Explicit secunda pars penitentiae; et sequitur tertia pars.

[317] Nun habe ich euch von der wahren Beichte erzählt, welche der zweite Theil der Buße ist. Der dritte Theil ist die Genugthuung, und diese besteht meistens in Almosengeben und in körperlichen Strafen.[317] Nun giebt es drei verschiedene Arten von Almosen: Zerknirschung des Herzens, wodurch man sich selbst seinem Gott darbietet; eine andere ist, Mitleid mit dem Mangel seines Nächsten zu haben, und die dritte ist, guten Rath zu ertheilen, geistlich oder leiblich, wenn Leute dessen bedürfen, und insbesondere hinsichtlich der Beschaffung menschlicher Nahrung. Und bedenkt wohl, daß der Mensch im allgemeinen dieser Dinge bedarf; er bedarf Nahrung, Kleidung und Herberge, er bedarf teilnehmenden Rath, Besuche im Gefängnisse und in Krankheit und Bestattung seiner Leiche. Und wenn du den Bedürftigen nicht selbst im Gefängnisse besuchen kannst, so besuche ihn durch Botschaft und durch Gaben. Dieses sind im allgemeinen die Almosen und Werke der Barmherzigkeit von Denen, welche zeitliche Güter und Verständniß im Rathertheilen haben. Von diesen Werken wirst du am Tage des Gerichtes hören. Diese Almosen sollst du von deinem Eigenthume, rasch und wo möglich heimlich geben; indessen, wenn du es nicht heimlich thun kannst, so mußt du dennoch das Almosengeben nicht unterlassen, obschon es die Menschen sehen, wenn es nicht aus Rücksicht auf die Welt, sondern allein um Jesu Christi willen geschieht. Denn, wie St. Matthäus Cap. V bezeugt, daß die Stadt, die auf einem Berge liege, nicht verborgen sei, noch man ein Licht anzünde und unter einen Scheffel setze, sondern auf einen Leuchter, damit es allen leuchte, die im Hause sind, also soll euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.

Um nun von den körperlichen Strafen zu sprechen, so bestehen sie in Beten, in Wachen, in Fasten und tugendhaften Lehren. Unter Gebeten müßt Ihr verstehen, daß Bitten und Beten ein frommer Wille des Herzens genannt wird, das in Gott sein Vertrauen setzt und dieses durch äußere Worte ausdrückt, um Leiden abzuwenden, und um geistliche und ewige Dinge zu erlangen und bisweilen auch zeitliche. Von diesen Fürbitten hat Jesus Christus im Gebete des Paternoster die meisten Sachen eingeschlossen. Gewiß, es steht durch drei Dinge an Würdigkeit oben an, weßhalb es würdiger ist, als irgend ein anderes Gebet: denn Jesus Christus machte es selber und es ist kurz, damit es desto leichter und bequemer im Herzen bewahrt werden könne und man sich desto öfter mit diesem Gebete zu helfen vermöge und um so weniger müde werde, es zu sagen; und daß man sich nicht entschuldigen könne, es zu lernen, ist es so kurz und so leicht; und endlich begreift es alle guten Gebete in sich.[318]

Die Erklärung dieses heiligen Gebetes, das so vortrefflich und würdig ist, überlasse ich den Meistern der Theologie; nur so viel will ich sagen, daß, wenn du betest, Gott möge dir deine Schuld vergeben, wie du deinen Schuldigern vergiebst, du dich wohl in Acht nehmen mögest, nicht ohne Barmherzigkeit zu sein. Dieses heilige Gebet vermindert auch läßliche Sünde und deßhalb paßt es sich besonders zur Buße.

Dieses Gebet muß aufrichtig und in vollkommenem Glauben gesagt werden; man muß es zu Gott ordentlich, verständig und andächtig beten, und immer muß man seinen Willen dem Willen Gottes unterordnen. Dieses Gebet muß auch mit großer Demuth, Reinheit und Ehrbarkeit gesprochen werden und nicht so, daß man Mann oder Weib ein Aergerniß dadurch giebt. Es muß auch von Werken der Barmherzigkeit gefolgt sein. Es hilft auch gegen die Laster der Seele; denn – wie St. Hieronymus sagt – durch Fasten werden die Laster des Fleisches geheilt und durch Gebet die Laster der Seele.

Hiernach muß du verstehen, daß körperliche Strafe auch im Wachen besteht. Denn Jesus Christus sagt: Wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtung fallet. Ihr müßt auch verstehen, daß Fasten aus drei Dingen besteht: im Enthalten von leiblicher Speise und Trank, im Enthalten von weltlicher Lustbarkeit und im Enthalten von Todsünde, insofern man sich nämlich mit aller Kraft von Todsünde entfernt halten soll.

Und du mußt auch verstehen, daß Gott das Fasten eingesetzt hat, und zum Fasten gehören vier Dinge. Freigebigkeit an Arme, Fröhlichkeit im Geist und Herzen, nicht ärgerlich noch verdrießlich über das Fasten zu sein, und gleichfalls eine vernünftige Zeit, um mäßig zu essen; das heißt, man soll nicht zur Unzeit essen und, weil man fastet, nicht länger bei Tische sitzen. Dann sollst du verstehen, daß körperliche Strafe in Zucht oder Lehre durch Wort und Schrift oder Beispiel besteht. Auch im Tragen von Haar oder Wolle oder einem Maschenpanzer auf der bloßen Haut um Christi willen, aber sieh dich vor, daß solche Arten der Buße nicht dein Herz bitter oder ärgerlich machen und dich langweilen; denn besser ist es dein hären Kleid wegzuwerfen, als die Süßigkeit unseres Herrn Jesu Christi. Und deßhalb, sagt St. Paul: Kleidet euch als die Auserwählten im Herzen Gottes mit Demuth, Mitleid, Geduld und solchen Kleidern, welche Jesu Christo mehr gefallen als härene Gewänder und Maschenpanzer.[319]

Dann besteht auch Zucht in Schlagen an deine Brust, in Peitschen mit Ruthen, in Leiden, in geduldigem Ertragen des Unrechtes, welches dir geschehen ist und auch in geduldigem Leiden von Krankheit, Verlust weltlichen Gutes oder Weib oder Kind oder anderer Freunde.

Dann mußt du verstehen, welche Sachen die Buße stören; und das geschieht in vierfacher Weise, nämlich durch Furcht, Scham, Hoffnung und Mangel an Hoffnung, das ist Verzweiflung. Und um zunächst von der Furcht zu sprechen, durch welche man wähnt, daß man die Buße nicht tragen könne, so ist das Mittel dagegen, zu bedenken, daß körperlicher Schmerz sehr geringfügig in Vergleich zu den Qualen der Hölle ist, die so grausam und lang und ohne Ende sind.

Und gegen die Scham, die man zu beichten fühlt und besonders jene Heuchler, die für so vollkommen gelten wollen, daß sie nicht nöthig haben zu beichten, gegen diese Scham sollte man denken, daß, wie man sich nicht geschämt hat, schlechte Sachen zu thun, man sich auch vernünftiger Weise nicht schämen solle gute Sachen zu thun, und eine solche ist die Beichte. Man sollte auch bedenken, daß Gott jeden Gedanken sieht und kennt, sowie alle unsere Werke, und daß man vor ihm nichts verbergen kann. Man sollte sich auch der Scham erinnern, welche am Tage des Gerichts die überkommen wird, so in ihrem gegenwärtigen Leben nicht bußfertig gewesen sind; denn alle Creaturen im Himmel, auf Erden und in der Hölle werden öffentlich alles sehen, was man vor der Welt verborgen hielt.

Um nun von der Hoffnung Derjenigen zu sprechen, die so nachlässig und langsam im Beichten sind, so besteht diese aus zwei Arten. Die eine ist, daß man hofft, noch lange zu leben und durch seinen Fehltritt viel Gut zu erlangen und dann erst zu beichten; und wie er sagt und ihm scheint, kann er noch immer zeitig genug zur Beichte kommen. Die andere ist die eitle Ueberschätzung der Gnade Christi. Gegen das erste Laster soll man denken, daß unser Leben keine Sicherheit gewährt und auch daß aller Reichthum dieser Welt dem Zufall unterworfen ist und wie der Schatten an der Wand schwindet, und – wie St. Gregorius sagt – daß es zur großen Gerechtigkeit Gottes gehöre, daß die Strafe nie von dem weichen solle, der sich nie der Sünde enthalten will, wenn es ihm nicht gefällt, sondern immer in Sünden bleibt; für solchen beständigen Willen, Sünde zu thun, sollen sie auch beständige Pein leiden.

Mangel an Hoffnung ist zwiefacher Art. Die erste ist Hoffnungslosigkeit[320] auf die Gnade Gottes; die andere ist, zu denken, daß man nicht länger im Guten ausharren könne. Die erste Hoffnungslosigkeit kommt daher, daß man wähnt, man habe so schwer und so oft gesündigt und so lange in Sünden gelegen, daß man nicht errettet werden könne. Gewiß, gegen diese verfluchte Hoffnungslosigkeit sollte man denken, daß die Passion Jesu Christi stärker ist, uns zu lösen, als es die Sünde ist, uns zu binden. Gegen die zweite Hoffnungslosigkeit soll man denken, daß so oft man fällt, man sich auch ebenso oft durch die Beichte wieder erheben kann; und ob man noch so lange in Sünden gelegen hat, die Gnade Christi ist immer bereit, uns aufzunehmen und zu verzeihen. Gegen jene Hoffnungslosigkeit nicht länger im Guten ausharren zu können, soll man denken, daß die Schwachheit des Teufels nichts vermag, wenn der Mensch es nicht dulden will; und er wird auch Stärke durch die Hülfe Jesu Christi finden und seiner ganzen Kirche und durch den Schutz von Engeln, wenn er will.

Dann sollen die Menschen verstehen, was die Frucht der Buße ist; und nach den Worten Jesu Christi ist sie die endlose Seligkeit des Himmels, wo Freude den Gegensatz von Leid und Kummer nicht kennt. Dort sind alle Leiden des gegenwärtigen Lebens vorbei; dort ist Sicherheit vor den Strafen der Hölle; dort ist die segensvolle Gemeinschaft, die sich an der Freude Anderer immerdar erfreut; dort scheint der Menschenleib, der einst garstig und dunkel war, heller denn die Sonne; dort ist der Leib, der einst gebrechlich, krank, schwach und sterblich war, unsterblich und so stark und kräftig, daß ihm nichts widerfahren kann; dort ist weder Hunger noch Durst noch Kälte, sondern jede Seele wird erfüllt durch den Anblick und das vollständige Schauen Gottes! Dieses Segensreich können die Menschen durch geistige Armuth erkaufen; die Herrlichkeit durch Niedrigkeit; die Ueberfülle der Freude durch Hunger und Durst und die Ruhe durch Arbeit und das Leben durch den Tod und der Ertödtung der Sünde.

Zu diesem Leben führe uns der, welcher uns mit seinem kostbaren Blute erkauft hat. Amen!


Nun bitte ich Alle, welche diese kleine Abhandlung hören oder lesen, daß sie, falls sie etwas darin finden, was ihnen gefällt, dafür unserm Herrn Jesus Christus danken, von welchem aller Witz und alle Frömmigkeit kommt; und wenn etwas darin ist, das ihnen mißfällt,[321] so bitte ich gleichfalls, daß sie es meiner Unwissenheit zur Last legen und nicht meinem Willen, da ich mich besser ausgedrückt haben würde, wenn ich es vermocht hätte; denn unser Buch sagt, daß alles, was geschrieben ist, uns zur Lehre geschrieben sei; und dieses ist meine Absicht. Deßhalb ersuche ich Euch demüthig, um der Gnade Gottes willen, für mich zu beten, daß Christ Gnade mit mir habe und mir meine Schuld vergebe [und insbesondere meine Uebersetzungen und Dichtungen weltlicher Eitelkeit, welche ich in meinen Widerrufen zurücknehme, wie das Buch von Troilus, ebenso das Buch der Fama, das Buch der fünfundzwanzig Damen, das Buch von der Herzogin, das Buch vom St. Valentinstage des Parlaments der Vögel, die Erzählungen von Canterbury, insoweit sie nach Sünde schmecken, das Buch vom Löwen und manches andere Buch, wenn es mir im Gedächtniß wäre, und manchen Gesang und manches liederliche Lied – Christ in seiner großen Gnade vergebe mir die Sünde. Aber für die Uebersetzung des Boëtius von der Tröstung, und andere Bücher von Heiligenlegenden, Homilien, andächtigen und moralischen Inhaltes, danke ich unsern Herrn Jesus Christ und seine segensreiche Mutter und alle Heiligen im Himmel, indem ich sie bitte, mir fortan bis zu meinem Lebensende die Gnade zu senden, meine Schuld zu beklagen und mich um das Heil meiner Seele zu bemühen] und mir die Gnade wahrer Buße, Beichte und Genugthuung in diesem gegenwärtigen Leben gewähre durch die gütige Gnade dessen, der König der Könige, Priester aller Priester ist, welcher uns durch sein theures Herzblut erkaufte, so daß ich am letzten Tage des Gerichtes einer von denen sein möge, die errettet werden; qui cum Deo patre et Spiritu sancto vivis et regnas Deus per omnia secula. Amen!


Ende der Canterbury-Erzählungen.[322]

Quelle:
Chaucer, Geoffrey: Canterbury-Erzählungen, in: Geoffrey Chaucers Werke, Straßburg 1886, Band 3, S. 317-323.
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