Zweites Gespräch

[298] B.: Da hab ich eben ein Paar alte treffliche Köpfe gesehn, den ewigen Lacher und den ewigen Weiner. Wer von beiden ist wohl der Klügste gewesen?

A.: Ich denke, sie wären beide gleich klug gewesen, und ihr Weinen und Lachen habe einerlei großen Sinn, nur daß Heraklit den bessern Ausdruck gewählt hat.

B.: Und ich denke, sie hätten beide keinen guten gewählt, und keiner von ihnen sei klug gewesen. Aber sage doch an, ich höre gern andre Meinung.

A.: Du weißt, was man in der Welt Glück und Unglück nennt;[298] und wie nahe sich das gewöhnlich die Menschen nehmen, wie sie weinen oder lachen, eins ums andre, nach dem die Luft von der oder von der Seite geht. Demokrit wollte zu verstehen geben: daß es für den Menschen der Mühe nicht lohne, dieses Unglücks wegen zu weinen! und Heraklit: dieses Glücks wegen zu lachen! Und, so lachte der eine, und der andre weinte, immer.

B.: Und warum ziehst du den Ausdruck des Heraklits vor?

A.: Weil es mir, wenn nicht wahrer, doch menschlicher dünkt: über das Glück dieser Welt zu weinen als über ihr Unglück zu lachen, und weil es mir auch wider den Wohlstand scheint, in einer Welt wie diese immer zu lachen.

B.: Am Ende konnte auch Heraklit eher fertig werden.

A.: Meinst du? – Aber davon ist hier die Rede nicht, und darum lachten und weinten unsre Virtuosen nicht. Sondern sie scheinen über die Natur des Menschen besser berichtet gewesen zu sein, und daß er, wenn er seinen Vorteil versteht, gedeckt sein könne, und weder zu lachen noch zu weinen habe.

B.: Warum aber täten denn die Menschen beides so eifrig? – Doch, wo sind wir gestern stehengeblieben?

A.: Nicht so gar weit von hier.

B.: Ich besinne mich, du hinter dem Berge bei deinen unbekannten Hindernissen.

A.: Ganz recht! Und du wolltest gestern mit deinen Augen sehen.

B.: Und das will ich heute auch noch.

A.: Und hast darin nicht unrecht; denn es hat von jeher wenigstens ebensoviel Schaden getan, daß die Menschen zu wenig als daß sie zu viel haben sehen wollen.

B.: Kann man denn auch zu viel sehen wollen, und wie kann das schädlich sein?

A.: Es gibt gewisse Dinge für einen gewissen Sinn, und einen gewissen Sinn für gewisse Dinge. So siehst du z.E. körperliche Gestalten, riechst Gerüche, hörst Schall und Laut, usw. Wer nun mit einem Sinn aus der korrespondierenden Klasse herausgeht und damit Dinge sehen – will die zu einer andern Klasse gehören, der will zu viel sehen, und da kann nichts Kluges herauskommen. Als wenn du z.E. mit deinen zwei blauen Augen die Elemente und geistliche Sachen sehen wolltest; so wolltest du zu viel sehen, und wäre ebenso widersinnig als wenn du den Geruch einer Nelke hören, und die[299] Morgenröte riechen wolltest, würde auch ebensoviel daraus werden.

B.: Das will ich nicht. Aber überzeugt will ich sein, ehe ich glaube. Und ich wünsche, daß die Wahrheit weiß sei; wenn sie aber schwarz ist, lasse ich sie mir nicht weiß machen.

A.: Bravo! Wer sie erst weiß machen will, in dessen Händen muß sie noch nicht weiß sein. Und, beiläufig hier gesagt, diese Weißmacher tun der Wahrheit einen schlechten Dienst, und ihrenthalben wird der Name Gottes gelästert unter den Heiden. Denn die Heiden distinguieren nicht immer, und wenn sie sehen, daß sie dem Sach – Walter überlegen sind; so bilden sie sich ein, sie wären es auch der Sache.

B.: Aber, du wolltest mir die unbekannten Hindernisse des Guten zeigen.

A.: Zeigen? Gehe du selbst hin, sie zu sehen.

Doch, vorher sage mir: wo, glaubst du, daß alles Gute und Wahre herkomme?

B.: Von Gott und keinem andern.

A.: Und Gott ist doch mehr, als alles was von ihm herkommt?

B.: Natürlich.

A.: Wenn es also Wesen gibt, die, ihrer Natur nach, ihre Befriedigung nur in der Wahrheit und dem Guten finden können, die können sie nirgend so vollkommen finden als in Gott?

B.: Nirgend.

A.: Sie werden also nichts so sehr suchen, als Gott?

B.: Nichts.

A.: Und nichts so unverrückt und über alles lieben?

B.: Nichts.

A.: – Bartolo! und lieben wir Gott so?

B.: – Nicht immer.

A.: Sage: nimmer. Denn der Unterschied ist nur der, daß wir in gewissen Augenblicken etwas weniger weit vom Ziel entfernt bleiben. Nun, Gott ist in allen Augenblicken gleich liebenswürdig, wie die Sonne in allen Augenblicken die Sonne ist, und ihre Strahlen immer mit gleicher Herrlichkeit und Fülle um sich breitet.

B.: Und äußerer Zwang kann es hier nicht sein, was uns hindert.

A.: Nein, gottlob nicht! Dafür ist gesorgt. In Hauptsachen kann er nichts; und es gibt einen Weg: nicht ihn von uns, sondern uns von ihm loszumachen, und ihm glühende Kohlen[300] auf sein Haupt zu streuen! Und dahin wollte ich vorhin schon.

B.: Nun ich bitte dich, so sage doch was ist das was uns hindert?

A.: Das weißt du so gut als ich. Was ist das, was unsern Augen das unendliche und wahre Gut immer gleichsam verbirgt und bedeckt, und, wenn wir es auch betrachten und lieben wollen, sich immer dazwischenstellt? – Nicht wahr, das Endliche, das Unwahre, das Nichtgute. Dinge, die unsrer Liebe nicht wert sind, die wir verachten, und uns ihrer nicht selten vor andern Leuten schämen; und an die wir doch wider unsern Willen hangen und halten, oder vielmehr die uns halten und uns unglücklich machen.

B.: Unglücklich machen, sagst du?

A.: Ja wohl unglücklich machen! Denn, was flösse aus dieser Quelle nicht her! Alles, groß und klein, was die Menschen hier plagt, Eitelkeit und Laune, Herrschsucht und Trotz, Geiz und Wollust, und alle Schande und Laster etc. was ist es anders, als Anhänglichkeit an Dinge die nichts können und nichts sind, und die Menschen doch vom Bessern abhalten.

B.: Was aber kann der Mensch dazu? Darf auch der Topf zum Töpfer sprechen: Warum hast du mich so gemacht?

A.: Höre, ein Topf hält solange er kann; und denn bricht er. Und wenn er von was wüßte, so würde er von dieser seiner brechlichen Topf – Natur wissen und von weiter nichts. Aber wenn wir das Böse tun, so wissen wir dabei vom Guten, und wollen es.

B.: Was willst du damit sagen?

A.: Daß wir nicht ungeratene Töpfe sind. Sondern der ungeratene Sohn paßt besser, der das verlassene volle Haus des Vaters in Gedanken hat, und Treber mit den Säuen essen muß.

B.: Du machst mich aufmerksam. Aber, noch einmal, ich bin doch nicht gefragt: ob ich, noch auf welche Art, ich existieren wollte. Wie mich die Welle des Unendlichen ans Ufer herangeworfen hat, so habe ich heran müssen, um mich da eine Zeitlang herumzutreiben.

A.: Ich weiß das nicht, ich verstehe das nicht. Aber, Verlangen nach dem Guten und Widerstreben gegen das Gute in einem und demselben Dinge, setzt eine Unordnung voraus, und die kann nicht von Gott sein.

B.: Von wem haben wir denn unser Wesen?[301]

A.: Das haben wir von Gott. Aber, was unserm Wesen zuwider ist, das können wir nicht von Gott haben.

B.: Und also meinst du, diese Anhänglichkeit gehörte nicht zu unserm Wesen?

A.: Das ist die Meinung aller Völker und Menschen; wenigstens handeln sie so und haben immer so gehandelt, als wenn sie diese Meinung hätten.

Warum forscht und frägt man bei moralischen Handlungen nach den Bewegursachen, und bestimmt darnach ihren Wert und Unwert? – Heißt das nicht, annehmen, daß der Mensch z.E. eine gute Handlung oft aus schlechten Ursachen tue, daß aber diese schlechte Ursachen auch fehlen können, und der Mensch allein aus dem Guten handeln kann? – Und warum wäre ein Mensch, der so handelt, von jedermann geliebt und geachtet? – Warum spricht man von »überlegt und unüberlegt handeln«, und was tut der Mensch, wenn er überlegt, anders: als schlechtere Ursachen die ihm zunächst liegen aus dem Wege räumen und niederhauen, damit ihm die bessern zu Gesicht kommen? – So predigen ja auch wider diese Anhänglichkeit, alle Jahrhunderte hindurch, Weise und Unweise, Priester und Philosophen, und die ganze Welt ist mit Einrichtungen, Tempeln, Pagoden und Moscheen bedeckt. Ob sie nun zwar nicht immer alle wissen was sie wollen, und nicht immer viel dabei herausgekommen ist; so supponiert das alles doch offen bar den Glauben, daß etwas herauskommen könne, und daß damit nichts Kleines gewonnen sei. – Und wie könnten Menschen anders scheinen wollen, als sie sind; wie könnten sie Furcht haben, sich grade ins Angesicht sehen zu lassen, wenn die Lineamente desselben zu ihrem Wesen gehörten? Schämt sich auch ein Tiger seiner Zähne, und ein Adler seiner Klauen?

Lieber B., die Menschen tragen Ketten, und sind Sklaven; aber sie sind nicht geboren es zu sein, und haben die Hoffnung nicht verloren wieder frei zu werden. Und, wenn schon auf die Unterdrückung einer Anhänglichkeit ein so wohltuendes Bewußtsein folgt; was meinst du, was der Friede sein müsse, von dem man in jenem Bewußtsein nur den ersten Anbiß hat, wenn nämlich nicht mehr von Unterdrücken die Rede ist, sondern wenn die Ketten würklich abgenommen werden! – Und da kommt das rechte England zum Vorschein, und die rechte St. – Pauls – Kirche.[302]

Aber lebe wohl, wir kommen hier auf heiligen Grund und Boden.

Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 298-303.
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