[Ich aber sage allen Lebensüberwindern]

[244] Ich aber sage allen Lebensüberwindern:

Laßt von der Schönheit Euch jetzt nimmermehr verführen!

Ich will die Leiden Eures Erdendaseins lindern,

Ich weiß des Flammengangs geheime Seitenthüren.


Sie stehn Euch offen, folgt mir bloß auf meinen Wegen,

Ihr dürft ein todtes Leben ohne Leid erhoffen,

Ihr könnt Euch selbst die steile Sonnenbahn verlegen,

So kommt, wir haben uns zur Wallfahrt gut getroffen.


So reißt Euch los vom Weib! Das Weib ist bloße Erde!

Doch steigt ins Grab hinein, und nicht empor zum Himmel.

Das Licht, der strenge Hirt, treibt seine Menschenheerde

Mit friedlichem Gebimmel, wie ein Schafsgewimmel,


Stets fort, bergan von Schmerz zu Wunsch, von Brunst zu Leiden;

Ich aber lehre Euch das Licht der Seele zu entzünden,

Und so als freies Sein, den Außenzwang zu meiden,

Und meinen Kult will ich mit Wucht in Euch begründen.
[244]

So gebt Ihr Eurem Sein die beste Selbsterhaltung,

Den Tod könnt Ihr im Dammerscheine kaum gewahren,

Verneint Ihr das Geschlecht, die Leib und Seelenspaltung,

So birgt für Euch das Dasein keinerlei Gefahren.


Seid Sternen gleich, die keine andern Sterne stören,

Ich werde wie der Mond Euch durch das Dunkel führen,

Ihr sollt die Lieder meiner Inbrunst nimmer hören,

Und nichts als meiner Liebe Stille in Euch spüren.


Oh Mond, Du lauterer Lothos tiefster Weltenweiher,

Du schwimmst im Urallozean dahin: und Sterne

Entschlummern bleich, bedeckt von Deinen leichten Schleiern,

Und auch die Sehnsucht schweigt in Deiner Obhut gerne!


Drum folgt mir, Daseinsflüchtlinge und Mendikanten,

Vertilgt im Seelenfieber Eure Lichtbegierde,

Entstammt den Ampelschein, da wir sein Heil erkannten,

Kein Drang, kein Mangel sind des Priesters tiefste Zierde!


Ein Lothoslicht voll Milde ist in uns erschienen:

Ich hüte mich, sein Wesen irgendwie zu nennen:

Der Einheit aller Dinge soll mein Walten dienen,

Und Sinnbegriffe, Laute können nichts als trennen.


Der Mund, die Ohren, Augen sind der Umwelt Lucken,

Durch die uns äußere Feinde wahrnehmbar betrachten,

Einst soll jedoch die Einheit ineinander zucken,

Die Urlust die getheilte Reizbarkeit verachten.


»Du irrst, Unseeliger, Du irrst!« ruft eine Stimme.

Ein Krüppel, der mir nachschleicht, hält mir diese Rede:

»Ich reize Dich vielleicht zu herbem«, bitterm Grimme,

Doch wisse, Thor, Du trennst nur und Du wirbst um Fehde.
[245]

Laß Leib und Seele mit einander wandern, seelig

Die Welt genießen und das Leidmaaß tragen,

So steigen wir am Sonnenpilgersteig allmählig

Und ohne Umweg auf aus unsern Jammertagen.


Unseliger, Du willst aus Milde Krüppel zeugen,

Ich bin bereits dereinst ein Bettelmönch gewesen,

Mein Leib verkam, doch ließ die Seele sich nicht beugen,

Dafür muß jetzt mein Leib lebendig halb verwesen.


Ich habe meinen Mord vielleicht noch zu begehen

Und werde als Vampyr die Nachte bleich durchschleichen,

Ich muß die Marterqual wahrscheinlich einst bestehen

Und soll verflucht, als Spuk, mein Ziel zuletzt erreichen.


Unglücklicher, Du kannst dem Schicksal nicht enteilen,

Du bist Asket und warst Du wirklich nie ein Prasser,

So wirst Du noch als Schlemmer auf der Erde weilen!

Du hältst Dich rein: vergeblich suchst Du einst nach Wasser!


An mir, dem Hinkenden, kannst Du genau erkennen,

Daß unsere Seelen mindestens ein Leben dauern,

Wildträumend will die Meine sich vom Leibe trennen,

Wohl seh ich oft, wie Windchimären sie belauern,


Doch krampfhaft kann der Rumpf sie abwärts an sich reißen,

Um starrbewußtlos sie ins Fleisch zurück zu binden;

Und dennoch kann sie nimmer sich im Leib verbeißen,

Noch jemals sich wie er, so jung und siech empfinden.


Denn das ist ja das Schauderräthsel meiner Tage:

Die Seele ist viel weiter als mein Leib gegangen,

Es scheint, daß sie fast greisenhaft ins Jenseits rage,

Und sieh, ich bin ein krankes Kind mit rothen Wangen.
[246]

Auch ich, unseliger Pilgerhirt, auch ich erblicke

Das Lothoslicht am Rothen Ozean der Seelen:

Wenn ich zusammenknicke und beim Schrein ersticke,

So fängt der Buddah grausam an mich tief zu quälen.


Er ruft: ich bin der Aufruhr und die Seelenruhe,

Ich bin des Mondes Bruder, tief im Mutterschooße,

Ich bin die Furcht vor dem, was ich im Kerker thue,

Den Tod entfessele ich mit jedem Erdgluthstoße.


Ich bin der Daseinsflamme tiefste Urverneinung,

Da ich als Buddah die Vernunftaskese förder,

Drum ist ein Selbstmord meine schwerste Machtverheißung:

Ekstatisch bin ich Mahatma und Seelenmörder.


Mein Sieg kann nur in unterwühltem Land gelingen:

Ich muß den Lebensüberdruß zuerst verbreiten:

Wo Erderschütterungen meinem Sein entspringen,

Vermag ich es, den Kriegs und Pestweg zu beschreiten.


Statt Mord und Sühne könnt Ihr Euch den Selbstmord wählen:

Das ist das Resultat von meinen Einheitskrämpfen:

Die Krüppel dürfen sich im Dasein weiterquälen,

Denn Rohheit läßt sich leichter als das Weltleid dämpfen!
[247]

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 244-248.
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