Pars Secunda.

[9] Nicht weit vom stolzen Schlosse, wo zum Tage

Der Hochzeit sich zu rüsten hieß der Graf,

Gewahrte man in reizend schöner Lage

Ein Dorf, und in den niedern Hütten traf

Ein Volk man an, das ärmlich, aber brav

Sich und den Viehstand von den Früchten nährte,

Die seinem Fleiß des Bodens Gunst gewährte.


An Armuth aber übertraf fast Alle

Ein Mann im Dorf, Janikola genannt;

Doch, wie einst jenem kleinen Ochsenstalle

Des höchsten Gottes Gnade zugewandt,

Man in der Hütte dieses Mannes fand

Das schönste Bild der reinsten Lieblichkeit,

Ein holdes Kind. – Griseldis hieß die Maid.


Die Sonne sandte nie vom Himmelsbogen

Auf solchen keuschen Liebreiz ihren Schein.

In größter Armuth war sie auferzogen,

Von üpp'ger Lust blieb ihre Seele rein;

Der Trunk der Quelle labte sie statt Wein.

Der Tugend hold und gram dem Müßiggang,

Ward keine Arbeit ihr zu schwer und lang.[9]


Kaum übertretend ihrer Kindheit Schranken,

Erfüllten schon den jungfräulichen Sinn

Ein reifer Muth und ernste Pflichtgedanken,

Und als des alten Vaters Pflegerin

Gab sie sich liebend voller Ehrfurcht hin;

Und ging im Felde hüten ihr' paar Schafe,

Und wollte rastlos wirken bis zum Schlafe.


Auch Wurzeln oder andre Kräuter brachte

Sie machmal heim, zerschnitt sie und begann

Daraus ihr Mahl zu kochen, und sie machte

Ihr dürftiges und hartes Lager dann.

Und auf den Unterhalt des Vaters sann

Sie so besorgt und mit dem freud'gen Wollen,

Das ihren Vätern brave Kinder zollen.


Griseldis aber, diesem armen Kinde,

War längst des Markgrafs Sinnen zugewandt;

Denn oft geschah's, daß, jagend durch die Gründe,

Durch Zufall sie sein spähend Auge fand.

Indessen nicht zu wilder Lust entbrannt

Durch ihren Reiz, nein, nur mit ernster Regung

Blickt' er auf sie und zog oft in Erwägung:


Empfohlen sei dem Herzen sie durch Tugend;

Durch Weiblichkeit in Blick und Wort bewährt,

Sei sie vor Allen in so zarter Jugend. –

Und wenn der Mensch der Einsicht oft entbehrt,

Was Tugend ist; er sah auf ihren Werth,

Und er beschloß, wenn er je freien solle,

Daß er nur sie und keine Andre wolle.[10]


Der Tag der Hochzeit kam. Indessen wußte

Noch Niemand, welches Weib er sich erkor;

Und da dies Jeden Wunder nehmen mußte,

So flüsterte man leise sich ins Ohr:

»Bleibt unser Herr denn immerdar ein Thor?

Will er nicht frei'n? O, Jammer, welch Verschieben!

Will er uns narr'n? Hat er nur Spott getrieben?«


Doch längst gefaßt war schon zum Brautgeschmeide

Der Gemmen Pracht in Gold und in Azur.

Das Maß zu nehmen von dem Hochzeitskleide

Ward eine Magd gewählt, die an Statur

Griseldis glich, soweit als möglich nur;

Und von dem Markgraf vorgesorgt aufs Beste

War jeder Schmuck, entsprechend solchem Feste.


Schon nah'te mit des Tages neunter Stunde

Sich die zur Hochzeit festgesetzte Zeit,

Des Schlosses Räume standen in der Runde

Schon zum Empfange reichgeschmückt bereit.

In Küch' und Keller welche Herrlichkeit!

Da wirst Du keinen einz'gen Leckerbissen,

Den nur Italien liefern kann, vermissen!


Gefolgt von seinem Hofstaat und den Schaaren

Der Edelfrau'n und Ritter, die durch ihn

Zum Fest der Hochzeit eingeladen waren,

Der Markgraf dann im Fürstenschmuck erschien,

Um unter Klang und Sang von Melodien

Sich gradewegs zum Dorfe, das soeben

Von mir erwähnt ist, festlich zu begeben.[11]


Bei Gott! Griseldis mochte wenig träumen,

Daß ihr bestimmt sei soviel Glanz und Pracht.

Zum Brunnen gehend, schöpft sie ohne Säumen

Dort Wasser und kehrt heimwärts mit der Tracht.

Denn wie sie hörte, war der Graf bedacht,

Sich an dem heut'gen Tage zu vermählen;

Und ungern möchte sie den Zug verfehlen.


Sie dachte: Mit den andren Mädchen stell' ich

Mich vor die Thür von unsrer Hütte hin.

Drum will ich eilen, damit rasch und schnell' ich

Mit meiner Arbeit heute fertig bin,

Und mich des Anblicks unsrer Markgräfin

Erfreuen kann in Muße und in Ruh',

Lenkt sich der Festzug dem Palaste zu.


Doch kaum erreichte sie die Flur der Hütte,

Als schon der Markgraf nah'te und sie rief;

Worauf sie – hastig ihre Wasserbütte

Im Viehstall bergend – ihm entgegenlief;

Und vor ihm beugte sie die Kniee tief,

Und ernsten Blicks verharrte sie dann stille,

Bis sie erfahren, was des Herren Wille.


Und an das Mädchen wandte seine Frage

Gedankenvoll der Markgraf mit dem Wort:

»Wo mag dein Vater sein, Griseldis? sage!«

Und ehrfurchtsvoll gab Antwort sie sofort:

»Er weilt, o Herr, in nächster Nähe dort!«

Und ohne Zögern sprang sie dann empor

Und führt' dem Grafen ihren Vater vor.[12]


Der Graf ergriff die Hand des armen Mannes,

Zog ihn bei Seite und sprach tiefbewegt:

»Janikola! nicht länger mag und kann es

Ich Dir verhehlen, was mein Herz erregt;

Und sagst Du ›Ja‹ zum Wunsche, den es hegt,

Nehm' ich Dein Kind – was immer auch geschehe –

Bevor ich scheide, lebenslang zur Ehe!«


»Ich kenne Dich als treuen Hausvasallen

Und weiß, Du liebst mich; und was mir gefällt

– Das darf ich sagen – ist auch Dein Gefallen;

Drum auf die Frage, welche Dir gestellt,

Erwidre mir und sprich, wie sich's verhält,

Gieb Deine Absicht offen zu erkennen:

Bist du geneigt, mich Schwiegersohn zu nennen?«


Kaum wußte sich der arme Mann zu sammeln;

So unerwartet brach's auf ihn herein.

Beschämt, erröthend, zitternd konnte stammeln

Er nur die Worte: »Lieber Herre, mein,

Was Euch gefällt, soll mein Gefallen sein!

Herr, Euren Willen ich zu meinem mache;

Wie's Euch beliebt, entscheidet in der Sache!«


Sanft sprach der Markgraf: »Weitern Rath zu pflegen,

Laßt uns zusammen in Dein Zimmer geh'n,

Du, sie und ich. – Und fragst Du mich weßwegen?

Nun wohl! in Deinem Beisein soll's gescheh'n,

Vor Deinem Ohr soll sie mir Rede steh'n,

Auf meine Frage: ob sie ewig mein

Treu und gehorsam Eheweib will sein?«[13]


Und als im Zimmer sie beisammen waren

Um – wie dies später näher dargelegt –

Die Sache zu besprechen, drang in Schaaren

Das Volk ins Haus; und Staunen rings erregt,

Wie sorgsam sie den theuren Vater pflegt.

Doch höchst verwundert stand Griseldis da,

Die nie zuvor ein solches Schauspiel sah.


Kein Wunder war's, daß sich ihr Staunen regte,

Und daß beim Anblick von solch hohem Gast,

Wie sie im Hause nie zu sehen pflegte,

Ihr Angesicht so ganz und gar erblaßt.

Doch um die Sache kurz zu machen, laßt

Mich melden, was vom Grafen ward gesagt

Der guten, holden, vielgetreuen Magd.


»Griseldis!« – sprach er – »wisse und verstehe,

Daß Deinem Vater, so wie mir es paßt,

Daß Du mein Weib wirst, ist zu dieser Ehe,

Wie ich vermuthe, Dein Entschluß gefaßt.

Doch da die Werbung Eile hat und Hast,

So bitt' ich Dich, daß Du mir Antwort schenkest,

Ob Du mir beistimmst oder anders denkest?«


»Ich frage Dich: bist Du mit Herz und Willen

Bei Tag und Nacht zu meiner Lust bereit?

Willst Du Dich fügen jeder meiner Grillen,

Ob sie Dir Freude machen oder Leid?

Entsagst Du jedem Widerspruch und Streit?

Willst Du in Wort und Mienen niemals schmälen?

So schwör's, und ich beschwöre, Dich zu wählen.«[14]


Verwundert sprach mit Zittern und mit Beben

Griseldis: »Herr! unwürdig und nicht werth

Bin ich der Ehre, wenn ich auch ergeben

Das thuen will, was Ihr von mir begehrt.

Ich schwör' es hier: gehorsam, treu bewährt

Sollt Ihr mich finden stets in That und Sinn,

Sonst nehmt mein Leben, das so lieb mir, hin!«


»Das ist genug, Griseldis mein!« – die Worte

Sprach froh der Markgraf und, gefolgt von ihr,

Enteilte rasch er aus des Hauses Pforte

Und sprach zum Volk in folgender Manier:

»Seht, die von mir erwählte Braut steht hier!

Habt Ihr mich lieb, so tragt sie auf den Händen,

Verehrt und liebt sie! – damit laßt mich enden!«


An alten Kleidern sollte sie beim Scheiden

Nichts mit sich nehmen, und so übertrug

Den Kammerfrau'n der Graf, sie zu entkleiden;

Und waren sie auch zimperlich genug,

Das zu berühren, was am Leib' sie trug,

Sah man die Maid mit freuderothen Wangen

Doch neugeschmückt vom Kopf zu Fuße prangen.


Das rauhe Haar begannen sie zu strählen,

Mit zarten Fingern ward aufs Haupt gedrückt

Ihr eine Krone, während mit Juwelen

Von jeder Art und Größe man sie schmückt.

Genug vom Anzug! – Jeder ist entzückt

Von ihrer Schönheit, obschon Glanz und Pracht

Sie für die Leute fast unkenntlich macht.[15]


Ein Ringlein gab der Markgraf ihr zu eigen

Zum Zeichen, daß sein Eheweib sie sei,

Ein schneeweiß Rößlein hieß er sie besteigen,

Und hin zum Schloß, vom Volk mit Jubelschrei

Begrüßt, begleitet, zogen rasch die Zwei,

Und froh verbrachten sie den Tag mit Festen,

Bis daß die Sonne niedersank im Westen.


Um in die Länge nicht den Stoff zu ziehen,

Sei kurz erwähnt, daß Gottes Gnadenhand

Der Markgräfin so reiche Gunst verliehen,

Daß Jedermann es schier unglaublich fand,

Sie sei geboren in so nied'rem Stand,

In einer Hütte, einem Ochsenstalle,

Anstatt entsprossen einer Kaiserhalle.


In Ehrfurcht aber und in Liebe wandte

Sich jedes Herz stets wärmer zu ihr hin.

Das Volk im Dorf, das sie zeitlebens kannte,

Beharrte steif und fest auf seinem Sinn

Und wollte schwören, daß von Anbeginn

Sie nie das Kind Janikola's gewesen,

Vielmehr ein andres, ganz verschied'nes Wesen.


Wie sie die Tugend stets zuvor bewahrte,

Schien sie an Güte und Vortrefflichkeit

Mit ihrem Stand zu wachsen, und sie paarte

Die Kunst der Rede mit Verschwiegenheit,

Anstand und Würde mit Leutseligkeit;

Und jedes Herz sie so zu fesseln wußte,

Daß, wer sie sah, auch liebgewinnen mußte.[16]


Indessen blieb nicht auf Saluzzo's Wälle

Ihr guter Namensruf allein beschränkt;

Nein, das Gerücht davon ward in der Schnelle

– Da Einer immer wie der Andre denkt –

Durch alle Lande so umhergesprengt,

Daß Herr'n und Frau'n, die jungen, wie die alten,

Um sie zu sehen, nach Saluzzo wallten.


Und Walther, der in Niedrigkeit zwar freite,

Doch königlich und überglücklich, fand

Den Frieden Gottes an der Gattin Seite

Und anderweitig Huld und Gunst im Land;

Und da er sah, daß unter niederm Stand

Auch Tugend wohne, ließ für weise gelten

Ihn rings das Volk – und das geschieht höchst selten.


Griseldis aber war nicht nur erfahren

In jeder Weibespflicht der Häuslichkeit;

Nein, wo es Noth that, wußte sie zu wahren

Des Reiches Nutzen, schlichtend jeder Zeit

Im ganzen Lande Zwiespalt, Zank und Streit.

Und was in ihrer Weisheit sie entschieden,

Damit gab sich auch jedes Herz zufrieden.


Und war zugegen oder nicht ihr Gatte,

Erzürnten sich zwei Herr'n in ihrem Land,

Vermittelte sie deren Streit und hatte

Verständ'ge, reife Worte gleich zur Hand,

Und unparteiisch man den Schiedsspruch fand.

Ein Jeder hielt sie für ein himmlisch Wesen,

Dem Recht zum Schutz, dem Volk zum Heil erlesen![17]


Nicht lang', nachdem die Hochzeit war begangen,

Gebar Griseldis ihm ein Töchterlein

Trotz ihrem Wunsch, ein Söhnchen zu empfangen;

Froh war der Markgraf, sowie allgemein

Sein ganzes Volk. Dem Mädchen hinterdrein

Ließ, da ihr Schoß so fruchtbar schien und offen,

Sich auch mit Recht ein Knabe noch erhoffen.

Quelle:
Chaucer, Geoffrey: Canterbury-Erzählungen, in: Geoffrey Chaucers Werke, Straßburg 1886, Band 3, S. 9-18.
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