[Ganz stille wirds in Neros finsterm Garten]

[137] Ganz stille wirds in Neros finsterm Garten,

Wo die Zypressen auf die Winde warten,

Um laut zu ächzen und zu stöhnen.

Und in den Nischen giebt es Marmorbecken,

Aus denen Flammen aufwärts lecken,

Um Götter mit der Erde zu versöhnen.

Der Kaiser sieht sie mit Geknister lohen

Und trockene Bäume in dem Hain bedrohen.

Es muß ihr Rauch sich im Geäste sammeln,

Wo sich beschwingte, lose Windesschlangen

Im dunkeln Kronendickicht mitverfangen,

Da Pinienhäupter ihren Weg verrammeln.

Umkreist von einem matten Irisbogen

Kommt nun der volle Mond heraufgezogen.

Er ist vom vielen Wandern wohl ermattet,

Er scheint ein trunkenes Auge, roth verschwommen.

Der Kaiser merkt es kaum, daß er erglommen,

Da ihn der Pinienhain tief überschattet.

Er läßt sich in den Gang der Orchideen

Und Rosen, die ihm Duft entgegenwehen,

Von seinen Lieblingssklaven tragen.

Er will sich an den Blüthendüften weiden,

Und Lärm und Lust der Nebenmenschen meiden,

Denn nicht mehr zieht es ihn zu Trinkgelagen.

Der Kaiser denkt jetzt an das GötterEnde.

Oft wars, als ob man Botschaft sende,

Wenn Schnuppen lautlos durch den Äther schwirrten,

Es werde Zeus von seiner Höhe stürzen.

Und irrte er dabei zwischen den stillen Myrrhen.

So konnte ihm der Fall die Nacht verkürzen.

Die Gäste trinken nun beim Bacchanale

Falernerwein aus tiefer, goldener Schaale,[137]

An Schönheit kann sich jeder Gast entzücken,

Gelöst sind Romas ernste Ehebande,

Denn eine große einzige Guirlande

Umfängt die Menschen, die sich frei beglücken.

Es fröhnt in Neros marmornem Gebäude,

Wer fröhlich ist, der tollsten Sinnenfreude.

Man ließ die Wände wunderbar bekränzen,

Und um die Würde festlich abzumildern,

Verhängte man den ernsten Stein mit Bildern

Und schuf im Riesensaale Blumengrenzen.

Wenn Römer ihre Marmorhallen bauen

Und in die Säulen tiefe Rinnen hauen,

So bleibt die Felsenwucht doch ganz dem Steine,

Und wenn die Künstler längst zu Staub zerfallen,

So lebt das Märchen steiler Marmorhallen

Noch fort und schafft sich langsam Trauerhaine.

Die Säulen zeugen stumm von Sklavenleiden,

Und wenn sie Gluthblumen im Herbst umkleiden,

So sprüht als Rankenschmuck das Blut der Todten

Noch rings hervor in dem Erinnerungsgarten

Der vielen tausend fern und längstverscharrten

Gemarterten, Gefangenen von Despoten.

Es blinken weiße Tempel durch die Lauben

Und um die lauten Brunnen gurren Tauben.

Der Säulen rassescharfer Kanelierung

Entspricht des Dorers adlige Regierung.

Die Hallen zeugen rings von Jugendstärke,

Und stolz auf die Gedankenwelt der Sagen,

Die sie in Stein gemetzt zum Lichte tragen,

Sind diese Bauten traute Meisterwerke.

Versuchte Rom das Schönste sich zu bieten,

So griff es zu den heitern Griechenmythen,[138]

Man zauberte die lieblichsten Gelände

Der Odyssee auf roth getünchte Wände.

Gestalten, die im Trojerkrieg erscheinen,

Lustwandeln in Elysiums heitern Hainen,

Und ringsum unter Heldenepisoden,

Bedecken Seidenkissen Mosaike,

Mit ihren Fabelwesen der Antike,

Denn jeder Gast singt, trinkt, versinkt am Boden.

Auf andern Wänden leuchten Luftgestalten

Und blonde Knaben, die Guirlanden halten.

Doch von der Decke eines hohen Saales

Beschauen lauter wohlgepflegte Numen

Die muntern Menschen, reichgeschmückt mit Blumen,

Und freun sich am Gebraus des Bacchanales.


Es leben im Weine rebellische Kräfte!

Denn wenn sich der Sommer mit Wolken bedeckt,

Als ob er zum Aufbruch die Sturmsegel reffte,

So wird auch die Wuthgluth der Reben erweckt.

Das Erdfeuer will dann sein Wollen bekunden

Und bleibt nicht mehr länger in Trauben gebunden,

Es fügt sich nicht länger dem Sonnenverzichte,

Es gährt und es sucht seinen Ausbruch zum Lichte!

Solange sich Reben auf Lichthügeln weiten,

Wird Sonnenbegehren den Menschen begleiten,

Denn Traubensaft stärkt uns beim tollkühnen Wagen

Und läßt selbst den Schwankenden nimmer verzagen!

Der Wein ist die Frucht, die den Wildwald vertrieben,

Und ist der Begleiter der Menschen geblieben,[139]

Er soll zur Berauschung und Freude gedeihen

Und Menschen das Jahr hindurch Lichtlust verleihen,

Er bleibt seinem Pfleger und Lichtspender treu,

In beiden sind Liebe und Lenz ewig neu!

Es reift nicht der Same allein in den Früchten,

Es müssen sich Gluthen als Räusche verflüchten.

Berauschen uns Trauben, vom Sommer geschwängert,

So wird unsere Jugend und Wollust verlängert.

Drum singt man und trinkt man zum wärmenden Weine,

Damit uns das Leben urwillig erscheine,

Der Mensch will die Schönheit zur Freude genießen,

Es soll nicht der Liebe die Frucht nur ersprießen,

Es müssen auch Träume der Seele entschweben,

Kultur ist ein bacchisches Erdgluthenleben,

Und wenn sich die Menschen, aus Traumlust, umschlingen,

So soll sie das Feuer der Erde durchklingen,

Und wenn sie, berauscht, lauter Freuden entzünden,

Befruchten sich Seelen in heimlichen Schlünden!


Ein Weib im Saal vergißt des Adels Hoheit,

Die Brunst erhitzte es zu schwüler Rohheit,

Das Marterschauspiel voller Blutvergießen

Erweckte seine dumpfen Fleischgelüste,

Und als sie einen Sklaven brünstig küßte,

Begann sie ganz in Wollust zu zerstießen.

Der Jüngling ist im Zirkus aufgefallen,

Sein rothes Kleid, die blanken Achselschnallen

Gefielen dort sogleich verschiedenen Frauen,

Und eine treibt mit ihm jetzt süße Händel![140]

Es schwingt ganz ruhelos ihr Seelenpendel,

Sie kann sich nicht am Kind zufriedenschauen,

Sie küßt sein Haupt und seines Haares Rosen

Und fühlt die Gier noch immer wilder tosen.

Sie hält sein teures Wesen hold im Arme,

Nein, Lüste sind es, die sie halb ersticken,

Jetzt sieht sie Bilder sich entgegennicken

Und Finger winken ihr im Traumlustschwarme.

Gar feurig glühn des Knaben dunkle Augen,

Sie herzt ihn innig, seinen Hauch zu saugen,

Doch treulos schwelgt ihr trübes Lustempfinden

Bei einem andern, der bereits erblaßte

Und dessen blondes Haupt sie nie umfaßte.

Sie sah ihn kaum in wildem Schmerz sich winden

Und seinen weißen Leib im Blut verschwinden –

Er ist dahin, sein holder Blick gebrochen,

Hat er sein letztes Sterbewort gesprochen?

Oh könnte er im Traume noch erscheinen,

Um Unverständliches ihr zuzuraunen

Und sie mit blauen Augen anzustaunen!


Dem Weibe wars, als müßte sie vor Wehmut weinen!

Es drängt sie zum Athmen, sie muß in das Freie,

Sie will, daß ihr Buhle sie dennoch geleite.

Es regt schon der Morgen voll heimlicher Weihe

Die eigene Stimme aus rauschender Weite.

Das Murmeln und Singen vom innersten Werden

Befreit ihre Seele von Erdenbeschwerden.

Nun fühlt sie sich locker, voll trautem Entzücken,

Statt sinnlichem Fiebern ein seelisches Schwingen,[141]

Sie glaubt nun, sie könne den Sorgen entrücken,

Und horcht auf ein erdhaftes, innerstes Klingen.

Nun ist es, beim Wandeln im Parke, dem Paare,

Als ob sich die Seele der Welt offenbare,

Es sieht wie verwundert die Stille sich weiten

Und ruhige Sterne die Nachtbahn durchschreiten,

Und beide erkennen die Urzwistigkeiten,

Sie meinen, es dürften die Winde nachlassen

Und dennoch kann nachttiefer Braus sie erfassen!

Die Nebel entsteigen der goldenen Ferne,

Da spiegeln die Seelen zufriedene Sterne,

Die Umwelt wird munter, und Rom liegt im Schlummer,

Auf Wolken wie Kissen verschlaft es den Kummer.

Fast leichenbleich scheint jetzt die Herrin der Lander,

Wo bleibt das Gebraus seiner Menschenverschwender?

Es schimmern die Berge in ruhigen Linien,

Dem Nebelfeld draußen entragen rings Pinien.

Im Park ein Narziß, wie Ovid ihn sich dachte,

Beschaut sich im Schloßteich und horcht auf sein Rauschen,

Es ist, als ob Sehnsucht in ihm tief erwachte,

Denn immer noch scheint er aus Marmor zu lauschen.

Er frägt und befrägt sich im schlummernden Weiher.

Der Geist dieser Statue begreift nicht das Schweigen.

Dann hüllt er sich langsam in flimmernde Schleier,

Da ringsum der Thau fällt und Lichter entsteigen.

Es werden die Tropfen noch wachsen und schwellen

Und endlich wie schimmerndes Obst sich erhellen,

Wie Keime zu Augen und Knospen ersprießen.

Es wird auch der Thau sich dem Tage erschließen,

Bald werden die Tropfen das Sonnlicht empfangen,

Um fallreif und flimmernd im Garten zu prangen.

Es sehnt die Natur sich mit wuchtiger Brunst[142]

Der Dämmerung entgegen. Es schwankt schon der Dunst.

Er zweifelt, ob heute das Goldlicht obsiegt.

Vielleicht naht ein Tag, da der Nebel aufstiegt:

Doch nein, denn es fiebert das Leben nach Licht,

Das Morgens sich Thaukränze flicht und durchbricht!

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 137-143.
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