Dritter Akt

Oberst Graf Krondorfs Wohnung. Aeußerst vornehm und kostbar eingerichteter, roter Salon. Links und rechts seitwärts führen Türen in die anschließenden Gesellschaftsräume. Links rückwärts sieht man durch zurückgeschlagene Portièren in den Billardsalon. Rechts rückwärts ist die Ausgangstür. An den Wänden hängen kostbare Oelgemälde. Ein Kamin, davor ein Tischchen. Beiderseits des Tischchens Fauteuils. Eine Eckgarnitur. Eine Vitrine. Abends.

Herren, Damen der Gesellschaft, Offiziere, welche in Gruppen zusammenstehen, miteinander plaudern, kommen und gehen.

Hohenfels, Oberst.


OBERST zu Hohenfels. Wann fahrt ihr zu den Jagden?

HOHENFELS. Noch nicht ganz sicher. Wahrscheinlich morgen abend. Abfahrt 8 Uhr 30, Ankunft übermorgen früh 7 Uhr 20. Drei Tage dort Aufenthalt, dann Rückreise.

OBERST. Das ist ja ein bereits großartig ausgearbeiteter Plan. Nur wirst du ihn, wie gewöhnlich, wieder umstoßen.

HOHENFELS. Nein, diesmal nicht. Ich muß ja ins Abgeordnetenhaus. Dieses Mal wird es scharf zugehen.

OBERST. Ja, voraussichtlich. Pause. Fährst du allein?

HOHENFELS. Nein, ich nehme Viktor mit.

OBERST. Viktor? Da tust du gut daran. Wird ihm ganz gesund sein, wieder ein paar Tage zur Abwechslung Landluft, Wald zu atmen. Für den ist die Großstadtluft auch nicht gerade die gesündeste. Was der Junge in der letzten Zeit treibt, so in den letzten vier Wochen ... will mir gar nicht gefallen.[73]

HOHENFELS. Da kommt er ja gerade.

OBERST. Ist die Geschichte schon aus? Die gewisse?


Viktor, Vorige.


VIKTOR. Guten Abend. Er sieht sehr schlecht aus, nervös, hat unsteten Blick.

OBERST. Guten Abend, Viktor.

HOHENFELS. Wir sprechen gerade von dir.

VIKTOR. So? Was Gutes oder was Schlechtes? Uebrigens, es ist ja gleichgültig. Wie geht's dir, Onkel?

OBERST. Danke, gut. Pause. Ich habe deinen Vater gefragt ... ob diese ... Sache zu Ende ist?

VIKTOR kurz. Ja, ist zu Ende.

OBERST. ... günstig erledigt?

VIKTOR mit zuckenden Lippen. Ja, sehr günstig. Pause, dann. Ich habe, du weißt ja, Papa gebeten, mir zu erlauben, ein Mädel, ein liebes, gutes Mädel, zu heiraten. Allerdings, Fürstin ist sie keine. Papa war dagegen.

OBERST. Vernünftigerweise, ja. Du heirate in deinem Stand und sie soll das in dem ihrigen tun. Ihr paßt nicht zusammen. Das sind zwei verschiedene Welten.

VIKTOR. Ihr Vater sagte das auch. Auch er hat ihr nicht erlaubt, mich zu heiraten. Sonst hätten wir ja geheiratet. Denn auf Papa hätte ich nicht gehört, wenn er mir auch mit Enterbung, Verstoßung usw. gedroht hatte.

HOHENFELS. Du bist ja sehr liebenswürdig.

VIKTOR. Die beiderseitigen Herren Väter sind, wie gesagt, übereingekommen, daß wir einander nicht heiraten dürfen und das sowohl von einander unabhängig, als auch beide aus demselben Grunde. Ihre politischen Anschauungen vertragen es nämlich nicht, daß ihre Kinder glücklich miteinander werden.

HOHENFELS. Ja, das hätte mir gepaßt, mit dem[74] Radikalsten aller Radikalen verwandt zu werden. Das wäre so etwas gewesen. Zum Obersten. Auch für dich wäre das eine ganz besondere Ehre gewesen. Weißt du, ihr Vater ist Führer einer radikalen Fraktion.

VIKTOR. Und du einer konservativen. Ihr bildet euch beide ein, ohne euch ging's nicht und weiß Gott was für Wichtigkeiten ihr nicht auszutragen, auszukochen hättet! Dabei überseht ihr ganz, daß ihr euch nur spielt, daß euer ganzes Dasein, eure ganze Tätigkeit Spielerei ist, überflüssige Spielerei, die euch und etlichen Tausend anderen die Zeit vertreiben muß, weil ihr welche habt, in der ihr nicht euer Brot verdienen müßt. Daß nun eure Spielerei, euer Zeitvertreib uns soviel kosten soll ... unser ganzes Glück... Wendet sich ab.

OBERST. Du, höre einmal, die Sache scheint dir ja verflucht nahe gegangen zu sein, wenn du deinem Vater solche Liebenswürdigkeiten sagst.

HOHENFELS. Laß ihn doch. Heute schimpft er und macht mir in seiner augenblicklich weltschmerzlichen Stimmung Vorwürfe. Und in einer Woche dankt er mir mit aufgehobenen Händen, daß ich ihn vor der größten Torheit, die er überhaupt in seinem Leben hätte begehen können, zurückgehalten habe. Pause.

OBERST nach einer Weile. Du, Viktor, ich will dir einen Rat geben.

VIKTOR feindselig. Etwa denselben, den mir Papa gegeben hat?

OBERST. Da müßtest du mir erst sagen, was dir dein Papa geraten hat.

VIKTOR mit zuckenden Lippen. Er hat versucht, mir klar zu machen, daß ja nicht gleich geheiratet sein muß. Noch dazu, wo es sich nicht um eine »Dame der Gesellschaft« handelt!

OBERST. Bravo, ganz meine Ansicht. Das hätte ich dir auch gesagt. Zum Donnerwetter noch einmal, Junge, bist du ein Mann oder nicht? Muß denn immer gleich[75] geheiratet sein? Man nimmt sich das Mädel und das Heiraten überläßt man, einem anderen! So hätt' ich dir's gesagt.

VIKTOR schweigt.

HOHENFELS stockend. Ich wollte ja eigentlich nicht mehr auf sie zurückkommen; aber da wir nun schon von ihr sprechen ... sie ist fort?

VIKTOR. Ja.

OBERST. Und ... haha ... nichts vorgefallen?

VIKTOR schweigt.

HOHENFELS prallt zurück. Viktor?

VIKTOR schweigt.

HOHENFELS entsetzt. Du hast doch nicht ... du ... du hast doch nicht ...?

VIKTOR schweigt.

OBERST bricht in ein polterndes Lachen aus. Seht euch doch mal den Duckmäuser an! Geht mit einer Leichenbittermiene umher, sieht drein, als ob er nicht bis zwei zählen könnt' und dabei ... Schweigt plötzlich auf einen Blick Viktors hin; Pause.

HOHENFELS nach einer Weile mit unterdrückter Bewegung. Nun, und was soll jetzt werden?

VIKTOR sehr ruhig. Ich bin mir noch nicht ganz klar ob ich mich erschießen oder als Schuft weiter leben soll. Aber ich glaube, ich werde mich doch erschießen. Wendet sich zum Gehen.

OBERST. Viktor!

VIKTOR abwehrende Handbewegung, ab.

OBERST konsterniert. Du, der ist imstande und macht Ernst!

HOHENFELS nach einer Weile. Wollen hoffen, daß nicht. Man erschießt sich nicht so leicht. Er wird mit der Zeit zur Besinnung kommen. Pause. Aber ich werde Sorge tragen, daß er sich bald verliebt. Wendet sich um. Schade, daß deine Alice nicht frei ist. Dort kommt sie ja gerade. Und hinter ihr natürlich ein ganzer Schwarm junger Herren. Sieh doch! Wo ist denn Ferdinand? Beide treten nach rückwärts.


[76] Alice, Horst, Steggendorf, junge Offiziere und Herren der Gesellschaft. Später Ferdinand, zuletzt Heinz.


STEGGENDORFF. Komtesse, den nächsten Walzer, ja?

ALICE. Bedaure, ist bereits vergeben.

STEGGENDORFF. Also dann den zweitnächsten?

ALICE. Geht auch nicht mehr.

HORST. Ja, da hättest du halt früher kommen müssen.

ERSTER HERR. Ja aber eigentlich Komtesse ... Sie sind sehr schlimm. Jawohl, sehr schlimm. Wir anderen sind ja auch noch auf der Welt. Jawohl, wir auch noch. Komtesse machen aber, als ob wir nicht auf der Welt wären. Jawohl. Gerade so machen es Komtesse. So oft man einen Walzer will – ist er vergeben. Jawohl, ist er vergeben. Und wer tanzt ihn dann? Immer ein und derselbe Herr. Jawohl, immer ein und derselbe Herr. Jawohl ... Ich bin bös, Komtesse, jawohl, bös bin ich, ganz bös. Und tief gekränkt, sehr tiefgekränkt. Jawohl. Wendet sich ab.

STEGGENDORFF. Der geht sich jetzt erschießen, Komtesse, da haben Sie's. Auf drei fällt ein Schuß. Aufpassen, ich zähle: Eins ... zwei und eins ist ...

ALICE. Lassen Sie die Scherze, Steggendorff. Geh'n Sie lieber dem Baron nach und sagen Sie ihm, wenn er schön bittet, bekommt er dann eine Extratour. Steggendorff ab.

FERDINAND kommt. Elegante Diplomatenerscheinung. Da bist du ja. Man sieht dich ja fast nicht, so bist du umschwärmt. Die anderen Herren treten zurück zu Damen oder in Gruppen zusammen.

ALICE. Dich ja auch nicht, so ängstlich hältst du dich ferne.

FERDINAND. Du weißt, ich liebe es nicht, unter zwanzig der zwanzigste zu sein.

ALICE. Bitte, ganz wie du willst.[77]

EIN HERR. Walzer, meine Herrschaften, der nächste Walzer. Alle außer Alice und Ferdinand ab.

HEINZ in Leutnantsuniform, tritt ein.

FERDINAND. Darf ich um den Walzer bitten?

ALICE. Leider, ist schon vergeben.

FERDINAND. An wen denn? Hast du mir den Souperwalzer aufgehoben, um den ich dich schriftlich gebeten habe?

ALICE. Als dein Brief angekommen ist, war er schon vergeben.

FERDINAND. Das ist ja ...

HEINZ. Komtesse, darf ich bitten?

FERDINAND sehr arrogant. Lieber Herr Leutnant, darf ich Sie bitten, mir diesen Walzer abzutreten? Wenn Sie die Komtesse bitten, gibt sie Ihnen dann sicher eine entschädigende Extratour.

HEINZ. Bedaure, Herr Attaché, übrigens, wenn Sie die Komtesse bitten, wird sie Ihnen die entschädigende Extratour ja vielleicht auch nicht verweigern. Darf ich bitten, Komtesse? Führt sie am Arm fort. Ferdinand geht zornig nach links ab.


Horst, Steggendorff, Waldow.


WALDOW nervös durch die Mitteltür, schließt alle Türen, zieht den Vorhang zu. So, jetzt sind wir ja endlich unter uns. Also, Herr Rittmeister ...

STEGGENDORFF. Herr Rittmeister waren Augenzeuge?

HORST unschlüssig. Augenzeuge war ich wohl; aber ich weiß nicht, ob ich euch was erzählen darf. Ihr kennt doch den Obersten. Und ich will nicht, daß es morgen das ganze Regiment schon weiß. Wenn man dann fragt, von wem hast denn du das gehört? Und du? Und du? Dann sagen alle einstimmig: Vom Horst, vom Horst.[78]

WALDOW UND STEGGENDORFF. Aber Herr Rittmeister!

HORST. Na, gar so »aber« ist das nicht. Also, wenn ihr versprecht, das für euch zu behalten?

WALDOW UND STEGGENDORFF. Auf Ehre; Herr Rittmeister können sich darauf verlassen.

HORST überzeugt sich, daß niemand horcht. Viel ist ja nicht zu erzählen. Der Oberst und ich, wir gingen gestern wie gewöhnlich um 12 Uhr aus der Kanzlei über die Promenade nach Hause. Ich habe ihn noch ein Stück begleitet. Grad an der Stelle, an welcher der Reitweg die Promenade kreuzt, wird nun der Oberst plötzlich von so einem Kerl – er sah aus wie ein Maurer oder sonst etwas – angerempelt und statt sich zu entschuldigen, beginnt dieses Subjekt zu schimpfen, aber wie!

STEGGENDORFF. Was hat er denn gesagt?

HORST. No, er hat halt zu schimpfen begonnen. »Glaubt ihr Steuerfresser, ihr Tagediebe, wir Steuerzahler bau'n die Straßen für euch, daß ihr nicht achtzugeben braucht?« oder so ähnlich.

WALDOW. Unerhört.

STEGGENDORFF. Und der Oberst?

OBERST. Ah, der hat sich herrlich benommen. Eh' der Kerl auch nur zu Ende gesprochen hat, war der Säbel schon draußen, hat ihm der Oberst schon über sein Gesicht einen Durchzieher gegeben, prachtvoll. Der Kerl ist gleich zusammengefallen, ganz blutüberströmt. Und selbstredend gleich 500.000 Menschen um ihn herum, könnt euch ja denken. Na, heut' sind ja auch schon alle Zeitungen voll davon. Schon die Morgenblätter.

WALDOW. Ja, aber der Name des Obersten war nicht genannt.

HORST. Nein, in den Morgenblättern noch nicht ... Na, ich bin auf das Nachspiel neugierig.

STEGGENDORFF. Ja, glauben denn Herr Rittmeister ...?[79]

HORST. Aber doch selbstverständlich, Kinder, selbstverständlich! Ich werde euch was zeigen. Ich glaube nicht nur, sondern ich weiß bereits. Haha. Ich weiß bereits. Na, dem Oberst kann ja nichts geschehen. Gar nichts. Wenn auch die »Wahrheit« ...

WALDOW. Wer?

STEGGENDORFF. Ist das diese radikale Zeitung, dieses Hetzblatt?

HORST. Ja. Kennst du es etwa?

STEGGENDORFF. Dem Namen nach.

WALDOW. Was ist's mit ihm?

HORST. Es ist eine Notiz drin. Der Oberst ist genannt. Direkt fürchterlich. Man hat mir die Zeitung, den Artikel rot angestrichen, zugesendet. Wer, weiß ich natürlich nicht. Und da zerbreche ich mir schon den ganzen Abend den Kopf, ob ich dem Obersten schon jetzt die Meldung machen soll ... dann ist ihm natürlich der Abend verpatzt ... oder erst morgen.


Vorige, Ferdinand, später Oberst.


FERDINAND tritt durch die Seitentür ein.

HORST. Sie kommen wie gerufen, Graf. Sie können mir einen Rat geben.

FERDINAND. Wenn ich kann, mit Vergnügen.

HORST. Sie kennen die Angelegenheit ihres Herrn Onkels?

FERDINAND. Diese gewisse Sache von gestern? Ja. Ist nicht sehr angenehm. Wird viel Staub aufwirbeln.

HORST. Der Oberst war im Recht.

FERDINAND. Das ändert nicht viel an der Tatsache. Was ist also damit?

HORST. Haben Sie das heutige Abendblatt der »Wahrheit« gelesen?

FERDINAND. Nein, noch nicht.

HORST zieht aus der Brusttasche eine Zeitung. Bitte, lesen Sie.[80]

WALDOW. Vielleicht laut, Graf, damit wir auch etwas hören.

STEGGENDORFF. Ja, bitte.

FERDINAND beginnt zu lesen. »Wir haben bereits in unserem heutigen Morgenblatte über das Attentat berichtet, dem einer unserer rührigsten Genossen zum Opfer gefallen ist. Unser armer, durch Säbelhiebe entsetzlich zugerichteter Freund ist ja leider nicht das erste dieser Art in diesem Jahre, welches an jenes mittelalterliche Ueberbleibsel eines dünkelhaften Standes glauben mußte. Der Attentäter ist diesmal ein Graf Krondorf, ein Oberst und Regimentskommandant. Aber schon auf diesem Wege sei ihm gesagt, daß ihm diesmal weder sein Grafentitel noch seine Oberstencharge helfen werden. Der Goldkragen dieses Herrn, von dem Schweiße und der Arbeit auch unseres armen schwerverwundeten Parteimitgliedes gezahlt, muß herunter, muß unserem Freunde zu Füßen liegen.«

Ernst Bergmann.

FERDINAND. Hm ... und hiezu bemerkt noch die Redaktion: »Nachsatz: Wie wir soeben erfahren, hat die Fraktion ihren Führer beauftragt, den Fall Krondorf im Parlamente zur Sprache zu bringen. Daß es diesem bewährten Parlamentarier gelingen wird, unserem Genossen eine Genugtuung zu verschaffen, wie sie in dem voranstehenden Artikel angedeutet ist, erscheint uns unzweifelhaft.«

FERDINAND. Hm, hm ...

HORST höchst erregt. Also was sagen Sie bloß dazu, meine Herren, was sagen Sie bloß dazu?

OBERST der unbemerkt eingetreten ist. Hoffentlich nichts, meine Herren. Ein vernünftiger Mensch verschwendet an dergleichen kein Wort.

HORST. Herr Oberst haben ... bereits Kenntnis von diesem Artikel?

OBERST. Aber gewiß. Greift in die Brusttasche. Da, seht doch her, wie man für mich gesorgt hat. Da ist[81] der Artikel, rot angestrichen. Doch nett von dem Einsender, nicht?

HORST. Herr Oberst haben also auch...?

OBERST. Ja, ich auch. Lächelnd. Doch meine Herren, verderben wir uns dieses Streiches wegen nicht den Abend. Sich umsehend. Vier Herren hier? Nein, das geht doch nicht. Die armen Damen bleiben ja sitzen. Und morgen steht dann womöglich wieder was über mich in der Zeitung ... also meine Herren, schnell engagieren, gehen ... Horst, Waldow, Steggendorff ab.


Oberst, Ferdinand.


OBERST sehr herzlich. Mein lieber Junge! Umarmen einander. Seit wann bist du denn wieder in Europa?

FERDINAND. Seit drei Tagen. Heute nachmittags kam ich hier an. Ich habe mich nur umgezogen und bin dann hergekommen.

OBERST scherzend. Ja, die Sehnsucht nach deinem alten Onkel war halt zu groß. Du hast es gar nicht mehr erwarten können, das Wiedersehen mit mir, wie?

FERDINAND. Gewiß, Onkel.

OBERST sich ernst stellend. Alice hast du wahrscheinlich noch gar nicht begrüßt? Wie?

FERDINAND. Doch, früher. Flüchtig allerdings nur.

OBERST stutzt. Flüchtig? ... Ihr seid ein angehendes Brautpaar und begrüßt euch nach so langer Trennung flüchtig?

FERDINAND schweigt.

OBERST in wachsender Unruhe. Habt ihr euch am Ende schon gezankt?

FERDINAND. Nein.

OBERST. Also was denn sonst?

FERDINAND erregt. Ich konnte ja mit ihr nicht mehr als zehn Worte bisher wechseln. Sie ist ja fortwährend von Herren umringt, förmlich belagert! Und für alle[82] hat sie einen Tanz frei; für ihren Räuspert sich. »angehenden Bräutigam« hat sie keinen aufgehoben, obwohl ich sie darum gebeten und ihr meine Ankunft angezeigt habe. Sogar den Souperwalzer hat sie vergeben.

OBERST begütigend. Nanana ... wenn das alles ist ...?

FERDINAND. Es ist nicht alles, Onkel.

OBERST. Nicht alles? Na, was hast du denn noch auf dem Herzen? Heraus damit.

FERDINAND. Onkel ... Langsam. wer ist dieser ... Offizier, der, wie ich gehört habe, seit meiner Abwesenheit Alices unzertrennlichster Gefährte geworden ist?

OBERST lacht auf. Na endlich! Gott sei Dank, daß es draußen ist! Dacht' ich mir's doch gleich. Die Eifersucht plagt dich, mein Sohn.

FERDINAND. Wer ist dieser Offizier, Onkel?

OBERST wie früher. Dieser Offizier, der dich in so schlechte Laune versetzt, heißt Heinz Bergmann, ist einer meiner jüngsten, aber nichtsdestoweniger einer meiner tüchtigsten Subalternoffiziere, ein glänzender Eisläufer und Tennisspieler – wie mir Alice erzählt hat – und ein nicht schlechterer Gesellschafter scheint er mir zu sein.

FERDINAND. Wie kommt er in dein Regiment?

OBERST. Sein Onkel, du hast ihn ja auch gekannt, den Universitätsprofessor Dr. Bergmann, den ehemaligen konservativen Abgeordneten? Er war ein guter Freund von mir. Er hat mich gesund gemacht, als ich vor zwei Jahren schon aufgegeben war. Der hat ihn zu mir gebracht, als er sein Einjährigenjahr abdienen mußte. Nun, und da er sich nach Ablauf dieses Jahres aktivieren lassen wollte und ich inzwischen konstatiert hatte, daß er aus dem Holz geschnitzt ist, aus dem unsere Offiziere geschnitzt sein sollen, so bin ich ihm – schon aus Freundschaft für den inzwischen verstorbenen Professor – und auch, ich muß es sagen, aus Dankbarkeit für ihn, an die Hand gegangen und habe ihn[83] gleich in meinem Regiment behalten. Er ist, wie gesagt, ein äußerst verwendbarer Offizier. Er wird es sicher weit bringen. Ich habe auch die Absicht, sobald er Oberleutnant wird, ihn zu meinem Adjutanten zu machen. Scherzend. Nun, zufrieden, Herr Attaché?

FERDINAND schweigt.

OBERST. So mein Sohn und jetzt setz' dich schön daher. Ich schicke dir Alice und dann sprecht ihr euch aus.

FERDINAND. Ich bitte dich, Onkel ...

OBERST. Pst, keine Widerrede. Die Genugtuung, daß Alice zu dir kommt, hast du schließlich redlich verdient. Also dahergesetzt und hübsch brav gewartet. Ab.

FERDINAND geht nervös auf und ab, betrachtet die Bilder, tritt dann links ins offene Nebenzimmer. Er ist ungesehener Zeuge der folgenden Szene.


Alice, Heinz.

Alice und Heinz treten Arm in Arm ein.


ALICE ungehalten. Jetzt sind wir hier und er ist richtig nicht da.

HEINZ. Ich müßte lügen, wenn ich dem Grafen deshalb böse wäre.

ALICE. Aber ich umso mehr.

HEINZ peinlich berührt. Liegt Ihnen so viel daran, den Grafen zu finden?

ALICE. Ja, Papa ist ungehalten und wird mich auszanken, wenn wir ohne ihn zurückkommen.

HEINZ. ... Und das – ist der einzige Grund, weshalb Sie bedauern, den Grafen nicht getroffen zu haben? Alice, ist das der einzige Grund?

ALICE. ... Haben Sie einen andern vermutet?

HEINZ. Alice! Ergreift ihre Hand.[84]

ALICE sieht sich um. Lassen Sie, Heinz. Wir müssen Ferdinand suchen. Kommen Sie. Will gehen.

HEINZ hält sie zurück, sieht sich um. Einen Augenblick, nur einen Augenblick ... Ergreift von neuem ihre Hand. Alice, ich weiß nicht ob es der rechte Augenblick ist ... ich weiß es wirklich nicht. Aber sprechen muß ich trotzdem, Alice, ich muß sprechen, bevor wir gehen, den Grafen zu suchen. Darf ich sprechen, Alice?

ALICE mit gesenktem Kopfe, leise. Sprechen Sie, Heinz.

HEINZ zieht sie mit sich in die Ecke; beide setzen sich dicht nebeneinander, Hand in Hand. Mit bewegter Stimme. Alice, es ist nicht viel, es sind nur einige Worte. Für mich ist es ein Gebet. Ein langes, inniges Gebet. Ein Gebet, ein Bekenntnis, ein Schwur ... Alice, ich hab' dich lieb ... so unaussprechlich lieb ...! Ich will dich auf meinen Händen durchs Leben tragen ... Alice, willst du dich von mir tragen lassen?

ALICE neigt sich zu ihm hin, bietet ihm ihre Lippen. Endlich, daß du nur schon gesprochen hast! Du ... Küssen einander.

HEINZ. Jetzt bist du meine Braut, jetzt gehörst du mir. Ach, wenn du wüßtest, wie ich mich nach dir gebangt, gesehnt habe ... Zieht sie an sich. Ich bin jetzt restlos glücklich. Ich will vom Leben weiter nichts mehr, als stets deine Liebe und die Fähigkeit, dich glücklich zu machen. Und du, was willst du?

ALICE einfach. Nichts, denn ich hab' dich.

HEINZ. Alice!

ALICE. Und nun erzähle mir von dir, von deinem Leben. Ich weiß ja noch nichts von dir.

HEINZ ausweichend. Nicht heute, nicht heute. Heute kümmern wir uns um nichts als um uns. Morgen will ich dir vieles erzählen.

ALICE. Von deinen Eltern wirst du mir erzählen, ja? Das hast du noch nie getan. Von deinem Vater und von deiner Mutter und auch von deinen Geschwistern?

HEINZ unruhig. Ja, ja.[85]

ALICE. Du hast doch noch Eltern?

HEINZ. Meine Mutter ist tot.

ALICE. Du Armer, so geht es dir wie mir. Aber einen Vater hast du doch noch?

HEINZ gequält. Ja. Aber ... aber wir sehen einander ... fast nie. Wir ...

ALICE. Er ist krank?

HEINZ. Nein. Aber lassen wir das doch heute. Morgen, morgen will ich dir alles erzählen.

ALICE. So bist du ganz allein?

HEINZ in stillem, aufwallendem Glück. Nein, nicht mehr allein, denn jetzt hab' ich dich; du ersetzest mir alles!


Man hört im Nebenzimmer Schritte.


ALICE schreckt auf. Komm, man wird bemerken, daß wir fehlen.

HEINZ erhebt sich. Ja, komm. Wir wollen zu deinem Vater gehen.

ALICE. Nein, heute noch nicht. Du weißt, er hatte mit mir andere Pläne. Laß mich, wenn die Gäste fort sind, erst allein mit ihm sprechen. Ich will ihn vorbereiten. Morgen kannst du dann in Parade angerückt kommen und Papa um meine Hand bitten. Ich werde dann im Nebenzimmer zuhören.

HEINZ küßt sie. Ich tue was du willst, obgleich es mir lieber wäre, gleich jetzt mit deinem Vater zu sprechen. Also komm jetzt wieder zu den andern. Beide ab.


Ferdinand allein.


FERDINAND tritt aus der offenen Türe in das Zimmer, wischt sich den Schweiß. So weit stehen sie schon, so weit .... und ich ... Er preßt die Lippen zusammen, geht gegen die Ausgangstüre.


[86] Ferdinand, Hohenfels.


HOHENFELS. Ah, da bist du ja. Du kommst mir gerade recht.

FERDINAND aufblickend. Du, Onkel?

HOHENFELS. Ja, ja, wenn du nichts dagegen hast.

FERDINAND will an ihm vorüber.

HOHENFELS faßt ihn am Aermel. Du, wir sind ja nicht mehr in New-York, wo die Menschen so aneinander vorüberrennen, wie du es eben an mir tun willst.

FERDINAND. Wünschest du etwas von mir, Onkel?

HOHENFELS. Allerdings. Ich wünsche dich zu sprechen.

FERDINAND unangenehm berührt. Muß das heute sein, Onkel?

HOHENFELS. Ja, es muß sein. Erregter. Es betrifft übrigens mehr noch dich als mich. Darum lege bitte für einige Minuten deine Diplomatenmiene beiseite und setz' ein vernünftiges Gesicht auf.

FERDINAND. Wenn es also sein muß, bitte. Ich stehe zur Verfügung.

HOHENFELS geht zu den Türen, sieht nach, ob niemand in der Nähe ist; halblaut in erregtem Tone. Kennst du den Offizier, mit dem Alice soeben das Zimmer verlassen hat und der ihr den ganzen Abend schon nicht von der Seite weicht?

FERDINAND stutzt. Warum?

HOHENFELS. Kennst du ihn?

FERDINAND. Nur dem Namen nach.

HOHENFELS. Wie heißt er?

FERDINAND zögernd. Heinz Bergmann, soviel ich gehört habe.

HOHENFELS springt auf, schlägt mit der Faust auf den Tisch. Also hab' ich doch recht gehabt! Da soll der Teufel ... wirklich unerhört! Läuft im Zimmer auf und ab.

FERDINAND. Ja, was hast du denn?[87]

HOHENFELS. Empörend ist's. Geradezu unglaublich! Und zum Schreien lächerlich!

FERDINAND. Möchtest du mir vielleicht erklären, warum du dich so echauffierst?

HOHENFELS. Aber ich wußt' es ja gleich! Ich kenne doch die Bergmann'sche Sippe! Und der Sohn geht hier aus und ein! Man sollte ja lachen darüber!

FERDINAND. So rede doch endlich vernünftig, Onkel. Was hast du gegen diesen Offizier?

HOHENFELS. Das ist es ja eben! Daß so ein Mensch den Offiziersrock tragen darf!

FERDINAND ungehalten. Du sprichst noch immer in Rätseln. Möchtest du mir nicht endlich sagen, was es mit diesem Leutnant Bergmann ist? Ich füge eine Neuigkeit hinzu, welche du noch nicht wissen kannst; ich habe sie eben miterlebt: Leutnant Bergmann hat sich mit Cousine Alice vor fünf Minuten verlobt.

HOHENFELS prallt zurück, beginnt dann zornig zu lachen. Ausgezeichnet, ausgezeichnet, das wird ja immer schöner. Der Skandal immer größer!

FERDINAND. Ich warte auf deine Erklärung, Onkel.

HOHENFELS. Weißt du, wer der Vater dieses Leutnant Bergmann ist?

FERDINAND. Nein.

HOHENFELS. Der Abgeordnete Ernst Bergmann.

FERDINAND. Nun und?

HOHENFELS wiederholt fast schreiend. Nun und? Ja Mensch, findest du das so begreiflich, daß der Sohn des radikalen Fraktionsführers Bergmann Offizier ist, hier aus und ein geht und sich mit deiner Cousine – wie du ja selbst sagst – verlobt? Findest du das so begreiflich, daß der Sohn dieses Kerls, der erst heute wieder diesen Schandartikel geschrieben hat, als enfant gâté hier behandelt wird, daß er womöglich dein Verwandter wird?

FERDINAND betrachtet schweigend Hohenfels.[88]

HOHENFELS sieht ihn erstarrt an. Du hast am Ende alles gewußt?

FERDINAND gleichmütig. Du hast zuviel in das Champagnerglas geguckt, Onkelchen und das tut konservativen Abgeordneten nicht gut. Es regt sich dann auch bei ihnen die Phantasie und sie beginnen, höchst unkonservativerweise, zu kombinieren. Wie kannst du aus einer allerdings fatalen Namensgleichheit solch unsinnige Schlüsse ziehen?

HOHENFELS erregt. Unsinnige Schlüsse? Ich gebe dir mein Ehrenwort, daß jener Leutnant Bergmann, dessen Onkel, Professor Friedrich Bergmann, hier Hausarzt war, der Sohn des radikalen Fraktionsführers Bergmann ist. Ich kenne die Bergmanns.

FERDINAND greift sich an die Stirne. Onkel, um Gotteswillen, was sagst du da? Bist du dessen wirklich so sicher?

HOHENFELS. So sicher, als ich jetzt da stehe.

FERDINAND außer sich. Und das, das sollte Onkel Franz nicht wissen?

HOHENFELS. Ich kann doch nicht annehmen, daß er es weiß!

FERDINAND tritt ans Fenster, denkt nach. Mit unterdrückter Stimme dann. Onkel, wenn das so ist, dann würde mir plötzlich so manches klar werden. So zum Beispiel, wer sowohl Onkel Franz, als auch dem Rittmeister Horst die heutige Ausgabe der »Wahrheit« zugesendet hat ...

HOHENFELS pfeift durch die Zähne. Ah, siehst du wohl?

FERDINAND. Und zu denken, daß dieser Kerl, der sich in das Regiment eingeschlichen hat, Alice ... es ist einfach nicht zu fassen!

HOHENFELS. Was machen wir jetzt?

FERDINAND. Onkel Franz muß augenblicklich alles erfahren. Er kann einfach nichts wissen.

HOHENFELS. Das ist auch meine Ansicht.[89]

FERDINAND läutet; zum eintretenden Diener. Melden Sie dem Herrn Oberst, der Herr Graf und ich hätten eine dringende Mitteilung zu machen und wir ließen den Herrn Oberst bitten, sich für einen Augenblick hierher zu bemühen.

DIENER. Sehr wohl, Herr Graf. Ab.


Vorige, Oberst.


OBERST eilig eintretend. Was ist denn los? Ist etwas geschehen?

HOHENFELS. Wir haben dich hierherbitten lassen um dir mitzuteilen, daß wir die Person, welche dir den heutigen Artikel der »Wahrheit« zugesendet hat, gefunden zu haben glauben.

OBERST. So, das ist sehr liebenswürdig von euch; aber, seid mir nicht böse, es ist mir höchst gleichgültig, wer es getan hat

FERDINAND. Vielleicht doch nicht ganz, wenn du erfährst, daß es dein zukünftiger Schwiegersohn gewesen sein dürfte?

OBERST tritt, an Ferdinands Verstand zweifelnd, zurück. Künftiger Schwiegersohn ... »gewesen sein dürfte?« Du hast mir die Zeitung zugesendet?

FERDINAND. Ich spreche vom Leutnant Heinz Bergmann, vom Sohne des ...

HOHENFELS einfallend. radikalen Fraktionsführers Ernst Bergmann, welcher auch diesen schönen Artikel von heute verfaßt hat.

OBERST. Ich verstehe kein Wort.

HOHENFELS. Kennst du den Vater des Leutnant Bergmann?

OBERST. Den Vater? Nein, was ist's mit ihm?

FERDINAND. Er ist der Autor dieses gewissen Artikels, nebenbei, wie wir dir schon gesagt haben, der bekannte radikale Fraktionsführer.[90]

HOHENFELS. Ja, interessierst du dich denn nicht, wen du in dein Regiment aufnimmst und wen du in deinem Hause mit deiner Tochter verkehren läßt?

OBERST ganz konsterniert. Ihr seid ja beide nicht recht bei Trost. Die Namensgleichheit ist ja vorhanden, das kann niemand anzweifeln. Und mir hätte sie auffallen sollen. Aber wie kann man denn gleich so etwas denken! Es ist ja zum Lachen. Leutnant Bergmann ...

FERDINAND. Hat sich hier eingeschlichen, um ...

OBERST auffahrend. Ich verbiete dir weiterzusprechen, Ferdinand. Die Eifersucht geht dir scheinbar an deinen Verstand. Vergiß nicht, daß du von einem Offizier meines Regimentes sprichst, der augenblicklich noch dazu als Gast in meinem Hause weilt. Zu Hohenfels. Und du hast dich ebenfalls täuschen lassen. Dieser verdammte Artikel hat die Geister scheint's aller erregt.

HOHENFELS. Du glaubst mir also nicht?

OBERST. Aber das ist doch ein ... ein Unsinn ist's. Anders kann ich das doch gar nicht benennen! Bedenkt doch die Ungeheuerlichkeit, wenn das wahr wäre: Der Sohn Ernst Bergmanns in meinem Regimente, in meinem Hause... das ist ja ... ein ein Unding! So etwas gibt es doch gar nicht. Geht nervös umher.

HOHENFELS. Wenn du mir also nicht glaubst, frag ihn doch selbst, wer sein Vater ist.

FERDINAND. Ich erlaube mir hinzuzufügen, Onkel, daß sich vorhin Cousine Alice mit Herrn Leutnant Bergmann verlobt hat. Ich stand als ungerufener Zeuge im Nebenzimmer. Morgen will der Herr Leutnant dir seine Werbung vortragen.

OBERST stutzt. Ferdinand?

FERDINAND. Bitte, bitte, Onkel. Es ist Ernst. Ganz verfluchter Ernst. Mir ist absolut nicht zum Spassen zumute. Sie haben einander geküßt und sich miteinander verlobt. Unter diesen Umständen muß ich mich selbstverständlich zurückziehen. Ich bitte dich,[91] das zur Kenntnis zu nehmen, Onkel. Auf Wiedersehen, Onkel. Ich fahre mit dem morgigen Frühzug nach Hamburg und von dort mit dem nächsten Dampfer wieder nach Amerika. Geht gegen die Türe.

OBERST. Ferdinand!

FERDINAND zuckt die Achseln. Es ist ja nichts mehr zu wollen, Onkel.

OBERST. Bleib' solange, bis ich mit Leutnant Bergmann gesprochen habe. Das Weitere wird sich finden. Ja?

FERDINAND. Wie du befiehlst, Onkel.

OBERST. Dann laßt mich bitte einen Augenblick allein. Hohenfels und Ferdinand ab; Oberst läutet; zum Diener. Ich lasse Herrn Leutnant Bergmann bitten. Wenn er hier ist, sorgst du, daß wir nicht gestört werden.

DIENER ab.


Oberst, Heinz, später Alice.


HEINZ tritt kurz darauf ein. Herr Oberst haben befohlen?

OBERST. Ja, Herr Leutnant. Mustert ihn schweigend. Wollen Sie bitte Platz nehmen, Herr Leutnant, ich habe mit Ihnen zu sprechen.

HEINZ verneigt sich, nimmt dem Oberst gegenüber Platz.

OBERST. Sie haben in der letzten Zeit viel in meinem Hause verkehrt, Herr Leutnant. Ich habe Ihnen viel Vertrauen in Bezug auf den Umgang mit meiner Tochter entgegengebracht. Mehr, als sonst den Herren des Regimentes oder jenen, welche in meinem Hause verkehren. Ich hoffe, Herr Leutnant, Sie haben mein Vertrauen bisher nicht mißbraucht?

HEINZ sich erhebend. Wie darf ich das verstehen, Herr Oberst?

OBERST. Bitte, wollen Sie Ihren Platz wieder einnehmen, Herr Leutnant. Pause, Heinz setzt sich.[92]

OBERST fortfahrend. Ich habe, wie Ihnen bekannt sein dürfte – dergleichen spricht sich ja herum und auch Sie werden davon bestimmt gehört haben – gewisse Pläne mit meiner Tochter. Sie ist fast offiziell mit meinem Neffen, Graf Ferdinand Krondorf, verlobt. Ist Ihnen das bekannt, Herr Leutnant?

HEINZ. Mir ist nur bekannt, Herr Oberst, daß die Komtesse bisher nicht offiziell mit dem Grafen verlobt ist.

OBERST. Es ist meine Absicht, in den nächsten Tagen diese Verlobung zu einer offiziellen zu machen.

HEINZ. Herr Oberst, ich weiß, der Zeitpunkt ist nicht der richtige. Aber nachdem die Angelegenheit sich so verhält ... ich hatte die Absicht Herrn Oberst zu bitten, mich morgen vormittag zu empfangen.

OBERST betrachtet ihn schweigend. Sie interessieren sich für meine Tochter?

HEINZ erhebt sich. Ich bitte gehorsamst um die Hand der Gräfin Alice, Herr Oberst.

OBERST schweigt.

HEINZ wartet.

OBERST. Sie werden mir entschuldigen, wenn ich Ihnen vorderhand nicht antworte. Pause. Brechen wir das Thema auf eine Weile ab, wir sprechen noch davon.

HEINZ. Wie Herr Oberst befehlen. Setzt sich.

OBERST nimmt ein Zeitungsblatt aus der Tasche, biegt die Ränder um. Ich wünsche Sie mit allem bekannt zu machen, Herr Leutnant, ebenso durch Sie von allem zu erfahren, was für Sie, andererseits für mich von Interesse sein kann. Gegen mich ist eine unangenehme Sache im Anzug. Hier, bitte, lesen Sie; ich lege Gewicht auf Ihr Urteil, Herr Leutnant. Reicht ihm die Zeitung hin, ihn ununterbrochen beobachtend.

HEINZ liest; in der Türe erscheint, unbemerkt bleibend, Alice.

OBERST nach einer Weile, als Heinz zu Ende gelesen hat. Sie sind fertig?[93]

HEINZ. Ja, Herr Oberst.

OBERST. Ihr Urteil?

HEINZ zuckt die Achseln. Eine Gemeinheit, Herr Oberst.

OBERST. Ihr Urteil über den Verfasser?

HEINZ. Jedenfalls ein zweifelhafter Ehrenmann. Was ist das für eine Zeitung, wenn ich gehorsamst fragen darf, Herr Oberst?

OBERST ausweichend. Das tut ja nichts zur Sache. Irgend ein Schmierblatt. Pause. Sie halten Ihr Urteil unter allen Umständen aufrecht, Herr Leutnant?

HEINZ. Gewiß, Herr Oberst. Kleine Pause.

OBERST nach einer Weile. Um auf unser voriges Thema zurückzukommen, Herr Leutnant ... Sie werden es begreiflich finden, daß ich über Ihre persönlichen Verhältnisse orientiert sein möchte ...

HEINZ wird unruhig.

OBERST. Sie haben noch Eltern?

HEINZ. Nur einen Vater, meine Mutter ist tot.

OBERST. Tot? Sehr bedauerlich. Schon lange gestorben?

HEINZ. Ja, schon lange.

OBERST. Und Ihr Herr Vater? Er ist wohl nicht Offizier?

HEINZ. Nein.

OBERST. Darf ich mir die Frage erlauben, was er ist, welche Stellung er inne hat?

HEINZ zuckt zusammen.

OBERST. Die Frage ist Ihnen doch nicht unangenehm, Herr Leutnant? Sie werden sich doch Ihres Herrn Vaters nicht zu schämen haben?

HEINZ auffahrend. Nein, Herr Oberst. Mein Vater ist Abgeordneter und Führer einer parlamentarischen Fraktion.

OBERST. Ah, in der Tat? Abgeordneter? Das ist ja sehr respektabel. Da wird ihn ja mein Vetter Hohenfels wahrscheinlich kennen?[94]

HEINZ. Wahrscheinlich, Herr Oberst.

OBERST. Ihr Herr Vater gehört auch der konservativen Partei an?

HEINZ. Nein, Herr Oberst.

OBERST. Nicht? Welcher Partei denn sonst, wenn ich fragen darf? Sie entschuldigen meine Neugierde, aber Sie werden sie begreiflich finden.

HEINZ mühsam. ... der radikalen.

OBERST unterdrückt seine Bewegung. Ah, der radikalen... also doch der radikalen. Nach einer Weile. Sie müssen zugeben, Herr Leutnant, ein – sagen wir – etwas seltener Beruf in der jetzigen Zeit für den Vater eines Berufsoffiziers.

HEINZ. Herr Oberst, ich gebe gehorsamst zu bedenken, daß ich für den Beruf meines Vaters nicht verantwortlich bin.

OBERST beißend. Ja, da haben Sie Recht. Nach dem Gesetze können Sie weder für den Beruf Ihres Vaters verantwortlich gemacht werden, noch für das, was er schreibt. In der Gesellschaft – Hochmütig. in unseren Sphären natürlich, in den Ihren mag das ja anders sein – denkt man darüber allerdings anders. Biegt die Ränder der Zeitung wieder um, reicht sie Heinz. Langsam, abgewogen, sich dabei erhebend. Herr Leutnant Bergmann, halten Sie Ihr Urteil über Artikel und Autor auch jetzt noch aufrecht?

HEINZ wirft einen Blick auf den Artikel; ein Blitz erschreckten Erkennens überzieht sein Gesicht. Er wankt, greift unwillkürlich nach einer Stütze. Alice tritt festen Schrittes zu ihrem Vater, an seine Seite.

OBERST mit schneidender Stimme. Ich habe bis jetzt darüber nachgedacht, wer dafür gesorgt haben mag, daß ich die »Wahrheit« dieses ehrenwerte Blatt, den Artikel rot angestrichen, so prompt zugestellt erhalten habe. Denn ich habe mir eingebildet, zu keinem Mitglied der radikalen Partei in irgendwelchen Beziehungen zu stehen. Ich habe mich ja auch stets bemüht,[95] mich von dieser Geißel des Jahrhundertes in genügender Entfernung zu halten. Leider muß ich jetzt sehen, daß mir das nicht geglückt ist. Pause, dann in großer Erregung. Herr Leutnant Bergmann, haben Sie mir vielleicht noch etwas zu sagen?

HEINZ würgend. Herr Oberst ... Alice ...

OBERST eisig. Fordern Sie vielleicht die Bezahlung der Zeitung? Auflachend. Ich würde sie Ihnen verweigern müssen, denn ich habe die »Wahrheit« nicht abonniert oder bestellt ...

HEINZ in furchtbarer Erregung auf den Oberst zuspringend. Herr Oberst, noch bin ich Offizier wie Herr Oberst, noch trage ich den Rock Sr. Majestät wie Herr Oberst.

ALICE hart. Ja, leider noch!!!

HEINZ taumelt zurück, entsetzt. Alice!

OBERST läutet; Diener tritt ein.

OBERST zum Diener. Der Herr Leutnant befiehlt seinen Wagen.

HEINZ verneigt sich leicht, geht festen Schrittes hinaus.


Vorhang.


Quelle:
Hans Chlumberg: Die Führer. Wien und Leipzig 1919, S. 69-70,73-96.
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