[Es lebt in Dir, oh Zeus, wie Menschen Dich erfassen]

[114] Es lebt in Dir, oh Zeus, wie Menschen Dich erfassen,

Die Rumpfnatur und unser Trumpf, die Götterwelt.

In Dir sieht man die Riesen, die Du haßt, erblassen,

Sie klammern sich an Dich, wenn sie Dein Arm zerschellt.


Zyklopen, die beim Absturz selber sich zerquetschten,

Hat noch der Kampf gegen die Götterwelt gestählt,[114]

Als die Titanen einst zum letzten Male fletschten,

Hat sich ihr Satansathem Jovis Licht vermählt.


Sie haben sich versteinernd, noch beim Todesringen,

Umkrallt und ihren Feuerodem selbst gehemmt;

Und schrecklich sieht man ihre Leiber sich umschlingen,

Seit eine starre Kruste unsere Welt umklemmt!


Es lebt in Zeus, was er besiegt hat und zerschmettert,

Die Felsenwucht, die unterm Spiegelmeer versinkt,

Der Lebenssturm, der über Wolken weht und wettert,

Der Menschengeist, der ihn im Marmelstein besingt.


Es haucht Dein Mund, oh Jupiter, die Fluchtplejaden,

Und wenn Du lachst, so flattern Nebelkinder auf,

Es können Deine Blicke Wuthblitze entladen,

Es zeugt Dein Donnerwort vom Ernst im Weltenlauf.


Gott, wolltest Du von Deinem Throne Dich erheben,

So hätte alles Wollen seinen Tod erstrebt,

Du aber würdest still und friedlich weiterleben,

Da Deine Allmacht nie vor einem Ende bebt.


Es kann der Reichtum Deines Wesens nicht erlahmen,

Schon ruht des Fatums Ewigkeit in Dir vollbracht.

Die Weltgedanken drängen sich zu Deinem Samen

Und werden Sterne oder Einzelgöttermacht.


Jetzt runzelt sich auf Deiner Stirn der Menschheit Sorge,

Was trübt auf einmal Deine heitere Majestät?

Die Furcht, daß sich der Geist ein anderes Licht erborge,

Zu dem er einst durch Leid vergöttlicht übergeht?
[115]

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 114-116.
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