[Irr nicht ab, oh Geist, vom Pfad auf dem Du wandelst]

[363] Irr nicht ab, oh Geist, vom Pfad auf dem Du wandelst,

Frage nicht, ob Du, so wie Du glaubst, auch handelst,

Schwärm Dich aus, Du magst es wie die Andern treiben!

Spätere mögen sich Dein Denken einverleiben.


Fühlte ich mich doch von Jugend an als Heide;

Und verlangt die Seele auch nach fernem Leide,

Will ich es trotzdem mir nicht selbst bescheeren,

Denn das Schicksal birgt für mich von selber Lehren!


Ich fühle mich ganz eins, ein Leib und eine Seele,

Und führe Streit, den ich in mir erwähle;

Kein Gespenst, das ich nicht selber tief erschaue,

Hilft mir je bei meinem eigenen Wolkenbaue.


Singt die Seele auch auf einmal ferne Lieder,

Steigen dann im Herzen Zweifel auf und nieder,

Weiß ich doch, ich werde mich an sie gewöhnen

Und mit neuem Thun und Formenschmuck versöhnen.


Plagegeister, ich erbau Euch keine Bühne,

Nimmer glaube ich an Sünde und an Sühne:

Was Romantiker so gerne übertreiben,

Wird in mir Geheimniß oder Schrulle bleiben.


Heute da die Menschen alle lesen können,

Will ich ihnen gerne große Gesten gönnen,

Doch ich zieh es vor stets athembang zu schweigen,

Wo sich Räthsel plötzlich über mir verzweigen.


Für Saturn begründet man jetzt unbewußt Altare,

Stellt sich philantropisch gegen ihn zur Wehre;

Fortschrittszugluft zeugt gar häufig Gliederreißen,

Einsichtslos will jeder laut das Nichts verheißen!
[363]

Opfer der Natur, Ihr könnt mich nicht erboßen,

Statt zu packen, scheint das Leben Euch zu stoßen!

Ach, wie tief es trifft, statt rasch vorbei zu wehen!

Ernst ist es, und dennoch kann ich fortbestehen!

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 363-364.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das Nordlicht (Florentiner Ausgabe)
Theodor Däubler - Kritische Ausgabe / Das Nordlicht