Vierter Auftritt.

[56] Die Infantin. Leonore.


DIE INFANTIN.

Was willst du, Leonore?

LEONORE.

Glück Euch wünschen,

daß Eure Seele endlich Ruhe fand.

DIE INFANTIN.

Wo gäb' es Ruhe in dem tiefsten Leide?

LEONORE.

Lebt von der Hoffnung Liebe, stirbt sie mit ihr,

kann Euch Rodrigo nicht mehr teuer sein;

Ihr wißt, welch einen Kampf Chimene fordert,

und da er stirbt oder ihr Gatte wird,

ist tot die Hoffnung, Euer Herz genesen.

DIE INFANTIN.

Ach, muß das jetzt noch sein!

LEONORE.

Was könnt Ihr hoffen?

DIE INFANTIN.

Was kannst du mir vielmehr zu hoffen wehren?

Geht diesen Kampf Rodrigo ein, ersinn' ich

wohl manches, dessen Wirkung zu zerstören;

lehrt Liebe, süße Quelle meiner Leiden,

verliebten Herzen doch so manche List!

LEONORE.

Was könnt Ihr tun, da selbst des Vaters Tod

in ihren Herzen Zwietracht nicht entzündet?

Da ja Chimene deutlich zeigt, daß heut

nicht Haß der Grund ihrer Verfolgung ist?

Ein Kampf wird ihr gewährt, und sie nimmt schleunig

den ersten an als Kämpfer, der sich beut.[56]

Nicht wendet sie sich zu den tapfern Armen

durch große Taten hochberühmt: Don Sancho

genügt ihr, und verdient die Wahl, da er

zum erstenmal sich waffnet. Ja, sein Mangel

an Übung ist ihr lieb in diesem Zweikampf;

weil ohne Ruf er noch, schweigt ihre Furcht;

und solche Wahl, so rasch getan, beweist,

daß einen Kampf sie wünscht, der sie verpflichtet,

ihrem Rodrigo leichten Sieg verschafft,

und ihr erlaubt, besänftigt sich zu zeigen.

DIE INFANTIN.

Ich fühl' es wohl, und dennoch, trotz Chimene,

vergöttert meine Seele diesen Sieger.

Was soll ich ärmste Liebende beginnen?

LEONORE.

Denkt, wer Ihr seid. Euch schuldet einen König

der Himmel; Ihr liebt einen Untertan!

DIE INFANTIN.

Den Gegenstand vertauschte meine Neigung,

nicht mehr den Edelmann Rodrigo lieb' ich;

nein, meine Liebe nennt ihn so nicht mehr:

Ich lieb' in ihm den Schöpfer großer Taten,

den tapfern Cid, Herrn zweier Könige.

Doch will ich mich besiegen; nicht aus Furcht

vor Tadel, aber weil die schöne Liebe

ich nicht will trüben; ja krönt man sie selbst,

nähm' ich ein Gut, das ich verschenkt, nicht wieder.

Und weil sein Sieg in diesem Kampf gewiß,

werd' ich noch einmal ihn Chimenen schenken.

Und du, die sieht, wie todeswund mein Herz,

sollst mich vollenden sehn, wie ich begonnen.


Quelle:
Corneille, Pierre: Der Cid. Leipzig 1945, S. 56-57.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Cid
Three Masterpieces:
Le Cid and the Liar (Paperback) - Common
Le Cid (German Edition)
Le Cid
Der Cid

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