[Mir ist es oft, als sehnten sich die Blumenwiesen]

[38] Mir ist es oft, als sehnten sich die Blumenwiesen,

In heitrem Lenzesschmuck, nach einem Fernenflug,

Als wähnten sie, als hofften sie, die Winde bliesen

Sie munter fort, als traumhaftbunten Flatterzug.


Nun plötzlich seh ich, wie sich einige regen,

Befreite sie und trägt sie gar ein Lenzgeruch!

Narzissenfelder können ihren Flug erwägen –

Denn Liebenden gelingt der erste Fluchtversuch! –


Nein, weiße Tauben sind es, die mich deutlich täuschen,

Dort weiß ich, daß ich Blüthensehnsucht wahr empfand,

Nun lausche ich der Vögel wirren Fluggeräuschen,

Die erst im Steilgesang ihr Urgewicht erkannt!


Ich selber bin ein Wunsch nach Liebe und Entfaltung,

Der mühsam erst aus Irrgespinnsten bricht;

Mein Weib, wann gebe ich dir lichte Wahrgestaltung,

Wo bist du Kind, das wieder kindlich zu mir spricht?


Ich weiß genau, daß tausend weiße Himmelswiesen

In uns sich suchen, weil sie gleicher Duft beseelt,

Sie wollen sich aus Liebe ferneher erkiesen,

Und keusches Glück hält sie einst sommertreu vermählt.


Ja, keusch ist die Natur, die liebend sich befruchtet,

Denn Reinheit weht vom Mittagsmeer, vom Schneegefild,[38]

Dir gilt mein Lied, oh Gischtsee, die im Felsland buchtet

Und tiefverschluchtet Lebensdurst und Ruhbrunst stillt.

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 38-39.
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