[Florenz, das ist ein kühner Frühlingstag]

[273] Florenz, das ist ein kühner Frühlingstag,

Ich stoße überall auf heiteres Glück,

Wohin ich auch die Blicke wenden mag,

Es fallt in mich ein Eindruck stets zurück.


Die Sonne blendet heute überall,

Ich kann ihr wirklich kaum entgehn

Und wittere einen Seelenüberfall,

Will gar in mir ein Omen auferstehn?


Ich pralle abermals vor Glanz zurück.

Der Arno schien mir gerade ins Gesicht.

Ich gehe wiederum ein kleines Stück:

Und endlich wird es in mir selber Licht!
[273]

Erscheint vielleicht im Geist der weiße Christ,

Ist meine Seele wahr und keusch genug,

Legt seine Milde sich in meinen Zwist,

Da ich schon häufig heiter Leid ertrug?


Entstehe, bleicher Heiland, fern in mir:

Du blendest mich und bist dabei so weich.

Das ist mein Seelengrund: erfüll Dich hier!

Beherrsche mich, Du bist in Deinem Reich!


Wie eine Zelle sei mein stilles Herz,

Oh, geh in sie, wie in San Marco, ein,

Dort ist das Leid so weit von jedem Schmerz,

Oh könnt ich einsam, rein und einfach sein!


Maria ist die Reinheit in der Welt,

Die einzig Gottes Flammenwort empfangt,

Und wenn sie das in sich verborgen hält,

Hat sich der Herr in seinen Sohn versenkt.


Ihr Engel, Wanderer, Esel, Rind,

Erzählt Euch selbst, was Ihr bei der Geburt

Von unserm Gottgeschenkten Gnadenkind

In Eurer biedern Einfachheit erfuhrt.


Denn damals wurde Er in Euch bewußt,

Ihr wart voll Angst und deshalb floh er Euch,

Dann hielt der Nil ihn noch an seine Brust

Und wer ihn zeugte, folgt ihm mit Gekeuch!


Bei seiner Taufe ward ihm selber klar,

Daß er der Heilige der ganzen Welt

Und der Verkünder ihres Geistes war:

Der Jordan selber hat sich aufgewellt.
[274]

Oh Herr, jetzt steigst Du aus dem dunklen Grab.

Ob Dich dazu der Wächter Schlaf beschwingt?

Zwar trägst Du schon den holden Friedensstab,

Doch bist Du noch von Urvergessenen umringt.


Was Dir nicht nahen kann, bleibt immer da.

Verbunden sind Dir ewig Fuchtel, Pfahl.

Wo jemals eine Christenthat geschah,

War sie ein Sieg über den Stolz, die Qual!


Der Herr mit seinem Leibe ist nun fort.

Der Engel macht es seinen Jüngern klar:

Er lebt in uns. Er flammt aus Gottes Wort.

Er strahlt nun ewig in der Christenschaar.


Hier ist er nicht, im finstern Grabesloch,

Noch oben zwischen Sternen in der Nacht.

Doch leiblich ist er da. Erkennt ihn doch!

Oh geht ihm nach, versucht was er vollbracht!


Oh Christus, wär ich rein und weltenbleich,

Erfröre endlich jeder Erdensinn,

Erthaute ich in Deinem Himmelreich,

Wie bin ich schwach und sehn ich mich dahin!


Oh Gott, Dein Sohn erscheint im Frühlingshain.

Die Magdalena sieht ihn schwebend gehn.

Es ist kein Thau so klar, kein Schnee so rein,

Wie das Ereignis, das vor ihr geschehn.


In seinem Schweigen schläft bereits das Leid,

Er ist der Dinge allerdünnster Hauch,

Das Leben, das sich seinem Schöpfer weiht,

Der Trost und unser holder Wesensbrauch.
[275]

Als Gott mit uns bis in die Sünde fiel

Und in der Wesenheit unendlich blieb,

Enthüllte Er sich als das Himmelsziel

Und tilgte eifrig jeden Wuchertrieb.


Auf dem Erbarmen, das sein Sohn empfand,

Beruht nun auch des Vaters Gnadenthum,

Und in den Christen bleibt das Unterpfand

Von unseres Schöpfers Wirklichkeit und Ruhm.


So hat am Tabor Christus sich verklärt,

Berückend hell war die Astralgestalt,

Er ward das Ganze, das sich nie verwahrt

Und ewig sich in uns zusammenballt.


Es reichen seine Hände aus dem Ei

Des eigenen Wesens und zugleich der Welt,

Er ist der in sich selbst gekehrte Schrei,

Der jedes Wert im Nichts zusammenhält.


Erhoben und zerschmettert ist das Sein.

Die Jünger stürzen, oder wallen hehr,

Aus diesem Erdenleben voller Pein,

In Jesus Christus weites Gnadenmeer.


In Viele schwankt und wankt etwas zurück,

Doch Alle drängt des Geistes Majestät,

In tiefsten Seelenwinkeln glüht das Glück,

Auf dem Er noch in hehrer Pracht besteht.


Maria wird vom Sohne hold gekrönt.

Sie beugt sich keusch zu ihrem Heile vor.

In ihr sind Schöpfer und Geschöpf versöhnt.

Ekstatisch singt die Welt den Gnadenchor.
[276]

Angelico, in Dir erklingt er rein,

Wie nirgends sonst in Deinem Heimathland,

Du knüpfst von ganz Toskanas Frühlingshain

Zu Gott ein wunderbares Friedensband.


Florenz, es sprüht aus Deinem großen Ernst,

Ein heiteres Erdenlicht zu Gott empor,

Oft mein ich, daß Du Dich vom Leid entfernst,

Und Deine Seele wellt sich wie ein Flor.


Ein vollerfüllter Wunsch befreit zu sein,

Auf Gottes Sonnenstille zu beruhn,

Eine Idee, der sich die Engel weihn,

Entschuldigt da das untere Sein und Thun.


Oh, wie das jubelt und der Welt verzeiht!

Wie sich das Licht, wenn alles still ist, regt!

Wie sichs Verzückungsstunden hehr verleiht

Und rings die Erdgeschicke redlich wägt!


Ach, dieser Glanz ist außen wie in mir.

Die Sonne selbst hat Gott für sich gestellt.

Als Licht erwärmt Er Menschen, Flur und Thier,

Und ist der Sohn! Und wir sind Geist der Welt!


Oh Gott, Du krönst die Schöpfung, die Du liebst,

Wo ich auch irre, folgt mir Deine Luft,

In der Du Deine ganze Huld vergiebst:

Ich liebe Liebe, Wärme, Licht und Duft.
[277]

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 273-278.
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