[Es ist, als ob ein Traum zu sein sich schäme]

[270] Es ist, als ob ein Traum zu sein sich schäme.

Trägt jegliche Idee in sich Verzicht?

Denn sonderbare, große Bergprobleme

Besonnen sich in meinem Innerlicht.
[270]

Versteinert sich noch immer nicht mein Schweigen,

Und doch, es schmückt, berückt uns jetzt ein Lenz,

Erinnerung, Du sollst der Nacht entsteigen,

Ich rufe Dich, ich nenne Dich Florenz!


Fürwahr, das sind die edlen Festungsthürme,

Die ich von San Miniato voll empfand,

Dort sah ich allen Marmors Flammenstürme

Und stummer Gluthen leisen Daseinsbrand.


Rings sehnen Lehnen sich zum Arno nieder,

Und Ölbestände glimmen still empor,

Sie lispeln ihre leisen Silberlieder,

Und oft tönt oben ein Zypressenchor.


Du wundervolle Landschaft, Deine Milde

Hat ein gewaltsames Geschlecht verstärkt;

Und deshalb ragt ein Schloß in einem Bilde

Unbändig auf, wenn man es kaum bemerkt.


Das goldene Ostergrün bethauter Wiesen

Erknospt, wenn längst die Morgenlerche singt,

Und rings um steilbethürmte Festungsriesen

Ein mädchenhafter Frühlingshain sich schlingt.


Toskanas Geist erklärt sich mir in Worten,

Schon hat er bleibend sich in mich versenkt

Und meine Sehnsucht oft zu holden Orten,

Zu Füßen hoher Zwingburgen, gelenkt.


Ich liebe Dich, Bereich der Silberlinien

Und Schneegebirge, die als Hauch verwehn,

Gelände, wo nur selten niedere Pinien,

Geschieden von Zypressen, einsam stehn.
[271]

Florenz, Dein Volk soll Städtemauern bauen,

Du hast die Arbeit kraftvoll anerkannt,

Dein Geist will Felsentrümmer rein behauen,

Und Klarheit ward durch Dich in Stein gebannt!


Du gabst der Erde Thaten und Ideen,

Doch niemals ward Dein Boden Schwärmern hold,

Du hast Dich selbst als Wirklichkeit gesehen

Und Leib und Seele ganz und rein gewollt.


Die Nacht in Deiner Seele ist nicht finster,

Du kennst doch kaum ein mystisches Versteck,

Aus Deiner Öde blüht noch goldener Ginster

Und lacht und duftet über jeden Zweck.


Es ist Toskanas eingeborene Stimmung

In ihren Robbias eigentlich erwacht,

Sie schufen ringsum kalte Prachterglimmung

Und haben Märzbeginnen angefacht.


Die Engel, die durch blaues Wasser waten,

Wie man sie oft auf Wandmedaillen sieht,

Vermocht ich selber einstens zu errathen;

Es war, als still ein Arbeitstag verschied.


In goldener Wonne ruhten die Maremmen,

Und nirgends, nirgends, regte sich ein Wind:

Da nahte, zwischen eines Flusses Dämmen,

Auf einmal mir ein hehres Himmelskind.


Es mußte sicherlich durchs Wasser schreiten,

Es kam so langsam wie ein Riesenschwan,

Es schien die größte Stille zu verbreiten

Und hat dem Uferhain kein Leid gethan.
[272]

Es glühten seine Flügel durch Zypressen,

Die fühlten wohl sein Aureolenlicht,

Denn sie verneigten sich wie angemessen,

Und alle Dinge schienen wirklich schlicht.


Dann kam der Traum mir leider in die Nähe,

Ganz plötzlich hielt ich ihn für reinen Dunst,

Und da empfand die Seele arges Wehe,

Und es verließ sie wohl des Himmels Gunst.


Ein Schiff sollte den letzten Zauber rauben,

Denn als ein solches fuhr der Traum vorbei,

Doch was ich sehe brauch ich nicht zu glauben,

Ich und die Segel sind sich einerlei.

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 270-273.
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