[Jetzt fühle ich der Schönheit Flügelschläge]

[190] Jetzt fühle ich der Schönheit Flügelschläge,

Im Norden ist die Lilie Frankreichs aufgegangen,

Die Christenliebe wird in Marmorblöcken rege.


Es scheint der Fels nach Sonnenformen zu verlangen,

Es klimmt ein Frühjahr steil empor an Kathedralen,

Und über Thürmen seh ich Schönheitsgipfel prangen.


Das Leben läutert sich aus unempfundenen Qualen,

(Denn nichts zu fühlen ist der Fluch im schweren Steine,)

Zu Formen, die lebendig ihrer Nacht entstrahlen.


Es trachten lauter Sonngeburten im Vereine

Als Pfeilerbündel langsam sich emporzurecken,

Denn alles Irdische verneint das Steile, Reine!


Es scheinen Osterglocken allerliebste Schnecken,

Verkrümmte Lurche, Olme, Echsen, stumpfe Würmer,

Die reinste Teufelsbrut, im Steine zu erwecken.


Fürwahr, es ruft mit ernstem Glockenschlag der Thürmer

Ein ganzes Schlummerreich empor ans Licht, ins Leben,

Und weist: Oh folgt dem Menschen, Eurem Sonnenstürmer!


Ihr Wesen alle, laßt Euch froh zum Licht erheben,

Ihr Schwalben, sehnt Euch her nach stolzen Menschenwerken,

Ein Taubenschwarm soll immerdar dem Bau entschweben!


Ermüdet mag der Wanderer einen Dom bemerken,

Die Schönheit ihm fast engelsgleich entgegenfliegen,

Des Münsters Himmelssehnsucht jeden Pilger starken!


Es mögen Wünsche domwärts in der Luft sich wiegen,

Und sollte unterwegs die Büßer Furcht beschleichen,

So möge Schönheit alle Zweifel gleich besiegen.
[190]

Es kann kein Engel zwar von seinem Sockel weichen,

Noch je der Glockenklang ihm goldene Flügel leihen,

Doch seine Schönheit wird uns immerdar erreichen!


Jetzt schweben holde Engel schon in langen Reihen

Vom Dom herab und leiten uns in hohe Hallen,

Um Seelen durch beschlossene Ruhe zu befreien!


Das Innere scheint mir in Italien aufzuwallen:

Da sieht der holde Franz in eigener Innerferne

Die gleiche Gluth wie Frankreich, hinter Blutkrystallen!


Sein Münster wölbt sich über Gottes liebe Sterne,

Selbst Vögel nisten traut in seinen Kathedralen,

Denn was da liegt und leidet hat er innig gerne.


Er scheint mir fast die liebe Frau auf Glas zu malen.

Warum? Ich weiß es nicht: Auf einem stillen Anger

Erscheint mir seine Jungfrau hinter Gnadenstrahlen.


Sie ist für mich der ganzen Welterlösung schwanger,

Es fangen Frühlingsblüthen an um sie zu lachen,

Doch wird ihr Antlitz immer traumhafter und banger.


Besonders blaß erscheint sie durch das Lenzerwachen,

Sie ahnt vielleicht bereits in ihrem Muttertraume

Den eigenen Sohn im Kampf mit irgend einem Drachen.


Da zwitschern aber alle Vögel laut im Zaume

Und wollen wohl die Angstgedanken so verscheuchen,

Doch seht, auch Engel blasen schon im Wolkenflaume.


Das singt aus voller Brust und aufgeblähten Bäuchen,

Das braust, daß es die Jungfrau rasch im Haag erwecke,

Denn Frühlingsstürme werden bald das Land durchkeuchen.
[191]

Doch hegt der Heilige besonders eine Hecke,

Wo Blüthen bunt aus blassem Glase bluten,

Und predigt Vögeln dann in einer grünen Ecke.


Das alles ist ein hohes Lied der Erdengluthen,

Ein Heilsversprechen jeder kleinen Vogelstimme,

Ein wunderbares Dichterthum und Grundvermuthen!


Das singt von Höhen, die der Mensch erklimme,

Von einer Liebe, die das Sternenall umarme

Und die in Werken sich ihr Weltgesetz bestimme!


Nun schnitzt der Heilige, in seinem tiefem Harme,

In einer Sprache, die wie Holz so gern erblühte,

Auf einmal Jesum, daß Er unser sich erbarme!


Die Sprache, die beim Trab von Virgils Vers erglühte,

Die wie ein Roß die Recken stolz ins Treffen führte,

Wird plötzlich so, als ob sie sanft zu sein sich mühte.


Ja, sie erweichte, als Franziskus sie berührte.

Nun tönt sie hold und giebt des Heiles Stimme wieder,

Es ist, als ob sie lusthaft seine Hand verspürte.


Es bleibt der Heilige bei seinem Werke bieder,

Er hat nur seinen Gott in frisches Holz geschnitten,

Doch keiner blickte je so treu vom Kreuze nieder.


Das ist ein Christus, der für alle ausgelitten,

Umgraut vom Dunkel einer alten Tempelecke,

Erfahrt er wohl bereits das Gut, das er erstritten.


Jetzt hascht ein rother Strahl empor zur kalten Decke,

Vielleicht ein Wiederschein der Gluth, die er entzündet,

Doch ists, als ob die Hölle sich nach oben recke!
[192]

Die Sünder schlängeln sich zum Heil, das er verkündet,

Doch wieder nein, das rothe Licht, das da erzittert,

Ist ruhig wie ein Herz, das sich mit Gott verbindet.


Wer weiß, was dieses Lämpchens Einfalt alles wittert?

Wie dem auch sei, das Werk, mit dem er uns bedachte.

Ward bei der Arbeit nie durch Zweifelsangst verbittert.


Er sähte stets und sah die Saat, die bald erwachte,

Sein Leib war Früh und Abendgluth, die nach dem Sturme

Schon häufig heitere Überraschungsstunden brachte.


Nicht Glocken, Schwalben rufen uns von seinem Thurme.

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 190-193.
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