[Oh Natur, Du hast harmonisch]

[15] Oh Natur, Du hast harmonisch,

Welt – und urarchitektonisch –

Vor Äonen schon beschlossen,

Daß vollendet und gegossen,

Deine Schöpferhand die Zwänge

Deines Wirkens, tief verschlänge,

Um nach ewigen Gesetzen

Das Bewußtsein festzusetzen!

Halleluja, ruf ich heute,

Denk ich an die ferne Stunde,

Da ein Raubthier seine Beute

Blutend noch, aus frischer Wunde,

Als sein Anrecht voll erkannte,

Und sich, merkend, wo sie hauste,

Wenn sein Blutdurst neu entbrannte

Und Begierde es durchbrauste,

Dann zurückkam zu der Stelle,

Um zu würgen, was es brauchte:

Denn das war die helle Quelle

Der des Menschen Geist enttauchte!

Wars ein Vogel, der aus hohen

Sonnenwarten niederschaute,

Der, um Schluchten zu bedrohen,

Freie Felsenhorste baute?

Der zuerst die Sonnentheile

Seiner klugen Seele spürte

Und den Lichtruf seiner Eile

Mit in Wolkenhöhen führte?

Oder war die Sonnenfreiheit,

(Schnelle, Höhe, Wesenstrennung,

Diese holde, goldene Dreiheit,

Urbedingung der Erkennung[16]

Der Natur, ihrer Befehle,

Die nun klar zu uns gedrungen)

In der Wüstenräuberseele

Einer Katze so verschlungen,

Daß sie alles dies erhaltend,

Angeschmiegt ans Erdbedürfniß,

Und den Leib darnach gestaltend,

Das Bestehen im Zerwürfniß,

Wie die Sonne es geschaffen,

Doch am klarsten möglich machte?

Eingewurzelt und mit Waffen

Ausgestattet, hat die Spinne,

Der Verstand, der just erwachte,

Alle Netze seiner Sinne

Jedenfalls so zart versponnen,

Daß er seiner sich besonnen

Und im Sonnenkrieg gewonnen!

Einerlei, was angefangen!

Thatsache ist, daß wir gelangen

Hier, als Erdenüberseher,

Unserm Innerlichte näher.

Was sich keinen Wunsch gestattet

Und beharren will, ermattet,

Wälder, Fluren werden kleiner

Doch die Seele klarer, reiner.

Ja, es siegt das Allerfeinste,

Das das kosmische Verhältniß

Der Gestirne bis ins Kleinste

In sich birgt, wie ein Behältniß!


Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 3, München; Leipzig 1910, S. 15-17.
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