[Namenlos sind meine Lieder]

[237] Namenlos sind meine Lieder,

Sagbar kaum wie sie entstehn,

Laute tauchen auf und nieder,

Bis sie klar zusammengehn.


Endlich freuen mich die Rhythmen,

Die ein Lied sich ausgewiegt,

Und ich will mich ihnen widmen,

Ihre Stimmung hat gesiegt.


Würde ich durch die Gefühle

Tiefer Liebe überrascht,[237]

Hätte ich im Truggewühle

Alles Wirkliche erhascht.


So vertrau ich meinen Liedern

Nur die wahrste Sehnsucht an.

Kann ein Wesen sie erwidern,

Steh ich schon in einem Bann?


Meine gutgemeinten Worte,

Zieht denn hin und immer fort;

Horcht an manchem fernen Orte,

Ob ein Herz, ein Strauch verdorrt.


Lispelt leiser als die Blätter,

Daß kein Schmerz Euch überhör,

Seid der letzten Hoffnung Retter,

Fädelt Euch durchs feinste Öhr.


Findet Ihr ein keusches Wesen,

Das Euch wirklich ganz vernimmt,

Oh, so kann ich fern genesen,

Plötzlich werd ich gut gestimmt.


Namenlos sind meine Lieder,

Soll ich ihnen widerstehn?

Mein Geschick klingt drinnen wieder,

Was da kommt, ist schon geschehn!

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 237-238.
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