[Unheimlichkeit durchschweift die Freiheitsphären]

[592] Unheimlichkeit durchschweift die Freiheitsphären,

Es naht den Erdenfackeln ein Komet:

Es glüht der Wein, das Gold schießt in die Ähren,

Der Himmel ist von Schnuppen übersät.


Die Seele will sich aller Angst erwehren,

Da sie der Geist in stillem Ernst umweht,

Und dennoch naht der Feind mit Geißelheeren:

Ach Mutterland, Dein Flammenkranz vergeht!


Im Herzen fühle ich das Goldgewitter.

Die eigene Schwüle macht mich blaß vor Scham.

Ein freier, doch ein fremder Sterngeistritter,

Macht meine Feuerfreude flügellahm.


Er sagt: »Die Gluth in Euch ist Tugendstitter!

Wer sich im Martertode stark benahm

Bleibt immerhin ein Thier und Urlichtzwitter,

Denn jedes Qualgelüste ist infam!«


Wahrhaftig, alle unsere Flagellanten,

Und die Asketen auch, nach Isis Brauch,

Sind gar verdächtige Heilstrabanten:

Um ihre Scheiterflammen wabbert Rauch.


Die Heiligen gar, die sich fürs Lamm entmannten,

Verschmähten ihren reinsten Leibgebrauch,

Origenes und andere Diamanten

Sind fahler als des Moses Zukunftsstrauch!


Die tiefste Wahrheit strahlt im Goldkometen,

In unserm Innern weckt er manches Wort!

Er spricht: »In allen Priestern und Propheten

Belebt sich Luzifer in einemfort.«
[593]

Die Menschen, die den Schöpfer hier vertreten,

Begehen stolz den ärgsten Seelenmord:

Allein in Hiobs Hymnen und Gebeten

Erkennt der Fromme sich als Satanshort.


Oh Herr, Dein Wesen will ich dreist durchdringen!

Oh Herr, die Arbeit habe ich verschmäht!

Ich will mit Engeln, Heiland, singen!

Wo bleibt die Demuth, die im Staub vergeht?


Dein Licht ist Liebe, wie es Menschen bringen!

Das ärgste wird von Christen ausgesät:

Blos Deiner Gnade kann das Heil gelingen,

Denn Selbstsucht schwillt in jedes Bußgebet.


Oh schlag uns, Herr, vor allen die Propheten!

Wir haben stolz das ewige Gut umfaßt.

Oh Herr, der Gotterkenntniß Prunkrateten,

Verschwende ich als bübischer Phantast!


Ich bin ein Dieb! Die Einsicht des Planeten,

Die Himmelswollust hasch ich ohne Rast:

Ich hab, vor der Geburt, den Raub vertreten:

Lichtspender, triff mich Nimmersatten Gast!


Der Feuerschweif erschüttert unsere Flamme.

Polarlichtwirbel glühn am Firmament.

Ich frage mich, sind wir vom Gnadenlamme,

In Ewigkeit, als Satansbrut getrennt!


Die Kirche, unsere milde Seelenamme,

Die seit Augustus Zweifelbeichten kennt,

Versengt der Sonnenglanz von einem Stamme,

Der ferne urlebendig heilwärts brennt.
[594]

Es sagt der Glast: »Die Wesen, die Gott schauen,

Verwirken durch ihr Wissen seine Gunst,

Doch jenen, die aus keine Hoffnung bauen,

Entschleiert erst der Tod den Daseinsdunst.


Es wandeln in den heiligen Friedensauen

Die fertigen Erschauer ihrer Kunst.

Dem Lamme muß vor allen Seelen grauen,

Die nichts bewegt als Himmelsliebesbrunst!«


Die Flamme sagt: »Der Herr ist von den Sternen

Und ihren Daseinsgütern abgekehrt:

Wer trachtet sich vom Schöpfer zu entfernen,

Hat meistens hier sein kurzes Glück vermehrt.


Wer ehrlich strebt, das Christrecht zu erlernen,

Hat oft der Erben Säckel noch entleert:

Wer praßt, fischt Geld selbst aus Zisternen,

Weil er im Gold den Sonnlichtfälscher ehrt!«

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 592-595.
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