Die Wallfahrt

[255] Zu meiner Kinderzeit hat man in Sonnenreuth den Schulzwang noch nicht gekannt; daher auch der Weidhofer, mein Kostvater, seine Pfleglinge, um an Schulgeld zu sparen, kaum sie ein paar Tafeln zerschlagen hatten, wieder von dieser gelehrten Stätte hinwegholte und an die Arbeit spannte. Da mußte denn ein jedes, sei es nun im Stall oder draußen in Feld und Wald gewesen, aus sich selber die Bildung des Verstandes und der Seele vollenden. Zum besseren Gedeihen dieses Werkes gab mir die Ziehmutter eine zerschlissene Fibel, eine alte Legende und das Evangeliumbuch mit auf die Alm, daraus ich dann oftmals meinen hölzernen Freunden in der Höhle vorgelesen und gepredigt habe.

Da geschah es wohl bisweilen, daß das Vieh, während ich in dem Verstecke mit mir selber Jahrmarkt oder Christenlehre hielt, auf und davon ging, so daß ich großen Fleiß brauchen mußte, es wieder zusammenzubringen.

Dabei ist es auch einmal geschehen, daß sich eine Kalbin, die vielleicht aus irgendwelcher Ursache erschreckt geflüchtet war, so sehr verstiegen hatte, daß ich nimmer glaubte, sie lebend wieder zu erlangen. Sie stand blökend auf einem kaum armbreiten Felsvorsprung des Schwarzenbergs und[255] konnte nicht vor noch zurück; ich weiß beim Himmel nicht, wie sie dahin gekommen.

In meiner Not fiel mir ein, ich könnte mich zu unserer lieben Frau vom Birkenstein verloben, und ich versprach ihr sechs von meinen alten Silbergroschen, wenn ich meine Kalbin heil und unverletzt herunterbrächte. Ich weiß aber nicht, wie es kam, oder ob sie half: In diesem Augenblick kamen ein paar fremde Gesellen aus einer Felsenrinne hervor und halfen mir das Vieh herunterschaffen.

Es waren aber Pascher oder Schmuggler, die das Revier auskundschafteten; und sie fragten mich des langen und breiten um alle Weg und Steg. Gern und willig gab ich ihnen über alles Aufschluß, froh, daß ich die Kalbin wieder hatte; denn mein Ziehvater, der Meßmer, war ein strenger, jäher Mann, der in der ersten Hitze oft manches tat, was ihn nachher gereute.

Also hatte unsere liebe Frau von mir ein Gelöbnis erhalten, und mich dünkte, daß ich es nun auch alsobald ausführen müsse, wenn ich ihr gefällig sein wollte.

Und ich begann alsbald, mein Felsloch auszuräumen und die Schätze im Sonnenlicht auszubreiten; es war ein gerechtes Häuflein. Aber es wurde mir nicht leicht, mich so ohne weiteres von den schönen, funkelnden Silberstücken zu trennen; immer wieder drehte ich sie zwischen den Fingern, legte sechs in die linke Hand, wog sie, schüttelte sie und schob sie endlich schnell wieder in den Sack, indem ich halblaut vor mich hin sagte: »Nein, diese nicht! Ich suche andere aus!«

Doch auch mit diesen ging es mir nicht besser, bis ich endlich unvermittelt das ganze Häuflein zusammenraffte und wieder in die Höhle steckte.

So trieb ich es acht Tage lang; da kam das Fest Mariä Himmelfahrt. Für diesen Tag hatte ich mir von der Weidhoferin Urlaub zur Wallfahrt erbeten, und sie schickte[256] mir den langen Ambros, daß er für mich zwei Tage den Viehhüter mache.

Der brachte mir in einem Bündel ein Stück Käse, Brot und die Nagelschuhe, dazu mein gutes Jöpplein und den Rosenkranz. Auch ein Wachs und eine dicke Silberkette legte er mir hin und sagte: »Das sollst unserer lieben Frau mitnehmen von der Weidhoferin. Und du sollst ein paar Vaterunser für sie beten und die Meinung machen, daß dies nur grad eine Drangab ist zu der Verlöbnis, die sie getan hat. Und sie kommt schon noch selber, dies Jahr, und tut ihren Dankgott!«

Da gab es mir einen Riß. Meine Kostmutter hatte mir hier ihren kostbarsten Schmuck, ihre Brautkette, für die liebe Frau geschickt, weil sie kurz zuvor bei dem scharfen Hagelschauer ihre Felder wunderbar beschützt hatte; wie durfte ihr nun ich, dem sie nicht weniger wunderbar geholfen hatte, meine paar Silbergroschen verweigern!

So eilte ich denn in die Höhle, steckte eine Hand voll Münzen in meine lederne Hose, schob die übrigen in die dunkelste Ecke und dachte, daß die Himmelmutter wohl mächtig genug sei, mir das Opfer, welches ich ihr hiedurch brachte, hundertfach zu vergelten.

In diesen Gedanken legte ich die Schuhe an, hing die Joppe über die Achsel und sagte: »Ambros, jetzt geh i halt in Gotts Nam. Pfüate Gott!«

Und zum Vieh sagte ich noch, daß ich ihnen einen besonders großen, kräftigen Segen mitbringen wolle und daß ich sie schon einschließen würde in die Andacht.

Dann nahm ich das bunte Sacktuch, in welches das Opfer der Meßmerin eingewickelt war, hing es an meinen Stecken, lupfte mein Hütl und machte mich auf den Weg.

Obgleich ich erst etwa zwölf Jahre zählte und noch nicht über unsere Alm hinausgekommen war, fehlte es mir nicht an Schneid; es war mir genug, daß die Nandl, unsere[257] Schwaigerin, einmal mit der Hand gegen den Wendelstein gewiesen und dabei gesagt hatte: »Siehst Mathiasl, dort hint is unsa liebe Frau vom Birknstoa. Grad unterhalb vom Wendlstoa!«

Darum wandte ich mich sogleich gegen diesen, suchte mir einen Weg, der in der Richtung führte, und trabte frisch dahin, indem ich wohlgemut ein Frauenlied ums andere hinaussang.

Dabei schaute ich immer wieder hinter mich, ob mir keine Kuh oder Geiß nachkäme, und horchte auf das immer ferner klingende Geläute des Viehs. Doch bald lag alles weit hinter mir in bläulichen Dunst und Nebel eingehüllt, und ich stieg langsam auf einem einsamen Waldweg, zu dessen Seiten ein kleines Wasser talab floß, bergan.

Eine große Stille war rings um mich her; nur der Schrei des Hähers, das Singen der Waldvögel und das Summen der Hummeln und Wespen tönte an mein Ohr. Kein Mensch begegnete mir; nur ein paar Rehe sprangen erschreckt davon, als sie mich so unvermerkt vor sich sahen. So stieg ich weiter, bis ich, den Wald hinter mir lassend, über eine Almwiese wanderte, mit großen, erstaunten Augen hinabschauend auf eine weite Welt, von deren Größe ich mir keine Vorstellung machen konnte. Wohl an die zehn Kirchtürme erblickte ich da, die bald spitzig wie ein Griffel, bald rund wie unsere Edelbirnen oder sonst wunderlich geformt im Sonnenlicht glänzten.

Ich blieb stehen, stützte das Kinn auf den Stock und sah unverwandt hinab und dachte, was das wohl schöne Orte sein möchten, und ich wäre gern einmal in jedem gewesen. Da erhielt ich plötzlich einen heftigen Stoß von rückwärts, daß ich rittlings über meinen Stecken fiel; und da ich aufsah, stand ein Bauer zürnend und greinend hinter mir und schrie, daß es mir durch alle Glieder fuhr, ich solle schauen, daß ich aus seinem Grund und Boden hinauskäme;[258] und wenn er noch einmal so einen verdammten Ellbacher Lumpen in seinem Rain fände, könnt schon sein ...!

Ich erwiderte ihm zwischen Zorn und Schreck, daß ich gar kein Ellbacher sei, ja, daß ich diesen Ort gar nicht wisse. »I bin doch der Weidhoferbalg von Sonnenreuth!« sagte ich; »und ich geh nur grad wallfahrten auf Birkenstein!«

Da schaute er mich erst zweifelnd, dann lachend an und meinte: »Wie sagst? Vom Weidhofer z' Sonnenreuth?«

Und als ich, wieder aufstehend, nickte, sagte er, dann solle ich nur da weitergehen: »Gleich da hinten bei dem Zwiefiturm ist Fischbachau; balst dich a weni schleunst, nachher gehst es leicht in zwo Stund!«

Ich nickte wieder, und nachdem ich ihm noch mürrisch »Pfüa Gott« gesagt, lief ich davon.

Der schmale Wiesenpfad führte wieder in einen Wald, und ich eilte nun, ohne zu rasten, dahin, bis ich auf eine breite Straße kam, an der ein Wegweiser nach Ellbach und Durham zeigte. Indem ich nun bald auf den Weg, bald auf die Tafel blickte, donnerte ein Schuß durch die Berge und gleich darauf noch mehrere. Ich dachte, daß es gewiß Böller sein möchten, und hörte aufmerksam auf die Richtung, woher sie kamen. Da drang plötzlich, erst verworren, dann immer deutlicher, lautes Beten an mein Ohr, ich blickte mich um, da sah ich eine große Schar Männer und Frauen die Straße heraufkommen, Fahnen und Kreuze tragend und den glorreichen Rosenkranz betend. Voran gingen zwei Priester im Chorhemd; etliche Ministranten mit roten, goldverzierten Schulterkrägen folgten ihnen und trugen kranzgeschmückte Statuetten der Heiligen auf langen Stangen, und dahinter reihten sich die Beter. Sie schritten alle gebeugt, und der Schweiß stand vielen auf dem Gesicht, doch hielten sie eine schöne Ordnung; und es gingen auf der rechten Straßenseite die Frauen und auf der linken[259] die Männer hintereinander, also daß die ganze Straßenbreite leer zwischen ihnen blieb. Ein Mann im Chorrock lief mit einem langen, silbernen Stab beständig den Zug entlang und schrie mit großem Nachdruck immer die ersten Worte eines jeden Ave Maria hinter sich, worauf die Beter alle zu gleicher Zeit einfielen; und es war die Ordnung also, daß die Männer den Gruß vorbeteten, die Frauen aber mit der Bitte nachkamen.

Ich zog mein Hütlein, ließ sie an mir vorüber und folgte ihnen, überzeugt, daß es Wallfahrer seien, die gleich mir die Mutter vom Birkenstein heimsuchten.

So war es auch; und wir zogen unter dem Geläute der Glocken durch die Orte, und es kam mir vor, als trabte eine große Schafherde vor mir her, der ich als ein junges Hündlein oder wie ein krummgehendes Lamm folgte. Doch zog ich auch meinen Rosenkranz aus dem Sack und schrie mit vieler Kraft mein »Gegrüßt seist du, Maria« hinter den Betern, so daß sich endlich die letzten umsahen und mir ganz freundlich und ermunternd zunickten.

Immer noch krachten die Böller; und ich dachte, daß es nun nicht mehr weit sein könne bis zu dem Ort, wo sie abgefeuert wurden; denn sie donnerten hart, und ihr Schall brach sich unmittelbar an allen Wänden.

Langsam bewegte sich der Zug bergan, vorüber an kranzgeschmückten Häusern, und von allen Seiten strömten Pilger herbei und schlossen sich ihm an. Und während ich, neugierig einen vollbesetzten Wirtsgarten betrachtend, gedankenlos noch meine Ave Maria schrie, verschwanden droben allmählich die Fahnen und Statuetten hinter den Birken eines von Menschen dichtumlagerten Felsens, von dem das Geläute silberner Glocken tönte, der Glocken der Kapelle unserer lieben Frau vom Birkenstein.

Allmählich zerteilte und löste sich der Zug in Gruppen, und ich schob mich behende durch die Versammlung vor[260] dem Kirchlein; denn ich wollte meine Aufgabe vollbracht haben. Darum stieg ich sogleich die schmale Holztreppe hinauf, die zu einem Wandelgang führte; der zog sich rings um das Kirchlein und war an Decke und Wänden mit Votivtafeln und Gemälden dicht behangen. Ein niederes Tor stand weit geöffnet, und der Duft von Weihrauch und Kerzen drang heraus. Ich zwängte mich durch einen dichten Knäuel von Bäuerinnen und schlüpfte ungeachtet ihrer erzürnten Mienen und Reden hinein in die Kirche.

Eine tiefe Stille war hier trotz der großen Zahl der Betenden, und man hörte nichts als das Fallen der Rosenkranzperlen und das Knistern seidener Schürzen und Kopftücher. Nur manchmal begann irgendein Weiblein zu seufzen oder zu hüsteln, oder es entstand ein kleines Geräusch durch eine abrinnende Opferkerze. Ich empfand diese Stille und die Schwüle in dem winzigen, vollgepfropften Raum ganz beängstigend und suchte, da mir zudem auch jeder Blick auf den Altar durch die Erwachsenen unmöglich war, in die Nähe desselben zu gelangen. Ich schob mich daher bald hier, bald dort an einer seidenen Schürze vorbei, trat wohl auch manchmal einem oder dem andern auf die Zehen, bat diesen oder jenen Bauern, mich durchzulassen, und brachte es am Ende zustande, daß ich mich an der Stufe des Hochaltars befand.

Heißa! Riß ich da die Augen auf! In einem magischen roten Licht, umgeben von goldgeflügelten Cherubinen und kleinen Engeln, die auf rosenrot leuchtenden Wolken schwebten, stand die Mutter mit dem Kind. Beide trugen goldene, steingeschmückte Kronen und reichverzierte Prunkmäntel; insonderheit der schwere, weitausgebreitete Purpurmantel unserer lieben Frau erregte in mir Staunen und Verwunderung. Das Bild schien mir zu schweben, und bei dem unsteten Schein der vielen Kerzen glaubte ich[261] fast, es lebe; denn es stand frei, hoch über dem Altar, und hielt ein Zepter mit so lieblicher Gebärde, wie nur ein lebendes Wesen dies tun kann. Und ich dachte, wie es doch möglich gewesen wäre, ein solch köstliches Werk zu schaffen und aus dem ungefügen Holz zu schneiden; denn der Weidhofer hatte mir erzählt, daß es holzgeschnitzt und bemalt sei. Und mit einem Male trat ein Wunsch auf meine Lippen, an den ich noch nie zuvor gedacht: Ich möchte ein solcher Meister werden, wie der dieses Bildes einer gewesen. Inbrünstig sagte ich ihn drei-, viermal vor mich hin, und das letztemal muß ich es wohl laut getan haben; denn eine Stimme hinter mir flüsterte erzürnt: »Bist net glei stad!«

Ich wandte erschreckt den Kopf, und es war mir, als sei ich aus einem Himmel gerissen worden; die ganze Andacht war dahin, und ich dachte an nichts mehr, als wie ich am schnellsten aus den Augen dieser Menschen käme. Da trat eine dicke Bäuerin vor und legte mit vielen Kniebeugen und ehrfürchtigen Gebär den eine dicke Kerze und ein verschnürtes Päcklein auf den Altar. Sogleich folgten noch etliche, und ich erinnerte mich dabei, daß ich nun auch mein Opfer hinlegen müsse.

Also holte ich erst meine Silbergroschen aus dem Sack und legte sie abseits von den andern Gaben auf den Altar; sodann band ich das Tuch auf und wollte schon das Wachs herausnehmen. Aber da fiel mir ein, daß ich auch etwas zu beten hätte, und ich sagte nun, indem ich das Tüchlein geöffnet mit beiden Händen hielt, was mir meine Kostmutter aufgetragen; dann leerte ich es zu meinen Groschen aufs Altartuch und drückte mich hierauf durch die Menge wieder dem Ausgange zu.

In diesem Augenblick krachten wieder die Böller, läuteten die Glocken, und ein Chor sang das Pange lingua, begleitet von Posaunen und Geigen. Auf dem freien Platz[262] hinter der Kapelle war ein Altar und eine Kanzel errichtet worden, und eben gab der Pfarrer den Segen mit dem Allerheiligsten.

Nun strömte alles herbei; die Kapelle und der Wandelgang leerten sich, und die Menge lagerte sich auf Felsblöcken oder im Grase und hörte auf die Worte des Evangeliums. Da dachte ich bei mir, daß es nun wohl besser sein möchte, wenn ich wieder in die Kapelle ginge; denn ich verstand damals noch nicht gar viel von Predigten und mußte nicht selten dabei dem Schlaf wehren. Also trat ich abermals ins Kirchlein und setzte mich betrachtend und staunend in die vorderste Bank ganz nahe der Mauer, die mit Gemälden und Bildern überreich geschmückt war.

Und wieder überkam mich dieses seltsame Gefühl, und ich betete und wünschte, daß ich immer in einem solch heiligen Haus weilen könne. Dabei schaute ich starr auf das Bild der Mutter, deren liebliches Gesicht durch das flackernde Licht bald zu lächeln, bald zu trauern schien; und ich merkte nicht, wie eine verborgene Tür sich drehte und ein Arm sich herausstreckte.

Da klirren meine Silbergroschen am Altar; ich blicke hin und sehe, wie eine rote Hand sie zusammenrafft und mit ihnen verschwindet. Gleich darauf erscheint sie wieder und packt auch das übrige; ich stoße einen Schrei aus und stürze aus der Kirche und davon, fest überzeugt, daß der Teufel leibhaftig der Mutter Gottes ihre Gaben geraubt.

Mein Entsetzen war so groß, daß ich ohne Besinnen die Holzstiege hinablief, mitten durch die andächtig der Predigt lauschende Menge, und weder sah noch hörte, als etliche mich anschrien und versuchten, mich aufzuhalten.

Durch ein felsiges Tal sprang ich dahin und hielt nicht inne, bis ich, schweißbedeckt auf einer einsamen, sumpfigen Wiese angelangt, bei jedem Tritt tief in dem nassen Moor versank. Das bestärkte mich noch in dem festen[263] Glauben, daß hier der Böse umgehe und besonders mir Verderben bringen wolle; und ich begann, mich zu bekreuzen und unsere liebe Frau anzurufen. Der Frost schüttelte mich, und es peinigte mich ein großer Durst, während ich langsam einen Fuß um den andern durch den Morast zog.

Nach geraumer Weile wurde der Boden wieder fester, und ich kam endlich auf einen breiten, vielbetretenen Wiesenweg, dem ich, in trübe und abenteuerliche Gedanken versunken, nachging. Alle Geschichten aus der Heiligenlegende fielen mir ein, in denen der Teufel sein unheimliches Handwerk getrieben, die gottseligsten Personen geschüttelt, in die Höhe geworfen, geschlagen und zertreten hatte, wie er den Bauern das Vieh im Stall verzaubert, daß es blutige Milch gab, und aus frommen Frauen die ärgsten Hexen und Unhold gemacht hatte, so daß sie von Stund an Mensch und Vieh nur noch übel wollten. Ja, der alte Pfarrer von Sonnenreuth hatte ihn selber leibhaftig gesehen damals, wie ihn der hochwürdige Herr Bischof aus einem krummbeinigen, buckligen Menschen hinausgetrieben hatte; wie eine feurige Katze sei er aus dem Maul des Besessenen herausgefahren, hätte gar jämmerlich geschrien und sei mit einem schrecklichen Fluch verschwunden.

Die Haare hatten sich mir damals gesträubt, und gar, als uns der Herr Pfarrer aus einem Buch vorlas, wie es drunten in der Hölle zuginge, und was für greuliche Arbeit die Teufel und Oberteufel daselbst zu verrichten hätten, da schüttelte es mich wie einen Hollerstrauch im Wind; denn da stand es schwarz auf weiß, wie die armen Verdammten in Öl und Pech gesotten, in glühende Feueröfen geworfen, mit Nattern und Klapperschlangen zusammengesperrt und auch sonst gezwickt und zerschunden werden, ohne daß sie jemals einen Augenblick Ruhe oder[264] Erleichterung in dieser Pein haben. »Und es sind aber sieben Kreise in der ewigen Hölle«, heißt es weiter in diesem Buch, »die gleich sieben unendlichen Ringen den Pfuhl des obersten Teufels Luzifer umschließen. Und ein jeglicher Ring ist bewohnt von einer Legion Unterteufel, über welche ein Oberteufel die Herrschaft führt. Und es sind aber die Ringe also, daß in jedem eine besondere Art von Sünde gestraft und gepeinigt wird. Die Hoffart mit Zwicken und Brennen und in Kot Treten; der Geiz mit Nattern und Schlangen und sonst allerhand schädlich Gewürm; die Unkeuschheit mit großen Hagelsteinen und brennendem Pechregen; der Neid mit Stoßen und Schmeißen in siedendes Öl und Darinniederdrucken mit teuflische Gabeln; die Völlerei mit Hunger und großer Kält, also daß die blutigen Zähren, so der Verdammte weinet, ihm an den Leib gefrieren, und sein Bauch knurret aus übergroßem Verlangen nach Speis; der Zorn mit Geißlen und Verschließen in einen Kessel, allda Pech mit Hanfgarn gesotten und mit teuflische Besen verzwirnet ist, und kein End nicht hergehet aus aller Wirrnis und Pein; die Trägheit mit großen Steinen, so ihnen von den Teufeln auf den Rucken gebunden, und die sie schleppen müssen durch ihren Höllenring ohne Rasten und Absetzen in alle Ewigkeit.«

Ein Böllerschuß riß mich aus der Betrachtung; vom Birkenstein klang Läuten herüber und mahnte, den menschgewordenen Gott bei der Wandlung anzubeten.

Ich schlug das Kreuz und lief darnach meinen Weg dahin, etliche Bauern grüßend, ein paar Dirnen, die mit ihren feuerroten Unterröcken prangten, auf den Weg nach dem Wallfahrtsort weisend und an nichts denkend, als daß ich wieder bei meinem Vieh und meinen Schätzen sein möchte.

Gegen Abend kam ich wieder an die Weidhoferalm und ging sogleich in die Hütte; da mich aber die Nandl, unsere[265] Schwaigerin, erblickte, ließ sie erschreckt den Melkeimer fallen und schrie: »Mariand Joseph! Der Mathiasl! Ja Bua, wo kimmst denn du her?«

»Vom Birkenstein«, sagte ich und erzählte ihr mein Erlebnis. Da glaubte auch sie nicht anders, als daß hier der Teufel einmal wieder ein böses Werk getrieben habe, und meinte, daß ich mich nun wohl hüten und vorsehen müsse, denn das sei klar, daß er es auf mich abgesehen hätte.

Indem wir noch miteinander sprachen und ich in einen Hafen voll Milch ein gerechtes Stück Brot einbrockte, kam der lange Ambros zur Tür herein; aber kaum daß er mich ersehen, tat er einen halblauten Fluch und lief wieder hinaus. Ich schrie ihm nach, doch hörte er nichts mehr, auch war er nirgends mehr darnach zu sehen.

Da fiel mir mein Felsenloch ein, und zugleich dachte ich an meine Schätze; ich lief hin, griff in alle Ecken und fand nichts mehr. Es war alles dahin. Starr vor Entsetzen konnte ich nichts denken und sagte nur das Wort Teufel etlichemale stumpfsinnig für mich hin.

Ein Lachen hinter mir erschreckte mich; ich sah mich um und in das höhnische Gesicht des langen Ambros.

»Da suchst umsonst«, rief er voll Spott und verschwand. Da packte mich ein Grimm; ich stürzte hinaus, ihm nach und packte ihn, gerade als er sich von einem verwachsenen Kiefernbaum in eine Felsenrinne hinablassen wollte.

»Wo is mei Sach?« schrie ich voll Wut und schüttelte ihn, daß er Mühe hatte, sich zu halten.

»Was weiß ich«, sagte er höhnisch und gebot mir, ihn loszulassen.

Ich ließ ihn frei und wiederholte meine Frage; in diesem Augenblick aber sprang er vom Baum, ergriff mich und begann mit mir zu ringen und mich gegen die Felsrinne zu schieben. »Wart, ich werd dirs gleich zeigen, wo's ist!« knirschte er und trat ein wenig zurück; noch ein kurzes[266] Ringen, ein Stoß, und nach einem heftigen Schmerz am Kopf wußte ich nichts mehr.

Rings um mich war es Nacht, als ich die Augen wieder öffnete; ich lag hart, und Steine und Gestrüpp bedeckten mich. Meine Hände tasteten im Dunkeln matt herum, und ich fühlte, daß ich durchnäßt war; doch wußte ich nicht, ob es ein Wasser war oder mein Blut, in dem ich lag. Ein dumpfer Schmerz wühlte mir im Haupt, und ich schloß die Augen wieder, indem ich abermals wähnte, in eine Tiefe zu fallen.

Als ich wieder klar denken konnte, war es heller Tag, und ich sah, daß ich in einem seichten Wasser lag, welches über Felsen und Geröll talab floß. Brombeerstauden stachen und zerkratzten mich, meine Glieder schmerzten, und mein Mund war verschwollen und verklebt. Es dürstete mich, und ich versuchte, meine Lippen zu netzen, aber meine Arme gehorchten dem Willen nicht mehr und fielen kraftlos herab, so oft ich versuchte, sie zu erheben. Da begann ich, um Hilfe zu seufzen und Gott anzurufen, denn ich wähnte, daß mein Ende nahe sei. Ich lieh meinem inbrünstigen Gebet Stimme und stöhnte laut und lauter: »Herrgott hilf! Maria hilf!«, bis mein Haupt abermals, der Sinne beraubt, zurückfiel ins Wasser.

Quelle:
Lena Christ: Werke. München 1972, S. 255-267.
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