Es ist so still geworden ...

[158] Es ist so still geworden,

Die Flut verlief sich sacht ...

Mein Wehr und Waffen tat ich ab

Und der Gedanken Fracht ...

Was mich tagsüber wild bewegt:

Ich hab' es nun zur Ruh' gelegt –

Nur meine Wunden bluten,

Bluten in stiller Nacht ...


Da in der Brust tief drinnen

Ist mir ein Ton erwacht:

»Was dich zu hartem Zwiestreit rief,

Was deines Herzens Schacht[158]

Befeuert, daß du kühn entbrannt,

Verspottet ist's wie Kindertand –

Drum deine Wunden bluten,

Bluten in stiller Nacht!


Wirf hin dein Schwert, die Laute,

Daß sie zerschellt, zerkracht!

Dem Gott, den du bekennst, dem wird

Kein Opfer mehr gebracht!

Kein Herz mehr schlägt, das ihn bekennt,

Und keine Zunge, die ihn nennt –

Drum deine Wunden bluten,

Bluten in stiller Nacht ...


Vergeblich ist dein Ringen,

Umsonst die Glut entfacht!

Aus diesem Kampf hat keiner noch

Das Glück sich heimgebracht ...«

Doch sei's, wie auch mein Ahnen spricht:

Euer Gott, er ist der meine nicht!

Mein Herz wird ihn nie rufen –

Bei den ewigen Sternen der Nacht! ...


Es ist so still geworden,

Die Flut verlief sich sacht ...

Mein Wehr und Waffen tat ich ab ...

Doch der Gedanken Fracht

Hab' hoch und stolz ich aufgericht't:

Euer Gott, er ist der meine nicht!

Ob meine Wunden bluten,

Bluten in stiller Nacht! ...

Quelle:
Hermann Conradi: Gesammelte Schriften, Band 1: Lebensbeschreibung, Gedichte und Aphorismen, München und Leipzig 1911, S. 158-159.
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