[Der grüne Kreuzgang soll im Mondenschein vergehen]

[289] Der grüne Kreuzgang soll im Mondenschein vergehen,

[Rand: Paolo Uccello]

Er sei von Silberkatarakten überschwemmt,

Allein die Arche Noahs soll noch fort bestehen,

Man hämmere, zimmere sie, geheim und ungehemmt!


Es kommen alle Vögel langsam angeflogen

Und bauen sich in ihrer Rettungsburg ein Nest,

Auch andere Thiere fühlen sich herbeigezogen

Und kommen selber, Paar an Paar gepreßt!


Im Mondenscheine lagern aber noch Geschlechter,

Auf die das Silberlicht sein Todtenlinnen senkt,

Was helfen da die schwerbehelmten Uferwächter,

Da hoch der Mond das Sterben über sie verhängt!


Kameele kommen mit fast menschlichen Gesichtern

Aus großen Wüstenfernen schwerbeladen heim,

Vom Sonnentag verführt, begleitet von den Richtern,

Den Sternen, wittern sie des Mondes Todeskeim.


Der grüne Kreuzgang soll im Mondenschein vergehen,

Schon stehen nun Figuren wie Gespenster da,

Und überall, wo Nachts die Silberwinde wehen,

Erfriert, erstirbt beinah, was je am Tag geschah.


Im schwachen Schatten freundlicher Olivenbäume

Verschlafen Schafe rings das stille Mondesgraun,

Sie sind wie todt, denn schon verlassen sie die Träume,

Um brünstig sich in Fremdnaturen zu erschaun.


Dort gehen sterbliche Gestalten eben jagen,

Ihr Hund beschnüffelt jeden Mondesschattensaum,

Im Grünen hör ich viele kleine Stimmen klagen,

Den Tod der Eltern fühlen sie vielleicht im Traum.
[289]

Der grüne Kreuzgang soll im Mondenschein vergehen,

Ich nehme die Idee von jedem Thier zu mir,

Ein stilles Leben will ich tief fürs Thier erstehen,

Denn wirklich ist das Thier und sterblich einzig hier.

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 289-290.
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