[Die Sturmfluth des Lenzes, des Lichtes, der Gluthen]

[95] Die Sturmfluth des Lenzes, des Lichtes, der Gluthen

Umbrandet die Hügel als reifendes Korn,

Es steigen die Blutdasein fordernden Fluchen

Stets höher, es speist sie ein Ewigkeitsborn,


Im Herbst aber müssen die Reben verbluten,

Dann leert sich der Flora glückspendendes Horn,

Es werden die Faune in Felsspalten tuten,

Und überall zeigt sich die Dürre, der Dorn.


Kein Laub hemmt den Schall mehr; die Zeit heller Klänge,

Die Jäger, das Echo erscheinen im Thal,

Wild wirbelnde Rhythmen verdrängen Gesänge,

Man klatscht und man macht den Bacchantenskandal.


Es fangen die Faune an rings zu erwachen,

Es staken die Schalke in fremdem Revier,

Du hörst sie und gleich darauf Bergschemen lachen,

Und was man auch sagt, hört ein ganzes Spalier.


Es rufen des Herbstes glücksuchende Stimmen,

Es blutet die Rebe, die Gluthen ersehnt,

Sie liebt den Vesuv und sie will ihn erklimmen,

So sonnt sich Ariadne an den Panther gelehnt.


Es wirbelt des Herbstes bacchantischer Reigen,

Es tanzt ihn im Walde ein weiblicher Chor,

Wie Kupfer entflimmern die Blätter den Zweigen,

Es rascheln dabei Tamburellen hervor.


Wie taumelnd erstarrte Titanen verschlingen

Sich Felsen, von Wäldern und Bächen umrauscht,

In Schluchten, wo lustige Sprudel entspringen,

Hat einst die lärnäische Schlange gehaust.
[95]

Gigantenkakteen gedeihen auf Wänden,

Um Felshermen züngelt wildwuchernder Wein,

Die Rillen durchklimmt er mit blutigen Händen,

Und Moose umflechten wie Bärte den Stein.


Man sieht sich den Epheu zu Schaukeln verknüpfen,

Und drauf hocken Olme und krötig Gethier.

Vor Grotten beginnen Giftvipern zu hüpfen,

Und drinnen pfeift lüstern ein kleiner Satyr.


Auf Pinien und steilen Zypressen verspinnen

Die Lichter sich langsam zu goldenem Flor.

Es zucken des Abends die purpurnen Zinnen

Der Burgen des Tages zum Äther empor.


Jetzt schreitet uns Bacchus im Walde entgegen,

Das Wetter bedingt seinen launischen Sinn,

Nichts ist ihm an anderer Unbill gelegen,

Mit grünendem Thyrsusstab zieht er dahin.


Am Wagen verschlingt sich das Laub um die Speichen,

Es schleppen ihn Panther durch fruchtbare Flur,

Es scheinen die scheckigen Thiere zu schleichen,

Und Epheu entwuchert als Wagenradspur.


Es reicht eine Nymphe dem Weingotte Wasser,

Er sieht nur mit funkelndem Blicke hinein,

Und schon wirkt der Zauber. Der Trank edler Prasser

Entschäumt nun der Schale. Es blutet der Wein.
[96]

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 95-97.
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