Nro. I

[370] Es sind vor einiger Zeit auf 66 Seiten in klein8vo, ohne Namen des Verfassers und Druckers, herausgekommen: »Bemerkungen über des Herrn Oberkonsistorialrats und Generalsuperintendenten, Johann Leonhard Callisen, Versuch über den Wert der Aufklärung unserer Zeit. Sirach Kap. V. V. 14 und 15. 1795.«

In dieser Schrift kommt p. 32 folgende Stelle vor: »Mein Feind ist nur der, und mein erklärter Feind, der mir auf meinem Wege durchs Leben die Fackel ausblasen will, die mir leuchtet, oder andern den Wink gibt, ich sei ein Mordbrenner*.«

Und darunter steht eine mich betreffende Note, wie folget:


*»Herr Claudius hat neulich in der Hamburger Neuen Zeitung eine Fabel einrücken lassen, die von seiten der Dichtung und des Inhalts, gleich bemerkenswert ist. Sie scheint in einem Anfall von Furcht über das Lektüren unserer Zeit (wie er sich ungemein naiv ausdrückt) entstanden zu sein, und gibt sehr verständliche Winke.

Man hat Herrn Cl. zu scharf beurteilt. Einige meinten, der alte Wandsbecker Bote, müsse, da er seit einiger Zeit ein höchst langweiliger Gesellschafter sei, nun allein wandern und habe selbst Langeweile. Er gebe das Botengehen an, und das sei ein löblicher Entschluß. Aber aus Verdruß wolle er nun, durch einen losgelassenen Bären, die Landstraßen unsicher machen, und das sei nicht fein. –

Aber warum diese Anwendung? Herr Cl. dichtete ja nur eine Fabel. Das Wahre an der Sache, das Blatt aus der Chronik der Quadrupeden,[370] worauf das Faktum mit historischer Genauigkeit erzählt wird, ist ihm so gut wie mir bekannt.

Einem alten genialischen Pavian, der durch seine Schnurren Hof und Land eine Zeitlang mit ziemlichem Glücke belustiget hatte, tat es wehe zu bemerken, daß sein altes Publikum des erzwungenen Hokuspokus müde, Geschmack an ernsthaften Gegenständen gewinne. Er wollte es auch hierin versuchen; aber sein Ernst war, als er sich zum Disputieren anschickte, noch ungenießbarer, als seine vorherigen Puerilitäten, und das mitleidige Achselzucken des ganzen Tierreichs, zeigte es ihm genugsam an, daß er nun zum Stillschweigen verdammt sei.

Drob ergrimmete der Pavian, und trug nun schamlos in einer Reichszeitung auf einen Zensor Brummelbär an, der dem ungebührlichen Räsonieren Einhalt tun, und seine, des Pavians, Späße wo möglich in Aufnahme bringen möge. Die Sache kam bei Hofe zur Sprache. Ein alter weiser Elefant – sein Name wird noch lange mit Ehrfurcht in unsern Chroniken genannt werden – hatte den edlen Mut, diesem Antrage, der vom ganzen Affengeschlechte – auch die Tiger stimmten dafür – unterstützt wurde, mit Eifer zu widersprechen. Er setzte das Unkluge der vorgefallenen Maßregel mit so vielen und starken Gründen auseinander, daß der Löwe ein für allemal beschloß – er wird sich wohl dabei befinden – die possierlichen Einfälle und die hämischen Winke eines erbitterten Pavians für das zu halten, was sie sind, für verächtliche Possen.«


Über Urbanität habe ich mich nicht zu beschweren.

Es mag wohl sein, daß ich seit einiger Zeit ein langweiliger Gesellschafter bin. Ich bin niemals ein sonderlicher Gesellschafter gewesen, habe auch andre Mängel und Fehler mehr als mir lieb ist. Aber, was geht das den Ungenannten und das Publikum an? Und was kann ihn berechtigen, vor aller Welt, von den Mängeln oder Nichtmängeln eines andern Rede zu führen?

Und nun weiter – bis zum Ende der Note! – – – – –

Ich weiß nicht, diesen Mann beleidigt zu haben. Und so habe ich mich, einer solchen Beleidigung von ihm, nicht erwehren können; muß ihm auch ferner die Freiheit lassen, dergleichen Noten zu schreiben. Und, ich will sie auch, die Wahrheit zu sagen, wenn eins von beiden sein muß, lieber lesen.

In den Bemerkungen selbst wird gezeigt und gesagt: daß der Generalsuperintendent und Oberkonsistorialrat »ohne alle Sachkenntnis zusammengeraffte Rhapsodien, so zum besten gegeben, daß ein Meisterstück gänzlicher Verwirrung aller Begriffe daraus geworden ist«; daß »er eine vollkommene Unwissenheit in den ersten Regeln der deutschen Sprache und eine völlige Unbekanntschaft[371] mit allem was Stil heißt, verrät«; daß sein »Werk eins der ersten Produkte« der »Büchermaschine jenes Laputaners« zu sein scheine (p. 3 und 4); daß er »weder ein geübter noch ungeübter Philosoph« sei, man auch bei ihm »von Scharfsinn keine Spur« antreffe (p. 64); daß ihm »das Recht Bücklinge zu machen und zu kriechen herzlich gerne überlassen bleiben« solle (p. 61); daß er nicht »Schulmeister in einem kleinen Heidedorfe« sei, sondern »Gelehrter, der erste Geistliche einer ganzen Provinz, Examinator der theologischen Jugend« und »Oberkon-sistorialrat« und »entsetzliche Blößen« gebe (p. 24); daß »derjenige sich schämen müsse – der sich nicht entblödet, ein Amt anzunehmen, wovon ihn der Mangel an Denkvermögen und Kenntnis ganz und gar ausschließt« (p. 47); daß »nur engbrüstige Verteidiger des Bisherigen, jeden Schritt vorwärts fürchten, weil es ihnen an Mut und Kraft gebricht nachzueilen«; daß »viele gewiß nur darum ihrem alten Köhlerglauben so zugetan sind, weil sie in ihm ein treffliches Mittel finden, ihre Unwissenheit und ihren gänzlichen Mangel an den gelehrten Kenntnissen zu verbergen, die die gegenwärtige Weise die Theologie zu studieren und zu behandeln, erfordert« (p. 55); daß »er von Vernunft ganz und gar keine Begriffe habe« (p. 56); und so weiter.

Wenn die Gelehrten in der Achtung des Publikums verlieren; so sind sie doch würklich nicht alle unschuldig daran. Was kann das Publikum von den Gelehrten erwarten, wenn sie sich so ungelehrt betragen, und so alle gute Sitte und Weise beiseite setzen.

Ihm, unserm ungenannten Bemerker, gilt alles gleich. Er sieht keine Person an, und mißhandelt den Geistlichen wie den Weltlichen.

Es hat freilich mit solchem Mißhandeln, vornehmlich wenn es in diesem Gusto ist, so gar viel nicht auf sich, und man findet sich endlich darüber zurecht. Aber es ist doch nicht angenehm, so öffentlich im Angesicht des Publici gemißhandelt zu werden.

Etwas, scheint es, ist man seinem guten Namen doch schuldig; und einige Rechte hat die Galle auch in der Welt.

Es ist wohl recht gut, mit dem Schweigen und Vergeben und Vergessen. Das Beste ist und bleibt es, auch in Kleinigkeiten; sonderlich wenn einer es fröhlich tun kann. Denn einen fröhlichen Geber und Vergeber hat Gott lieb.

Nur, wie alles seine Zeit hat; so hat auch alles seinen Ort. Wo der Unfug bis auf einen gewissen Grad gestiegen ist, da hat[372] Schweigen und Vergeben und Vergessen seine Bedeutung verloren. Und, wenn einer auf dem Krautmarkt großmütig sein will; so lachen die andern nur, und bessern sich nicht.

Der Geistliche hat, soviel ich weiß, nicht geantwortet. Das mußte er auch nicht. Das schickt sich besser für den Weltlichen.

From the rude SEA'S enrag'd and foamy mouth did I redeem. Doch der Weltliche, der so schon seit geraumer Zeit seekrank ist und festes Land sucht, würde sich wohl auch am Ende stillschweigend ans Ufer geflüchtet, und Boot und Autorfähnlein den Wellen und Wogen des Gelehrten-Mählstroms und -strudels überlassen haben, wenn's weiter nichts wäre als das.

Aber, der Würkungskreis des Biedermannes hängt von dem öffentlichen Zutrauen ab; wie der Ungenannte (p. 59) sehr schön zu sagen weiß.

Es kann nützlich sein, den Schriftsteller, der sich solche Ungezogenheiten gegen ehrliche Leute erlauben darf, und der sich berufen und tüchtig glaubt, über den »ersten Geistlichen einer ganzen Provinz« so herzufallen, etwas näher kennenzulernen.

Auch kann es nicht schaden, daß er bei dieser Gelegenheit sehe, daß es, auch unter den Ghibellinis, noch Leute gibt, die anderer Meinung sind, und sich ihn und den neuen theologischen Kühreihn nicht sonderlich irren lassen.

Es geschiehet endlich kein Unrecht, wenn Gleiches mit Gleichem vergolten wird; und es ist nicht unbillig, daß jemand, der sich, so ganz und gar nicht, selbst an die Stelle des andern stellen will, von dem andern einmal dahin gestellet werde.


Der Ungenannte wird also erlauben, daß der »alte genialische –«, der ihm nichts getan hatte und der lieber in Ruhe und für sich geblieben wäre, ihm ein weniges Gesellschaft leiste, und (in seiner, des Ungenannten, Mundart gesprochen) noch einmal Hof und Land belustige.

Es könnte wohl sein, daß er ihm, auch diesmal, ein höchst langweiliger Gesellschafter wäre. Aber, das muß er ihm vergeben; wenn nur die Leser keine Langeweile haben.


Ich will zuerst meine eigene Angelegenheiten mit dem Ungenannten abmachen, weil sie die kleinsten sind.

Da meint er nun p. 32: daß ich ihm sein Licht ausblasen will. – Nicht doch! Warum sollte ich ihm sein Licht ausblasen wollen?[373] Das Stümpchen werde ich ihm ja gönnen. Aber, ist es denn so flugs und leicht ausgeblasen? Der Eigner scheint ihm auch fast wenig zu trauen. Eine Weile will sich das Flämmchen wohl halten. Indes, wenn er, der Ungenannte, das Blasen nicht haben will, so muß ich es lassen. Ihm aber soll es unbenommen sein. Er mag blasen, soviel er will. Ich verlasse mich auf mein Licht.


Blow winds, and crack your cheeks; rage blow!

– – – – – – – – – – – – – – –

I tax not you, you elements, with unkindness,

I never gave you kingdom, call'd you children,

You owe me no submission. Then let fall

Your horrible pleasure; here I stand your slave,

A poor, infirm, weak, and despis'd old man!


sagte der König Lear des Nachts im Sturm.

Ebendaselbst (p. 32)*.


*»Herr Claudius hat neulich in der Hamburger Neuen Zeitung eine Fabel (nämlich den Brummelbären) einrücken lassen, die von seiten der Dichtung und des Inhalts, gleich bemerkenswert ist. Sie scheint usw.«


Der Brummelbär! Der Brummelbär! – Der ist an vielem Unglück schuld.


– μυρι' Αχαιοις αλγε' εϑηκε –


Es ist aber auch ein wunderlicher Bär. Er soll in den Honigbaum rücken; und rückt da schamlos in die Hamburger Neue Zeitung ein, und alarmiert das ganze Land, der Maße: daß die junge Mannschaft überall hat auf die Beine kommen und schultern müssen, um die Landstraßen zu decken, und dem Ungeheuer entgegenzugehen – unter Vortretung eines alten weisen Elefanten!

Ich bedaure natürlich den Vorgang gar sehr, und alle die Sorge und Mühe. – Aber, was kann denn ich dazu? – Der Ungenannte sagt ja selbst (p. 34); daß die Fabel eine »verächtliche Posse« sei. – So sind ich und der Bär ja unschuldig, daß sich der Phalanx in Bewegung gesetzt hat. Und mein unmaßgeblicher Rat wäre, daß er wieder abschulterte, und die ausgerückte Mannschaft, mitsamt dem Elefanten, wieder einrückte.

Aber, das einmal beiseite. Gesetzt: der Brummelbär hätte mehr als eine Posse sein sollen. Gesetzt: ich hätte meine Meinung sagen wollen. Darf ich denn das nicht so gut, als ein[374] andrer? – Es könnte ja gar sein, daß ich auch einige Gründe anzuführen hätte. Doch die Gründe itzo für sich. Der Ungenannte sagt seine Meinung. – Darf ich denn nicht so gut meine Meinung sagen, als er seine Meinung sagt? – Pagina 32 eifert er exemplarisch gegen Wut und fieberhafte Bewegungen, und ist so vernünftig, daß er, mit einer Stelle aus dem Plutarch, ausdrücklich den »Weg breit und offen« bestellt, wenn »jemand anderer Meinung ist«. – Nun bin ich anderer Meinung. Und er gerät in ein so vehementes Bouillonnement, daß »verächtliche Possen«, »hämische Winke«, »Affengeschlechte«, »Puerilitäten«, »Tiger«, »Hokuspokus«, »Pavian«, »Schnurren« und andere Unreinigkeiten aus dem Grunde heraufkochen, und in seinem Vernunft-Kessel oben treiben.

Das ist eine schöne Vernunft! – Und dabei doziert sie immerfort: daß alle Menschen gleiche Rechte haben.


O mulier formosa SUPERNE.


Und diese Stroh-Witwe, die ihrem eignen Hause so schlecht vorsteht, will die Gemeine Gottes versorgen, und dem Generalsuperintendenten über die Theologie, und Hof und Land über den Generalsuperintendenten zurechtweisen.

Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 370-375.
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