[Venedig, es ergießt sich Deine Ernte]

[62] Venedig, es ergießt sich Deine Ernte

Aus Blumenseelen in die weite Welt,

Denn jeder Duft, der sich von Dir entfernte,

Trug Samen fort für künftiges Blüthenfeld.


Die Nelken Deiner Vorwelt sind erstanden,

Ihr Zauber hat Carpaccios Traum durchschwebt,

In Basaitis blühenden Guirlanden

Sind wieder Korn und Mohnblumen belebt.


Mansueti hat ein holdes Sonnenmotto,

Das Veilchen blüht in seiner keuschen Hand,

Die großen Glocken des Lorenzo Lotto

Umträumen oft ein goldenes Sommerland.


Bellinis, Du Giovanni, Du Gentile,

Ich pflückte Astern oft in Eurem Traum,

Die Diestel sticht sich dicht zu eurem Stile;

Doch grünt in Eurer Art ein Lorbeerbaum!


Oh Tintoretto, lauter goldene Trauben,

Ein ganzes Erntefeld hast Du erschaut,

Des Herbstes Wolkengold und Kupferlauben

Sind wiederum in Dir emporgegraut.


Venedig, ganz Arkadien ist erstanden,

Dein Veronese übersteht den Lenz,

Die Träumer, die an Deinem Strande landen.

Beräuchern Deine Weltmagnifizenz.
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Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 62-63.
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