[Da rast ja ein rastloser Haufe zum Hafen]

[333] Da rast ja ein rastloser Haufe zum Hafen.

Unsagbar viel Menschen erklimmen die Molen.

Was giebt es, daß heute die Leute nicht schlafen?

Man gafft in die Prachtnacht und freut sich am Johlen.


Das Feuer am Pharus erstrahlt majestätisch

Und sprengt Scharlachglast auf die nahen Gestalten,

Er scheint fast ein hungriger Brandopferfetisch,

Vor dem lauter Priester ein Nachtfest abhalten.


Das Ufer erklimmen rings Wuthgeiferkamme.

Und Zischgischtgebilde, die schräg niedertraufen,

Bespritzen das Zankpack der Stadthafendamme,

Doch kühlt das kaum merklich die Schaulust vom Haufen.


Das Meer aber wüthet und sprudelt gar mächtig,

Als wollten die Wogen Grundwunder entrollen.

Opalschleier hüllen den Pharus oft prächtig,

Beim Aufschäumen, ein, und sind haschrasch verschollen.


Jetzt kann ich genau ein paar Satze erfassen.

Man heult, halb zum Spaße: »Wir lassen uns taufen,

Doch laß uns, Du Heiland, kein Schauspiel verpassen,

Wir wollen dem wandernden Sterne nachlaufen.«


»Du Judengott, fremder Geheimnißaus hecker,

Verspritz, wenn Du kannst, Deine Sommernachtfunken!«

Schreit eben ein Kopte. Man wird immer kecker.

Und ganze Volksgruppen sind völlig betrunken.


»Schafft Raum!« herrscht der Hauptmann der Stadtsykophanten:

»Und laßt den Gelehrten den Vorfall erklären!«

Nun seh ich ein Männchen, als Darmspekulanten

Und Deuter von Zeichen, den Haufen belehren:
[334]

»Der Löwe hat diesmal kein Wasser gesoffen

Und litt einen Monat an schlechter Verdauung,

Erst heut fiel sein Bauchrest, drum könnt Ihr jetzt hoffen,

Es sei nun vorbei mit der Schnuppenanstauung.«


Verwundert beklatschen die Meisten den Weisen

Und wünschen sich Glück zu dem Staatsastronomen.

Nur einer ruft vorlaut: »Das mußt Du beweisen!«

Ein anderer: »Verstopfungen sind böse Omen!«


Doch gleich wird der vorwitzige Einwurf berichtigt,

Die Schreihälse werden von Wachen geknebelt,

Die Volksmenge selbst wird dadurch ganz beschwichtigt

Und droht: »Wer sich vorthut, wird niedergesäbelt!«


Jetzt drangen sich Weiber, in rothen Gewändern,

Auf einmal hervor und beginnen zu schreien:

»Matrosen aus allen menschspendenden Ländern,

Begleitet uns, laßt Euch das Heil prophezeihen!«


Ekstatisch beginnen die Weiber zu tanzen

Und, brünstig aufbrüllend, die Brust zu enthüllen.

Die Schranzen versuchen zwar rasch mit Stahllanzen

Den Ausbruch der weiblichen Mannsucht zu stillen,


Doch sind die Matrosen sammt allen Passanten,

Bereits in den bacchischen Platztanz gerissen –

Und eine kreischt: »Alle wir Heilandgesandten

Lustleiber verkünden den Christ zwischen Kiffen!«


»Halt ein!« ruf ich auf: »Du beleidigst den Vater,

Den Sohn und den heiligen Geist durch Dein Sprechen!«

Jetzt seh ich auf einmal den Weiberberather

Sich rasch durch die Schreisarabande Bahn brechen.
[335]

Da steht er: ein üppiger Jüngling, und redet,

Mit Thränen im Auge und Trauben am Haupte:

»Verwerflich ist jeder, der Christum befehdet,

Oh lobe den Gott, der mich huldvoll umlaubte.


So lasse die Gluth in das Weib überfließen,

Im Schooß Deiner Frau Deine Freude ersprießen:

Oh komme, in Christo die Ehe genießen,

Weh dem, der sich wollte der Liebe verschließen!«


Schon schluchzen und schnalzen und lachen die Leiber

Der beiden Geschlechter, vermengt, auf der Erde,

Doch habe ich selbst für den Geilheitseintreiber

Nichts übrig, als blos eine Abwehrgeberde.


Da spricht jener Jüngling verheißungsvoll weiter:

»So lasse Dich heute am Christtag bekehren,

Zu Weihnachten bleibe bei uns und sei heiter,

Du sollst Deine Seele dem Heiland bescheeren!


Es ist heut wie damals ein Glücksstern erschienen

Und freilich gar bald über uns bleich verschwunden,

Ein Gott ließ ihn leuchten, dem alle hier dienen,

Er will sich bestimmt durch ein Wunder bekunden!«


Nun wallen die Weiber in Purpurgewändern

Empor aus dem Brunstpfuhl und singen im Chore:

»Du Sieger und großer Vertreiber von Schändern

Des Tempels von Zion, eröffne die Thore


Des ewigen Reiches, voll Huld, diesen Heiden.

Und Ronach, Du Weib in Jehovah, erscheine:

Erlöse die Frauen von Unreinheitsleiden,

Damit sich einst Knodek mit Ronach vereine.
[336]

Oh Spirita Sancta, erfülle die Feiten!

Dem Jünglinge ist jetzt die Maid ebenbürtig!

Das Weib steht noch höher, – als Mutter bei weitem –

Drum sieh, schöner Fremdling, mein Peplon entgürt ich.«


Drauf werfen die Weiber den Pupur zur Erde

Und drehn sich frenetisch und kreischen unbändig:

Und andere schüren das Feuer der Herde,

Und Mädchen entjungfern sich höchsteigenhändig.


Es blenden mich derart die Fackeln und Feuer,

Daß tiefschwarzes Dunkel und furchtbares Grauen,

Als Nachthintergrund mit dem Weltungeheuer,

Der WuthUrsamajor, allein, niederschauen.

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 333-337.
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