Viertes Kapitel.

[379] Von der ungefügen und nie gesehenen Schlacht, welche vorfiel zwischen Don Quixote von la Mancha und dem Lakaien Tosilos zur Verteidigung der Tochter der Dueña Doña Rodriguez.


Die Herzoge bereuten es nicht, daß sie sich mit Sancho den Spaß gemacht hatten, ihm eine Statthalterschaft zu geben, um so weniger, als an dem nämlichen Tage ihr Haushofmeister ankam und ihnen Punkt für Punkt fast alle Worte und Handlungen erzählte, welche Sancho in diesen Tagen gesprochen oder getan hatte; endlich schilderte er ihnen den Überfall der Insel, die Furcht des Sancho und seinen Abzug, worüber sie kein kleines Vergnügen empfanden. Die Geschichte fährt nun fort zu erzählen, daß der Tag des anberaumten Zweikampfes herbeikam, und da der Herzog schon einmal und öfter seinen Lakaien Tosilos abgerichtet hatte, wie er sich mit Don Quixote zu verhalten habe, um ihn zu überwinden, ohne ihn weder umzubringen noch zu verwunden, befahl er, daß die Eisen von den Lanzen abgenommen werden sollten, indem er zu Don Quixote sagte, sein Christentum, worein er seinen Wert setze, erlaube es ihm nicht, daß dieser Zweikampf mit gegenseitiger Lebensgefahr gehalten würde, er möge sich begnügen, ihnen ein offenes Feld in seinem Gebiete bewilligt zu haben, obgleich dieses schon gegen das Gebot des heiligen Konziliums liefe, welches dergleichen Ausforderungen untersagt, und darum könne er diesen Streit nicht nach seiner ganzen Grausamkeit vor sich gehen lassen. Don Quixote sagte, Seine Exzellenz möchten alles bei diesem Handel so einrichten, wie es Ihnen am besten gefiele, denn er würde in allem gehorchen.[380]

Der furchtbare Tag war gekommen, und der Herzog hatte befohlen, daß man vor dem Platze des Schlosses ein geräumiges Gerüst erbauen sollte, wo sich die Kampfrichter und die Dueñas befinden sollten, Mutter und Tochter, als Klägerinnen; von allen Orten und benachbarten Dörfern waren unzählig viele Menschen herbeigekommen, um diese unerhörte Schlacht zu sehen, dergleichen keiner jemals erlebt hatte noch auch in dem Lande davon hatte reden hören, sowohl diejenigen, die damals lebten, als auch jene, die schon gestorben waren. Der erste, der in den Kampfplatz und die Schranken trat, war der Zeremonienmeister, welcher den Platz fühlend und schreitend überging, damit kein Betrug obwalte noch etwas verdeckt sei, worüber man stolpern und fallen könne. Nach ihm kamen die Dueñas und nahmen ihre Sitze ein, in ihre Schleier bis über die Augen und selbst bis über die Brust verhüllt, mit den Gebärden einer gewaltigen Unruhe, indem Don Quixote in den Schranken hielt. Bald darauf, von vielen Trompetern begleitet, erschien an einer Seite des Platzes auf einem großen Rosse, das heftig stampfte, der große Lakai Tosilos mit niedergelassenem Visier und gänzlich in tüchtige und glänzende Waffenstücke eingeklammert. Das Pferd zeigte sich als kräftig, breit und von Farbe gefleckt; ein Stein Wollenhaar hing ihm an jedem Vorder- und Hinterfuße. Der tapfere Kämpfer kam, wohl von dem Herzoge, seinem Herrn, unterrichtet, wie er sich mit dem tapfern Don Quixote von la Mancha zu benehmen habe, vielmals erinnert, daß er ihn ja auf keine Weise umbringen solle, sondern dahin sehen, dem ersten Angriffe auszuweichen, um sich nicht in Lebensgefahr zu setzen, in der er sich ohne Zweifel befände, wenn er im vollen Rennen auf ihn stieße. Er ritt um den Platz, und als er hingekommen war, wo die Dueñas saßen, hielt er eine Weile, um die zu beschauen, die ihn zum Gemahl verlangte. Der Marschall rief Don Quixote, der sich schon auf dem Platze darstellte, und sprach neben Tosilos mit den Dueñas, welche er fragte, ob sie darein willigten, daß sich für ihr Recht Don Quixote von la Mancha einstelle. Sie sagten ja, und daß alles, was er in diesem Handel tun würde, gut getan und gültig und rechtskräftig sein sollte. Der Herzog und die Herzogin hatten sich indessen schon auf eine Galerie verfügt, die auf die Schranken niedersah, welche mit unzähligen Leuten umzingelt waren, die den Ausgang dieses nie gesehenen Kampfes erwarteten. Die Bedingung der Kämpfenden war, daß, wenn Don Quixote obsiegte, sein Gegner sich mit der Tochter der Doña Rodriguez verheiraten mußte, wäre er aber der Besiegte, so war sein Mitkämpfer seines Wortes frei, ohne irgendeine andere Genugtuung zu geben. Der Meister der Zeremonien teilte ihnen Sonne und stellte beide dahin, wo sie stehen mußten. Die Trommeln erschallten, die Luft ward vom Klange der Trompeten erfüllt, unter ihren Füßen zitterte die Erde; die Herzen der zuschauenden Menge waren voller Erwartung, einige fürchteten und andere hofften den guten oder den bösen Ausgang dieses Handels.

Don Quixote nun, sich von ganzem Herzen Gott, unserm Herrn, und der Doña Dulcinea von Toboso empfehlend, wartete nur darauf, daß man das letzte Zeichen zum Angriff geben sollte; jedoch unser Lakai hatte ganz verschiedene Gedanken; er dachte an nichts anderes als an das, was man jetzt erzählen wird.

Es scheint wohl, daß, als er seine Feindin so in der Nähe beschaute, sie ihm das schönste Weib zu sein schien, das er noch in seinem ganzen Leben gesehen hatte; und der blinde Knabe, den man in der Gegend hier nur gewöhnlich Amor zu nennen pflegt, wollte diese Gelegenheit, die sich ihm darbot, nicht verlieren, über eine lakaiische Seele zu triumphieren und sie in die Liste seiner Trophäen einzutragen; er näherte sich ihm also ganz leise, ohne daß ihn jemand sah, und stieß dem armen Lakaien einen Pfeil von zwei Ellen in die linke Seite, womit er ihm das Herz durch und durch spaltete; was er auch wahrlich sehr leicht tun konnte, denn Amor ist unsichtbar und dringt ein, wo er nur immer will, ohne daß ihn jemand wegen seiner Taten zur Rede stellt. Als daher das Zeichen zum Angriffe gegeben war, stand unser Lakai so entzückt, indem er die Schönheit derjenigen erwog, die schon die Gebieterin seiner Freiheit geworden war,[381] daß er den Klang der Trompete gar nicht vernahm, den Don Quixote sehr gut hörte und, kaum ihn hörend, alsobald dahersprengte und im heftigsten Rennen, so schnell es nur sein Rozinante aushalten konnte, gegen seinen Feind stürzte; und indem ihn sein Stallmeister Sancho abfahren sah, rief dieser mit lauter Stimme: »Gott geleite dich, du Blume und Ausbund der irrenden Ritter; Gott gebe dir den Sieg, denn du hast das Recht auf deiner Seite.« Und obgleich Tosilos Don Quixote auf sich loskommen sah, bewegte er sich doch nicht einen Schritt von seinem Platze; sondern er rief vielmehr mit lauter Stimme den Marschall herbei, und als dieser gekommen, um zu sehen, was er verlange, fragte er ihn: »Mein Herr, geschieht diese Schlacht nicht deshalb, daß ich mich mit der Dame da vermähle oder nicht vermähle?«

»So ist es«, war die Antwort.

»Also denn«, sagte der Lakai, »fürchte ich mich meines Gewissens und halte es für eine zu große Sünde, wenn diese Schlacht vor sich ginge, darum sage ich, daß ich mich für überwunden gebe und daß ich mich augenblicklich mit der Dame verheiraten will.«

Der Marschall war über die Worte des Tosilos in Erstaunen, und da er einer der Wissenden war und den Zusammenhang der Geschichte kannte, so war er nicht vermögend, ein Wort zu erwidern. Don Quixote hielt mitten in seinem Laufe inne, da er sah, daß ihm sein Feind nicht entgegenkam. Der Herzog begriff nicht, warum der Zweikampf nicht vor sich ging; doch der Marschall teilte ihm bald mit, was Tosilos gesagt hatte, worüber er aufs äußerste erstaunt und zornig war. Indem dieses vorging, begab sich Tosilos nach dem Sitze der Doña Rodriguez und sagte mit lauter Stimme: »Ich, Señora, will mich mit Eurer Tochter verheiraten und verlange nicht, das mit Zanken und Streiten zu erlangen, was ich im Frieden und ohne Lebensgefahr bekommen kann.«

Dieses hörte der edle Don Quixote und sprach: »Da dem also ist, so bin ich frei und meines Versprechens ledig; verheiratet Euch zur guten Stunde, und was Euch Gott, der Herr, gegeben hat, das möge Euch Sankt Peter gesegnen.«

Der Herzog war jetzt zum Platz des Kastells herabgestiegen, ging zum Tosilos und fragte ihn: »Ist es die Wahrheit, Ritter, daß Ihr Euch für überwunden erkennt und daß Ihr, von Eurem zagenden Gewissen angetrieben, entschlossen seid, Euch mit dieser Jungfrau zu vermählen?«

»Ja, gnädiger Herr«, antwortete Tosilos.

»Er tut sehr gut«, sagte hierauf Sancho Pansa, »denn der Katze gib, was frißt die Maus, so hast du Ruh im Haus.«

Tosilos bemühte sich, den Helm abzunehmen, und bat, daß man ihm eilig helfen möchte, denn es fehle ihm schon an Besinnung und Atem, weil er es nicht aushalten könne, so lange in dem engen Käfige eingeschlossen zu sein. Sie nahmen ihn schnell ab, und nun wurde sein Lakaiengesicht entdeckt und offenbar. Als dieses die Doña Rodriguez und ihre Tochter sahen, schrien sie laut und sagten: »Dies ist Betrug, Betrug ist dies, den Tosilos, den Lakaien unseres gnädigen Herzogs, hat man uns statt des wahrhaftigen Bräutigams untergeschoben; Gerechtigkeit im Namen Gottes und des Königs wegen solcher Bosheit, um es nicht Schelmerei zu nennen.«

»Bekümmert Euch nicht, meine Damen«, antwortete Don Quixote, »denn hier ist weder Bosheit noch Schelmerei, oder wenn sie da ist, so rührt sie nicht vom Herzoge her, sondern von den boshaften Zauberern, die mich verfolgen, die, neidisch darüber, daß ich den Ruhm dieses Sieges davontragen sollte, das Gesicht Eures Bräutigams in dieses verwandelt haben, welches, wie Ihr sagt, dem Lakaien des Herzogs zugehört; nehmt meinen Rat an und heiratet ihn, der Bosheit meiner Feinde zum Trotz, denn ohne Zweifel ist er der nämliche, den Ihr zu Eurem Gemahl habt erwerben wollen.«[382]

Als der Herzog dieses hörte, hätte er beinahe seinen ganzen Zorn weggelacht; er sagte: »Die Begebenheiten, welche dem Herrn Don Quixote zustoßen, sind so außerordentlich, daß ich es glauben muß, daß dieser mein Lakai nicht derselbe sei; wir wollen uns aber dieser Erfindung und List bedienen; laßt uns, wenn es Euch gefällt, die Hochzeit vierzehn Tage aufschieben und diese Person, die uns irremacht, so lange eingeschlossen halten; in dieser Zeit erhält er vielleicht seine vorige Gestalt wieder, denn der Grimm der Zauberer gegen den Herrn Don Quixote wird doch nicht so lange dauern, vollends wenn sie sehen, daß ihnen ihre Schelmereien und Verwandlungen so wenig nutzen.«

»Ach, gnädiger Herr«, sagte Sancho, »diese Schufte haben es nur gar zu sehr in der Art, die Sachen, die meinen Herrn angehen, in ganz etwas anderes zu verwandeln. Einen Ritter, den er vor einiger Zeit überwand und der der von den Spiegeln hieß, verkehrten sie in die Gestalt des Baccalaureus Simson Carrasco, der in unserm Dorfe geboren und unser sehr guter Freund ist, und meine gnädige Dulcinea von Toboso haben sie in eine gemeine Bäuerin verkehrt, und darum glaube ich, daß dieser Lakai als Lakai leben und sterben wird die ganze Zeit seines Lebens hindurch.«

Worauf die Tochter der Rodriguez sagte: »Mag er sein, wer er will, der mich zur Frau begehrt, so nehme ich ihn an, denn ich will lieber die rechtmäßige Frau eines Lakaien sein als die Mätresse und Verführte eines Ritters, obgleich der es nicht ist, der mich betrogen hat.«

Alle diese Sachen fielen vor, indessen Tosilos eingesperrt wurde, so lange, bis man sähe, was aus seiner Verwandlung würde. Alle riefen den Sieg des Don Quixote aus, und die meisten waren traurig und melancholisch darüber, daß die so sehnlich erwarteten Kämpfer sich nicht in Stücke zerrissen hatten, so wie sich der Pöbel betrübt, wenn er gehofft hatte, einen gehenkt zu sehen, der von der Partei oder von der Gerechtigkeit Vergebung erhält. Die Menschen gingen fort, der Herzog und Don Quixote kehrten in das Schloß zurück, Tosilos wurde gefangengesetzt, Doña Rodriguez und ihre Tochter waren sehr zufrieden, weil sie sahen, daß dieser Handel auf dem einen oder dem anderen Wege zu einer Heirat ausschlagen würde, und Tosilos hoffte nichts weniger.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 379-383.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Don Quijote
El ingenioso hidalgo Don Quijote de la Mancha: Selección. (Fremdsprachentexte)
Don Quijote
Don Quijote: Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha Roman
Don Quijote von der Mancha Teil I und II: Roman
Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Das Leiden eines Knaben

Das Leiden eines Knaben

Julian, ein schöner Knabe ohne Geist, wird nach dem Tod seiner Mutter von seinem Vater in eine Jesuitenschule geschickt, wo er den Demütigungen des Pater Le Tellier hilflos ausgeliefert ist und schließlich an den Folgen unmäßiger Körperstrafen zugrunde geht.

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon