Vorspiel

[11] Vornehmes, mit erlesenem Geschmack eingerichtetes Arbeitszimmer Baron Heldenbergs. Zwei Türen, ein Fenster. In der Mitte des Zimmers ein breiter Diplomatenschreibtisch. Davor ein Lehnsessel. Tischtelephon. An den Wänden kostbare Bilder. Im Zimmer herrscht einige Unordnung. Auf dem Teppich liegen Zigarettenreste, am Schreibtisch eine Reitgerte, ein Paar Handschuhe. Nachmittags.


Heldenberg, Franz.


HELDENBERG ist etwa 24 Jahre alt. Elegante Lebemannserscheinung. Er geht in sichtlich großer Erregung im Zimmer auf und ab, raucht Zigaretten an, wirft sie nach einigen hastigen Zügen in die Ecke. Dann tritt er ans Fenster, blickt hinaus. Diese Ungewißheit! Sie wird nachgerade unerträglich! Wie lange die auch ausbleiben!

FRANZ Mitte der Dreißig, mittelgroß, glattrasiert, tritt ein.

HELDENBERG sieht sich um. Was gibt's?

FRANZ. Dieser Herr ... Bergmann war schon wieder hier ...

HELDENBERG. Ah? Wann?

FRANZ. Vor einer Stunde etwa. Er hat nur mit dem Portier gesprochen.

HELDENBERG. ... hat ihn jemand gesehen? Hat jemand gehört, daß er nach mir gefragt hat?

FRANZ. Er hat mit dem Portier gesprochen, als die beiden Herren Grafen fortgegangen sind. Die werden ihn wahrscheinlich gesehen haben.

HELDENBERG stampft mit dem Fuße auf. Verwünscht! ... Na, jetzt ist's ja schon geschehn. Pause, dann leichthin. Hat er mir etwas sagen lassen?

FRANZ langsam. Er hat sagen lassen, daß er in etwa einer Stunde nochmals kommen wird.

HELDENBERG beißt sich auf die Lippen. So ... das hat er sagen lassen?

FRANZ. Ja.[11]

HELDENBERG geht im Zimmer umher. Mit gemachter Ruhe. Es ist gut, Franz.

FRANZ stockend. Herr Baron ... werden den Herrn empfangen?

HELDENBERG. Ich ... weiß es noch nicht.

FRANZ wie vorhin. Herr Baron werden gütigst entschuldigen ... was will der Herr?

HELDENBERG. Franz –?

FRANZ. Der Herr Baron werden entschuldigen ... aber ... aber ... der Herr ist von der radikalen Fraktion, Herr Baron!

HELDENBERG. Nun, und?

FRANZ. Der Herr Baron werden gütigst entschuldigen ... ich bleibe nicht in einem Hause, in welchem Leute von der radikalen Fraktion aus- und eingehen. Ich öffne solchen Leuten nicht die Türe, Herr Baron, und ich grüße solche Leute nicht ... Pause dann stockend. Und da wollt' ich eben fragen, ob der Herr Baron ... empfangen oder nicht.

HELDENBERG nach einer Pause. Sie sind entlassen, Franz.

FRANZ verneigt sich. Sehr wohl, Herr Baron. Ab.


Das Tischtelephon läutet.


HELDENBERG geht zum Apparat. Du, Bengersdorff? Ja, hier Heldenberg. Ja, ich selbst. Was ist los? Erschrickt. Was sagst du? Nicht möglich! Der junge Seestädt? Erschossen? Gestern nachts? Schrecklich! Der arme Junge! Wie alt? Erst 20? Entsetzlich! Kennt man den Grund? Wie? Zuckt zusammen. Spielschulden? Oder? ... Wie sagtest du? Man hört so schlecht ... Ehrenwort gebrochen? Wischt sich den Schweiß von der Stirne, lacht rauh auf. Ja ... dann konnte er doch nicht anders ... Wie meinst du? Er hätte sich nicht erschießen sollen? Trotz Ehrenwortbruches nicht? Ja, aber die Gesellschaft, die »gute Gesellschaft«! Hättest du ihm noch die Hand gereicht? ... Ah, siehst du wohl ... [12] Laut und bitter auflachend. Siehst du wohl ...! Wie meinst du? Ob ich ...? Nein, ich auch nicht! Ich ... haha ... hätte ... haha ... ihm die Hand auch nicht gereicht! Na, lassen wir die Sache. Wann, sagst du, ist das Leichenbegängnis? Morgen um 11 Uhr? Gewiß, ich komme, ich komme ganz bestimmt. Das heißt ... natürlich, wenn mir bis dahin nichts passiert ... Was mir passieren könnte? Na, ich könnte doch möglicherweise bis morgen auch tot sein? Wie? Du lachst? Haha ... was es da zu lachen gibt, weiß ich nicht. Du mußt zugeben, ich kann bis morgen tot sein ... Ich werde vielleicht bis morgen tot sein ... hahaha ... nun lachst du schon wieder! Na, wie gesagt, 's ist gut. Und wenn ... mir bis dahin nichts passiert, bin ich morgen um 11 draußen. Servus, servus. Ja. Schluß. Läutet ab; er wirft sich in den Lehnsessel vor dem Schreibtisch. Mit zusammengebissenen Zähnen. Wem er dasselbe morgen von mir ...?


Es läutet.


HELDENBERG springt auf. Gott sei Dank, das sind sie. Eilt zur Tür.


Baron Heldenberg, Oberleutnant Graf Krondorf und Graf Hohenfels.


KRONDORF ist ein junger, eleganter, liebenswürdiger Kavallerieoffizier, etwa 23 Jahre alt. Er ist zart, schlank, sehnig. Sein Gesicht trägt jetzt einen auffallenden Ernst zur Schau.

HOHENFELS ist so alt wie Krondorf. Im Aussehen gleicht er seinem Vetter. Er ist der Typus des jungen Aristokraten. Er ist in seinen Bewegungen weniger lebhaft als Krondorf, sein Gesicht verrät nichts von seinem Denken und Empfinden. Er betont in seinem Auftreten den Diplomaten.

HELDENBERG. Gott sei Dank, daß ihr da seid. Was bringt ihr? So sprecht doch! Nimmt er an? Nimmt er die Forderung an?

HOHENFELS schüttelt den Kopf.[13]

KRONDORF. Er verweigert dir Satisfaktion.

HELDENBERG taumelt zurück. Verweigert sie ... sagst du? Verweigert sie? Bange Pause; Hohenfels geht auf und ab, Krondorf tritt ans Fenster.

HELDENBERG. Was hat er gesagt?

KRONDORF. Er hat uns bewiesen, daß wir einen Herrn vertreten, der nicht mehr verdient, vertreten zu werden.

HELDENBERG. Krondorf!

KRONDORF in ehrlicher Entrüstung. Du hast Spielschulden nicht gezahlt, du hast dein Ehrenwort gebrochen, du bist vor einer Woche beleidigt worden und hast nichts dergleichen getan! Erst auf das Drängen Stögers hin hast du ihn durch uns fordern lassen. Wir haben von nichts gewußt, sonst hätten wir deine Vertretung nicht übernommen. Du hast uns nichts von den Spielschulden und nichts vom Ehrenwortbruch erzählt. Du hat uns mißbraucht! Das alles ist Denkungs- und Handlungsweise eines ...

HELDENBERG. Krondorf! Pause, dann heiser. Was habt ihr also getan?

KRONDORF. Ich habe meine Kappe genommen, Viktor seinen Hut und wir sind fortgegangen.

HOHENFELS. Du siehst wohl ein, daß – selbst gesetzt den Fall, er wäre bereit gewesen, dir Satisfaktion zu geben – wir dich nicht länger hätten vertreten können auf diese Erklärung hin?

HELDENBERG schweigt.

HOHENFELS. Er ist selbstredend nicht dazu bereit gewesen.

KRONDORF. Und wenn er es gewesen wäre, hätte ich ihm abgeraten.

HELDENBERG wirft ihm einen bösen Blick zu. Pause; dann zu Hohenfels. Was soll also jetzt werden?

HOHENFELS schweigt.

HELDENBERG zu Krondorf. Und du, Krondorf?

KRONDORF zuckt die Achseln.[14]

HELDENBERG. Was ratet ihr mir zu tun? Ihr werdet doch wenigstens einen Rat für mich übrig haben. Ein Rat ist doch so billig; er kostet den Ratgeber ja meist selbst nichts ...


Beide schweigen.


HELDENBERG in gesteigerter Erregung. Ich möchte eure Meinung hören. Darauf habe ich doch ein Anrecht ... zumindest auf Grund des jahrelangen guten Einvernehmens, welches zwischen uns geherrscht hat. Pause. Krondorf, ich bitte dich, mir zu antworten. Was würdest du tun, wenn du in meiner Lage wärest?

KRONDORF langsam, ohne sich vom Fenster umzudrehen. Wenn ich in deiner Lage wäre? ... Abgesehen davon, daß ich niemals, hörst du Heldenberg, niemals in eine derartige Lage kommen könnte, würde ich nicht mehr darüber nachzudenken Gelegenheit haben, was ich tun soll.

HELDENBERG. Ah ... und warum, wenn ich fragen darf?

KRONDORF. Weil ich nicht mehr unter den Lebenden weilen würde.

HELDENBERG zuckt zusammen; lange Pause. Dann. Und du, Hohenfels, was ist deine Meinung? Oder schließt du dich der Ansicht deines Vetters an?

HOHENFELS senkt in schweigender Bejahung das Haupt.

HELDENBERG. Ihr meint also: Kugel vor den Kopf?


Beide schweigen.


HELDENBERG lacht häßlich auf. Ich danke euch für den guten Rat. Ihr seid mir wirklich gute Freunde! Aber ich werde mir erlauben, euern Rat lieber doch nicht zu befolgen. Denn ich habe nur ein Leben zu verlieren und dieses eine Leben ist mir mindest soviel wert, als ...

KRONDORF dreht sich um, mißt Heldenberg mit einem verachtenden Blick, wendet sich dann wieder dem Fenster zu.

HELDENBERG. Das soll wohl heißen: Pfui Teufel![15] Wie? Oder doch so ähnlich wenigstens? ... Ja, Pfui Teufel, in Gottes Namen, ja! Ihr habt es ja leicht, mir zu sagen: »Geh, leg dich hin und jag' dir eine Kugel durch den Kopf!« Euch fällt das nicht schwer. Höchstens euer Gewissen regt sich und das ist ja durch unsere schönen Moralansichten gar so leicht zu beruhigen! Ihr redet euch ein, es hat so sein müssen und zum Schlusse glaubt ihr noch, ihr habt ein gutes Werk getan, das ihr mir zu diesem Ausweg geraten habt. Eine Zeit lang bedauert ihr mich noch, sprecht noch über mich, wenn ihr im Klub zusammenkommt, sagt, so wie ich es heute über den armen Seestädt gesagt habe: »Der arme Junge! Schrecklich! Entsetzlich! In so jungen Jahren!« usw. Dann ist der Heldenberg abgetan, kein Hahn kräht mehr nach ihm. Du, Hohenfels, wirst noch um einen Vordermann früher Ministerialsekretär und du, Krondorf, gehst in den Generalstab, lebst, avancierst und kommst ebenfalls zu Ehren.

KRONDORF sich umdrehend. Du bist ein Lump, Heldenberg!

HELDENBERG fast schreiend. Aber ich will nicht! Hört ihr? Ich will nicht! Kein Mensch ist so schlecht, daß er, von seiner Schlechtigkeit und Schädlichkeit den andern gegenüber überzeugt, sich auf solche Weise aus dem Leben stehlen muß. Auf eure Moralansichten pfeife ich, auf die sogenannte gute Gesellschaft verzichte ich. Wenn sie nicht mit mir verkehren will, so soll sie's bleiben lassen. Ich finde auch noch eine andere. Wenn ich tot bin, habe ich überhaupt keine! So, und jetzt wißt ihr's, sagt es auch den andern: Das Unfaßbare geschieht, Heldenberg erschießt sich nicht! Er will weiterleben, nach dem noch weiterleben! Nach dem! Lacht.

KRONDORF nimmt schweigend seine Kappe, geht, ohne Heldenberg eines Blickes zu würdigen, ab. Hohenfels folgt ihm ebenso.

HELDENBERG sieht ihnen nach, dann. So, macht[16] nichts, macht nichts; es wird auch ohne euch gehen ... es muß auch ohne euch gehen ...

FRANZ tritt ein. Herr Bergmann wünscht seine Aufwartung zu machen.

HELDENBERG. Wer? Bergmann? Er ist draußen? Herein mit ihm! Herein mit ihm! Franz ab. Der kommt im rechten Augenblick ...


Heldenberg, Bergmann.


BERGMANN etwa so alt wie Heldenberg, ärmlich gekleidet, tritt ein. Heldenberg geht ihm entgegen.

HELDENBERG. Sie sind mir willkommen, Herr Bergmann. Sie sind mir sehr willkommen. Schüttelt ihm die Hand. Wir werden – glaube ich – viel miteinander zu besprechen haben. Bitte, nehmen Sie Platz, Herr Bergmann. Bergmann setzt sich Heldenberg gegenüber, welcher den Platz vor dem Schreibtisch eingenommen hat.


Vorhang.
[17]

Quelle:
Hans Chlumberg: Die Führer. Wien und Leipzig 1919, S. 11-19.
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