[Zypresse, ach verlaß mich nicht]

[393] Zypresse, ach verlaß mich nicht,

Wache einst an meinem Grabe:

Wenn ich ausgerungen habe,

Sehe Dich mein Innerlicht!


Greife mit den Wurzeln noch

Bis zu meinem Wundenherz,

Wühle dann nach einem Schmerz,

Sei mein allerletztes Joch!


Du, Zypresse, bist mir ähnlich,

Willst Du mein Begleiter sein?

Strebt Dein volles Sein doch sehnlich,

So wie ich, zum Sonnenschein.


Oh, mein Leben ist so traurig,

Urverlassen glüht mein Herz,

Meine Stille ist oft schaurig,

Dock mein Geist sinnt sonnenwärts!


Armes Herz, mir scheint, Du weinst!

Holder Baum Du sollst dereinst,

Was von mir noch zu erreichen,

Über Dich hinübertragen:

Ach, ich will auch Dir entweichen

Und vielleicht wo anders tagen![393]

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 393-395.
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