaube, Sancho, daß diese Netze eins der seltsamsten Abenteuer sind, die man nur ersinnen kann. Ich will sterben, wenn die Zauberer, welche mich verfolgen, mich nicht hierein verwickeln und meine Reise verzögern wollen, um die Strenge zu rächen, mit der ich Altisidora behandelt habe; aber ich sage ihnen, daß, wenn diese Netze, wie sie aus grünen Fäden gemacht sind, auch von den härtesten Diamanten wären oder noch stärker als diejenigen, mit denen der eifersüchtige Gott der Schmiede Venus und Mars umzog, so will ich sie doch so zerreißen, als wären sie nur Meerbinsen oder Gespinst aus Baumwolle.« Er wollte zugleich vor und sie alle zerbrechen, als sich ihm plötzlich, zwischen den Bäumen hervortretend, zwei überaus schöne Schäferinnen zeigten; wenigstens waren sie als Schäferinnen gekleidet,[393] außer daß ihre Leibchen und Röcke aus glänzendem Brokat bestanden; ihre Röcke waren nämlich von gewirktem Golde; die Haare ließen sie über die Schultern fliegen, die in der Goldfarbe wohl selbst mit den Strahlen der Sonne wetteifern durften, geschmückt war das Haupt mit zwiefachen Kränzen, der eine von grünem Lorbeer, durch welchen sich ein anderer von rötlichen Amaranten zog; ihr Alter schien nicht unter funfzehn zu sein, auch nicht höher als achtzehn zu steigen. Ein Anblick war es, der Sancho in Verwunderung und Don Quixote in Erstaunen setzte, die Sonne selbst in ihrem Laufe anhielt, um sie zu betrachten, indem sie alle vier in ein wunderwürdiges Stillschweigen versetzte. Wer zuerst sprach, war eine von den beiden Schäferinnen, welche zu Don Quixote sagte: »Haltet an, Herr Ritter, und zerreißt nicht diese Netze, die nicht Euch zum Schaden, sondern uns zum Vergnügen hier aufgespannt sind; und weil ich weiß, daß Ihr uns fragen werdet, was sie bedeuten oder wer wir sind, so will ich es Euch mit wenigen Worten sagen. In einem Dorfe, das zwei Meilen von hier liegt und in welchem viele reiche und vornehme Edelleute wohnen, wurde unter vielen Freunden und Verwandten abgeredet, daß sie mit ihren Söhnen, Frauen und Töchtern hierher kommen wollten, sich an diesem Orte zu ergötzen, der der anmutigste in der ganzen Gegend ist; wir wollten ein Hirtenleben und neues Arkadien bilden, indem sich die Mädchen als Schäferinnen und die Jünglinge als Hirten kleideten; wir haben zwei Eklogen eingelernt, die eine von dem berühmten Poeten Garcilaso und die zweite von dem unvergleichlichen Camöens, in seiner eigenen portugiesischen Sprache, die wir bis jetzt noch nicht vorgestellt haben; gestern war der erste Tag, an dem wir hier gewesen sind; unter jenen Zweigen haben wir einige Zelte aufgeschlagen, wie es im Felde gebräuchlich ist, am Ufer eines rauschenden Baches, der alle diese Wiesen bewässert; in der Nacht haben wir in den Bäumen diese Netze aufgespannt, um die einfältigen Vögel zu berücken, die, von unserm Lärmen erschreckt, sich freiwillig darin fangen. Ist es Euch gefällig, unser Gast zu sein, so sollt Ihr freundlich und höflich aufgenommen werden, denn jetzt darf sich kein Verdruß und keine Traurigkeit diesem Orte nähern.«

Sie schwieg und sagte nichts Weiteres. Worauf Don Quixote antwortete: »Wahrlich, schönste Dame, mehr erstaunt und verwundert kann nicht Actaeon gewesen sein, als er unvermutet Diana im Bade sah, als ich in Verwunderung bin, Eure Schönheit zu erblicken. Ich lobe den Vorsatz Eurer Unterhaltung, und für Euer gütiges Anerbieten sage ich Euch Dank, kann ich Euch dienen, so dürft Ihr mir, von meinem Gehorsam überzeugt, gebieten; denn ich habe kein anderes Gewerbe, als mich dankbar und als einen Wohltäter des ganzen menschlichen Geschlechts zu bezeigen, vorzüglich aber so auserlesenen Damen, als Ihr es seid; daher, wenn diese Netze, die ohne Zweifel nur einen kleinen Raum einnehmen, auch den Umfang der ganzen Erde umstricken sollten, so würde ich lieber neue Welten zu meinem Wege suchen als sie zerreißen; und damit Ihr dieser meiner Hyperbel Glauben beimessen mögt, so erfahrt, daß derjenige, der Euch dieses verspricht, wenigstens Don Quixote von la Mancha sei, wenn dieser Name Euer Gehör erreicht haben sollte.«

»Ach, liebste Freundin«, sagte hierauf die andere Schäferin, »welches außerordentliche Glück! Siehst du diesen Ritter da vor uns? Du mußt wissen, daß er der tapferste, der verliebteste und der artigste auf der ganzen Welt ist, wenn die Geschichte nicht lügt und uns hintergeht, die von seinen Taten gedruckt ist und die ich gelesen habe. Ich wette, daß der wackere Mann, der mit ihm kommt, ein gewisser Sancho Pansa, sein Stallmeister, ist, mit dessen Scherzen sich nichts vergleichen läßt.«

»Das ist wahr«, sagte Sancho, »ich bin dieser Scherzende und dieser Stallmeister, von dem Ihr sprecht, und dieser Ritter ist mein Herr, der nämliche Don Quixote von la Mancha, in Büchern geschildert und beschrieben.«

»Ach!« sagte die andere, »wir wollen ihn bitten, daß er bleibe, denn unsere Eltern und Brüder würden sich außerordentlich darüber freuen, ich habe auch von seiner Tapferkeit und Anmutigkeit das nämliche gehört, was du gesagt hast, vorzüglich aber rühmt man, daß er der treuste und beständigste Liebende sei, von dem man nur weiß, und seine Dame ist eine Dulcinea von Toboso, welcher ganz Spanien die Palme der Schönheit zuerkennt.«

»Und mit Recht«, sagte Don Quixote, »wenn sie ihr Eure unvergleichliche Schönheit nicht streitig macht; bemüht Euch aber nicht, meine Damen, mich zurückzuhalten, denn die genauen Vorschriften meines Standes erlauben mir nicht, auch nur an irgendeiner Stätte der Ruhe zu pflegen.«

Indem kam nach dem Ort, wo die vier standen, der Bruder von der einen Schäferin, auch als Schäfer gekleidet, mit solcher Kostbarkeit, daß seine Tracht mit der der Schäferinnen übereinstimmte; sie erzählten ihm, daß derjenige, der zugegen, der tapfere Don Quixote von la Mancha und der andere sein Stallmeister Sancho sei, welche er schon kannte, weil er seine Historie gelesen hatte. Der vornehme Hirt freute sich und bat ihn so höflich, sie nach ihren Zelten zu begleiten, daß Don Quixote nachgeben mußte. Indes kam das Treiben herbei, und mancherlei Vögel flogen in die Netze, die, von der Farbe der Netze betrogen, in die Gefahr stürzten, der sie entfliehen wollten. Es fanden sich hierauf an dem Orte mehr als dreißig Personen zusammen, alle prächtig als Schäfer und Schäferinnen gekleidet, und zugleich erfuhren sie alle, wer Don Quixote und sein Stallmeister wären, worüber sie sich nicht wenig freuten, weil sie sie schon aus der Historie hatten kennengelernt. Man begab sich nach den Zelten, die Tische waren schon gedeckt und kostbar, reich und glänzend besetzt; man erzeigte dem Don Quixote die Ehre, daß er den obersten Platz ein nehmen mußte; alle sahen auf ihn, und alle verwunderten sich über seinen Anblick. Als die Mahlzeit vorüber war, erhob Don Quixote die Stimme und sprach mit großer Würde: »Zu den größten Sünden, welche die Menschen begehen können, gehört zwar, wie einige behaupten wollen, der Stolz, ich aber sage, daß es die Undankbarkeit ist, indem ich mich auf den gewöhnlichen Ausdruck berufe, daß die Hölle voller Undankbaren sei. Diese Sünde habe ich, seit ich den Gebrauch meiner Vernunft habe, soviel als möglich zu fliehen gesucht, und wenn ich Guttaten, die mir widerfahren, nicht durch andere Guttaten vergelten kann, so setze ich den Wunsch, sie zu erzeigen, an ihre Stelle, und wenn dieses nicht hinreicht, mache ich sie bekannt; denn wer von denen Guttaten, die er empfängt, öffentlich spricht, würde sie auch mit andern vergelten, wenn er es vermöchte, denn meistenteils stehen diejenigen, welche sie empfangen, unter denjenigen, welche sie geben, und so ist Gott über alle, denn er gibt allen, und die Gaben der Menschen lassen sich mit denen Gottes keineswegs vergleichen, weil ein unendlicher Raum zwischen ihnen ist, aber dieser Mangel und diese Dürftigkeit wird gewissermaßen durch die Dankbarkeit vergütet. Ich kann, so dankbar ich auch für das erwiesene Gute bin, es nicht auf die nämliche Art erwidern, da ich von den engen Grenzen meines Vermögens beschränkt werde, ich biete aber an, soviel ich vermag und was in meinem Besitztume liegt; ich sage also, daß ich mich zwei ganzer Tage hindurch in der Mitte der großen Straße nach Saragossa lagern will und behaupten, daß diese verkleideten Schäferinnen die schönsten und artigsten Jungfrauen auf der Welt sind, nur die unvergleichliche Dulcinea von Toboso ausgenommen, die einzige Beherrscherin meiner Gedanken; mit Vergünstigung aller Herren und Damen sei es gesagt, welche mir zuhören.«

Als Sancho dies vernahm, der mit der größten Aufmerksamkeit zugehört hatte, rief er mit lauter Stimme: »Ist es möglich, daß es Leute in der Welt gibt, welche sich unterstehen, zu sagen und zu schwören, daß dieser mein Herr ein Narr sei? Sagt nur selbst, meine gnädigen Herren Schäfer, gibt es wohl einen Pfarrer auf einem Dorfe, so verständig und gelehrt er auch sein mag, der so sprechen könnte, wie mein Herr gesprochen hat? Gibt es wohl einen irrenden Ritter, wenn er auch den Ruhm des tapfersten hat, der das Anerbieten machen könnte, das mein Herr getan hat?«[399]

Don Quixote kehrte sich zu Sancho und sagte, das Gesicht von Zorn entbrannt: »Ist es möglich, o Sancho, daß es auf dem ganzen Erdenrunde jemanden geben kann, welcher nicht sagen sollte, daß du nicht ein Dummkopf seist, mit einem Unterfutter von demselben Zeuge, mit einer Art Aufschlag von Bosheit und Spitzbüberei? Was mengst du dich in meine Sachen, um auszumachen, ob ich verständig oder unklug bin? Schweig und antworte mir nicht, sondern sattle den Rozinante, wenn er abgesattelt ist; gehen wir, mein Anerbieten ins Werk zu richten, denn mit dem Rechte, welches auf meiner Seite ist, kannst du alle diejenigen schon für überwunden achten, die mir widersprechen sollten.« Zugleich stand er heftig und mit allen Zeichen des Zorns von seinem Stuhle auf, indem er alle Umstehenden in Erstaunen versetzte, die zweifelhaft waren, ob sie ihn für einen Narren oder für einen Klugen halten sollten. Sie suchten ihn zu überreden, daß er diese Ausforderung unterlassen möchte, denn sie erkennten seinen guten Willen, auch sei es unnötig, neue Beweise von der Größe seines Mutes zu geben, denn diejenigen seien schon hinreichend, die in der Geschichte seiner Taten erzählt würden; aber dennoch setzte Don Quixote seinen Vorsatz durch, bestieg den Rozinante, faßte den Schild und ergriff seine Lanze; so lagerte er sich in die Mitte der großen Straße, die sich nicht weit von der grünen Wiese befand. Sancho folgte ihm auf seinem Grauen, nebst allen Leuten der schäferlichen Herde, die begierig waren, zu sehen, was aus seinem seltsamen und unerhörten Anerbieten werden würde. Als Don Quixote sich, wie gesagt, in der Mitte der Straße gelagert hatte, schickte er folgende Worte in die Lüfte: »O Ihr, Fremde und Reisende, Ritter, Stallmeister, Leute zu Fuß oder zu Pferde, die Ihr dieses Weges zieht oder ihn noch in den folgenden beiden Tagen ziehen werdet, wisset, daß Don Quixote von la Mancha, irrender Ritter, hier gegenwärtig ist, um zu behaupten, daß alle andere Schönheit und Artigkeit in der Welt von derjenigen übertroffen wird, mit welcher die Nymphen begabt sind, die diese Wiesen und Wälder bewohnen, wobei ich ausnehme die Beherrscherin meiner Seele Dulcinea von Toboso; wer aber das Gegenteil behauptet, der komme herbei, denn hier erwarte ich seiner.«

Zweimal wiederholte er diese Worte, und beide Male wurde er von keinem einzigen Abenteurer gehört.

Das Schicksal aber, welches seine Sachen aus dem Guten in das Bessere lenkte, veranstaltete es so, daß sich bald darauf auf dem Wege eine Anzahl von Leuten zu Pferde sehen ließ, von denen viele Lanzen in den Händen hatten, die alle in einem Trupp zusammengedrängt waren und in großer Eile reisten. Diejenigen, die bei Don Quixote waren, hatten sie kaum erblickt, als sie umkehrten und sich ziemlich weit vom Wege entfernten, denn sie sahen ein, daß, wenn sie dablieben, sie sich einer Gefahr aussetzten; nur Don Quixote blieb mit unerschrockenem Herzen stehen, und Sancho Pansa beschirmte sich hinter dem Rozinante. Der Trupp der Lanzenträger kam herbei, und einer, der voranritt, schrie dem Don Quixote mit lauter Stimme zu: »Fort, du Teufelskerl, aus dem Wege, die Stiere reißen dich ja in Stücke.«

»Heda, Kanaille«, antwortete Don Quixote, »für mich gibt es keine Stiere, die mir Trotz bieten, und wenn es auch die stärksten wären, die der Xarama an seinen Ufern erzeugt. Bekennt, ihr Spitzbuben, daß das die Wahrheit sei, was ich hier bekanntgemacht habe, wollt ihr nicht, so macht euch zum Kampfe fertig.«

Der Ochsentreiber hatte keine Zeit, zu antworten, und Don Quixote ebenso wenige, aus dem Wege zu gehen, wenn er auch gewollt hätte; und so geschah es, daß der Trupp der starken Stiere sowie der zahmen Ochsen, nebst der Menge von Ochsentreibern und andern Leuten, die sie umgaben, um sie nach einer Stadt zu treiben, wo sie am folgenden Tage ein Stiergefecht geben wollten, ihren Weg über Don Quixote und Sancho, Rozinante und den Grauen nahmen, indem sie sie zur Erde warfen und über sie hinwegrannten. Sancho war zerquetscht, Don Quixote betäubt, der Graue zerschlagen und Rozinante nicht unbeschädigt; endlich aber standen alle auf, und Don Quixote lief mit großer Eile, bald stolpernd und[400] bald fallend, der Ochsenherde nach und rief mit lauter Stimme: »Haltet an, ihr niederträchtiges Gesindel, denn ein einziger Ritter er wartet euch hier, der nicht die Gesinnung hegt oder der gewöhnlichen Meinung ist, daß man dem fliehenden Feinde silberne Brücken bauen müsse.«

Aber die flüchtigen Renner ließen sich dadurch nicht zurückhalten, auch achteten sie seine Drohungen nicht mehr als die Wolken vom vorigen Jahre; Don Quixote blieb endlich aus Müdigkeit zurück und setzte sich, mehr erbost als gerächt, im Wege nieder, um zu warten, bis Sancho, Rozinante und der Graue zu ihm kämen. Sie kamen; Herr und Diener stiegen wieder auf, und ohne umzukehren, um von dem erdichteten oder nachgeahmten Arkadien Abschied zu nehmen, setzten sie mehr mit Scham als Vergnügen ihre Reise fort.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 389-395,399-401.
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