Der Schlafende

[550] Ich harre: denn in mir wird heitere Freiheit tagen.

Es überwindet unser Schlaf den Todtentod:

Er soll den Tag durch alles Nachterwachen tragen.


Hinab in meinen Tod, Du holdes Wonnenroth.

Die volle Sonne ist die große That, zu leben:

So fühle doch, wie sorglos sie Dich noch durchloht:


Wie sich in Dir die Pulse freundlich ihr ergeben:

Der Schlummer ist die Sonne, die den Tag verheißt:

Sie weiß: nur wer sie kennt, wird sie erstreben.
[550]

Du glaubst, daß sie von Dir, dem Kind, geschieden kreist.

Du weißt von Fluthen unter goldenen Tropengluthen,

Doch fern ist bloß der Schein, und Du verwahrst den Geist:


Nicht ich, doch Du, auf dem die Wesen stets beruthen,

Bewachst das Sonnenwollen vor dem Nichts der Nacht:

Du Macht zu schlafen bist der Dauer Grundvermuthen.


Du weißt, daß ein erschauter Tag in Dir erwacht.

Die Sonne, die den Schlaf erschuf, erblickt sich wieder.

Denn Schlummerwurzeln tragen ihre Tagespracht.


Das Nordlicht bringt die Stille. Das Nordlicht senkt die Lider.

Das Nordlicht weht in Dich und überwellt Dich schon,

Denn herrlich senkt sich eine Welt in Dich hernieder.


Das Nordlicht, zweier sonngeborener Sonnen Sohn,

(Denn Schlummer und Bewußtsein haben es erschaffen,)

Setzt leuchtend Sonne, Mond und Sterne aus den Thron.


Es will in Dir, das Nordlicht Dich der Nackt entraffen.

Es sieht die Sonnen, zeigt die Sonnen, zeugt die Sonnen.

Das Nordlicht steigt, wo die Bewußtseinsschluchten klaffen.


Das Nordlicht blickt Dich an, es glimmt in Dich versponnen.

Du liebst es hold, es will in Dir beruhigt sein:

Du schläfst. Vergißt Du Dich, so hat die Gluth gewonnen:


Und bald erblaut der Tag, ganz unschuldsvoll und rein.


Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 550-551.
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