[Oh Pan]

[11] Oh Pan,

Ich trachte allseits Deine Gegenwart zu finden,

Doch in der Stille nur hast Du Dich wahr gezeigt,

Ich wartete und fahndete nach Dir, und Linden

Im Walde haben sich dann still im Wind geneigt.


Oh Pan,

Du scheinst im Waldesathem langsam zu verschwinden

Und zeigst Dich auch in der Geradheit, die zum Äther steigt,

Um Deine Hauptgedanken legst Du sorgsam Rinden,

Und rings verblätterst Du die Sehnsucht, die sich leicht verzweigt.
[11]

Was ist ein Blatt? Ein Wunsch, sich lange grünend zu erhalten.

Die Frucht? Ein Trumpf gegen die Feinde, die rings lauern.

Die Blüthen? Lauter Wünsche Freude zu entfalten.

Der Same? Der Verzicht, unsterblich fortzudauern.


Oh Pan,

Ich weiß, die Kerne, die sich fest zusammenknollen,

Sind Weltgesetze, die in sich den Halt gefunden,

Aus ihnen wurden stets die ewigen Dinge jung entbunden,

Denn aus Ellipsen läßt sich alles neu entrollen.


Oh Pan,

Nun sage mir, was ist der Duft, das Gold im Pollen?

Die Gluth der Erde, die sich hold zum Licht gewunden,

Die allseits trachtet, Sonnenliebe zu bekunden,

Und der Triumph ist über Noth und Tod der Schollen!


Oh Pan, ich will durch Deine Wälder streifen

Und mein Erschauen soll den Forstgott loben,

Oh zeige mir, wie Sonngedanken reifen,

Wie Lebensbäche in den Bäumen toben.


Oh, lasse mich in Deinem Kreise lesen,

Denn Du erlebst Dich selbst in Deinen Sprossen,

In Pappeln ängstigt sich beinah Dein Wesen,

Weil Du darin zu rasch emporgeschossen!


Oh Pan, beharrlich ragst Du in die Tanne,

In diesem Baum willst Du Dein Alter adeln,

Ists doch, als ob er Waldlust von sich banne,

Vor allem Nahen wehrt er sich mit Nadeln!
[12]

Es scheinen Eichen, die den Fels zerspalten,

Die Schmerzen einer Gottheit zu verbeißen,

Ja Pan, es wurzeln Deine Kampfgewalten

In Stämmen, die den Boden wild aufreißen!


Gleich einem Kinde spielst Du mit dem Winde,

Denn herzlich freut Dich ringsum alles Leben,

Oh Pan, wie linde rauschst Du in der Linde!

Du läßt ihr Laub, fast singend, sacht erbeben!


Der Bäume Einfalt scheint zu Gott zu beten,

Er möge ihre stille Unschuld schützen,

Verhecktes Waldgerank und grelle Sumpfraketen

Jedoch betrachten sich kokett in Pfützen.


Oh Pan, Du sehnst, in grünen Epheuranken,

Dich nach der Urgesammtheit aller Wesen,

Es sollen an Dir selber Stämme kranken,

In denen Du Dich einzeln ausgelesen.


Du willst in Pilzen Dich ins Leben klemmen

Und trotzt darinnen jeglicher Vernichtung,

Du treibst, als Rest, zuletzt in Scharlachschwämmen

Und preßt Dein Blut dabei zur Giftverdichtung.

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 3, München; Leipzig 1910, S. 11-13.
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