[Auf des Tages Abendschleppe]

[64] Auf des Tages Abendschleppe

Streut der Mond sein Lichtgeschmeid,

Über ferner Alpentreppe

Funkelt noch das Purpurkleid.


Doch ein Ruhestundenschleier

Glitzert jetzt allein am Meer,

Schwangespenster, Silberreiher

Wimmeln, schwimmen ringsumher.


Wie in einem Irisbecken

Ruht der goldene Honigmond,

Zarte Wolkenhände strecken

Ihn empor, wo Sirius thront.


Viele ersterglimmte Lichter

Nicken wieder schläfrig ein,

Denn des Mondes Flor wird dichter,

Alles, alles funkelt rein.


Da vor unserm Gondelbuge

Rauscht ein weißer Fabelschwan,

Rüstet er sich gar zum Fluge?

Immer huscht er um den Kahn.
[64]

Kaum hält unser Fährmann inne,

Taucht das Thier ins Meer hinab,

Und in bleicher Silberrinne

Biegst Du um ein Marmorkap.


In den heimlichen Kanälen

Ist der Schwan dann wieder da,

Dichtumloht von Mondjuwelen

Lenkt und leuchtet er beinah.


Seine weißen Flimmerglieder

Sind viel zarter als ein Traum,

Rings verliert er sein Gesieder,

Oder ist es Gischt und Schaum?

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 64-65.
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