Falsche Lieb

[418] Ein harter Schlag von der Pratze des Bären, der auf dem Markt getanzt hatte und mir nun in meinen Träumen die liebliche Jungfer aus der Komödie, da ich sie eben in meinen Armen hielt, rauben wollt, schreckte mich aus meinem tiefen Schlaf auf, und ich wehrte mit beiden Händen ab, indes mich eine scheltende Stimm noch vollends munter machte.

Da blickte ich in das zornrote Gesicht des Burschen, der mich ehvor zum Besuch der Komödie verführt hatte und mir nun seinen Fuß grimmig in die Seite stieß, also daß ich mit einem Schrei in die Höhe fuhr und nicht übel Lust hatte, ihm etliche zu wischen.

Der aber plärrte: »Hat einer so was schon erlebt! – Liegt der Wicht am hellichten Nachmittag da auf den kostbaren Gewändern und schnarcht wie eine Baumsäg! – Ob er wohl auf und davon gehen will, bevor ich ihm Füße mach, dem Halunken! – Hat wohl stehlen wollen, he! – Ha! – Gewiß hat er stehlen wollen! – Aber wart, Bürschlein! Mein Alter wird dirs austreiben, das Stibitzen!« Sprachlos stand ich da und wußte nur, daß er vom Nachmittag gesprochen hatte. –

Ja, Himmel! – Es war doch wohl noch nicht schon am andern Tag? – Aber, – die Nacht fiel mir ein, – es war ja schon zwölf Uhr gewesen, da ich ans Fortgehen gedacht hatte! – O, die verfluchte Komödie! – Was mocht der gut alt Thomas jetzt von mir denken! – Dacht wohl, daß er recht gehabt hätt mit seiner Meinung, ich wollt von ihm weg für immer! – Wie konnt nur dies einschichtige, rothaarige Weibsbild, diese Theatermamsell, meine Sinne so verwirren!

Aber indem ich noch so dachte, trat das Mädchen eben durch die niedere Tür ein und sah mich verwundert an.[418]

»Ei!« rief sie aus; »hast du einen Besuch hier, Joschka?« »Was Besuch!« erwiderte da der Bursch grimmig; »wär mir ein sauberer Besuch das! Schleicht sich bei Nacht und Dunkel ins Haus und will stehlen!«

Und da ich auffahren wollte, plärrte er mich an: »Was! Willst es noch leugnen? – Hab ich dich nicht erwischt mit dem teuern Mantel der Donna hier!«

Erschrocken fragte diese mit einem entsetzten Blick auf mich: »Wie sagst du? Meinen blauen Mantel hat er ...!«

»Glaubts doch nicht, Jungfer!« sagte ich bittend mit einem giftigen Blick auf den Kerl. »Er lügt Euch aufs Maul, so wahr Ihr hier steht! – Ich wollt ja nur bloß ...« – Da hielt ich inne, indes mir eine heiße Flamme übers Gesicht fuhr: Ich mocht es doch nicht vor diesem Flegel sagen, daß ich bloß aus närrischer Lieb für sie hiergeblieben war!

Der ander aber schrie sogleich, kaum er mich erröten und stocken sah: »Ha! – Fällts dir nimmer ein, jetzt! – Hat dir wohl die Red verschlagen, he! Seht Ihrs nun, Donna! Es ist so, wie ich sagte: stehlen hat er wollen. – Aber ich will ihm schon Mores lernen! Gleich geh ich jetzt zum Alten! – Gleich!-Auf der Stell!«

Wirklich ging er, indes die Jungfer ganz erstarrt dastand, das dunkelrote Samtkleid, in dem sie prangte, fest an sich raffte und ihre schwarzen Augen voll Verachtung über meine armselige Gestalt wandern ließ. Da nahm ich mir einen Anlauf und sagte ihr ganz wahrhaftig und einfach, daß sie mir viel gälte, weil sie meiner verlornen Kathrein so ähnlich sei, und daß ich sie in der Nacht gesucht hätte und dabei nicht mehr aus dem Saal gekonnt und also, da ich müd ward, auf ihrem Mantel geschlafen hätt. Bat sie auch gleich, sie mög für mich bitten, daß ich um sie bleiben dürft; denn ich kunnt nimmer von ihr lassen.

Ganz still hatte sie auf meine Red gemerkt und mir so die Schneid gegeben, ihr mein Herz zu offenbaren.[419]

Nun lachte sie leise für sich hin und sagte zwischen Spott und Mitleiden: »So so; seine Kathrein hat er verloren! – Der arme Bub!«

Dazu maßen mich abermals ihre Blicke, daß ich mich unwillkürlich auf die Zehen stellte und meinen verkrüppelten Leib streckte, so gut ichs vermochte.

Nach einer Weil fragte sie: »Wem gehörst du denn?«

»Ich ghör gar niemand«, erwiderte ich; »Vater oder Mutter weiß ich keine, und die mich aufgezogen haben, sind tot.«

»Und wo kommst du jetzt her?« forschte sie weiter, indem sie mit einem ihrer langen Zöpfe spielte.

»Von Bayrischzell. Vom Bildlmacher Beham«, sagte ich.

Und plötzlich fiel mirs ein: Der hatte ja einen Haufen Verdingungen für Votivtafeln erhalten! – Ich hätt ja wieder Rahmen schneiden sollen! –

Aber in mir sagte eine Stimm gar trotzig: »Das macht nichts. Der hat ehvor auch niemanden gehabt, – also wird er jetzt auch fertig werden, allein.«

Und ich fuhr fort: »Aber ich bin mein eigener Herr und kann hin, wo ich mag. – Und jetz möcht ich halt gern bei Euch bleiben, wann ich Euch nit zwider bin.«

Indem ich noch redete, kam der Tropf schimpfend wieder zurück, gefolgt von dem erzürnten Herrn des Theaters und der keifenden Alten.

»Hat ein Mensch noch Worte!« schrie diese keuchend, und ihre Brust wogte unter dem schmierigen, schleißigen Seidenkittel, »kann man da noch reden! – Das ist ja eine himmelschreiende Bosheit! – Wo ist denn der Teufelsbraten!« Und sie fuhr wütend und mit den Armen fuchtelnd auf mich los, packte mich bei den Schultern und schüttelte mich, daß mir grün und schwarz vor den Augen wurde und ihr die aufgesteckten künstlichen Locken zu Boden fielen.[420]

»Karnalje!« zischte sie dazu; »unverschämte Karnalje! Töten werd ich dich, wenn du nicht Buß gibst für die Büberei!«

Da fiel ihr die Jungfer bittend in den Arm: »Laßt ihn doch, Frau Direktorin! Er hat eigentlich gar nichts Schlimmes vorgehabt, der Kleine! – Er hat mirs gesagt: Die Liebe zur Kunst hat ihn getrieben, – ein Spieler wollt er werden!«

»Wer's glaubt!« mischte sich der lose Schelm bissig drein und spaizte in weitem Bogen auf die Bühne.

Aber der Direktor sagte, kaum er die Red des Mädchens vernommen, geschwind, indem er mich lauernd ansah: »Liebe hat er, sagst du? – Zur Kunst, sagst du? – Wohl, wohl! – Soll nur mitfahren mit uns, wenn er will! – Kann ihn schon brauchen, den Krischbel!«

Langsam ließen mich die Fäuste der Alten los, langsam beruhigte sich ihre wogende Brust; sie griff nach ihrer Frisur und hob eilig die Locken vom Boden und steckte sie wieder zu dem eigenen, dünnen, schwarzen Haar, indem sie sagte: »Wenn du dich nur nicht täuschst, Fritz! – Wenn er nur nicht wieder so ein Galgenvogel ist wie der Heinz!«

Sie steckte eine Haarnadel zwischen die Zähne und wand ein herabhängendes Flitterband um den Schopf.

»Wo bist du her, und wie heißt du?« fragte sie mich scharf, die Zähne fest zusammenbeißend, daß ihr die Nadel nicht entfiel.

»Mathias Bichler aus Sonnenreuth«, sagte ich tonlos.

»Was sind deine Eltern?« forschte der Direktor weiter.

»Das weiß ich nicht. Hab s' nit kennt. – Hab nie epps ghört davon. Mein Ziehvater, der Meßmer von Sonnenreuth, hat wohl gwähnt, es kunnten Vagierende gwesen sein oder Gaukler. Aber nix Gwiß weiß niemand drüber. – Bin ja grad ein Glegter!«

»Wie ich gedacht hab, – ein Balg!« höhnte der Rotzlöffel[421] hinter mir; aber die Mamsell verwies ihm sein Schmähen, und auch der Alte sagte: »Halt den Schnabel! – Der Bursch bleibt da!«

Die Frau Direktor aber starrte mich eine Weil wie entgeistert an, ihre Brust begann mit einem Mal, sich wieder stürmisch zu bewegen, und dann breitete sie plötzlich die Arme aus, zog mich an sich und rief unter Tränen mit schmelzender Stimme: »Er ists!... Mein Sohn!... Mein süßes Kind!«

Ei, Teufel! Hab mich wohl grausam gewunden wie ein Wurm, den eine alte Bruthenn aufgepickt hat und verschlingen will; hab auch eine Haut wie ein gerupfter Gänserich an mir überlaufen verspürt vor Grausen und Abscheu. Aber die Alt ließ mich nimmer los und drückte meinen Kopf fest an ihren nach alter Lederschmier riechenden Kittel, bis der Herr Direktor und die Jungfer sich von ihrem Erstaunen so viel ermannt hatten, daß sie wieder Worte fanden und also ausriefen: »Sie ist verrückt! – Sie ist vom Verstand kommen!«

Da ließ sie mich seufzend los, die Alte, und schaute mit schwimmenden Augen zum Himmel, indem sie mit bebender Stimme sagte: »Redet nicht!... Ich hab mein Kind wieder!... Es ist kein Traum!... Er ist wahrhaftig mein Sohn!«

Und erzählte also eine gar abenteuerliche Geschichte von meiner Herkunft.

»Ach!« sagte sie und setzte sich auf einen Schemel hinter der Bühne. »Es ist furchtbar traurig gewesen. – Du hast ihn ja gekannt, den Alessandro, – nicht wahr, Fritz! – Also, ich war leider damals noch seine Frau; allerdings auch nicht mit dem Segen der Kirche – nur so durch die Umstände des Lebens bedingt; denn ich war zur selben Zeit seine Partnerin auf dem hohen Turmseil. – Ach ja! Damals war ich noch eine Schönheit! Die Männer liefen mir nach, wie die[422] Katzen der Maus! – Weißt du, Fritz, – wenn ich so mit der größten Grazie ...«

Sie stand auf und balancierte kokett auf dem Schemel.

»... so mit Noblesse auf der einen Seite des Seiles stand und Alessandro auf der andern, – und wir dann elegant und sicher aufeinander zukamen – aneinander vorbeiglitten – und wieder auseinandergingen über die schwanke Schnur, als wärs ein Spazierweg über die Wiese, – Fritz – ich sage dir, – da waren die Leute alle hin vor Verwunderung, und ein rasender Beifall erhob sich! – Ach ja! – Damals!...« Sie hockte sich wieder breit auf ihren Sitz.

»... Aber er war brutal! – Und er hat mich verführt! – Und als ich dastand im Elend, da wollt er nichts mehr wissen von mir und dem armen Würmlein.«

Sie brach in Schluchzen aus und tupfte sich die Augen mit einem Zipfel ihres Kittels. –

»... O! – Es war entsetzlich! – Er nahm mir das Kind aus meinen Armen, – er riß es von meiner Brust und trug es fort!...«

Sie sprang auf, indes die andern wortlos dastanden, umschlang mich abermals mit theatralischer Gebärde und rief in Verzückung aus: »Aber nun hab ich dich wieder! Mein Engel! Mein Kind! Mein liebster Sohn! – Nun wird dich keine Erdenmacht mehr von mir trennen können!«

Ich litt große Pein, machte mich von ihr los und wollte was erwidern; da aber die andern immer noch wie angenagelt auf ihrem Fleck standen und nicht wußten, wie sie sich verhalten sollten, blieb ich still.

Die Alte aber faßte sich schnell wieder und fragte nach einer Weile lauernd: »Leben sie noch, deine Zieheltern?« Darauf ich stumm den Kopf schüttelte.

»Sie sind beide schon tot?« fragte sie. »Haben sie dir was vermacht? – Sie waren doch reich ...«

Wieder schüttelte ich bloß den Kopf.[423]

»So bist du ganz ohne Hab und Gut?« kams forschend von ihrem Mund.

»Nein«, sagte ich, ohne recht zu wollen; »ich hab schon ein bißl was.«

Da wollte sie mich abermals umarmen, indes mich die andern wie ein heiligs Bild begafften und die schöne Jungfer ganz nah zu mir trat und mich lieblich ansah; aber ich fuhr fort und sagte: »Drent beim Stiefelwirt hab ich mein Sach. Ich geh und werds holen.«

Und hörte also auf nichts mehr und lief geraden Wegs zur Tür hinaus auf die Gassen.

Ein wüstes Durcheinander von Gedanken stürmte durch mein Hirn; ich rannte ohne Besinnen dahin und fand mich schließlich vor dem Tor des Stiefelwirts.

Da kam es über mich: Kehr um und geh wieder zum Vater Thomas! – Geh nimmer zurück zu der Komödiantenbrut! – Es ist ja unmöglich, daß diese grausliche Alte deine leibhaftige Mutter sein sollt!

Und schon war der Entschluß, wieder zum Bildlmacher zurückzukehren, nahezu in mir fest worden, als mich ein silberns Lachen aufschreckte, ein weicher Arm sich in den meinen schob und die Theatermamsell mit süßer Stimm sagte: »Ich bin dir nachgelaufen, ohne daß es die Alten wissen! – Ich möcht ein wenig allein sein mit dir! – Ich hab dich sehr lieb!«

Ei! Da fuhr ich herum! – Faßte sie bei den Händen, verdrehte meine Augen und war vor Seligkeit und Glück ganz närrisch!

Vergessen war der gut Thomas, vergessen die schreckliche Alte, die sich meine Mutter nannte; – ich hatte nur noch einen Gedanken: mit ihr zu gehen – bei ihr zu bleiben!

Und ich sagte mit vor Freuden zitternder Stimm: »Dirndl! – Gern habn tust mich! – Ja, Himmel Herrgott!... Geh![424] Wart nur grad a Weil, bis ich mein Ranzl hol; nachher ghör ich dein, so lang als d' mich magst!«

Lief also eilends hinein zum Wirt und fragte um mein Ränzlein. Der aber gab mir auch noch ein verschnürts Päcklein und sagte: »Das hat dir der Beham noch zruckglassen; wirst es wohl brauchen können, meint er! – Und 'n Auftrag soll ich dir noch ausrichten von ihm: Wannst wieder kimmst, hat er gsagt, bist da. Und was sein ghört, das ghört auch dein. Und viel Glück zu der Wanderschaft!« Ach, zu jeder anderen Zeit meines Lebens hätt ich eine solche Red wohl anders hingenommen denn jetzt! – Wär wohl mit beschämtem Herzen wieder eilends zurückgelaufen zu dem herzguten alten Vater und hätt gesagt: »Da bin ich wieder. Nimm mich wieder auf!«

Aber leider Gott war in diesem Augenblick der heilige Geist samt allen seinen Gnaden von mir gewichen, und ich, so voller närrischer Lieb zu der Mamsell, konnt dem Wirt nicht einmal einen gerechten Dank geben für seine Red, geschweige denn ein verständigs Werk vollbringen.

Mein Sinnen und Trachten ging nur noch auf den Besitz der feinen Jungfer, und ich gab mich schon dem Traum hin, mit ihr bald ein lieblichs Eheleben zu führen.

Also nickte ich bloß etlichemal mit dem Kopf, schob das Päcklein geschwind in den Ranzen, hing mir diesen um und lief mit kurzem Gruß hinaus zu dem Mädchen, das mich verwundert ansah und fragte: »Ist das alles, was du hast?«

»Nein, nein!« lachte ich voll Lust. »Hab schon noch was anders auch! – Dich!«

Und wollt sie also gleich auf offener Gassen an mich reißen.

Aber sie schien gar nicht mehr so liebreich wie ehvor und wehrte mir meine Narrheit mit gemessenem Ernst; doch folgte sie mir nach langem Sträuben zu der Steinbank hinter[425] dem Friedhof, daselbst ich ihr sogleich das karmisinrote Seidentuch und auch das Büchlein als Verehrung gab.

Sie dankte mit kargen Worten und sah kaum drauf hin; und über eine Weil fragte sie, ohne mich anzusehen: »Bist du bloß ein Handwerksbursch? Hast du kein Geld?«

»Was? Kein Geld?« rief ich da protzig. »Geld grad gnug hab ich!«

Und zog meinen Beutel und ließ die Kreuzer scheppern. »Mir langts leicht, was ich hab, und für dich verdien ich schon was, wannst mitgehst mit mir!«

Damit steckte ich das Geld wieder ein und kramte in dem Ranzen.

Da griff ich das Päcklein vom Thomas und zog es eilig heraus, indes die Mamsell neugierig fragte: »Was ist denn da drin?«

»Ah, nix Bsunders!« erwiderte ich; denn obgleich ich mir selber gar nicht denken konnt, was es sei, so wollt ich mir doch nicht merken lassen, daß es ein Geschenk des Bildlmachers wär.

Doch öffnete ich es mit Hast und hatte im nächsten Augenblick harte Müh, einen lauten Schrei zu unterdrücken; in dem Päcklein lagen Gulden und Kreuzer, österreichisch und bayrische Münz, ein reichlicher Batzen, und dabei ein Zettel, darauf stand: »Gsegn dirs Gott und komm bald wieder.«

In meine Augen stieg es brennend heiß. Ich starrte auf das Geld und auf das Blättlein Papier und spürte ein Würgen im Hals. Da fuhr die Mamsell kichernd mit der feinen Hand in das Häuflein Münz und jubelte: »O, wie hell das klingt! – Wie ich mir so was wünschte! – Schenk mir doch ein paar von den herrlichen Stücken!«

Gedankenlos sah ich ihr zu und gab ihr etliche Gulden; dann schob ich alles seufzend in den Ranzen, indes ein Gefühl der Scham in mir heraufkroch.[426]

Die Jungfer aber schlang plötzlich in heißer Zärtlichkeit ihre Arme um meinen Hals und schmiegte ihre weichen Wangen an mein Gesicht, gab mir allerhand Koseworte und tat so lieblich, daß ich gar bald alle Reu und Scham vergaß und mir wie verzaubert vorkam.

Und so hab ich leider Ursach, jene Zeit zu beklagen und ihrer mit Scham und Bitterkeit zu gedenken als einer Zeit der Schand und Untreu gegen meinen herzensguten alten Vater, den Thomas, gegen das Andenken meiner allerliebsten Zieheltern und gegen meine alleinige Lieb, die Kathrein.

Denn jene Dirn erschien mir so holdselig und tat so zärtlich mit mir, daß ich ihr willig folgte, als sie mich mit sich nahm zu ihren Leuten. Und also lebte ich gleich den Zigeunern in einer wilden Ehgemeinschaft mit dem Weibsbild, das mir gemeinsam mit jenem Ungeheuer, so sich meine Mutter nannte, meine Kreuzer bis zum letzten aus dem Sack zog und mir alle Ehr und alle Scham raubte.

Da wurd gezecht und gewürfelt Tag um Tag; wurde gewerkt und gelumpt in dem niedern Wagen, der dieser wandernden Komödiantenbrut Heimat und Besitz, Obdach und Elysium bedeutete; und hatte der Herr des Theaters den Segen eines Pfarrers nicht vonnöten gehabt in seiner Eh, so schien mir dieser noch weit weniger notwendig in meiner Liebschaft, die gegen fleißige Lohnung und Geschenke an die Alten von diesen stillschweigend geduldet wurde, bis mein Beutel endlich leer und damit meine Freigebigkeit zu End war.

Bis dahin aber galt ich überall als ein Mitglied der Komedie und hatte auch etliche leichte Rollen eingelernt, um bei vorkommender Untersuchung durch die Obrigkeit bestehen zu können; denn ich besaß weder einen Paß noch sonst Kundschaft, die mich hätten nötigenfalls ausweisen oder empfehlen können.[427]

Im übrigen aber war ich jetzund der Sohn des Theaterweibs und passierte als solcher unangefochten die Tore der Städte, darin wir spielten.

Somit kam ich also in dieser Zeit gar weit umher und lernte viele Orte kennen, wie: Linz, Innsbruck, Salzburg, Rosenheim, Wasserburg und andere; da selbst wir aber überall nur kurze Zeit verweilten und stets nur drei Komödien aufführten; die vom schönen Kätherlein, eine andere, die den Titel hatte: Bodo und Siglinde, oder das Zauberbild, und eine vom armen Heinrich und der Goldelse.

Nun mocht ich also leichtlich ein halbes Jahr in solchem Lumpenleben zugebracht haben, als meine Buhlin eines Tags in der Früh, da wir eben zu Rosenheim im Wirtshaus zur Sonne den Tanzsaal in ein Theater umwandelten, nicht wie sonst lachend und scherzend um mich herumtanzte, vielmehr sich mißmutig über meine traurige Gestalt, meine Mittellosigkeit und bäuerische Art beklagte, endlich hinauslief und den Tag über kaum mehr sichtbar ward.

Und da wir abends vor dichtgefüllten Bänken wieder das schöne Kätherlein spielten und also die Stelle kam, wo sie nach den Zaubereien des Zaranka mit ihrer Mutter wieder auf den Brettern erscheinen sollte, da warteten sie alle vergeblich: die Mutter, der Kupferschmied und die Zuschauer. Das Kätherlein, oder, wie sie sonsten hieß, Liane, blieb verschwunden; Zaranka aber verschwand gleichfalls zu dieser Stund.

Mit Müh und Not brachten wir einen kläglichen Schluß der Komödie zustande und durchsuchten darnach alle Winkel des Wirtshauses und des Wagens nach den beiden, doch vergebens.

Und den andern Morgen fand der Direktor auch den Platz in seinem Strohsack, da sonst seine Geldtruhe lag, leer.

Eine furchtbare Aufregung folgte, und nachdem er und die Alte, die Mutter zu nennen ich annoch heut nicht vermag,[428] genugsam getobt und geplärrt hatten, verlangten sie von mir zwanzig Gulden als Notgeld.

Und da ich ihnen nicht beispringen konnt aus dem einen Grund, weil ich selber nichts mehr hatte, so fielen sie beide mit groben Schmähreden über mich her, und die Alte schrie: »Bist du auch noch ein Sohn deiner Mutter! Läßst mich im Unglück hängen wie jener Hund, dein Vater! – Marsch, sag ich! Fort aus meinen Augen! – Entweder du bringst das Frauenzimmer wieder, oder aber zwanzig Gulden! – Möcht doch wissen, wofür ich einen Sohn habe, wenn er mir nichts zu Lieb tut!«

Mußt also mein Ränzl wieder umschnallen und nach dem Stecken greifen, dabei mir aber trotz aller Traurigkeit ein gar kurzweiligs Sprüchlein einfiel:


Lustig ists auf der Welt,

Ham die Herrn aa koa Geld,

Is für mi aa koa Schad,

Wann i koans hab!


Quelle:
Lena Christ: Werke. München 1972, S. 418-429.
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