[Wildwabbernde Fackeln, die qualmend verglühen]

[23] Wildwabbernde Fackeln, die qualmend verglühen,

Beginnen die Bahre des Tags zu entzünden;

Es gibt im Gebirge kein reifes Verblühen;

Verbluten, Verrauchen, soll Frieden verkünden!


Schon regt sich in Schluchten das traumhafte Leben,

Es fangen Gespenster, in Flammenspiralen,

Sich an in die funkelnde Luft einzuweben,

Und Glastfalter siehst Du ihr Dasein verstrahlen.


Der Hauch und die Seele von farbigen Schäumen

Wird eben von Nebeln zum Meere getragen,

Es scheint, was da blühte, jetzt Wolken zu säumen

Und träumt noch von südlichen, glücklichen Tagen.


Fürwahr, heiter rüstet sich jetzt eine Flotte,

Schon winden sich Segler aus purpurnen Hallen,

Denn meistens beschützt sie der Dom einer Grotte,

Aus Herbstwolkentrümmern und Aderkorallen.


Doch reckt schon, im Thal, sich der Riese des Dunkels

Und hebt mit den Schultern die glühenden Lasten

Des langsam verchwirrenden Tagesgefunkels,

Und tief in den Schluchten scheint alles zu rasten.


Noch einmal zersprengen die Sonnenscheinlanzen

Die Massen und Mauern von Schattentitanen;

Den Gipfeln entstrahlen jetzt Protuberanzen,

Es wird das ein Traumland von lauter Vulkanen.


Es brennen die Höhen. Und Abschiedsignale

Beginnen auf sämtlichen Zinken zu rauchen!

Es wallen auch Blutschatten nieder zum Thale,

Es scheint mir das Jahr heute Nacht zu verhauchen!
[23]

Ich sehe die Stunde der Ruhe entschweben,

Es scheinen Gebirge sich grau zu bekränzen,

Der Mond sich, als mildes Gefühl, zu erheben,

Rings Wölkchen in windstiller Andacht zu glänzen.


Es trübt seine Nachtfahrt kein Zittern und Rauschen,

Es wollen sein einmütiges Gipfelerblicken

Die Hoheliedwolken der Sohle belauschen,

Und oben, da scheinen die Sterne zu nicken.


Es funkeln die ewigen Gletschergedanken,

Vom mystischen Blau ihrer Tiefe umwandet;

Sie sind hochgefroren, da gibt es kein Schwanken,

So werden Ideen vom Sterben umbrandet.


Doch sprudeln die Bäche erfolgreich ins Leben

Und selten vergrübeln sich Fluten in Seen,

Der Mond aber liebt es, das heimlichste Weben

Der Dingedurchdringung im Geist zu erspähen. –


Es stürmt dort das Wasser wie zaumlose Pferde

Mit wirbelnden Mähnen die Felsen hinunter,

Das Leben behagt dieser brünstigen Heerde,

Sie wittert es schon und das macht sie so munter.


Zu Adern Italiens geweitet, entschwellen

Die Gießbäche brausend dem Gletscherbereiche,

Auch meine Gefühle sind Hochgebirgsquellen

Und stürzen sich südwärts ins breite Geschleiche.


Es faßt mich das Leben: Verwalten und Spenden,

Ist ewig das Wirken von Menschen und Welten,[24]

Wir selber vollenden mit eigenen Händen

Das Ur-Ich, an dem wir schon zeitlos zerschellten.


Ihr Flammen der Liebe, Ihr Lebensgestirne,

Erfunkelt Euch dauernd das gleiche Bestehen,

Und auch die Ideen in meinem Gehirne

Verwirklichen ewig mein geistiges Lehen.


Sie scheinen mir Blüthen im himmlischen Haine,

Oft pflückt sie der Schöpfer mit goldenen Stielen,

Das Dunkel vernarbt aber rasch jene Scheine,

Die Seufzer ums Leben der Schnuppen die fielen.


Die Sterne behaupten durch rhythmische Schnelle

Ihr Lebensgefunkel erleuchteter Sprache,

Verklärt doch des Blutes erlösende Welle

Auch hier, durch Erkenntniß, die einsamste Brache!


Die schrecklichen Berge sind Steine auf Leichen,

Die Kohlen im Untergrund Särge, die modern,

Doch werden die Toten dereinst den Bereichen

Der unholden Nacht, urbegeistert, entlodern.


Sie pferchten das Gold in das tiefste Gebirge,

Die Habsucht erspäht noch die Schätze des Geizes,

Dann gilts, daß die eine den andern erwürge,

Und stets siegt das Gold und die Schmach seines Reizes.


Doch Gold ist der Schein eines wirklichen Lichtes

Und sagt uns: »Ihr sollt Eure Reichthümer heben!«

Der Erde entschwellt es, die Seelen durchbricht es,

Erreicht Eures Sternes frohsinniges Leben!


Ihr toten Gesellen, wie soll ich Euch packen?

Ich will Euch erwecken, Ihr werdet mir dienen,[25]

Gespenster, ich krieg Euch, es wird Euer Nacken

Dereinst noch vom lastlosen Tag überschienen.


Ihr felsfinstern Sphinxe, auch Ihr tragt im Kerne

Den geistigen Tag ohne Schluß und Beginnen;

Ich wittre sein Dämmern in innigster Ferne,

Nun heißt es, mit Bergen verbunden, gewinnen!


Ihr stummen Kolosse, Ihr sprecht mit den Gipfeln

Bestimmt eine Sprache zerbröckelnder Formen,

Doch seht, in den Zungen, Geberden und Wipfeln

Belebt sich, erhebt sich, ein Grat ewiger Normen.


Ihr Sterne erhebt mich, Ihr Sterne entzückt mich,

Ich bin außer mir, doch in mir wurzeln Gluthen!

Und deshalb, Ihr Sterne, zerpflückt mich, entrückt mich,

Ich fühle so gerne mein Urlichtvermuthen.


Das Thallied des Werdens erklingt in der Seele,

Es glimmt zu den Gipfeln, noch regt es sich leise,

Jetzt faßt mich die Erde, erfüllt meine Kehle,

Und weither durchschauert uns still ihre Weise.


Jetzt packt sie mich ganz, dann streift sie mich sachter,

Es sucht sich in Rhythmen die Zeit zu vollenden;

Ich bin ja ein Dichter, ein Zustandsverachter,

Und kann, was vergeht, zu den Ursprüngen wenden!


Es ist meine Seele an Freiheit gebunden,

Sie kann sie nicht fliehn und erschöpft sie als Bilder,

Sie lebt und besteht auf unendlichen Kunden,

Und Nordlichterscheinungen sind ihre Schilder.[26]

Die Mondscheingebirge umfrösteln jetzt Winde

Und wärmere Hauche verhüllen und betten

Sich tiefer in hangende Wolkengewinde

Und Sturzbäche rauschen wie silberne Ketten.


Es prangen die Gletscher in Monddiademen,

Es können sich Spitzen mit Perlenschmuck krönen,

Die Stirnriesen scheinen verschleierte Schemen,

Und seltsam, man hört keinen Schreckruf erdröhnen!


Es träumen die Adler, es schlafen die Geier,

Und Mondeulen rüsten sich brünstig zum Fluge,

Es brüten die Weibchen rings sichtbare Eier

Und Raubgier erwühlt sich im hellgrauen Zuge.


Jetzt frierts in den Lüften, und starrblaue Schatten

Beginnen die Nacht in die Thäler zu bannen,

Der Mond übergleißt die verglasenden Matten,

Der Reifvogel kann manchen Grat überspannen.


Die Sterne jedoch überglimmen die Schleier

Der frostigen Mondnacht und regsam verkünden

Sie, züngelnd und sprühend, als Glücksprophezeiher,

Das Bündniß von allen erhabenen Gründen.


Die Treue des Kernes der Erde zu Sternen

Kann leise im irdischen Sein sich bekunden,

Wir sollen die Winke des Werdens erlernen

Und strahlend der wechselnden Übel gesunden.


Es birgt alles Dauernde Urlichtsekunden,

Oft werden wir schwindelhaft einwärts gerissen,

Dann zeigt sich uns, plötzlich, die Welt überwunden

Und weit in uns selber erglimmt das Gewissen.
[27]

So treibt auch die Erde die innerste Stille,

Ihr rollendes Wesen, in uns, zu ergänzen,

Drum ist es bestimmt, daß der menschliche Wille

Bedeutung erfunkle, um tief zu erglänzen!


Doch nährt auch der Erdkern rebellische Eile,

Und die fügt sich nimmer an runde Konturen;

Beseeligter Gluthen fast sonnige Theile

Zersprengen, zerbröckeln sich Klammertorturen.


Die Pole umschließen die härtesten Rippen,

Die mittlere Schwere bezwingen blos Reifen,

So kommt der Planet immer wieder ins Kippen,

Und was da beginnt, das gelangt nicht zum Reifen.


Es wandern die Pole und zeugen Entgleisung,

Dem Gluthinnern kann sich die Kruste nicht fügen,

Die Rundform veränderter Axenumkreisung

Des Wuthkerns Ellipsenbrunst nimmer genügen.


Die ruhlose Erde vermochte nicht lange

Die Kinder des Lichtes am Land zu bewirthen,

Und schützte, versteckte sie sorgsam und bange,

In sicheren Meeren, die Inseln umgürten.


Jetzt rüttelt die flüssige Lava an Felsen,

Ihr Druck ist zumal am Äquator gar mächtig,

Was helfen Vulkane mit Speichern und Kesseln,

Die Lava zersprengt sie, – die Erde ist trächtig! –


Die Inseln bis Japan erbeben am meisten,

Amerikas Zentrum erlebt keinen Frieden,

Die innere Urgluth vernichtet die Leisten,

Die selbst sich die Rundsucht des Globus beschieden.
[28]

Der Lavaball drängt zum magnetischen Pole

Und will sich stets gegen die Erdaxe sträuben,

Er schenkt uns das Nordlicht und trachtet zum Wohle

Des Lebens, des Lichttages Zwang zu betäuben.


Der Mond nun erwartet den Bruder noch immer;

Und läßt oft die Erde aus Sehnsucht erbeben,

Doch diese zersprengt nicht den Mutterschlundglimmer

Und kann nur die Nordlichtpropheten beleben.


Oh Mond, dir zu trauen ist schrecklich gefährlich,

Du trügst uns vielleicht in den freundlichsten Nächten,

Du steinbleiches Bild, ist Dein Wohlwollen ehrlich?

Du bist der Vertreter von furchtbaren Mächten!


Dein Lichtflimmerschleier ist milchig und traurig,

Oh, will er dereinst alles Leben bedecken?

Die Seelen und Mütter durchwühlst Du oft schaurig,

Soll alles, sich wieder gebärend, verrecken!


Geschwächt ist im Innern das Lavagluthtoben,

Das Glastmeer umklammern granitharte Wände,

Die Are wird immer nur mählig verschoben,

Es zeitigt das Leben sich Dauerbestände.


Es streut ja das Nordlicht, aus goldenem Horne,

Rings Blüthen und Küsse auf Gletscher und Meere,

Setzt flimmernde Schlangen in sprudelnde Borne

Und leuchtet in jeder lebendigen Lehre!


Jetzt scheinen Gebirgssphinxe Götter voll Güte,

Sie tragen ja Gluthen in eiskalten Falten,

Es ist, als ob Gott alles Leben behüte,

Es kann sich nur felsenumschlungen erhalten!
[29]

Der Mond muß als ohnmächtiger Schemen erbleichen.

Die Aare umkreisen wie Schöpfergedanken

Die Nordlichtgebirge. Den Thälern entweichen

Rings Nebel wie Weihrauch, der Gottheit zu danken.


Vom Herrgott erfleht unsere Erde den Frieden;

Mit eigenen Flammen entbrennt sie ihr Leben;

Dafür wird der Menschheit Vollendung beschieden,

Denn uns ist gegeben, wonach wir noch streben.
[30]

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 23-31.
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