Johannes Schröckh

[445] Mit zitternden Fingern und großer Kümmernis und Angst im Herzen schnallte ich mein Ränzl ab und holte umständlich die Kundschaft und das Wanderbuch heraus, unsere liebe Frau wieder einmal brünstig um Hilf angehend und den Magister, der grad anstandslos als Karl Ludwig Harold, Geheimschreiber aus Darmstadt, das Tor passierte, in alle Höllen und Verdammnisse verfluchend.[445]

Eben gab der Bäcker seine Papiere hin, sagte, daß er Philipp Leber heiße und in München Arbeit suche, und folgte darauf ebenfalls ohne Hindernis dem Magister; darnach kam mein Ziehbruder, der Fritz. Der Beamte las laut: »Friedrich Glotz, Stallknecht aus Sonnenreuth, – Ihr sucht Arbeit? – Wird schon was geben. – Könnt passieren.«

Nun war also die Reih an mir, und ich stand allein und verlassen von der ganzen Welt vor dem gestrengen Gendarm, darauf gefaßt, daß er im nächsten Augenblick die Häscher rufe, mich in Fesseln lege und in den nächstbesten Turm sperre als gemeinen Betrüger.

Aber er sagte bloß: »Stimmt. – Könnt passieren.«

Und gab mir den üblichen Gegenschein für meinen Reisepaß.

Noch umständlicher, als ich meine Judasfetzen ehvor ausgepackt, tat ich den empfangenen Wisch jetzt hinein in den Ranzen, sagte dem Alten mit bebender Stimm Pfüa Gott und ging mit schlotternden Knien hinein durchs Tor in die Stadt und ins Tal Mariä.

Lachend standen meine Gefährten vor dem Haus eines Bäckers und empfingen mich mit üblem Spott, darüber ich mich so stark erzürnte, daß ich von ihnen weglief.

Der Magister aber eilte mir nach und redete mir zu, bis ich wieder umkehrte und also mit ihnen beriet, was wir nun anheben wollten.

»Ich weiß schon mein Teil!« sagte der Bäck; »ich geh jetzt zu dem Wecklmeister da hinein, – vielleicht hab ich Glück!«

Und trat also ins Haus, über dessen Tür ein fein geschmiedeter Kranz mit dem Zunftzeichen der Bäcker hing und ein Schild: »ZumDirnbäcken«.

Indessen er drin verhandelte, gingen wir heraußen langsam auf und ab und lugten dabei verstohlen durch die Scheibe des Schiebfensters, dahinter der feiste, mehlbestäubte[446] Meister neben seiner himmellangen Hausfrau stand und dem Philipp seine Kundschaften abverlangte.

Es dauerte eine geraume Weil, eh der Kamerad wieder aus dem Haus trat; da er aber endlich erschien, lachte er voll Freuden und nahm von uns Abschied.

»Bin schon gedungen!« sagte er. »Ist ein guter Herr, der Meister. – Drei Tag Prob ums Essen, – darnach fix auf drei Jahr, wann ich mich gut halt. – Herrgott, bin ich froh drüber! – Ich wünsch euch das gleiche Glück! – Und ...«

Er langte in den Sack und zog alle seine zusammengefochtenen Groschen und Kreuzer hervor: »Da – teilts es fröhlich miteinander! – Und jetzt bhüt euch der Himmel!«

Wir wünschten ihm alles Glück und nahmen sein Geschenk gern an. Dann versprachen wir ihm, zum nächsten Sonntag vor dem Haus zu stehen und auf ihn zu warten.

Und also gingen wir, indes er seine Ballonhaube schwenkte und wieder ins Haus trat.

Im Tal Mariä war schon lautes Leben und Treiben, da wir so durchmarschierten. Schwerbeladene und mit feisten Ochsen bespannte Bierwägen kamen aus einem Bräuhaus, aus der Hufschmiede daneben drang beißender Rauch und das Fluchen der Gesellen. Vor der Werkstatt eines Sattlers hielt eine Staatskarosse, während daneben aus der Hochbruckenmühl die weißen Mahlburschen mit schweren Säcken aus dem Tor keuchten und einen Wagen beluden. Kraxenweiber und feine Kochmamsellen, alte Bauern und junge Gecken liefen durch die Gassen; prunkvoll in Samt und Seide gekleidete Bürgersfrauen und silberstrotzende Männer kamen aus einer Kirchen. Ein Tändler stand unter seiner Ladentür, hatte eine endsgroße Brille auf der Nase und stäubte und blies an einem alten Ministerrock und schimpfte nebenzu grimmig auf den Gestank, welchen der Weißgerber mit seinen Häuten und Fellen um sich verbreitete, da er sie vom Karren hob und ins Haus trug. Ein[447] Fuhrwerk mit feinem weißen Sand zum Fegen der Böden und Bänk stand vor dem Wirtshaus zum Löffelwirt, und der Lenker des alten, hinkenden Schimmels schrie in langgezogenen Tönen: »Weiß Saand!« Dabei er aber von einer buntgewandeten Jungfer, die zwo Fäßlein in einer Kraxe am Rucken trug, überschrien wurde; denn sie lockte die Frauen und Kochdirnen ringsum aus den Häusern mit ihrem Ruf: »Rührmilli und Butter!«

Ein alter, zusammengeschrumpfter Salzstößler mit erfrornen Backen und tröpfelnder Nase stand hinter der trüben Scheibe seines Ladenfensters und sah neidig auf die schweren Kisten und Ballen, die daneben vor dem Tor des reichen Handelsmannes und Seidenhändlers abgeladen wurden, indes ein Gendarm dabei Wache hielt, daß nichts gestohlen wurde. Zwei Diener liefen mit einer Sänfte, darin ein steinalts Männlein mit langstieligem Spekulierglas und gepuderter Perücke saß, dem Ratstor zu und stießen dabei schier einem Burschen seine zwei großmächtigen Käsräder vom Kopf, die er eben aus einem Gewölb trug.

Vor dem Haus eines Branntweinbrenners hielt der Magister an und sagte: »Jetzt gehn wir einmal zuerst da hinein auf ein Glas Bittern. Und dann reden wir weiter!«

Also traten wir ins Haus, das man den Heiliggeistbranntweiner hieß, und darin schon männiglich Leut beieinander saßen und standen: Alte und Junge, Bauern, Händler, Handwerker und Bürger, ihr Stamperl tranken oder etliche Krüg füllen ließen und daneben sich mit jedermann anließen und unterhielten.

Und da wir also unsere himmelblauen und grünen, gepreßten Gläslein nahmen und auf gut Glück anstießen, trat einer zu uns, ein aufgeblähter, rotkopfichter Mensch mit schweren Silberknöpfen an seinem braunen Rock, und fragte leutselig, wo wir herkämen.

Sagten wir: »Von den Bergen – Arbeit suchen.«[448]

Darauf er unser Gewerb wissen wollt und jeden drum fragte.

Der Magister aber nannte ihm willig statt unser alles: »Der ist ein guter Stallknecht für Ochsen und Küh, Rindvieh und Roß«, sagte er vom Fritz; »der da ist ein Maler oder Anstreichritter – zwar nicht groß, aber ein firmer Gsell«, rühmte er von mir und meinte dann von sich selber: »und ich bin ein alter Schreiber, Sekretär und Stiefelzreißer.«

Der ander betrachtete uns eine Weile prüfend; dann fragte er meinen Ziehbruder: »Kann er melchen?«

»Freilich!« sagte der Fritz; »melken und buttern, füttern und stallräumen. Und in der Feldarbeit da fehlt sich auch nix.«

Worauf sich der Alt noch ein Glas Schnaps einschänken ließ und die Papiere des Bruders zum Durchschauen verlangte.

»I bin Millihandler«, sagte er darnach; »i kunnt di schon ganz gut brauchen; – was verlangst denn?«

»Was halt der Brauch ist«, erwiderte der Fritz; »ich mach mein Sach richtig und laß nix über mein Vieh kommen. – Was zahlts denn?«

»No ja«, meinte der Milchhändler bedächtig und trank; »no ja. I gib dir, was recht is: vierazwanzg Gulden im Jahr und ein Paar Schuh. Nach zwo Jahr vier Gulden mehr, und den Drangulden extra.«

»Jawohl«, sagte der Fritz; »so, wies halt der Brauch ist. – Um das möcht ich schon anfangen bei Euch!«

»No ja, nachher is ja alles recht und richti!« erwiderte der Alt und zog einen gestrickten Geldbeutel aus der Hose. »Nachher gib i dir also glei dein Drangeld, und du gehst auf der Stell mit.«

Also war auch der Fritz gut unter Dach. Der Magister aber sagte: »Kann man vielleicht inne werden, wo Euer Sach ist, Herr? – Er bekümmert mich, der junge Kampel!«[449]

»Dees kinnts scho inne werden«, erwiderte ihm der Alt. »I bin in der Salzgassen und hab a schöns Sacherl. Bei mir hoaßt mans zum Fischer Simmerl; könnts schon amal kommen zu eahm auf d' Nacht nachn Feierabend.«

Ach Gott, wie war mir in dieser Stund elend in meinem Gewissen! Denn ich gedacht mit Angst und Grausen des Augenblicks, da auch an mich die Frage käm: »Wer und was – woher und wohin?«

Er kam leider nur zu schnell, dieser Augenblick! Denn der Milchhändler wandte sich an einen hageren, weißhaarigen Mann, der hinter dem Schanktisch beim Branntweiner stand und ein gemaltes Schild in Händen hielt, mit den Worten: »Behringer! – He, Behringer! – Geh amal her! – Hast nit du gsagt, daß dir a Junggsell mangelt in deiner Werkstatt?«

Der Angeredete ging auf uns zu und fragte: »Warum? – Hast leicht oan?«

»Jawohl, Euer Gnaden!« rief da geschwind der Magister und nahm mich bei den Schultern: »Wenn Euer Gnaden geruhen wollten, den Burschen auf eine Probe zu dingen! – Er ist ein Vetter von mir, – versteht sein Sach von Grund aus, – kann bloß mit den Leuten nicht recht umspringen. – War ja auch sein Lebtag immer bei der eigenen Freundschaft; – gewöhnt sich aber schon noch an die fremden Leut. – Welchen Zweig der edlen Malerei pflegen Euer Gnaden, wenn man fragen darf?«

»Mir tean vergolden und Figuren von die Herrn Bildschnitzer bemaln«, erwiderte der Meister; »der Dreßler in der Hackenstraß und i – mir san die oanzign von dem Fach. – I hab halt zwoa Altgselln und vier Junggselln in der Werkstatt, ohne die Lehrbubn. – Wie heißt er denn, der Krowat? – Hat er Kundschaft?«

»Schröckh, Euer Gnaden!« beeilte sich der Magister statt meiner, der ich dastand wie Sankt Sebastian mit den fünfzig[450] Pfeilen im Leib; »Johannes Schröckh. – Hallo – geschwind deine Flebben, Bursch! – Nur nicht so verdattert, mein Lieber! – Der Meister wird bald genug Respekt vor dir kriegen!«

Langsam, als tät ich mein Halstüchl ab, damit mir der Scharfrichter den Kopf leichter abhauen kunnt, holte ich die verfluchten Hadern heraus und gab sie dem Magister hin, denkend, es wär wohl das Best, wenn mir unser lieber Herr in dem Augenblick geschwind einen sanften Tod schenkte.

Aber ich blieb lebend und gesund und hatte eine Weil darnach einen brennenden Dinggulden in der Hand.

Der Magister aber bedankte sich mit geschraubter Red bei dem Meister und fragte, ob er mich einmal aufsuchen dürft mit Verlaub Seiner Gnaden.

»Aber gwiß!« sagte dieser. »Kommts nur, wenns Euch beliebt! – Ich habs gar nit ungern, wann hie und da eins von der Freundschaft ein bißl dahinter steht mit der Fuchtel! – Sie schlagn dann nit so leicht über d' Sträng, find ich!«

»So ists!« sagte der Erzgauner, der scheinheilige. »Und wo sind Euer Gnaden zu finden, wenn man fragen darf?«

»Ja so«, erwiderte ihm mein Meister; »also, wenn Ihr Euch merken wollt: Christian Behringer is mein Nam; Mal- und Vergolderwerkstatt, – glei da drüben im Hackenviertel; – Brunngassen. 's erste Haus linker Hand, wenn man von der Hundskugel rein kommt. – Unser liebe Frau steht groß über der Haustür in der Nischen.«

Da bedankte er sich noch einmal, der Magister, gab mir gute Lehren und schöne Wort und versprach, mich am Sonntag nach dem Essen zu besuchen, mit Verlaub.

Ich aber wußt nicht Red noch Antwort, fühlte nicht Schmerz noch Lust und stand auf meinem Fleck, indes in meinem Hirn der eine Gedanke umging: »Gfehlt ists! – Aus ists! – Du bist ein Lump!«[451]

Mittlerweil hatte sich der Milchbauer mit dem Fritz auf den Weg gemacht, und der Magister nahm nun ebenfalls von uns Abschied, trank sein Glas aus und ging.

Da gab ich mir einen Ruck und dachte, wenn ich erst einmal eine Weil bei dem Meister wär und er keine Klag über mich hätt, dann kunnt ich ihm ja leichtlich alles erzählen.

Und bis dahin würd es schon gehen mit der Hilf Gottes.

Ging also mit ihm und trat hinaus in die sonnbeschienenen Gassen und folgte meinem Meister durch das feinbemalte Ratstor über den Marktplatz mit der lieben Frau auf der Säulen, vorbei an den Ständen der Händler und hinein in schmale Gassen und enge Winkel, bis wir endlich zu dem Haus mit der großen Madonna kamen.

Aufrecht ging ich durchs Tor und hinein in die Werkstatt, da der Meister mir meinen Platz neben einem Altgesellen anwies und sagte: »Also, Hans, probiern wir's halt in Gottsnam.«

Nun hatte ich also eine Arbeit, einen Meister, einen Platz beim Altgesellen – aber kein Gewand, wie es die zünftigen Maler gemeiniglich bei ihrem Schaffen tragen.

Sagte also derhalben zum Meister: »Es wär mir lieb, Meister, wann ich gleich meine Kluft ablegen kunnt und ein anders Gwand anlegen. Auch hab ich mir noch um kein Logis gschaut.«

»Das kannst im Haus haben«, erwiderte der Meister; »bei mir loschiern alle im Haus, die bei mir werken! – Habs nit mit den Auswärtsschlaf ern! – Hängt sich leicht allerhand an! Und – was ich sagen will, – Kittel und Schawer findst da hint, in dem Kasten, was d' brauchst.«

Also suchte ich mir meinen Habit aus und folgte darnach dem Meister hinauf unters Dach, da drei niedere Kammern für die Gesellen gerichtet waren mit sauberen Betten, blechernen Waschschüsseln und steinernen Wasserkrügen.[452] Vor jedem Bett stand ein blank gescheuerter Hocker und eine niedere Truhe, und an der Wand hing ein einfacher Herrgott, mit Palmbüscheln und Antlaskränzlein geschmückt. In den geblümten Zeugvorhängen steckten allerhand Zunftzeichen und Anhängsel, Blumensträußlein und bunte Bänder, und auf einem Fensterbrett stand einschichtig ein magerer Rosmarinstock.

Der Meister hatte derweil seine Ehefrau gerufen; und die lächelnde, rundliche Meisterin mit ihrem blonden Haarschopf, darin ein großmächtiger, geschnitzter Hornkamm steckte, rief mit heller Stimm, indem sie eilig ihre blumenbestickte Leinenschürze zurückschlug und glättend über die Kissen eines Bettes strich: »Ja, was is dees, Vater! – Ham ma scho wieder oan! – So so! – Na, dees is recht. – Wie heißt er denn? – Is er auch brav und ordentlich? – Und gsund? – Kennt er unsern Herrgott noch? – Geht er schön in d' Kirch? – Er hat doch hoffentlich kein Schatz? – Gwiß nit? – Also – dann ists recht. – – Acht gebn aufs Bett! – Kein unnützen Dreck ma chen! – 's Bettgwand nit zreißen! – Öfters beichten gehen! – Den Boden nit vollspaizen und 's Waschwasser nit in d' Dachrinn gießen! – Und nit streiten! – Und im Haus Filztapperln tragen! – Also.«

Und sie nickte mir freundlich zu, ließ die Schürze wieder fallen und lief die Stiegen hinab, daß ihr Schlüsselbund rasselte.

Da zog ich mich eilig um, tat einen Stoßseufzer und folgte darnach dem Meister wieder in die große, lichte Werkstatt, in der überall Engel und Heilige, Madonnen und Wandherrgotte umeinanderlagen und standen; bald aus Holz, bald aus Gips, alabasterne und steinerne, bemalte und vergoldete.

Hier strich einer frisch an dem lichtblauen Mantel der Himmelskönigin, dort malte einer die Schuhriemen des heiligen Florian; der rieb auf einer gläsernen Platte emsig[453] die Farbe an, und jener setzte eben goldene Sterne auf das Gewand eines Cherubs.

Der Altgesell aber, dem ich zur Hilf zugeteilt ward, malte kunstvoll das Antlitz eines Herrgotts am Kreuz; bleich, mit bläulichem Unterton, die halboffenen Augen voll Schmerz und Leid im Ausdruck.

Etliche Lehrlinge liefen geschäftig mit Farbtöpfen und Goldlackhäfen herum, wuschen Pinsel, trugen den Gesellen Öle oder Paletten, Töpfe oder Näpfe zu und machten dabei ihre Späße und Umtriebe.

Der Meister holte derweil einen Pack leerer Wandkreuze, legte sie für mich hin und sagte: »So, die müssen sauber schwarz gstrichen werdn. – Der Benno soll dir's Farbhaferl bringen und Pinsel! – Gregori, schaugst ihm halt hie und da auf d' Finger, daß ers recht macht, sein Sach!«

Mein Altgesell nickte, und ein Lehrbub brachte mir alles, was ich brauchte.

Also begann ich meine Arbeit, die ich wohl begriff; denn ich hatte schon beim Bildlthomas viele Rahmen bemalt, gestrichen und vergoldet.

Der Gregori brauchte kein Wort zu reden und war mit dem Anfang so wohl zufrieden, daß er am Mittag zum Meister sagte: »Schafft gar nit schlecht, der Binkel! – I denk, mir lassen ihn morgen bei den Birchmayer-Aposteln 's Grundiern anfangen.«

Was mir einen wohlgefälligen Blick vom Meister eintrug.

Um die Essenszeit begann es in der stillen Werkstatt plötzlich lebendig zu werden, und die schweigsamen Gesellen fingen an zu scherzen und zu singen, zu lachen und zu pfeifen, bis es ringsum von den Kirchen und Kapellen zum Mittag läutete.

Da stellten sich alle auf einen Haufen zusammen, wandten sich gegen Aufgang der Sonne, da in der Ecken ein mattes[454] Öllicht vor einem dornengekrönten Herrgott an der Geißelsäule brannte, und beteten laut den Angelus Domini und das Tischgebet.

Darnach rief einer dem andern einen guten Tag zu, wünschte ihm einen gesegneten Appetit und wusch sich in einem Schaff voll Lauge die Händ, worauf man sich der Arbeitskleider entledigte und zum Tisch ging.

Da trat man zu ebener Erd in eine geraumige Stuben, darin in der Mitte ein endsgroßer Tisch aufgedeckt war. Ringsum standen schwarze Lederstühle, und an der Wand neben dem Kachelofen war ein ledernes Kanapee, darauf der Meister saß und in der Zeitung blätterte.

Ein Kommodkasten, darauf eine Stockuhr, ein Christkind unter einem Glassturz, ein Arbeitskorb und ein Zinnkrug standen, ein Wandschränklein und ein Spinett machten die Einrichtung fertig.

Man wünschte also dem Meister guten Appetit und setzte sich, nachdem er zuerst Platz genommen, rings um die Tafel.

Lächelnd trug die Frau Meisterin eine endsgroße Schüssel voll aufgeschmelzter Brotsuppe mit Zwiebeln auf, wünschte, man möcht sichs schmecken lassen, und schöpfte sich darnach ein wenigs in einen zinnernen Teller, während der Meister mit uns gleich aus der Schüssel aß.

Da gings in schönem Takt und guter Ordnung: erst der Meister, dann der Gregori; darnach der zweit Altgsell, die Junggsellen, dann ich und drauf die Lehrbuben. Den letzten Löffel hatte noch der Meister.

Nun brachte die Meisterin jedem einen hölzernen Teller und stellte eine Schüssel voll Knödel, eine Platte mit dünnen Fleischschnitzeln und einen Hafen voll Kraut auf den Tisch.

Dazu ging der Brotlaib und der Wasserkrug die Runde, und schweigend hielt man seine Mahlzeit, bis der Meister[455] das Wort ergriff und etwas über den Tisch fragte. Da durfte ein jeder schwatzen und wohl auch einen Spaß treiben, bis die Hausfrau an ihren Teller klopfte, aufstand und mit singender Stimme den Dank für Gottes Gaben betete.

Nach diesem sagte ein jeds »Gelts Gott« und begab sich gemächlich wieder in die Werkstatt, da dann geschafft wurde bis um drei Uhr. Drauf wurde gevespert und darnach der Tag mit fleißigem Tun beendet.

Nach Feierabend gings an ein großes Waschen und Kämmen; denn die Meisterin als eine adrette Frau liebte nichts Ungepflegtes und hätte gewißlich jeden, der unsauber zum Nachtkaffee gekommen wär, vom Tisch gewiesen.

Mein Altgsell, der Gregori, hatte gleich Freundschaft mit mir geschlossen und schlug mir nun einen kleinen Spaziergang vor, dazu ich gern ja sagte.

Noch etliche waren dabei, und so gingen wir unter heiteren Gesprächen ein wenig hinters Haus, durch einen schönen Garten mit barocken Sandsteinfiguren, Brunnen und Bänken, vorbei an einem kleinen Pavillon mit einem Eisengitter um den Balkon, wie Filigran so fein und durchsichtig; über einen schmalen Fußweg durch eine Wiese und zu einem Bach, daselbst wir die Füß ins eisige Wasser hingen und die andern mein bisherigs Leben und Treiben aus mir herausfragen wollten. Da wurde leider mein eingeschlafens Gewissen wieder erweckt, und ich gedacht mit großer Trauer meines Leichtsinns, diese Schwindelfetzen vom Magister angenommen zu haben.

Kunnt auch in der Folg nicht gar froh werden trotz aller Lieb des Meisters und der Freundschaft meiner Kameraden; denn es bedrückte mich, daß alles dies nicht mir, sondern einem Fremden galt, der vielleicht in Wirklichkeit irgendwo am Galgen baumelte oder noch gar nicht zur Erden geboren war.[456]

Und ich nahm mir wohl hundertmal vor, dem Meister alles zu beichten; dazu es aber leider Gottes niemals kam aus feiger Furcht, es möcht mich die Achtung der andern und die Lieb des Meisters kosten.

Zudem arbeitete ich mich täglich besser ein in mein Handwerk und tat es schier dem Gregori gleich. Hatte auch wieder angefangen zu schnitzen und schenkte bald dem einen, bald dem andern ein geschnittenes Schächtlein, einen Rahmen oder ein Figürl.

Und da ich einst mit dem Gregori zu einem Bildhauer in der Hundskugel kam, betrachtete ich mit heißer Gier die Werkstatt und die Geräte, die Modelle und Zeichnungen und bat schließlich den Meister Birchmayer, der eben aus einem Haufen Lindenstöck etliche aussuchte, er mög mir doch ein Scheitlein schenken, weil ich auch diese Kunst probieren möcht.

Worauf mich der Künstler einen Augenblick streng prüfend ansah, darnach lächelte und sagte: »Gerne! – Wenn du glaubst, du kannst es, so mach nur einmal was Rechtes! – Aber ich fürcht, es wird dir doch nicht so fein von der Hand gehen, wie du es im Kopf hast!«

Damit gab er mir verschiedene weiche Hölzer, fragte, ob ich auch Werkzeug hätt, und meinte zum End: sehen möcht ers aber doch schon ganz gern, was ich zustand brächt.

Heißa! Da saß einer von nun ab jeden Tag nach Feierabend bei seinen Klötzen, schnitzte und schabte, linste und paßte und hielt sein Werk alle Augenblick prüfend vor sich hin, ob alles recht würd!

Und nach Verlauf etlicher Wochen stand ich mit klopfendem Herzen wieder beim Meister Birchmayer und hielt ihm das Tuch hin, darein ich meine Schöpfungen sorglich gewickelt hatte: eine Statuette der Madonna, einen Christus am Kreuz und zwei Leuchter.[457]

Starr sah mich der Meister an, schüttelte nachdenklich den Kopf, betrachtete die Dinge lange und sagte schließlich, indem er den Christus in der Linken hielt und leise mit den Fingerspitzen der Rechten darüberstrich: »Wer hat dich denn das gelehrt?«

»Niemand«, erwiderte ich ihm; »ich hab schon als kleiner Bub geschnitzelt; – und mein Kathreinl ...«

Erschreckt hielt ich inne, und eine heiße Röte stieg mir ins Gesicht. Der Künstler aber sagte lachend: »So so! Auch schon verliebt! – Na – ist ja deine Sache! – Also – dein Kathreinl ...?«

Voller Verlegenheit sagte ich ihm nun, daß die schon einen Haufen solcher Dinge von mir hätt und daß ich schon oft gedacht hätt, ich möcht einmal auch was ganz Großes, Gutes zuwegbringen.

Da legte der Meister meinen Christus wieder hin und sagte: »Ich will dir dazu helfen. Laß die Stücke hier liegen, bis mein Freund Boos hier war, dann sehen wir weiter. Und komm am Sonntag wieder. – Übrigens: wie heißt du denn eigentlich, und wer sind deine Eltern?«

Mir war, als hätt mich ein Schlag gerührt bei dieser Frag. – Starr und hilflos blickte ich auf meinen Herrgott und die Madonna, – und dann kams mir plötzlich wie Wasser von den Lippen: »Eltern hab ich keine. Mathias Bichler heiß ich und aus Sonnenreuth bin ich. Meine Zieheltern waren die Meßmersleut von Sonnenreuth. Beim Weidhofer hat mans gheißen. Und mein Kathreinl ist jetzt die Lackenschusterin von Sonnenreuth. Bei der hätt ich als Viehbub dienen sollen und bin davon.«

Und erzählte ihm meine Schicksale bis dahin, wo ich die Komödiantenbrut kennengelernt hatte.

Aber da kam ein hochbetagter Herr mit einer ältlichen Mamsell, ein Freund des Meisters, wie es schien, und ich mußte gehen.[458]

Mit herzlichen Worten reichte er mir noch die Hand und sagte zuletzt: »Komm ja wieder! Du freust mich. – Und nimm dir wieder ein paar Holzklötze mit!«

Band mir also etliche in mein Tuch und geleitete mich hinaus.

Leichten Herzens lief ich heim und tat, was ich seit langem nicht mehr getan, – sang und jodelte, juchzte und pfiff aus übergroßer Freud.

In den nächsten Wochen aber schnitzte ich meiner Meisterin eine zierliche Madonna und dem Meister einen feinen, verschnörkelten Rahmen zu seinem Bild, das ihm der Gregori als Silhouette geschnitten hatte; darüber groß Lob und eitel Freud im Hause herrschte.

Es mocht jetzt so ein halbs Jahr sein, daß ich in dem Haus des Malers lebte und die Heiligen anstrich; hatte auch eine fröhliche Weihnacht daselbst gefeiert und mich gut eingewöhnt.

Da rief mich eines Sonntags der Bildhauer Birchmayer zu sich und erklärte, ich kunnt bei ihm ohne jedes Lehrgeld als Jünger eintreten, sobald ich wollt. Seine Freunde Muxl und Kobell sowie der alte Professor Boos, der neulich mit seiner Tochter grad dazugekommen wär, als ich ihm meine Werke überbracht hätte, seien gern bereit, mich zu unterstützen, damit was Ordentlichs aus mir würd.

Mit Tränen in den Augen erfaßte ich seine Händ und brachte doch kein Wort des Danks hervor.

Und dann lief ich davon und eilte heim, meinem Meister sogleich die Botschaft zu bringen und ihm zugleich die Wahrheit über meine Person zu sagen.

Aber es war leider kein Mensch zu Hause, und ich mußts bleiben lassen.

Ging also langsam durch die Stadt, bis mir mein Ziehbruder und die andern zwei Gesellen einfielen; denn der Magister hatte sich noch nicht einmal bei mir blicken[459] lassen, und auch ich war die ganze Zeit über niemals mit einem oder dem andern zusammengekommen aus eben der Ursach, mein wirklicher Name möcht dadurch an den Tag kommen.

Und so überlegte ich grad vor dem Kaffeehaus zum schönen Turm, ob ich nicht einen von ihnen – etwan den Fritz – aufsuchen sollt, als mir unser Gregori auf die Schulter klopfte und sagte: »He, Hansl! – Bist auch alleinig? – Magst nit mitgehen in die Tanzschul? – Menuett und Deutsch lernen? – Kost bloß zwei Gulden fürs Jahr!«

War mir nicht bsunder angenehm, daß ich sollt da mitgehen; aber ich fragte doch, wo es wäre, darauf der Gregori sagte: »Drunten beim Kosttor, – in der Arch Noe. – Gibt allerhand Leut und Madeln dort: Bäcken, Müller, Knecht und Mägd, Kocherln, Nahterinnen und halt allerhand. – Is ganz lustig dort; – der Gerstenegger Hiasl, ein Schustergsell, hat die Gschicht über sich. – Also, was ists? – Gehst mit?«

Und schob also seinen Arm in den meinen und nahm mich mit durch die Stadt, da wir hinab zur Kosttorkasern mußten, wo auch der Falkenturm, ein hartes Zuchthaus, und die churfürstlichen Hofställe standen.

Auch hier floß ein Wasser durch, der Kainzmüllerbach geheißen; eine Brucken führte grad vor dem Wirtsgarten drüber, und über eine kleine Stiegen hinab kam man in das Haus, auf dessen Fassade eine gut gemalte Arche Noe prangte.

Wir begaben uns erst in die vollbesetzte, allgemeine Wirtsstube, einen dunklen, verräucherten Raum, über dessen Wände sich uralter Epheu hinspannte und den vielen Heiligenbildern samt dem Gemäld des verstorbenen Churfürsten Carl Theodor eine feine Zierde gab. Von der Weißdecke hingen an Ketten etliche Glaskästen, darin die Wahrzeichen verschiedener Zünfte in überaus zierlicher[460] Darstellung prangten. So sah man in dem einen die getreue Nachbildung eines churfürstlichen Prunkwagens samt Pferden und Kutschern, Dienern und Lakaien. In einem andern waren eine Menge winziger Hüte aller Zeiten und in allen Formen und Farben aufgeschichtet, und wieder ein anderer enthielt einen ganzen Bienenkorb aus Wachs, mit feinen wächsernen Blumen verziert, darauf Bienen von der gleichen Materie saßen.

Rings an den Wänden waren Rehköpfe aufgemacht, daran die Gäst ihre Hüt und Hauben hingen.

An einem der niederen Fenster saß ein kleiner Affe mit einer Miene wie ein alter, verkümmerter Schulmeister, wiegte sich auf der schaukelnden Stange und klopfte dazu, so oft er draußen jemand kommen sah, an die Scheiben.

Ab und zu sprang er von seiner Stange, kletterte, so weit ihn seine Kette ließ, am Epheu entlang und schaute neugierig und interessiert hinüber zum andern Fenster, da wohl leichtlich an die dreißig Vögel in einem geschnitzten, mit Türmen und Fähnlein gezierten Flughaus sangen und lärmten.

Plötzlich stieß er einen quiksenden Schrei aus und kehrte hastig wieder zurück auf seinen Platz.

Indem ich den wunderlichen Burschen noch betrachtete, zupfte mich der Gregori am Ärmel und sagte: »Gehn wir wieder, – es ist niemand da, den ich kenn.«

Und führte mich also hinauf über eine Stiege in den Tanzsaal, wo männiglich beieinanderstand, fein in Paare gericht und auf den Beginn der Musik harrend.

Nun gab der Tanzmeister mit seinem langen, bandgeschmückten Stab ein Zeichen in die Ecke, wo auf einem Podium zwei Bläser und ein Geiger saßen, zählte: »Eins – zwei – drei – eins!« und der Reigen begann.

Wir drückten uns unbemerkt in einen Winkel und sahen zu, indes die Paare stampfend oder schleifend, wirbelnd[461] oder drehend an uns vorübertanzten und der Meister bald diesem, bald jenem Paar einen Wink gab.

Nach beendetem Reigen rief der Lehrmeister etliche Tänzer beim Namen und sagte: »Oh! Oh! – Was war das für ein Gehopse, Jungfer Gertraud! – Sag ich Euch nicht immer, Ihr sollt nicht so konfus herumhüpfen! – Und Ihr, Mosjö Engelbert! – Wo habt Ihr denn Euern linken Arm wieder hinplaziert! – Mamsell Kuni! – Nicht doch – nicht doch! – Ihr verdreht ja die Augen beim Walzen, als seien sie Wagenräder! – Und Ihr da hinten – Mosjö Benno! – Nicht so stampfen, sag ich! – Muß denn wirklich alle Welt wissen, daß Ihr ein Bräuknecht seid! – Eleganter, sag ich, – eleganter! – Nun noch einmal!«

Und der ganze Reigen wurde wiederholt.

Diesmal gings zur Zufriedenheit des Meisters; denn er lächelte freundlich, nickte beifällig bald diesem, bald jenem Paar zu und rief entzückt: »Scharmant! – Ich applaudiere! – Admirabel! – Grandios! – Es ist gut, – wir wollen pausieren!«

Während der Pause stellte mich der Gregori dem Meister Gerstenegger vor und sagte, daß ich die Absicht hätte, bei ihm das Tanzen zu lernen; darüber der Geck schier krumm wurd vor lauter Katzbuckeln und sagte: »Ah! Scharmant! – Ich habe die Ehre, Mosjö, Herr Baron! – Meine Referenz! – Freut mich, freut mich! – Mit Vergnügen zu dienen, Euer Gnaden! – Aber – pardon – für heute, bitte ich, bloß gefälligst zuzusehen! – Pardon! – Gehorsamster Diener, meine Herren!«

Er verbeugte sich noch einmal und schwänzelte darnach durch den Saal an einen kleinen Tisch, daselbst er sich mit Bier und Käs erfrischte. Wir machten uns nun an eine der Gruppen an, die längs der Wand auf ledergepolsterten Bänken Platz genommen hatten, aßen und tranken und sich lachend und scherzend unterhielten.[462]

Hier packte eben ein schwarzhaariges Kocherl ein feistes Ganshaxl aus und legte es ihrem Tänzer mit süßem Lächeln auf die Knie; dort steckte ein Bäcker in lichtblauer Uniform seiner Partnerin eine feuerrote Nelke aus Papier an die Brust; wieder andere stießen auf ihre Gesundheit an und machten allerhand Witze, die der Gregori münchnerisch nannte.

Eine große, blasse Jungfer aber saß ganz allein bei einem Gläslein Met und hatte niemand, der sich mit ihr unterhielt.

Zu dieser setzte ich mich nun und wünschte ihr einen guten Tag.

»Seid Ihr ganz allein da, Jungfer?« fragte ich.

»Jawohl«, erwiderte sie; »meine Freundin, die sonst immer mit mir hergeht, ist leider Gott krank.«

»Lernt Ihr auch tanzen – mit Verlaub?« kam ich wieder.

»Ei freilich!« lachte sie; »sonst wär ich wohl nicht da!«

»Ganz richtig«, meinte ich verlegen; »darf man vielleicht wissen, – wer und was?...«

»Ei, sieh da!« rief das Mädchen auf solche Red hin aus; »wie kommt Ihr mir vor, Mosjö! – Hat eins schon so was erlebt! – Fragt mich der Gischpel um meine Privatsachen und sagt nicht einmal, wie er heißt! – Ein sauberer Kavalier!«

Und machte also, daß ich vor Verlegenheit nicht mehr aus noch ein wußte.

Aber mein Kamerad war derweil wieder zu mir getreten und half mir aus der Klemm: »Oho! Jungfer Lisbeth! – Nit so aufbegehrn! – Der Jungherr ist mein Kamerad – ist ein zermer Künstler und ein feiner Bursch! – Der kriegt andere auch noch, wie so eine einschichtige Flickmamsell! – Gell, hat dich dein Schorschl heut versetzt! – Da drüben hockt er, – schau! – Bei der schönen Christl – bei deiner Freundin!«[463]

Nun erbarmte sie mir doch; denn sie wurde erst rot, dann bleich und sagte bloß halblaut: »Geh zu, – boshafter Mensch!«

Worauf sie der Gregori noch einmal spöttisch ansah und dann zu einer der Gruppen trat, bei denen es am lautesten zuging.

Ich aber blieb nun bei der traurigen Jungfer, setzte mich neben sie und fing ein Gespräch mit ihr an.

Sie war nun recht freundlich, und wir unterhielten uns gar gut, indes ihre bleichen Wangen langsam wieder Farbe bekamen.

Und ehe der Tanz wieder begann, fragte ich sie noch schnell um ihre Häuslichkeit und versprach, sie zum nächsten Sonntagskurs abzuholen; darüber sie gar nicht ungehalten war. Mittlerweil wurde es gemach Zeit, daß wir ans Heimgehen dachten, und der Gregori nahm meinen Arm und zog mich aus dem Saal.

Und also trabten wir gemütlich durch die matt erleuchteten Gassen und gingen heim, da schon die andern in weißen Hemdsärmeln um den Tisch in der Eßstube saßen und diskutierten, bis die Frau Meisterin im Sonntagsstaat mit Locken und silbernen Nadeln, mit gesticktem Mieder und goldener Riegelhaube ein trat und eine große Platte mit Würsten auftrug, jeden fragte, ob er auch in der Vesper oder im Rosenkranz gewesen wär, und daneben eine Schüssel voll Kraut herumreichte, indes der Meister am Kanapee lag, die Stirn in Falten zog und nach dem Bierkrug rief. Darauf ihm die Meisterin sein gottslästerliches Saufen vorhielt und ihn zu Bett brachte.

So ging also der Tag um, der letzte, den ich als ein Malergsell verlebte; denn schon der ander Morgen brachte mir ein Ereignis, das die Wahrheit des Sprichworts wieder einmal klar bewies: So sich einer die Suppen einbrockt, soll er sie auch auslöffeln.[464]

Quelle:
Lena Christ: Werke. München 1972, S. 445-465.
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