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[294] Und bald sprang auf ein verschlossenes Tor;

Der Pabst Anselmo trat hervor,

Und ward geweiht in Sankt Petri Dom;

Ihm jauchzte entgegen das heilige Rom.


Darauf von den hohen Stufen herab

Er urbi et orbi den Segen gab,

Und sah vor seiner Heiligkeit

Sich beugen die sämtliche Christenheit.


Dann eilten herbei von nah und fern

Die Abgesandten der Fürsten und Herrn,

Den Fuß in Demut zu küssen bestellt

Dem dreimalgekrönten Beherrscher der Welt.


Drauf saß er geruhig im Vatikan,

Der niedern Sorgen abgetan,

Und nicht war an Lust und Freuden karg

Der enge Raum, der ihn verbarg.


Der Tisch war gut, die Pfühle weich,

Der Kämmerling dem geübtesten gleich;

Ein Kardinal ging ihm zur Hand,

Der Lesen und Schreiben trefflich verstand.


Und was das lästige Volk betrifft,

Das nicht zufrieden noch mit der Schrift,

Redselig uns oft viel Kummer macht, –

Da hielten die Pförtner schon gute Wacht.


Die Sonne stieg am Morgen auf,

Beschloß am Abend ihren Lauf,

Es wurde Tag, es wurde Nacht,

Und alles ging, wie hergebracht.


Der Frühling kam mild, der Sommer warm,

Der Herbst kam reich, der Winter arm;

Es wurde Tag, und wurde Nacht,

Und alles ging, wie hergebracht.
[294]

Da wiegte der Heilige Vater sein Haupt

Und sprach: »Ich hätte nimmer geglaubt,

Bevor ich selber die Macht erreicht,

Es sei die Welt zu regieren so leicht.«


Und wie im Traum ein Bild uns erscheint,

Das längst wir tot und verschollen gemeint,

Trat einst ein Vergessener mahnend vor ihn,

Der schier ihm unheimlich, gespenstisch erschien:


»Ich bin's, Herr Vetter; erkennt Ihr mich nicht?

Es ist Yglano, der mit Euch spricht;

Ich ließ Euch Zeit, ich hatte Geduld;

Nun komm ich einzufodern die Schuld.«


Errötend, erblassend in einem Nu,

Sprang auf der Pabst und schrie ihm zu:

»Hinweg aus meinem Angesicht!

Hinweg! entfleuch! ich kenne dich nicht.«


Yglano blieb geruhig, und trat

Zwei Schritte noch vor, dann lächelnd tat

Er auf den Mund mit leisem Hohn,

Und sprach in schaurig flüsterndem Ton:


»O Dankbarkeit, du süße Pflicht,

Du Himmelslust, du Himmelslicht!

Wie hat sich dieser dich eingeprägt?

Wie hat er stets dich heilig gehegt?


Ich zog dich, Wurm, aus deinem Staub,

Und mästete dich mit der Kirche Raub;

Du stiegest und stiegest im schwindelnden Flug

Auf meinen Flügeln, nichts galt dir genug.


Ich machte, nach deiner gierigen Wahl,

Zum Bischof dich, zum Kardinal,

Und machte dich gar am Ende zum Pabst, –

Wo blieb das Wort, das du mir gabst?«


Der Heilige Vater hub an zu schrein:

»Wer ließ mir den groben Gesellen herein?[295]

Trabanten und Wachen herbei! wir sind

Gefährdet, ergreift den Alten geschwind!«


Da keiner erschien, fuhr Yglano fort:

»Erfülle mir, Pabst, dein gegebenes Wort;

Zum andern, zum dritten, fodr ich dich auf,

Ich, welcher noch lenkt des Geschickes Lauf.«


Und laut und lauter inzwischen erscholl

Die Stimme des Pabstes, er schrie wie toll:

»Verruchter! Zauberer! Ketzer! dein Lohn,

Der Scheiterhaufen erwartet dich schon!«


Yglano darauf: »Herr Vetter, Ihr wißt

Aus Erfahrung jetzt, was des Brauches ist:

Ein jeder für sich; – was frommte mir nun

Das Allergeringste für Euch zu tun?«


Dann trat er vor ihn und gab ihm zugleich

Mit fliegender Hand einen Backenstreich;

Anselmo starrte erwachend empor;

Ihm schallten die letzten Worte im Ohr.


Er sah sich um; im Büchersaal

Yglanos stand er, wie dazumal;

Zerlumpt, das Stundenglas in der Hand,

Und unvermindert rann der Sand.


Dort stand Frau Martha und schenkte den Wein

Mit erhobener Hand in den Humpen ein,

Und wie er gefüllt bis zum Rande war,

So reichte sie ihn dem Hausherrn dar.


Yglano nahm den Humpen und trank,

Und setzte ihn weg, und sagte: »Schön Dank!«

Erbat sich sodann das Stundenglas,

Und stellte es hin zu dem Tintenfaß.


Und sprach: »Wir haben uns bedacht,

Frau Martha; ein einziges Huhn zu Nacht. –[296]

Es tut, Herr Vetter, mir herzlich leid

Daß Ihr zu fasten gesonnen seid.


So lebt denn wohl! – Frau Martha, das Licht,

Daß nicht der Vetter den Hals noch bricht;

Ihr leuchtet ihm hübsch die Treppe hinab,

Und schließt die Haustür hinter ihm ab.«


Quelle:
Adalbert von Chamisso: Sämtliche Werke. Band 1, München [1975], S. 294-297.
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