An den Leser.

Ich habe die Befriedigung, daß der erste Abschnitt der Charlatanerien gleich in den ersten acht Tagen so gänzlich vergriffen worden ist, daß ich von demselben eine neue Auflage machen mußte, bevor ich dazu kommen konnte, den zweyten Abschnitt gedruckt zu erhalten. Noch größer aber ist meine Satisfaktion, daß Leute von Verstande – und gerade diejenigen, an deren Urtheil mir am meisten gelegen war – die mir zur Schutzwehr[3] gegen jeden Mißdeuter, wes Standes, Würden oder Ehren er seyn mochte, dienen konnten – daß die größten Geister und die besten Menschen – vor welche selbst die schlimmsten Respekt haben müssen; diese Broschüre mit Beyfall aufgenommen, und durch ihren lauten Beyfall geschützt haben. Auch die kleine Nebenfreude ist mir schon kund geworden, daß dies Werkchen – was so manchem Thoren in der Nase sticht, und auch manchen gescheiten Mann, der gewisse Wahrheiten lieber ungesagt gehabt hätte; bereits in Leipzig konfißzirt ist – als welches mich in dem lieben Sachsenlande einen reichen Debit verspricht.

Mit einem Wort! diese Broschüre hat alle Kennzeichen eines guten Buchs[4] welches sich durch treffende Wahrheiten auszeichnet – denn sonst würden es große und vernünftige Männer nicht mit Vergnügen lesen und – die entgegen gesetzte Menschenklasse nicht so heftig dagegen schreyen.

Ich hatte in jüngern Jahren einen Freund, der vor sein Leben gern Farobanque machte – wenn der Haufe seiner Pointeurs durchgängig ruhig und vergnügt spielte; so war er als Banquier nicht sehr zufrieden – Wenn aber die Pointeurs fluchten und tobten, und sich ungeberdig stellten – dann lächelte mein Freund mit der seligsten Gemüthsruhe auf seine anwachsende Banque herab – denn gerade die Flüche der Verlierenden brachten ihm den meisten Segen.[5]

Aus einem ähnlichen Gesichtspunkt sehe ichs recht ruhig mit an, wenn der eine oder andere meine Charlatanerien zum Teufel wünscht – sie kommen dadurch immer mehr unter die Leute. Aber das muß mir Niemand übel nehmen, wenn über fade Urtheile, die mir tagtäglich zu Ohren kommen, ich auch wieder meine Anmerkungen mache, und es gelegentlich laut der Welt erzähle, was die Leute von mir und von meinen Schriften sagen – es mag nun Gutes oder Böses seyn – Närrische Urtheile will ich aus christlicher Liebe noch über das durch eine wohlschmeckende Brühe genießbar machen – damit denen, die sie lesen, nicht so übel dabey werden soll wie denen, welche sie anhörten, und aus Höflichkeit[6] über die hervorguckende Schaamtheile der Seele und schwacher Köpfe nur die Augen niederschlagen und die Achseln zucken konnten.

Welcher Sklavengeist aber muß über unser Zeitalter herrschen, wo man den Freyredenden Mann wie ein Wunderthier betrachtet, wo jeder, wenn er nur dürfte, drauf zuschlagen würde, und wogegen ich doch nichts anders sagen könnte, als: »habe ich unrecht geredet, so beweise es, daß es böse ist, habe ich aber recht geredet; was schlägest du mich?«

Wahrheiten, die es zum Theil werth und wichtig genug sind, vor den Ohren der Könige gesagt zu werden – und die heilloser Weise gar zu gern verdunkelt werden, um desto leichter Fürsten zu[7] Kinder im Gängelbande zu machen – und Wahrheiten, die noch manchem andern ehrlichen Mann heilsam seyn dürften, wenn sie gleich mancher verwöhnten Zunge wie Rhabarber schmecken sollten – – – solche Wahrheiten werde ich noch das ganze Alphabet durch sagen – – Ich habe so eben nichts anders zu thun, und glaube wohl zu thun, wenn ich das thue, was andere zu thun entweder nicht nöthig haben, oder aus Mangel an Selbstständigkeit nicht zu thun Herz haben. Und hiermit Gott befohlen.


Der Verfasser.

Quelle:
[Cranz, August Friedrich]: Charlatanerien in alphabetischer Ordnung als Beyträge zur Abbildung und zu den Meynungen des Jahrhunderts, 1–4, Berlin: 41781, 21781, 1781, 1781 [Nachdruck Dortmund 1978], S. 3-8.
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