[Die dunkelsten Gluthen des Juli verbluten]

[162] Die dunkelsten Gluthen des Juli verbluten,

Es scheint ein entschwundenes und kurzes Vermuthen

Glückssprühenden Lebens der Welt zu entsteigen,

Sie fühlt ihrer Spannung tiefrhythmisches Schweigen.


Es quillt wie ein Leuchten aus herbstlichen Narben,

Die Asche der Farben, die brennend erstarben,

Erblaßt und verzittert, und Frühlichtbestäubung

Versenkt alle Schleier der Farbenbetäubung.


Erschlaffen die Strahlen, die Wonne erwecken,

Entstehen Lichtflechten, die Gluth zu bedecken,

Es scheinen sich Netze auf Farben zu legen,

Und Nerven beginnen sich ringsum zu regen.


Die waren einst selber die Freude, die Farben,

Und ahnten im Lenze, nach sonnlosem Darben,

Den Aufruhr des Sommers, sein fühlendes Schaffen,

Und spüren bereits sein urjähes Erschlaffen.


Es liebt die Natur diese drückende Schwüle,

Sie ahnt ihre leiblichsten Muttergefühle,[162]

Sie läßt sich von glühenden Küssen betäuben,

Und fügt sich in Alles, sie kennt ja kein Sträuben!


Sie schweigt, ihrer Wonne, der Sonne ergeben,

Sie schützt ihr der Starre entbundenes Leben,

Und stirbt dann der Sommer, verweht ihr Empfinden,

Sie kann sich mit allen Gestalten verbinden!


Nur kurz hat die Schwüle des Juli gedauert,

Schon fühlt sie, wie Müdigkeit matt auf ihr kauert,

Es flüchtet die Gluth über blühende Zäume.

Und fühlst Du! Ihr Abschied erschüttert die Bäume. –


Es baute sich Nero auf Antiums Gestaden

Ein Lustschloß mit marmornen Prachtkollonaden,

Und eben erfreut sich der Kaiser im Schatten

Am heitern Getriebe auf sonnigen Matten.


Er sieht, wie sich Blüthen im Zephyr entblättern,

Um scheinbar als Flügel ins Blaue zu klettern

Und wieder zu fallen, wenn andere fliegen,

Um träumend sich wieder auf Halmen zu wiegen!


Es ist ihm, als warteten Pinien am Hügel,

Mit riesigen Kronen wie offene Flügel,

Aufs Machtwort des Lichtes, sich selbst zu besiegen

Und übernatürlich zur Sonne zu fliegen!


Er hört ein Geplätscher, aus steinerner Muschel,

Als wäre es Liebender leises Getuschel,

Und wirklich, ein Pärchen in Marmor gehauen,

Kann dort seine Schönheit im Weiher erschauen.


Im Sonnenlicht aber erfrischen Fontänen

Den Garten mit hellen, gelockerten Strähnen,[163]

Die Marmordelphine und Nixe verschnauben,

Damit sie am Mittag wie Perlen verstauben. –


Ein Regenkreis soll diese Borne umranden,

Ihr Thau aber sprüht auf die Gartenguirlanden,

Die Erzkinder, rings voller Lust und Behagen,

Am Brunnenrand winden und mühelos tragen.


Das Wassergeräusch und Gefächle von Kühle

Liebt Nero besonders bei drückender Schwüle;

Da scheint ein Campagnatag weithin zu rauchen,

Um Abends in blutigem Dunst zu verhauchen.


Dann will sich der Äther mit Nebel verhängen

Und allseits die Kreise des Lebens verengen,

Die Küste darf gar keine Welle bespülen,

Es scheint selbst die See dann die Schwüle zu fühlen.


Vermag sie dem Land keine Briese zu schicken?

Sie scheint heute wirklich in Dunst zu ersticken.

Die Sonne versinkt hinter glühenden Streifen,

Doch Nero will weiter den Garten durchschweifen.


Er wartet bis Sterne ihn freundlich begrüßen,

Bald legt sie das spiegelnde Meer ihm zu Füßen;

Denn er ist der Gott, der die Erde verwaltet,

Schon wundert er sich, daß der Dunst sich nicht spaltet.


Der Kaiser beginnt jetzt zu schimpfen, zu fluchen,

Er will es durch wüthendes Schreien versuchen,

Die Götter und Sterne des Himmels zu wecken

Und selbst die Olympier durch Christum zu schrecken.


Nun ruft er, er läßt sich bekehren und taufen

Und will dann die Sterne den Göttern abkaufen,[164]

Dafür aber Rom als sein Opfer anzünden,

Wenn Götter ihm Antwort durch Sterne verkünden.


So wandelt der Kaiser noch lange am Strande

Und blickt auf den Himmel mit purpurnem Rande,

Die Lichter des Abends sind noch nicht erglommen:

Was zögert das Dunkel herüberzukommen?


Es blicken dann endlich drei Sterne hernieder,

Doch haben sie Höfe, wie blutige Lider,

Sie wollen nicht einfach wie sonst herabsehen,

Und alles, voll Milde auf Erden verstehen.


Ihr Blick ist verfinstert und fast ohne Leben,

Nicht reuelos schöpfender Liebe ergeben,

Doch kann sie der Kaiser verweint fast gewahren,

Und hält sie für Zeichen der himmlischen Schaaren.


Er sagt sich, da Götter mich ganz anerkennen,

So muß ich zum Danke die Urbs niederbrennen,

Und bau ich dann Tempel mit goldenen Hallen,

So will ich sie plaudernd mit Hermes durchwallen.


Er will, daß die Welt sein Erträumen erlerne,

Denn denkt er, so krümmt sich sein Sinn in die Ferne!

Er kann lauter raumfreie Haine entfalten,

Und zeitlos, ganz grundferne Bauten gestalten.


Doch plötzlich entsinnt er sich göttlicher Spender

Und blickt dann zum Himmel, wo röthliche Ränder

Noch immer die spärlichen Sterne verschleiern,

Denn ringsum die Nebel sind finster und bleiern.


Es hat sich die Dämmerung noch nicht ganz verzogen,

Er sieht einen heftigen, flitternden Bogen[165]

Von Osten empor sich stets heller erheben,

Daß selbst in der See jetzt Reflexe erbeben!


Es laßt ihn besonders die Richtung erstaunen,

Er glaubt an ein Schauspiel olympischer Launen,

Da sagt sich der Kaiser: nach göttlichem Rechte,

Erleuchte auch ich bald die feindlichen Nachte!


Er sieht sich bereits von der Gluthurbs umgeben,

Wo goldene Wimpel den Fenstern entschweben,

Es dünkt ihn, es grüßen ihn Feuerdämonen

Die lange schon lauernd die Häuser bewohnen.


Doch stehen auf einmal die schrecklichen Recken

In Kellern und Dachkammern auf, schlagen Decken

Und Treppen schnell ein, und die Rieseneinbrecher

Entragen den Lucken der brennenden Dächer.


Die Glutharme greifen voll Wuth und begehrlich

Nach allem was nah ist und feuergefährlich,

Dabei aber trachten die Flammentitanen,

Sich immer noch andere Gassen zu bahnen.


Die lockern Gesellen, mit zackigen Zungen,

Sind sicherlich schon zu den Tempeln gedrungen

Und Flammengestalten, mit furchtbarem Hauche,

Entwachsen rings Arme und Häupter am Bauche.


Es sieht sie der Kaiser sich himmelwärts bäumen,

Und ihn, der ein Gott wird, im Kreise umzäumen,

Darauf, als ein lohender, goldener Reigen,

Tief huldigend ringsum vor ihm sich verneigen.


Doch Nero träumt nimmer! Wahrhaftige Gluthen

Beginnen der dunstigen Nacht zu entbluten,[166]

Es wurden die Wolken zu Lippen und Wunden,

Der Mond und die Sterne sind völlig verschwunden.


Jetzt hört er auch plötzlich ein menschliches Schreien,

Es scheine der Boden rings Feuer zu speien,

Doch gleich darauf: »Rom brennt! es ist ganz verloren,

Es hat sich die Plebs mit dem Heere verschworen!«


Es wollte der Kaiser die Brandfackel werfen,

Drum denkt er die Aufsicht im Land zu verschärfen,

Er sinnt schon nach Strafen für jene Entzünder

Und sieht sich zugleich auch als Roms Neubegründer.


Dann glaubt er, es wollte ihn Zeus freudig stimmen,

Und deshalb ließ Hermes die Häuser erglimmen;

»Es folgte ein Gott«, ruft er, »meinen Befehlen,

So kommt denn, wir wollen beim Brande nicht fehlen!«


Es glaubt nun der Kaiser sein Werk zu genießen,

Nicht soll ihn der Anschlag von Andern verdrießen,

Er freut sich noch heute im Feuer zu prassen,

Ja, strahlend will Nero sein Antium verlassen.


Es scheinen ihm Qualme, durch irdisches Tosen

Und Wettern, entblätterte himmlische Rosen,

Doch immer noch andere erglühen dort oben,

Wo Träume sich plötzlich als Bäume erhoben!

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 162-167.
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