Nro. 4

[388] Bekanntlich ist die Religion immer und überall als höherer Abkunft angesehen worden. Bei allen alten Völkern, von denen wir Nachrichten haben, selbst die amerikanischen die vielleicht mehrere Jahrtausende von der übrigen Welt getrennt gewesen sind nicht ausgenommen, waren die ersten Stifter der Religion Götter, Halbgötter, Söhne der Sonne, Götter die Menschen oder Menschen die Götter geworden waren etc. Und, wenn bisweilen in der Geschichte eines Volks ein Zeitgenosse in bekannter Gestalt als Religionsschöpfer dasteht, wie z.E. Konfuzius bei den Chinesern, oder Zoroaster bei den Persern; so ist der nur Hersteller, und es ist schon ein Fohi und Hom gewesen. Der Ursprung ist immer höher hinauf, und verhüllt; und in der Religion selbst ist, im Grunde, unter mancherlei und verschiedenen Namen, mehr oder minder verstellt – Unus in orbe vultus.

Überall: ein erstes gutes Wesen; überall: ein böses Wesen, bei den Indianern Ruthren, bei den Persern Ahriman, bei den Ägyptern Typhon, bei den Kelten, Goten etc. Surtur, Skrymer etc.; überall: Theophanie, Opfer, Sühnung, Reinigung; überall: Leben, Tod und neues Leben, oder Herstellung; überall: Unsterblichkeit, übermenschliche Kraft und Weisheit etc.; auch, außer dem Gott Schöpfer, noch ein Gott Helfer, Mittler und Pfleger, in Indien Wischnu, in Persien Ormuzd, auf Ceylon Bobou, bei den alten nordischen Völkern Thor etc.

Bolingbroke erklärt dies letztere, und den, überall sichtbaren, Tritheisme, wie er's nennt, sehr künstlich; aber der Unus in orbe vultus scheint viel natürlicher auf eine und die nämliche erste Quelle hinzudeuten; und, was Lukan von den Römern sagt:


Nos in templa tuam Romana accepimus Isim –

et quem tu plangens hominem testaris Osirim


mag so ziemlich allgemein der Fall gewesen sein, woraus sich denn zugleich der varius in orbe vultus, und daß er im Absteigen immer mehr varius angetroffen wird, sehr wohl begreifen ließe, usw.

Über dies merkwürdige historische Faktum spricht der Generalsuperintendent weitläuftig, und sucht es, natürlich, zum Vorteil der Existenz einer geoffenbarten Religion zu benutzen; kann es aber dem Ungenannten gar nicht recht machen. Mag er sich[388] hin und wieder zu nachlässig auslassen, und mißverstanden und gemißdeutet werden können; die Hauptsache ist und bleibt wahr, und läßt sich nicht wegexklamieren. Pag. 13 ruft der Ungenannte dem Generalsuperintendenten zu: »das ist ein Bekenntnis aber kein Beweis.« Aber darum liefert er selbst nicht viel Beweis und wenig Bekenntnis, sondern umgekehrt wenig Beweis und viel Bekenntnis und Exklamation. Zum Exempel, der Generalsuperintendent sagt: »So wie ein Volk sich einigermaßen über die Wildheit erhebt, so finden wir bei demselben Stimmen der Gottheit, heilige Örter, Opfer, Wunder, Weissagungen, heilige Bücher, überall außerordentliche Gesandte, überall Bemühungen, Vorschriften, Gott zu versöhnen. Fast jede Religion hat ihren Messias.« Und der Ungenannte exklamiert (p. 17): »Ist es möglich, daß das ein christlicher Geistlicher geschrieben haben kann? und noch dazu ein Mann, den eine aufgeklärte Regierung, aus der gesamten Geistlichkeit einer ganzen Provinz auswählte, und zum Vorgesetzten der übrigen machte?«

Was soll man dazu sagen? – Was anders, als der Ungenannte hat die Intercetta etc. die Halde, die Kämpfer, die Hyde etc. die Zendavestas, die Baghatgetas, die Eddas usw. nicht gelesen.

Weiter meint der Generalsuperintendent: weil Moses und Mahomed etc. wenn sie im Namen des Herrn redeten und von Gottes wegen Befehle brachten, immer mehr Eindruck gemacht haben als die bloße Spekulation und die Sonne in aller ihrer Pracht; weil eine bloße Vernunftreligion nirgends, und geoffenbarte, wahr oder falsch, überall angetroffen wird etc.; so sei positive Religion ein Bedürfnis des menschlichen Geschlechts usw.

Das ist wieder nicht getroffen; das Ding muß anders erklärt werden, und »der Generalsuperintendent (p. 19) könnte etwa sagen: Das durch das Anschauen der Natur und der Schöpfung in dem Menschen natürlich erregte Verlangen nach der Erkenntnis der Ursache derselben, könne ihn sehr leicht irreführen; es habe, wie die Erfahrung lehre, nie an Intriganten und Bösewichtern gefehlt, die sich seiner Schwachheit zunutze gemacht, und es sei selbst oft groben und unwissenden Betrügern geglückt, die noch unwissendere Menge, durch Vorspiegelungen und Erfindungen zu täuschen, und zu ihren ehrsüchtigen oder fanatischen Absichten zu mißbrauchen. Er könnte zeigen, wie ihnen ihr Betrug sehr erleichtert sei, wenn sie frech genug gewesen, das höchste Wesen selbst mit ins Spiel zu ziehen« (wie zum Exempel der Ungenannte den rächenden Genius mit hineingezogen hat)[389] »und das Volk glauben zu machen, daß dieses sie unmittelbarer Unterredungen würdige. – Am allerwenigsten müßte er in dieser anscheinenden Geneigtheit sich hintergehen zu lassen, einen geheimen Wink der Natur sehen, die Menschen immer in der Finsternis zu erhalten; ja ihnen wohl gar gradezu die Fähigkeit absprechen, je durch das Licht der Vernunft erleuchtet werden zu können, und sie auf ewige Zeiten der Führung des Aberglaubens der Bosheit und der Unvernunft übergeben.«

Diese Art sich auszudrücken, und, ohne weiteres, zu erklären, ist etwas stark, in einem Lande, wo eine geoffenbarte Religion besteht und obrigkeitlich geschützt und gehandhabt wird. Übrigens kann man dem Ungenannten sein Bekenntnis von Betrug und Täuschung gerne zugeben.

Es ist leider mehr als zu wahr, daß die gutmütige Unwissenheit oft betrogen, und gemißbraucht worden ist. Aber, was beweisen alle diese Betrügereien und eine Welt voll Betrüger gegen die Existenz eines ehrlichen Mannes? Sie beweisen vielmehr für ihn, und daß, weil diese Religion-Mongers das höchste Wesen fälschlich hineingezogen, sich unmittelbarer Unterredungen fälschlich gerühmt haben, und die falsche Münze die echte voraussetzt; daß, sage ich, denn einmal einer oder mehrere gewesen, die solcher Unterredungen in Wahrheit gewürdiget worden und das höchste Wesen in Wahrheit hineingezogen haben.

Pag. 22 läßt sich der Ungenannte in eine Art von Räsonnement ein, und scheint seiner Sache sehr gewiß zu sein, wenigstens sich siegreich zu dünken, wie folget: »Ich bin nur ein Laie, indes will ich's versuchen den Herrn Generalsuperintendent C. über diese Gegenstände zu beruhigen. Lieber Herr Generalsuperintendent, glauben Sie mir, es ist hier nichts zu besorgen. Ist die Bibel würklich von Gott, und liegt es in seinem ewigen Plan, die Menschen durch dieses Buch zu seiner Erkenntnis und ihrer Glückseligkeit zu führen; so ist durchaus keine menschliche Macht imstande ihr etwas anzuhaben, keine menschliche Geschicklichkeit oder Bosheit vermögend, auch nur einen Gedanken darin zu verändern. Das Wesen, welches sie, Ihrer Überzeugung nach, dem menschlichen Geschlechte durch eine Reihe von Wundern mitteilte, wird auch, wenn es nötig sein sollte, durch ähnliche Wunder, sie für alle künftige Generationen, in der nämlichen Gestalt, wie sie zuerst aus seiner Hand ging, zu erhalten wissen: und diese seine Vorsorge wird sich selbst über die Abschreiber und Setzer in den Offizinen erstrecken. Kein Exeget, von welcher[390] Sekte er sei, wird imstande sein, einen andern Sinn hineinzuerklären etc. etc.«

Ich fahre ohne weitere Umstände fort. »Ist das Auge würklich von Gott, und liegt es in seinem ewigen Plan, daß der Mensch mit diesem Organ sehen soll; so ist durchaus keine menschliche Macht imstande ihm etwas anzuhaben, keine menschliche Geschicklichkeit oder Bosheit vermögend, auch nur einen humorem darin zu verändern. Das Wesen, welches dem Menschen das Auge mitteilte, wird es auch zu erhalten wissen; und diese seine Vorsorge wird sich selbst über grobes und kleines Geschütz, über Hammer und Nägel und Nagel und alle spitze und scharfe Sachen in der Welt erstrecken, und kein Mensch, von welcher Sekte und Nation er sei, wird imstande sein, ein Auge auszuschießen, oder auszuhämmern, auszukratzen oder auszustechen, auszusengen oder auszubrennen« usw.

Dies nun nennt der Ungenannte, wie gesagt: den Generalsuperintendenten über »seine Besorgnis für das der Bibel und Christusreligion drohende Schicksal beruhigen«; und es fällt in die Augen, daß, wenn diese Methode probat ist, niemand weiter um Beruhigung verlegen sein dürfe.

Die Leser sehen aus diesen Proben, was es mit den philosophischen und theologischen Einsichten des Ungenannten für eine Bewandtnis habe. Das wenige, was er vorbringt, will einen bedünken, hätte man schon gelesen, aber stärker und besser gesagt.

Nur gleich eine Kleinigkeit p. 42: »Ich mag diese Benennung« (Prediger) »lieber als Geistliche, die man a potiori doch ebensogut Körperliche nennen könnte.«

Wie anders sagt Tindal das? – tho' our Divines now very well know how to distinguish between a bodily Spirit and a spirituel Body.

Es geht dem Ungenannten, wie es allen geht, die ihr Terrain nicht kennen. Sie fürchten zu viel zu tun, und tun zu wenig; und fürchten zu wenig zu tun, und tun zu viel. Ich will sehen, ob ich ihm etwas zurecht helfen kann.

So ehrt er p. 64 zwar, wie er sagt, die christliche Religion, ist aber doch skrupulös, wie die Leser aus dem in No. 3 angeführten langen Probestück gesehen haben, positive Religion ohne Vernunft, Christus ohne Aufklärung, zu lassen; will immer der Philosophie und den »Philosophen des Altertums« das Wort reden; den Religionsbegriffen (p. 15) der Ägypter, Griechen und Römer nichts vergeben usw. Das nun hat er aber grade[391] nicht nötig, und braucht so ängstlich nicht zu sein. Denn Morgan sagt gradezu: »He (Christus) did not, like the Heathen Philosophers, content himself with speculations and dry Reasonings about Virtue and true Religion – And here I dare put the Authority of Christ – against Moses, Confucius, Zoroaster, Mahomet, or any other Prophet or great Man etc.« Und dieser Morgan ist ein Autor, den unsre antireligiosen Fragmentisten sehr wohl kennen und gekannt haben, und aus dem der Ungenannte, wenn er gegen die Religion zu Felde ziehen will, sich anders equipieren kann als er equipiert ist.

So glaubt er ferner, die Mystik und die Mystiker immer bitter anfeinden und verachten zu müssen. Ich habe nun zwar das Vertrauen zu ihm, daß er in Zukunft eine Art jovialischer Mystiker, die er bei dieser Gelegenheit kennengelernt hat, ausnehmen werde. Aber, er braucht es sich überhaupt gegen Mystik und asketische Salbaderei, wie er sich ausdrückt, so nahe nicht zu nehmen. Denn die Helden und Heerführer unter den Vernunftreligiosen anfeinden und verachten sie nicht, und waren zum Teil selbst Mystiker und Asketen. Mylord Shaftesbury z.E. mochte Mystik wohl, und er anerkennt im Menschen die defects of passion, die meannesses and imperfections, which as good Men, we endeavour all we can to be superior to, and which, we find, we every day conquer as we grow better. Tindal führt unter andern aus dem Doktor Scott folgende Stelle an: »The best thing we can receive from God is himself, and himself we do receive in our strict compliance with the eternal Laws of goodness; which Laws being transcrib'd from the nature of God from his eternal righteousness and Goodness, we do, by obeying them, derive God's Nature into our own etc.« und setzt hinzu: »which, certainly, must make us necessarily happy«, und nennt den Doktor Scott an excellent author. Und Morgan erlaubt sich sogar ein langes brünstiges Gebet um Weisheit, und sagt dazu: »But a student in this Philosophy ought to abstract his Thoughts, as much as he can, from the deceiving Colourings, and outward gaudy Appearances of Wealth and Power, Lust and Appetite, Ambition and Sensuality; he must withdraw himself, upon all proper Occasions, from the Noise, Hurry, and Bustle of the World about him, and retire into the silent Solitude of his own Mind etc.«

Und so weiter.

Pag. 24 frägt der Ungenannte: »Was soll das Ausland von der[392] holsteinischen Geistlichkeit urteilen, wenn das Haupt etc.« Als ob die holsteinische Geistlichkeit für das Ausland da wäre. Ich dächte, sie hat es mit dem Inlande zu tun, und könne, wenn sie das gehörig besorgt, um das Ausland sehr unbekümmert sein.

Auf der letzten Seite, pag. 66, will er sich von »höhern unsichtbaren Kräften« nicht abhängig glauben, und, wer sich davon abhängig glaubt, der soll zu Dr. Willis schicken. – Erstlich, sind wir von höhern unsichtbaren Kräften doch wohl abhängig, wir mögen es glauben oder nicht. Und so viel sieht der Ungenannte bis weiter auch ein: daß es viel besser und honetter ist, sich von höhern unsichtbaren Kräften abhängig zu glauben und abhängig zu sein, als von niedrigen sichtbaren.

Aber es ist noch mehr wahr, als das. Der Mensch ist nicht allein von höhern unsichtbaren Kräften physisch abhängig, sondern er soll auch moralisch von ihnen abhängig sein und von ihnen allein; und hier liegt beides der Maßstab und das Wahrzeichen seiner Größe, seiner Freiheit, und seines wahrhaftigen Glücks. Kant sagt, in der »Kritik der reinen Vernunft«: der Philosoph habe sich bisher um die Gegen stände der Philosophie gedreht; und er versuche, wie Kopernikus, ein anders, und lasse die Gegenstände sich um den Philosophen drehen. Es gibt eine noch schönere Art ein anders zu versuchen, und das ist das, wovon hier die Rede ist.

Der Mensch, seiner eigentlichen Natur nach, kann sich mit Ehren um nichts als um höhere unsichtbare Kräfte drehen, und alles übrige muß sich um ihn drehen, d.i. mit andern Worten: muß von ihm abhängig sein. Sonst ist er unter sich selbst, und ist krank.

Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 388-393.
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