[In einem Land, das von der Fluth fast unberührt geblieben]

[73] In einem Land, das von der Fluth fast unberührt geblieben,

Begann der Boden sich auf einmal bebend zu verschieben:

Das Meer hat hohe Wasserhosen an den Strand getrieben,

Die bald beim Sturm zu Brandungsschaum und Wirbelgischt zerstieben.

Da drang der Druck der großen Fluth herbei mit grausem Blitzen:

Ein Sturmrausch wars, ein Sausebraus, beschwert mit Hagelschauer,

Als wollte sich sein Nebelrumpf zerreißen und zerfitzen.

So stürzte er am Weltenmeer, auf wilder Dauerlauer,

Als Riesenwirbel hin und her und wurde immer dichter

Und riß auch manches Felsenriff hinab in seinen Trichter.[73]

Da wälzte sich in einem Ruck ein Sturmstumpf mit Gebrüllt,

Vom Trubelkessel wuchtig los und trug, in schwarzen Hüllen,

Gar furchtbare Gewitterlust und schlug die Mutterfülle,

Als junge Stürme, keuchend los; da stürzten die, wie Füllen,

Dem Braus mit Windgewieher nach: und alles tanzte, tollte

Mit Wirbellust in sich zurück, als ob es sich verschlingen wollte.

Und Dünste schlürfend wuchs der Sturm noch immermehr, am Ozean,

Und raste dann mit einemmal dahin als fahndender Orkan.

Wahrscheinlich zog das Abendland ihn plötzlich mächtig an:

Er wallte, wogte hin zum Land, bis er den schwanken Strand gewann.

Und Schaum und Gischt und Fluth und Nacht erklommen Riesenhänge.

Der Mittag war in Sturm gehüllt. Die See entsprang den Ufern.

Weiß übergischtet war der Fels in steiler Meilenlange.

Das Meer hat stürmisch aufgejauchzt, als wärs von tausend Rufern:

Und Schlamm und Dunkel mischten sich zu wirbelndem Gedränge.

Die Schlacken zuckten blitzend auf, wie unter Sonnenhufern:

Da wars, als ob ein Rhythmentanz die Wildheit fast verschlänge,

Als trüge Fluth, beim Lebenssturm, als Mähne Gischtbehänge.

Und wieder donnerte am Meer ein anderes Ungeheuer,

Noch manche dunkle Ungeburt, aus dunstbezwungenem Feuer,

Zerschlug verblitzend, dort am Strand: und klarere Orkane

Entschlangen sich dem Wirbelherd und landeten am Strande.

Es war, als ob ein Walten sich auf einmal wieder ahne:

Denn peitschten Winde Kämme auf, dort hart am Strandesrande,

So waren sie im Trab davon, als ob sich eine Karawane,

Da stracks, am starren Lavahang, den Weg ins Dasein bahne!

Der Strand erklang, da Sturmeshast das ganze Land durchfegte,

Und allerseits dem Trubel sich, der Hang entgegenregte.

Ein Armenacker, Beingerank, das Gott von Rümpfen sägte,

Rang lavastarr nach Daseinsform und schwankte, ob es wägte,

Nach welcher Art, am freiesten, den neuen Leib zu fügen!

Das Erderbeben schnellte nun, aus tiefen Wirbelzügen,[74]

Die erdenbrache Kreiskraft auf, der Lebenshast entgegen,

Und langsam schien ein Massenkrampf sich wirklich zu bewegen.


Und Sturm und Wogen klommen jäh empor auf Lavahängen.

Und Lustsuchtwucht und Ursprungsqual erstürmten starre Riffe.

Die Blitze mußten Dunst und Nacht mit einemmal zersprengen:

Ganz athemlos kam ein Orkan, als ob er seinwärts griffe,

Auf Wellenschimmeln gleich daher. Und alles drang nach oben.

Und immer wuchtiger erscholl das hohe Brandungstoben.

Und stöhnend, schnaubend, schlug die Fluth nun aufwärts über Klippen.

Und ächzend, wiehernd brach der Wind sich rings an scharfen Kanten.

Und dröhnend, knarrend fügte sich der Fels zu Knochenrippen.

Und pfauchend raste der Orkan, der plötzlich leibhaft rannte,

Dahin, am schwanken Lavafeld. Schon ward er eine Heerde!

Und gruppenweise stürzten sich ins Dasein wilde Pferde.

Und Schimmeltruppen schlugen toll den Blitz aus Lavakanten.

Und Rappen trabten, wo das Land im Augenblick erstarrte:

Da Schwankheit und Verzogenheit sich rasch in schlanke Leiber wandten.

Der Erdfels starrte, den, im Nu, der Rossetroß durchscharrte.

Und auch der wilde Wind verschwand. Der Sturm war abgebrochen!

Sein Rhythmus nur ward fortgeschnellt, als Herz und Lungenpochen.

Der Dunst umschwoll das Felsgestell aus festgefügten Knochen.

Und immer kam noch, fern am Meer, die Lavafluth gekrochen.

Die Wogen bäumten sich empor. Fast waren sie schon Rosse!

Es schien, als ob beim Brandungssatz, der See ein Sein entsprosse!

Und Pferdphantome, gischtbewehrt, entsausteu schon den Wellen.

Festleiblich ward ihr Luftgebild. Zum Hufe ward die Flosse.

Die Nüstern witterten voraus. Und eilig wie Gazellen,

Sah sich der ganze Rossetroß, jählings ins Leben schnellen.

Sie streckten ihre Hälse vor, wie einstmals die Giraffen:

Doch waren sie zu bärenplump und stürzten ihren Formen nach:

Beim Rasen ihre Leiblichkeit zu haschen, zu erraffen,[75]

Wobei sich manches Roß sogleich die sprödgefügten Glieder brach.

Von Schimmeln wimmelte das Feld. Den Stuten und den Hengsten

Lief wiehernd manches Füllen nach und rief sie schon mit Ängsten,

Als suhlte es, beim Sturmgebraus, nicht rasch genug im Lauf zu sein.

Die Hengste sprengten mitten durch. Sie hielten sich am längsten.

Sie strengten sich oft gräßlich an und stürzten über Roß und Stein.

Sie drängten sich behende vor, und wo der Knäul am engsten,

Da warfen sie sich brunsterfüllt auf hurtige Mutterstuten

Und mußten meistens, hufzerstampft, am Boden dann verbluten.

Es konnten Rosse nun, im Trab, das Kap rasch überfluthen.

Ihr Blick war voller Kampfbegier. Sie lugten immer weiter:

Doch blitzten aus dem Seelenschlund, fast menschlich gute Fluchen

Und überglühten fast die Wuth, oft perlensanft und heiter.

Denn Räthsel würgten sich empor, die tief verborgen ruhten,

Und plötzlich wieherte ein Roß, als rief es seinen Reiter.

Doch ganze Heerden rasten vor. Sie wollten sich blos sputen.

Die Funken blitzten hell empor. Dies ward ein Jagdgewitter:

Denn abgestaut schien selbst der Wind, durch sonniges Gezitter,

Und Schweif und Mahnen sprühten jetzt, von Schweiß benetzt wie Flitter.

So stoß denn holdes Sonnengold aufs stolze, hohe Kap herab.

Und kataraktrasch sprang die Fluth jäh aufwärts über Klippen.

Der Lavastrand hat ausgebebt und dröhnte unterm Rossetrab:

Denn der hat jetzt den Gau belebt und trug in sich das Wippen.

Da schlug die innere Hast den Trupp bis hin zum Abendrande.

Und vorgewälzt und rings umdrängt, entschloß der Troß der Rosse

Sich rasch zum kühnen Todessatz und sprang am andern Strande

Ins schwanke, kalte Naß herab. Wie wuchtige Geschosse,

Entstürzte nun, mit toller Wuth, dem Strand die Pferdeheerde:

Und wieder gab dem Wogenmeer, was sie empfing, die Erde!

Und tausend über Tausende von Rossen wankten nieder

Und brachen sich beim Sprung sofort die kaum verkrallten Glieder.

Und immer größer war der Schub: je mehr im Meer ertranken,[76]

Um destomehr erkrampften sich ihr Sein am andern Strande.

Sie klommen durch den Wogenprall, entsprangen Brandungspranken:

Und wild umkraust von Mähnengischt, sah man sie einwärts dampfen,

Und mit den Hufen, blitzhaft rasch, das Lavaland zerstampfen.

Im Nu belegte Stutenbrut, verfolgt von jungen Füllen,

Durchschwamm nun eine Ruhebucht, um da aufs Land zu springen.

So sollte sich die Ursprungswucht, durch Zufallslust, erfüllen,

Und unserer Wieherthiere Wurf nun unbedingt gelingen.

Und immer tiefer drin im Meer ward jeder Ruck zum Roß:

Und was am Wasser aufgetaucht, das ward gar rasch ein Wogensproß:

Und schwamm da lang als schwammiger Hengst, bevor er aufwärts schoß,

Und durch den heftigen Brandungssprung, sich fest in Formen goß:

Wo alles sich so wunderbar zu tieferfaßter Fügung schloß.

Von Wasserrossen so verfolgt, durchschnaubten stets die Pferde

Den schlackenstarren Lavaplan und fahndeten hinüber

Und rasten durch das brache Land und fühlten nie Beschwerde

Und stürzten dann, nach langer Hast, am andern Strand kopfüber,

Zurück, hinab ins Wassergrab, wo sie beim Satz ertranken.

Und andere trabten ihnen nach, vom Meer empor, zum Meer zurück:

Und sanken abermals ins Nichts: nurs Land kam aus dem Schwanken:

Doch rasch verschnaubte jedes Pferd: sie stürzten alle, Stück für Stück,

Hinab in einen Trubelschlund: die See hat sie verschlungen:

Und andre sind, trotz Todesritt, noch immer nachgedrungen.

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 73-77.
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