[Altes Rom, der große Geist Deiner Cäsaren]

[222] Altes Rom, der große Geist Deiner Cäsaren,

Dein erfrühtes Glück und Deine Lustgelüste

Übertrotzten jeden Wuchttrumpf der Barbaren,

Nur Dein Marstag ging im Sturmgebrüll zur Rüste.


Denn als Du die Welt, die Du dereinst besessen,

Voll von Möglichkeiten in Dir selbst erschautest,

Hast Du Deine Erzlegionen bald vergessen,

Und es kam die Nacht, in der Du selber grautest.


Ja, die Riesenkunst von Rom erstand erst später.

Fremdlinge, die wild die Urbswälle zerschellten,

Blieben tausend Jahre ihre Selbstvertreter,

Bis sie Michelangelo ins Dasein schnellten!


Blutvermischung, Völkerwirbel, Rassenspeicher

Haben Buonarroti an den Tag gewunden,

Die Germanen machten ihn wohl glaubensreicher,

Doch vor allen hat sich Rom in ihm empfunden.


Seine Seele konnte selbst das Größte meistern,

Jener Dom, der über seinem Geist entstanden,

Krönt den Tempel einer Welt von freien Geistern,

Deren Macht Erschauer der Natur empfanden.


Peterskirche, Markstein romverlorener Schlachten,

Keim und Prachtkrystall versammelter Kulturen,

Wuchtgefühl der Urbs, das junge Schöpfer überdachten,

Birgst Du Roms Idee in Deinen Steinkonturen!


Greifen doch arenarunde Tempelarme

Wie aus Deinem Wesen in die breite Weite!

Doch beschützt Du auch die Welt im Tagesharme,

Kühlen Brunnen, was Dein Gluthengeist befreite?
[222]

Jener Moses, den ein Wunsch für Dich bestimmte,

Petersdom! scheint Deinem Innersten zu fehlen,

Denn der Geist, der über Pracht und Zank ergrimmte,

Kann die Welt nicht mehr, aus Rom heraus, beseelen.


Zuchtgebote mußtest Du mit Wucht verheißen,

Moses Wesen, Rom, zur vollen Gottheit steigern,

Nicht versuchen, Länder rings an Dich zu reißen,

Und Dir selbst das Wort und seine Furcht verweigern!


So hat Michelangelo in seinem Moses

Nur barock sein eigenes Wesen übertrieben,

Und es folgte gleich auf ihn ein hoffnungsloses

Epigonenthum, das ohne Gott geblieben.


Doch mit jenem Sklaven, der in sich das Wesen

Beider Erdgeschlechtlichkeiten noch verbindet,

Hat er ganz gefühlt und ist er Er geblieben,

Denn das Leid um seinen Lenz steht dort entrindet.


Auch in jenem anderen trachtet die Gestaltung

Immer noch aus Unvollendung aufzuragen,

Ach, wie furchtbar ist des Sklaven ganze Haltung,

Da die Muskeln ihren Arbeitstag verklagen!


Gott, Italiens Erde ist so hold und düster,

In der Muttergottes hüllt sie sich in Dünste:

Doch ein knabenhafter, frühlingsglückbegrüßter

Tag entsaugt ihr immer innere Feuersbrünste.


Oh, das Blut durchrollt die honiggoldenen Blöcke,

Deren Wesen Michelangelo erschaute,

Und Italiens Wiesen, Weine, Rinder, Böcke

Rauschen oder flüstern hier versteinte Laute.
[223]

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 222-224.
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