[Du herrschendes Kind im erwachsenen Leben]

[397] Du herrschendes Kind im erwachsenen Leben,

Du strahlender Knabe, unglaubliches Meer,

Du hast Dich für ewig Dir selber ergeben,

Drum bist Du so furchtbar unnahbar und hehr.


Erstaune nicht Kind: es erscheint ein Gespiele.

Er ist nicht so wild wie der kleinliche Wind.

Er schwellt nicht, es schnellt keiner Geisteskeit Kiele,

Er ist wie der Mittag so sinnig und lind.


Sei innig, oh Meer, und sei minnig und leise.

Es liebt Dich ein Sänger voll Sehnsuchtsgesang,

Die Bitterniß schwellt seine weibliche Weise.

Es sei Dir nicht mehr, Meer, um Leidesklang bang.


Entzücke mich, Meer, und sei nicht nur Gespiele!

Mein scheuestes Lied Dir ergiebt es sich ganz.

Du willst keine Liebe. Du wiegst viele, viele!

Du bist nur Gespiele. Dein Spiel ist Dein Glanz.


So sei die Gespielin! Ich will Dich genießen.

Sei mehr als Gespielin: mir wird ja es schwer.

Du kannst als Geliebte die Augen nicht schließen.

Stets mehr bist Du Meer. Denn das Meer ist das Mehr.
[397]

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 397-398.
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