[Wahrhaftig, es wirbeln da blasse Figuren]

[73] Wahrhaftig, es wirbeln da blasse Figuren.

Sie schwingen den Tyrsusstab, grüßen mit Bändern,

Vielleicht ihren Farben aus allerhand Ländern.

Zuerst gab es rhythmisch bewegte Konturen,

Doch konnte sich plötzlich das Schauspiel verändern,

Nun sind es Mänaden auf glühenden Fluren!

Es trachtet der Wanderer den Spuk zu belauschen,

Bis jetzt kann ihm wenig den Vorgang erklären,

Und mitten im Tanz, unter pomphaften Bauschen,

Erscheinen auf einmal auch Nachtbajaderen.

Es winkt eine Mohrin. Es lächeln Hetären.[73]

Und einige sieht er die Schleier vertauschen.

Es muß so ein Schauspiel die Sinne berauschen!

Die Blicke versprühen ein wildes Begehren

Und immer noch scheint sich der Spuk zu vermehren,

Ganz plötzlich beginnt jetzt die Keckste zu sprechen:

»Komm, Orpheus, wir wollen Dich lieben und ehren,

Du sollst Deine Wanderschaft nicht unterbrechen,

Doch laß, daß wir uns als Begleitung bewähren,

Wir kommen direkt aus dem Reiche der Todten

Und sind Euridikens empfohlene Boten!«

»Ich lasse mich gerne von jedem belehren,

Doch weit ist mein Weg und beschwerlich die Reise!«

Wirft Orpheus nun ein: »Sagt, habt Ihr Beweise?«

»Du siehst nur den Glanz, laß Dir Wahrheit bescheeren!«

Giebt wieder die gleiche zur Antwort; »Wir kehren,

Verwundert zurück, wenn uns Mütter gebären,

Wir lieben die Dichter, da sie uns erweckten,

Sie dachten zwar nur, daß sie Betbrüder neckten,

Und nicht, daß sie Kaiser und Kirche erschreckten;

Doch gleich sing es an in den Gräbern zu gähren,

Bald wußten wir, daß sich Skelette aufreckten,

Und, daß wir die Glieder ins Lichtdasein streckten.

Nun werden wir Frommen die Felder verheeren,

Der Bauer soll nimmer das Klostervolk nähren,

Und wer uns nicht dient, ist im Reiche verloren,

Wir nennen Asketen verschrobene Thoren,

Wir werden das Christenthum kurzweg verwehren

Und frei und vernünftig mit Männern verkehren!«

Nun haben die Weiber zu Ende gesprochen,

Ihr gleitender Tanz aber bleibt ununterbrochen,

Die Klugheit beginnt sie bereits zu beschweren,

Wie könnten sich auch Takt mit Staatsmacht vertragen?[74]

Wer hüpft, will erst Ruhe und Reichthum erjagen,

Dock wer schon besitzt, kann den Luftsprung entbehren.

Doch eine Bacchantin geruht noch zu sagen:

»Sprich Orpheus, gewahrst Du mich nun zur Genüge,

Ich bin eine Fürstin mit gutem Betragen

Und könnte mit jeder Monarchin verkehren,

Denn hohe Geburt ist die lustigste Lüge,

So komme zu meinen Gelehrtengelagen,

Ich will, daß sich jeder auf Erden vergnüge,

Und Mancher verdankt mir Besitzthum und Ehren,

Erfreu uns, wir möchten Dich nimmer entbehren!«

Nun mustert der Dichter die nächtliche Sippe

Und hofft aus den endlichen Abzug der Schemen:

Die schweigen beinander und pressen die Lippe,

Wahrscheinlich aus Furcht sich verkehrt zu benehmen.

Doch merkt er es deutlich, sie sind auf der Lauer

Und heucheln nur ungeschickt Tugend und Trauer.

Nun trachten sie fremde Geberden zu machen:

Vielleicht um die männliche Gier anzufachen?

Doch Orpheus versteht ihre dummen Manieren,

Es will sich die Blase verstellen und zieren,

Sie giebt nur barock und in jeder verschieden

Ein Bild der Bewegungen, wie sie hinieden

Dereinst Euridiken vereinigt beschieden!

Da donnert der Dichter: »Ich werde Euch meiden,

Fürwahr Eure Knechte sind nicht zu beneiden,

Ihr lebt als Gespenster, Ihr seid keine Frauen,

Oh, faltet sie nur, Eure schattigen Brauen,

Ich seh Euch bloß an und schon müßt Ihr vergrauen!«

Wahrhaftig, die Weiber verschwimmen voll Trauer

Und selbst ihr Beschwörer empfindet nun Schauer,

Er sieht sie in Ärgernisfurchen verrunzeln,[75]

Und dann einen Zwerg durch den Dunstschleier schmunzeln.

Das ist wohl der Stöpsel unendlicher Fugen,

Die irgendwo sonst in der Welteinheit klafften.

Es freut ihn, durch Gläser ins Leben zu lugen

Da diese ihm doch schon, von Haus aus, anhaften.

Der Dichter erkennt ihn, er ist ja der Schneider

Der eben verschwundenen Art von Mänaden,

Der fixe Verfertiger griechischer Kleider,

Und anderer exaktester Trachtmaskeraden.

Er ist zwar besonders verschrumpft und emphathisch,

Doch sind seine Augen beinahe sympatisch,

Man denke, er konnte sogar den Hellenen,

Nach kurzer Betrachtung, in Orpheus erkennen!

Nun trippelt er mit seinen winzigen Füßen

Zum Dichter heran, um ihn tief zu begrüßen,

Und spricht dann und läßt sich dabei nicht verdrießen.

Er liebt und er leckt fast den Honig der Worte,

Die jetzt seinen blutleeren Lippen entfließen;

Er bleibt aber niemals am selbigen Orte,

Er fuchtelt, als wollte er jemanden spießen.

Der Dichter, verblüfft durch das seltene Betragen,

Versucht es ein anderes Gespräch auzuschlagen,

Doch bleibt alle Güte und Mühe verloren,

Den Redner scheint nämlich trotz riesiger Ohren,

Auch Taubheit, zu anderen Gebrechen, zu plagen,

Drum kann ich nur kurz was er vorbrachte sagen.

Er schimpfte: »Ich liebe kein Kirchengebimmel,

Und hasse das stinkende Sonntagsgewimmel;

Doch forsche ich gerne; durch Moder und Schimmel,

Kann oft ein vollendeter griechischer Himmel

Dem ernsten Gelehrten ins Innere leuchten

Und selbst seine Augen mit Thränen befeuchten!«[76]

Nun fängt er auf einmal an freundlich zu kichern

Und saust wieder weiter: »Das kann ich versichern,

Obwohl ich die Freuden der Gegenwart meide,

So bin ich doch vollständig Grieche und Heide,

Auch kann ein Johannistrieb später ersprießen,

Und jetzt bin ich froh, wenn die Andern genießen!«

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 3, München; Leipzig 1910, S. 73-77.
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