Zwanzigstes Kapitel:

Rückkehr des Prinzen nach Scheschian

[92] Noch schwebte die Hauptstadt in dieser Unruhe, als Tanzai den Rückweg nach derselben antrat. Was soll ich von meiner Reise sagen? überlegte er. Soll ich Neadarne gestehen, daß ich in den Armen der Kukumer meine vorige Beschaffenheit wiedererlangt habe? Wie kann ich eine Sache erzählen, die für ihre Liebe so kränkend ist? Wird sie glauben können, daß ich Bedauern verdiene? Würde sie wohl auf meine Nachsicht zählen dürfen, wenn ihr ein Gleiches begegnet wäre? Allein, sie kennt die Art meines Mißgeschickes; wenn ich ihr Beweise gebe, daß es überstanden ist, warum sollte ich ihr das verschweigen? Ach! wie groß wird ihr Schmerz sein, wie heftig würde ich sie nicht treffen, wenn ich ihr alle die Gedanken sagte, die meinen Geist beschäftigt haben? Wenn sie wüßte, daß mein Herz ihr untreu[92] gewesen ist? daß ich einige Augenblicke hindurch ganz von einer anderen gefangen war; mich dem Unglück, das mir bereitet war, willig hingegeben habe, ihm sogar entgegengeeilt bin? Wenn sie mir's verzeihen kann, daß ich eine Nacht in den Armen der Kukumer zugebracht habe, würde sie mir's wohl verzeihen, daß ich gewähnt habe, eine andere als sie könne mich glücklich machen? Oh, ich will in Scheschian meine Schande verbergen; will mich dort bloß wiederhergestellt zeigen. Aber wird man nie erfahren, durch welches Mittel ich meine frühere Gestalt wiedererlangt habe?

Indem Tanzai diese Betrachtungen anstellte, nahte er sich seinem Reich. Endlich erblickte er die ersehnten Mauern von Scheschian wieder, nachdem er beinahe drei Monate von dieser Stadt entfernt gewesen war. Kaum sah man ihn kommen, als die großen Leiern das Volk davon benachrichtigten; Feuerwerk, Jubelgeschrei und ausschweifendste Freudensbezeugungen verkündeten dem Könige die Rückkehr des Prinzen in die Stadt. Neadarne fiel vor übergroßer Zärtlichkeit in Ohnmacht. Noch war sie daraus nicht erwacht, als Cephaes Tanzai zu ihr führte. Das Vergnügen, das er empfand, sie wieder zu sehen, wich auf eine Zeitlang der Furcht, die ihn anwandelte, sie zu verlieren. Neadarne, teuerste Neadarne, rief er. Ach! muß ich dich nur wiederfinden, um für dein Leben zu zittern? Grausame Fee, waren das die Unglücksfälle, womit du mir drohtest?

Stimme und innige Küsse ihres Gemahls ließen Neadarne wieder die Augen öffnen, und sie umarmte ihn ihrerseits. O Tanzai, Ruhe meines Lebens! rief sie, sehe ich dich wirklich wieder! Wie viele Tränen hat mich deine Abwesenheit gekostet! Ach! bloß die Freude über deine Zurückkunft kann den Schmerz aufwiegen, den deine Abreise mir verursacht hat.

Ihre Blicke und die Ausbrüche ihrer Liebe würden kein[93] Ende genommen haben, hätte der König, der ungeduldig war, zu wissen, wie es mit dem Prinzen stünde, sie nicht unterbrochen, um dies zu erfahren. Majestät, sagte Tanzai zu ihm, der Schaumlöffel, den Ihr wieder an meinem Knopfloch erblickt, beweist, daß er mir nicht mehr lästig fällt; und ich müßte mich gröblich irren, wofern nicht die Prinzessin, wenn Ihr sie morgen fragt, Euch wegen des übrigen die erwünschtesten Nachrichten erteilt. – Eben wollte der König fragen, auf welche Art dies Wunder bewirkt worden sei, als eine Menge Höflinge ins Zimmer strömten. Die Ungeduld, Tanzai wiederzusehen, hatte ihnen nicht erlaubt, es länger hinauszuschieben, ihm ihre Untertänigkeit zu bezeigen.

Saugrenutio kam zu gleicher Zeit; nicht etwa aus Drang des Herzens, sondern bloß um zu wissen, ob der Prinz nicht etwa seinen Schaumlöffel verloren hätte. Er ward blaß, als er dies Instrument wieder am rechten Ort sah. Tanzai konnte sich nicht zwingen, ihn gut zu empfangen. Er schrieb der Weigerung dieses Priesters alle die Unglücksfälle zu, die ihm begegnet waren, und da der letzte ihm von allen am meisten naheging, so beschloß er, daß Saugrenutio früh oder spät dafür büßen sollte. Aus diesem Grunde fing er an, sich in dessen Gegenwart nach allem zu erkundigen, was bisher vorgefallen war, und fragte, ob nicht ein rebellischer Untertan endlich bestraft werden würde?

Der König erzählte seinem Sohne alles, was sich in der letzten Reichsversammlung zugetragen hatte, und versicherte, Saugrenutio würde gehorsam sein. Diese Reden verdrossen letzteren; er beschloß, den König zum Lügner zu stempeln. Nachdem die übrigen Höflinge auch beurlaubt waren, ging der König mit dem neuvermählten Paare zum Mahl. – Jetzt sind wir den Schwarm los, sagte er. Nun erzähle uns die Geschichte deiner Entzauberung, mein Sohn. – Sie ist sonderbar, versetzte der Prinz ziemlich verlegen. Es wird Euch gewiß überraschen, wenn ich Euch sage, daß dieses[94] große Werk durch einen Traum zustande gekommen ist. – Durch einen Traum? rief der König. Was wollte denn der Große Affe haben? Wozu war denn Eure Reise nötig? Ihr hättet hier so gut wie anderwärts schlafen können. Laßt aber doch einmal hören, was das für ein Traum war.

So wisse denn Ew. Majestät und du, Prinzessin, fing der Prinz an, daß ich, nachdem ich unermeßliche Länder durchwandert hatte, endlich in einen Wald kam. – Es folgte das Abenteuer der ›Fee mit dem Kessel‹ ohne die mindeste Verfälschung.

Nachdem ich diese Fee verlassen hatte, fuhr er fort, befiel mich eine außerordentliche Lust zu schlafen. Ich konnte mich ihrer nicht erwehren, legte mich unter einen Baum und schlief ein. Voll von dem, was mir zugestoßen, wäre es zum Erstaunen gewesen, hätte meine erhitzte Phantasie sich andere Gegenstände gewählt. Diese Vorstellungen erzeugten einen Traum, in dessen buntem Gewebe ich mich in einen prächtigen Palast versetzt glaubte. Hier traf ich Eulen, die sprechen konnten, und wurde aufs prächtigste aufgenommen. Hier glaubte ich die Kukumer zu sehen, die mich als Entschädigung wegen der Behandlung mit dem Schaumlöffel aufs zärtlichste bat, eine Nacht bei ihr zuzubringen. Die Behauptung, daß wir im Schlaf so wenig von uns abhängen, daß der uns verhaßteste Gegenstand über unseren Widerstand triumphieren kann, hat seine völlige Richtigkeit. Die Kukumer versicherte mir, daß bloß dadurch ihr Groll gegen mich getilgt werden könne. Nach dem heftigsten Kampfe zwischen der Liebe, die ich für Euch hege, und dem Abscheu, den sie mir einflößte, bewog mich unser beiderseitiges Interesse, ihren Begierden nachzugeben. Endlich erwachte ich voll Schreck, aber zugleich von Freude erfüllt, da ich an meiner Wiederherstellung unmöglich länger zweifeln konnte. – Gnädiger Herr, sagte jetzt Neadarne, dieser Traum ist sehr zusammenhängend,[95] und seine Wirkung scheint mir bewundernswürdig. Glaubt Ihr, daß es nichts als Täuschung war?

Wie soll ich daran zweifeln können, entgegnete der Prinz, da ich beim Erwachen mich unter ebendem Baume noch befand, an dessen Fuß ich eingeschlafen war? Doch, Prinzessin, fuhr er fort, es ist bereits spät; mein Vater sucht seit einer Stunde den Schlaf zu unterdrücken. Er sollte besser ihm die Augenblicke schenken, die er uns bewilligt; und ich weiß nicht, ob die Nacht lang genug sein wird, daß ich Zeit genug habe, mit Euch von alle dem zu sprechen, was uns betrifft. – Daran habe ich wahrlich nicht gedacht, sagte der König. Geht, Kinderchen, geht! Und Gott behüte Euch vor Feen!

Der Prinz wünschte seinem Vater gute Nacht, umfaßte Neadarne und führte sie in sein Gemach, das er verschloß, um daselbst die Freuden zu genießen, wovon man im folgenden Buche das Ausführlichere finden wird.

Quelle:
Claude Prosper Jolyot Crébillon: Der Schaumlöffel. Leipzig 1980, S. 92-96.
Lizenz: