Zehntes Kapitel:

Verlauf der Hochzeitsnacht. Was für einen Streich dem Prinzen der Schaumlöffel spielt

[51] Werdet Ihr mir denn nie, sagte endlich Neadarne zu ihm, die Ursache von alldem entdecken, was ich sehe? Werdet Ihr mir nicht sagen, was jene Veränderung Eurer Gestalt bewirkte, über die Ihr so bekümmert seid? Um Euer selbst willen beschwöre ich Euch, holder Prinz, meine Neugier zu befriedigen. – Das will ich, versetzte Tanzai. Ihr vermehrt, ohne es zu wollen, mein Unglück, und die Verzweiflung, es in Eurer Gegenwart erdulden zu müssen, macht es noch unerträglicher. Im Beisein von Euch, dem einzigen Gegenstande meiner zärtlichsten Wünsche, von Euch, deren Reize mir für ein ganz anderes Schicksal bürgen sollten, als ich heute erlebe.

Aber, versetzte Neadarne, ist dies Unglück nur Euch begegnet? – In gleichen Fällen, versetzte er, haben schon andere wie ich, eine Kraftlosigkeit empfunden, die alle ihre Freuden zerstörte; allein diese Erstorbenheit, die gewöhnliche Folge zu vieler Liebe, ist nicht von Dauer; ihr kann abgeholfen werden, die Liebe selbst gibt die vorige Spannkraft wieder. Hier aber vermag all Euer Mitleid nichts; Eure Zärtlichkeit, meine, alles frommt nichts. Vernehmt, wie es mit meinem Unglück zusammenhängt.

Hierauf erzählte er ihr mit kurzen Worten die Drohungen der Barbacela, das Geschenk des Schaumlöffels, den Gebrauch, den er davon machen sollte, und die Wut, worin er gegen Saugrenutio war, dem er den Vorfall dieser Nacht zur Last legte. Nie hätte ich gedacht, setzte er hinzu, daß ein so glorreicher Tag für mich der Anfang solchen Unglücks sei und sich auf so jammervolle Art enden sollte! Der Tag, den ich für den schönsten meines Lebens halten mußte, ist der schimpflichste für mich, solange ich Odem schöpfe.[52] Ohne zu prahlen (vielleicht prahlte er doch), ich bin von allen Männern derjenige, der am wenigsten erwarten durfte, was ihm diese Nacht begegnet ist. Barbacela hatte mich auf eine so erstaunliche Art begabt, daß mich nichts mehr in Verwunderung setzt, als daß dies Geschenk (in meinen Augen nur durch den Anteil teuer, den Ihr daran nehmen solltet) verschwunden ist, ohne daß ich das Geringste davon gemerkt habe.

Nach diesen Worten begannen seine Tränen von neuem zu fließen. Wie, sagte Neadarne mit einer Umarmung zu ihm, glaubt Ihr, daß dieser Vorfall meine Liebe zu Euch mindert? Oh, mein Prinz! Ginge er Euch nicht so nahe, so würde ich den Himmel dafür preisen. Ihr würdet mich vielleicht nach Befriedigung Eurer Begierden weniger geliebt haben; unstreitig hat der Himmel es so gefügt, damit ich Eurer Liebe beständig genießen kann. Zwar würde es mir angenehm gewesen sein, Eure Leidenschaft zu befriedigen; hätte ich dies aber tun können, ohne mich der Gefahr auszusetzen, sie erlöschen zu sehen? Und gibt es wohl etwas Schmeichelhafteres für mich, als Euch immer in mich verliebt zu finden? Gibt es wohl eine größere Wollust für zartfühlende Herzen? Was sind jene Freuden, die Ihr sosehr betrauert, ohne Liebe? Nein, mein teurer Prinz, keine davon kommt der gleich, die ich empfinde, wenn ich Euch sage: Ich liebe Euch. Überdies, was haben wir verloren? Jene so zärtlichen Entzückungen, worin Ihr mich versenkt habt und die ich noch jetzt bei Euch empfinde, hängen ganz und gar nicht von dem ab, was Ihr verloren habt. Habe ich nicht noch immer das Vergnügen, Euch zu umarmen? Gebt Ihr mir nicht selbst Eure Liebkosungen in reichem Maße zurück? Übertreibt Ihr nicht etwa Euren Verlust?

Ach! Neadarne, rief der Prinz voll Betrübnis, wie ganz anders würdet Ihr sprechen, wenn Ihr dem Hören nach das kennen würdet, dessen Verlust ich betrauere. – Es sei[53] darum, versetzte sie; ich will es zugeben, daß Ihr mit größtem Fug und Recht betrübt seid, und will auch alles dadurch verloren haben; aber unsere Verbindung soll demungeachtet in voriger Stärke bestehen bleiben. – Ich glaube es, antwortete er, aber meint Ihr, daß sie etwas von ihrer Lebhaftigkeit verloren hätte, wenn ich geblieben wäre, was ich war? – Prinz, erwiderte sie, die Götter geben mir mitten in dieser Verlegenheit einen heilsamen Gedanken ein. Die Fee hatte unstreitig ihre Gründe, warum sie Euch den Schaumlöffel gab. Ein Geschenk von der Art wäre zu lächerlich, wenn sie ihm nicht eine besondere Eigenschaft beigelegt hätte. Was Euch begegnet, ist in der Tat eine Wirkung des Zorns der höllischen Kukumer. Ich bin überzeugt, daß der Schaumlöffel, gehörigen Orts appliziert, den Zauber vernichten würde.

Mögen Euch die Götter für diesen Einfall belohnen! rief Tanzai. Wie seid Ihr zu preisen, in solcher Not soviel Geistesgegenwart zu haben! – Eilig lief er hin, den Schaumlöffel zu holen, und rieb sich aus allen Kräften damit. Seht Ihr noch nichts? fragte er die Prinzessin. In dem Augenblick, da sie mit Nein antwortete und der Prinz mit Reiben fortfahren wollte, fand er den Schaumlöffel unbeweglich. Er hatte sich seiner Haut dermaßen verbunden, daß die angestrengtesten Kräfte ihn nicht wieder beseitigen konnten. So mußte er ihn, nachdem er sich ausnehmend viele Schmerzen gemacht hatte, lassen, wo er war. Inzwischen war er sehr bekümmert, was er anfangen sollte, wenn er ihn nicht wieder losbekäme. Endlich brach der Tag an; Neadarne, von Müdigkeit überwältigt, überließ sich dem Schlaf und ermahnte den Prinzen, ein Gleiches zu tun. Indessen beschäftigten seine Abenteuer ihn zu sehr, als daß er diesen Rat hätte nutzen können, und er verwendete den Rest der Nacht vergeblich damit, den Löffel wieder fortzubringen. Am meisten beunruhigte es ihn, dieses Werkzeug zu tragen[54] und dem ganzen Hofe zum Gespött zu werden. Er bemühte sich also, ihn aufwärts zu biegen, um ihn mit näherem Anstände tragen zu können; allein mit allen seinen Kräften konnte er den Löffel nicht soweit bringen, daß er sich bog. – Wenn er ihn mit Gewalt zu sich hinzog, bedeckte er ihm das ganze Gesicht, was ihm unerträglich lästig fiel.

Wie er sich in dunkle Betrachtungen darüber verlor, schlief er ein. Schmerz und Ermattung verschafften ihm einen so langen Schlaf, daß Neadarne, die vor ihm erwachte, hinlänglich Zeit hatte, das unselige Geschenk der Barbacela zu betrachten. Tanzai, nachdem er verschiedene Posituren versucht, hatte sich endlich auf den Rücken gelegt, und bei dieser Lage fehlte nicht viel, daß der Schaumlöffel den Himmel des Bettes abstützte. Die Prinzessin verlor sich in Betrachtungen, die dieser Anblick verursachte; sie zweifelte recht, ob das, was der Prinz verloren, trotz allem, was er sagte, dem gleichkäme, was er eben hier erhalten hatte.

Quelle:
Claude Prosper Jolyot Crébillon: Der Schaumlöffel. Leipzig 1980, S. 51-55.
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