[Jetzt regnet es! Ich kann bereits die Tropfen zählen!]

[258] Jetzt regnet es! Ich kann bereits die Tropfen zählen!

Mein Bruder ist schon patschenaß und denkt entschieden,

Sich nimmermehr mit seiner Arbeit abzuquälen:

So gönnen wir uns denn für heute alle Frieden!
[258]

Es sind das sonderbare Wolken, sonnumsponnen

Und gar so dünn, daß sie den Himmel kaum verhüllen;

Und trotzdem hat das Tröpfeln ringsumher begonnen:

Die Nebel werden sich wohl auch zusammenknüllen.


Der Meder hat das Wasser sicherlich gespendet:

Die Tropfen scheinen wie geschmolzenes Gold zu gleißen:

Ein Freund hat diesen Regen ganz gewiß gesendet

Und will vielleicht die Opfer Irans an sich reißen.


Das Nieselwetter sickert mild wie Schweiß hernieder:

Es ist, als ob uns Silberperlen rings benetzten:

Die Thiere nicken ein und schließen ihre Lider,

Ach, wenn die Nebel uns in einen Traum versetzten!


Es scheint das Gold aus unsern Poren sanft zu dringen,

Doch nein, wir sehn es doch vom Himmel niederrinnen,

Dort oben wieder kann es sich zum Lichte schwingen

Und alles was da lebt mit Irisglanz umspinnen.


Nun fängt es endlich lau und kräftig an zu regnen,

Und jeder denkt, die Werkzeuge nach Haus zu tragen,

Wahrscheinlich wird man sich beim Heimwärtsgehn begegnen,

Dort scheint mein Nachbar schon die Schafe fortzujagen.


Nun sehne ich die ganzen Thiere rings im Schlafe:

Kein Hirt vermag das Vieh aus dem Versteck zu treiben,

Wahrscheinlich packt die Angst auf einmal alle Schafe,

Die Böcke, selbst die Rinder, wollen draußen bleiben.


Wir helfen. Immer stärker klitschts und klatschts hernieder!

Es scheint, daß jetzt die Kühle auch erwache.

Die Feuchtigkeit dringt schnell und stark in meine Glieder.

Ich stehe bis zum Knie in einem kalten Bache.
[259]

Ich trachte mich bereits an Ästen anzuklammern.

Ein Wolkenbruch ist irgendwo herabgegangen.

Ich höre Thiergebrüll und Einzelstimmen jammern.

Ich fange selber an, ums Eigenheil zu bangen.


Was kann man da im Wasserwirbel wirklich machen!

Ists besser in den Bachen hin und her zu schwimmen?

Vielleicht gelang ich irgendwo zu einem Nachen!

Vielleicht ists rathsam, aus ein nahes Dach zu klimmen!


Nun, schließlich ist es nicht so arg! Noch kann ich stehen!

Ich will versuchen durch den Bach nach Haus zu waten,

Doch jetzt beginnen Nebelfetzen herzuwehen,

Und drunter baumeln lauter Schauderakrobaten.


Die Firlefanzer drangen sich um Schwefelmäuler,

Die scheinen sie voll Geilheit zu verspeisen,

In Schlünden hört ich noch die kleinen Windskindsheuler,

Leicht wimmernd, weggeleckt und eingeschlürft vereisen.


Grad über mir, ein dunkles Sturmwurmungeheuer,

Durch Sumpfdunst aufgedunsen, bricht jetzt Fieberwinde,

Denn dem geplatzten Bauch und Maul, bezahnt mit Feuer,

Entprasselt nun der Hagel seiner Rumpfgewinde.


Der Ätherhai will seinen weißen Laich verspritzen!

Doch nein: ein Weibchen ists, mit kleinen, geilen Eiern!

Ei sieh, die reiben, ritzen sich an allen Spitzen:

Ihr Hochzeitsreigen aber bleibt dabei ganz bleiern.


Die Eiswindwirbel, die sich schräg herniederwälzen,

Vertrusten wohl bereits an allen scharfen Ecken,

Doch mußte Reif in wenigen Minuten schmelzen,

Und in den Hecken bleiben jetzt die Heerden stecken!
[260]

»Halloh!« so ruft nun irgendeine ferne Stimme,

Ein Eber grunzt in einem Wurzelstumpf verschlungen,

»Zur Hilfe Elender!« schreit jemand jetzt im Grimme:

Rings von Gebraus und von Geräusch bin ich umklungen.


Ich selber wate durch das Wasser, halb betrunken.

Soeben ist ein Bock, der blöckend schwomm, ersoffen.

So mancher Rumpf ist unter mir im Sumpf versunken,

Und Leichen hab ich, treibend, überall getroffen.


Die Zeit hetzt schnell. Es ist nicht werth bei uns zu bleiben!

Des Übels Unglück ist es, seinen Grund zu fühlen,

Drum laßt sich, was ein Maaß in sich umarmt, vertreiben,

Und das Gewissen wird das Grübeln unterwühlen!


Ach, könnte ich den Wahn der Einzelheit besiegen,

Da die Gefühle doch bei fremden Leiden weilen,

Ach, ließen Zeitsturm, Raumtraum sich in uns durchfliegen,

So war ich frei und könnte alle Menschen heilen!


Was ist das, daß ich nicht am Eigenbangen hafte,

Vermags ein Fieber mich der Umwelt zu verschwägern?

Ich wate in Gefahr, da ich bereits erschlaffe,

Ich taste weiter zwischen eklen Schreckerregern.


»Zur Hilfe denn, die Herden werden weggerissen!«

Dies hör ich irgend eine ferne Stimme wimmern,

Ich fühle klar, ich will, man soll mich nicht vermissen,

Und müßte sich die eigene Lage selbst verschlimmern.


Durch Fluth und Guß versuch ich, munter durchzukommen,

Und fühle wie mich Quellen, lau wie Blut, umspülen.

Von goldenen Zitterwischen dünk ich mich umschwommen,

Und Salzgeprickel kann dabei die Glieder kühlen.
[261]

»Verfluchter Meder, der das Wetter uns bescheerte,

Wir werden Dich mit Deiner Hexenbrut vernichten,

Wir kennen jetzt der Erdenschatze Zauberwerthe,

Und auf Verkehr mit Wichten wirst Du nun verzichten!«


Den Fluch vernehm ich jetzt, beinah in meiner Nähe,

Und denke: habe ich das Leid hervorgerufen?

Und nun entsteht um mich ein Bild, voll wildem Wehe,

Denn alles, ach, zerfiel, was unsere Hände schufen!


Ganz fabelhafte, fahle Hagellagen decken,

Wie Klobenroggen, alle Abhänge und Kanten:

Und Menschen, Hirsche, spießten sich in riesenhaften Hecken,

In welche Thiere mit Geweihen blindlings rannten.


Am Himmel wuchten schwere, plumpe Sturmdunstklumpen,

Und blos ein Schauerknaul, mit lauter aufgeschlitzten Bauchen,

Verzieht sich ausgestreckt, und Wolkenbruchrestlumpen

Versucht nun eine Fuchtel schwankend zu verscheuchen.


Ist jener gelbe Fleck dort überhaupt die Sonne?

Sie will sich eitel, einer Greisin gleich, verstecken

Und lugt oft durch die Schleier, geil wie manche Nonne,

Die beten will, dient sie auch brünstig kecken Zwecken.


Jetzt scheint mein Eigenlicht ermüdet zu verkümmern:

In einsam tiefer Dämmerung muß mein Lied verbluten!

Es glüht ein Abend über ungekannten Trümmern,

Die Tempel werden sollten und verschollen ruhten.


Was kann im Halbschlaf mir ein Wasserdasein sagen!

Ich spähe aus, was noch mein Lebensodem bändigt,

Ich will den Anruf eines Wellenwesens wagen,

Vielleicht ist meine Pilgerfahrt noch nicht beendigt.
[262]

Ein Gauch wird scharf in meiner Vorstellung entwickelt:

Ich zeichne klar des Zwanges Leibergebniß,

Ich seh bereits, wie Fischblut durch die Adern prickelt.

Und nun steh fest! Dies wird bestimmt noch ein Erlebniß.


Gar schwabbelig ist dieser Wasserwamms gewachsen:

Sein Narwalbauch, mit Zitzenansatz, ist halb thierisch,

Drum stimmen mich auch seine laxen Wackelfaxen

Sowie sein Wachshautnackenflachshaar bald satyrisch.


Er kann kaum athmen, denn das Wasser sprudelt

Ihm unaussetzlich aus dem Walroßmaule,

Die Schwimmhautpratzen, die er rasch zusammen nudelt,

Verschrumpfen mit den Armen fast zu einem Knaule.


Sein Haupt ist bartlos, und der Aussatz klettert

Vom blauen Runzelhals empor zur stachen Glatze.

Der Anblick regt mich auf. Ich bin vor Schreck zerschmettert

Und sehe, stets violetter wird die ekle Fratze.


Sein Fleisch erweicht zu eitrigen Geschwüren,

Blutwucherungen krampfen sich um seine Lenden,

Jetzt fängt das Tümpelgeistgesicht an, mich zu rühren,

Und traurig ruf ich: »Bruder, kann ich Hilfe spenden?«


Der Wasserplatscher aber bleibt dabei apathisch

Und trachtet nichts am Asthmazustande zu andern,

Ich weiß nicht, weshalb, doch er wird mir jetzt sympathisch,

Und fängt sich an mit grünen Zünglein zu umrändern.


Ich tret ihm immer näher und ich sehe, seiner Zehen

Mistmuscheln sind verrunzelte und schmutzige Nägel,

Und wunde Wadenwarzen, die sich gräßlich blähen,

Umkleben bis zur Schlegelhälfte, ekle Egel.
[263]

Die Schwefelgarben aber, die ihn grell umglasten,

Gestatten mir das Wasserwesen zu betrachten,

Die nassen Schwimmhautpranken, die nach Nahrung tasten,

Umranken Algen, die die Arme stark befrachten.


Drum platscht er gar so arg im Blattpflanzenmoraste,

Und nun vermag ich auch ganz wahrhaft zu gewahren:

Der Aussatz, der bereits vom Bauch das Haupt erfaßte,

Ist ein Geranke blaßerwachter Nenupharen,


Die Tags darauf sich, langsam wachsend, rosa färben,

Und in der nächsten Nacht, verblauend, leicht erbleichen

Und tief ermüdet in der Blüthenfülle sterben,

Denn liebesschwer versinken sie in ihren Teichen.


Die Kratzkorallen und durch Krampf geplatzten Adern

Vermag ich jetzt mit andern Augen zu betrachten,

Beim Bauche staun sich Pampas und Papierbaumhadern,

Die wildzerzaust auch seine Schamtheile benachten.


Die Wucherungen, mit den blutigen Wurmgeschwüren,

Erfasse ich als kaktusartige Bulbenpflanzen,

Und auf der Schilfbestande schäckigen Rückgratschnüren

Beginnen winzige Wanzentupfen anzuranzen.


Die großen Eiterknollen seh ich goldgelb stocken:

Vielleicht muß ich mich an den Anblick erst gewöhnen:

Doch nun erkenn ich sie als grobe Bernsteinbrocken

Mit schönen, unpolierten fetten Ockertönen.


Ich glaube doch, daß irgend was sich da veränder,

Denn, reich beschwert, beginnt das Wassersein zu sinken,

Jetzt scheint das Ungeheuer fast ein Fettblatthand er,

Auf dessen Flossen Rosen anstatt Ringen blinken.
[264]

Der Rumpf ist nun beinah im Sumpf versunken.

Sein Haupt jedoch hat sich mit Gras bebartet.

Die Garstigkeit enthüpft ihm in Gestalt von Unken –

Nun ist er ganz als Mensch und blasser Mann geartet.


Im Tang verstrüppt, versank der Geist bis an die Hüfte.

Jetzt ruhn die Schultern auf den weichen Algenkissen.

Mit runden Büffelaugen schaut er in die Lüfte,

Und schweigend wird er in den tiefen Teich gerissen.


Dämonisch ernst verschwanden Hals und Nacken:

Die längst verzopften Bartflechten sind Aderblätter:

Ganz glatt und glanzhaft bleiben seine fetten Backen,

Und, schlürfend, wird der kurze, schwulstige Mund violetter.


Der Larve Nasenlöcher deckt bereits das Wasser.

Die starren Augen seh ich im Krystalle glänzen.

Verdunkelt sind die hohen Brauen und ein blasser

Goldbogen schwellt empor, die Fluthgruft zu bekränzen.


Ein Weltgeheimniß will sich hier aus sich erschließen!

Ein Zwitter ist ganz manngeschlechtlich jetzt entstanden:

Die Weiblichkeit, die abfiel, sah ich rein ersprießen,

Und da verstand ich, was wir alle längst empfanden.


Die hellen Wellenringe, die sich frei verschlingen,

Die Brauen, Ohren, Nase, Mund und Augen waren,

Erzählen flimmernd von den allerletzten Dingen,

In uns die Schmerzerlösung einst zu offenbaren.


Das Wasser, das ich anstarre, ist klar und strahlend.

Das Geisterauge hat es so zurückgelassen:

Die kalten Angstglastgarben, die beinahe prahlend

Entflackern, kann mein baarer Mannverstand nicht fassen.
[265]

Wie tausend Aale ist der Wasserfürst verschwunden.

Ein Werk des Heiles will er sicherlich besiegeln:

Er konnte sich bestimmt schon wo für uns bekunden!

Ich schaue auf. Ganz wach! Und seh den Mond sich spiegeln.


»Den Mann da, hat der Mond wahrhaftig angeduselt,

Er steht mit beiden Füßen in der hellen Quelle

Und sieht verdutzt, wie rings der Unkensumpf verfuselt,

Heh, Held der Feldgesprache, rühr Dich von der Stelle!«


Dies spricht nun, hoch im Fisteltone, eine Stimme.

Ich blicke hin und seh jetzt schnell sechs wilde Schimmel

Den Fels erklimmen, und ein Wicht peitscht sie im Grimme,

Denn ziemlich hell blinkt rings des Himmels Sterngewimmel.


Der Mond hingegen hat sich wiederum verzogen,

Drum kann ich auch den Pferdetreiber nicht erkennen,

Jetzt werd ich wohl von Träumen meines Traums betrogen,

Denn weshalb trachten jene Rosse durchzubrennen?


Ich sah die Pflugschar nicht am Acker blinken,

Wars Kalkgestein, ein Eisquadrat das aufwärts jagte?

Ich rief »halloh« und konnte kurz nur winken,

Da keine Frage sich aus meinem Munde wagte.


Ich möchte mich zurück zum Wassergeiste wenden,

So wahr und glaubhaft ist sein Wesen durch mich selbst gedrungen,

Doch ruht der Sumpf jetzt dunkel zwischen grauen Wanden,

Drum bin ich ihm auch unbedingt im Nu entsprungen.
[266]

Ein Wolkenknäul verdunkelt immermehr die Gegend.

Die Sterne werden weniger. Der Mond bleibt finster.

Das rauhe Schrein wirkt drum besonders wildaufregend.

Und angsthaft lauschend schwank ich jetzt durch dichten Ginster.


Im Thale traben lange Schattenkarawanen.

Tief unten hör ich Rosse durch die Schluchten pusten,

Hier Thiergespanne sich am Abhang Pfade bahnen,

Mit Silber scheint der Berg sich rings zu überkrusten.


Das sah ich rasch, da mir der Mond aus Nebeln

Den Überblick für einen Augenblick gewahrte,

Jetzt aber hör ich nichts als ein Geklirr von Säbeln

Und sehe nirgends einen Mann mit einem Schwerte.


Ich tappe weiter, und nun wirds noch einmal heiter,

Da merk ich einen Greis, umringt von weißen Schafen,

Der spricht: »Vertreiben Dich vielleicht die bleichen Reiter?

Tritt ein, wahrscheinlich ist es gut, daß wir uns trafen!«


Ich taumle in die Grotte eines Eremiten.

Ich sinke hin an einem heiligen Feuerherde.

Ich hör den Greis: »Wenn Urgefühle mich verriethen,

Empfangt ein reines Weib vielleicht das Kind der Erde.


Astvatereta wird wahrscheinlich jetzt geboren,

Im Schooße einer Jungfrau muß er hold erwachen,

Denn selbst des reinsten Weibes Echtheit geht verloren,

Kann purer Samen Lebensgluth in ihm entfachen.


Des Parsen Urtrieb ist die Spaltung der Geschlechter!

Drum ist es nöthig, daß sich unsere Welt erlöse,

Wir sind der Elementereinheit rege Wachter,

Und Scheidung ist in uns das Einfachreligiöse.
[267]

Das Weib ist irdisch und der Erde gleich zu ehren,

Der Same, den der Mann hat, seine halbe Habe.

Doch fängt er an, den Leib des Weibes zu beschweren,

So liegt er leichenunrein, wie in einem Grabe.


Des Mannes Auswurf, der das Weib entweihte,

Entleert es wiederum, mit einem Schmerzensstoße.

Doch wie das Weib einstmals aus eines Mannes Seite,

Entsteht der Heiland bald aus einer Jungfrau Schooße.


Vielleicht sind jene Stürme, die im Chaos wühlen,

Die Fluthergüsse, unter denen wir erbeben,

Die fürchterlichen Flüsse, die den Berg umspülen,

So wilderregt, weil sie das Erdenkind beleben!«


»Wohl mag es sein!« Hab ich als Antwort drauf gegeben!

»Noch glaube ich, die Nacht bricht jetzt herein auf Erden,

Drum sehn die erste wir, erschreckt, die Welt durchschweben,

Und alles trennt sich scharf, was wir vertreten werden.«


Jetzt wühlt der Greis beim Grübeln tief im Barte

Und starrt mit großen, rothen Augen in die Flamme,

Als ob er Antwort aus dem Element erwarte!

Mich aber reizt das Rankenspiel vom Gluthenstamme.


Die ganze Klamm durchwirbeln grelle Blatterschemen,

Und Schatten wallen durch die Halle des gerechten

Felseremiten, und, bekränzt mit Diademen,

Erstrahlen Stalagmiten ernst wie Marmorflechten.


Jetzt spricht der Einsiedler zu mir: »Anachoreten

Entschließen sich in einem Gottesohr zu hausen,

Die Erde mag, daß wir in Felsenlöchern beten,

Und diese Muschel höre gern sich selber sausen.
[268]

Die ganze Sehnsucht Irans hab ich hier gebeichtet,

Auch wirkte ich, da sie so mancherlei gewahrte,

Denn alles, was Ihr Parsen je im Krieg erreichtet,

Durchmurmelte zuerst als Wunschspruch unsere Bärte.


Wir baten alle: Erde laß uns einzeln walten,

Du sollst den Priesterstand des Herrscheramts entlasten,

Vom König mögen Götter, was sich ziemt, erhalten,

Wir Weisen aber und die Priester werden fasten.


Der Leiblichkeit entrückt, kann sich der Geist entfalten,

Drum meiden wir es, bis zur Sättigung zu speisen

Und trachten heilige Gerichte einzuschalten,

Gar mancher Magier machte drum auch Pilgerreisen!«


»Du mildgesinnter Greis, ich will bei Dir verweilen!«

Erwidre ich: »Ich liebe Dich und diesen edlen Sinter,

Denn hier, wo Steine weinen, hofft mein Leid zu heilen.

Nur in der Tiefe giebt es niemals einen Winter.


Mit Tropfsteinen umwolkt sind solche hohe Grotten,

Es wälzt der Fels unendlich viele Frauenbrüste

Aus sich hervor, Goldmolken sickert rings aus Zotten,

Als ob hier alles Bernstein überkrusten müßte.


Hier will ich Dir von edlen Erdgerichten melden,

Von Wein und von Getreide, um das Volk zu speisen,

Doch brauchen wir vor allem große Sonnenhelden,

Die uns in ihrer Zubereitung unterweisen.


Der Wein ist pur und gut, hat er sich rein gegohren,

Das weiße Mehl ist echter Same des Getreides,

Drum sei das goldene Brod als Heilssymbol erkoren,

Vom Weltenbesten, Flamme, Same, hat er beides.
[269]

Veredeln wollen wir den Parsenstamm durch Nahrung,

Die ferne, unterjochte Länder reichlich spenden,

Des Parsen Krieg gilt einzig seiner Artbewahrung,

Jetzt tragen Siege uns zu weiten Weingeländen.


So viel man kann, mag man zur Läuterung an sich reißen,

Ich will dem Feuer Feindes Habe, Labe weihen,

Denn meine Zähne sperrt das Recht, ins Fleisch zu beißen,

Mein Flammenstamm kann nur im Krieg gedeihen!«


Nun spricht der Greis: »Mein Kind, Du siehst im Fieber!

Es schmelzt Dein Feuergeist die letzten Erdenbänder,

In Dir erzuckt die Männlichkeit in jeder Fiber,

Doch wirst Du leicht zum hitzigen Sonnengutverschwender.


Es wabbert Deine Seele. Deine Kriegsbrunst knattert.

Sie gleicht dem rothen Flammenbart der aufwärts lodert:

Du siehst nicht wie er rasch im Eigendunst zerflattert,

Und ewige Nahrung fordert, die durch ihn vermodert.


Denn Feuer frißt, als Hungerwurm, in allen Brettern,

Nur stille Seelengluth kann unsere Wuthbrunst dämpfen,

Auch Du begehrst nur ringsum, alles zu zerschmettern,

Und haßt die Nacht mit ihren hehren Wunderkämpfen.


Wie Mondlicht stiegt mein Bart zurück zur guten Erde.

Ich selber fiebre auch, doch meine Lust ist milde:

Sieh, meine Seele liebt die sanfte weiße Heerde

Und sie vergiebt selbst Hast und Haß der Kriegergilde.


Den Wein und das Getreide will ich reinlich ehren,

Doch darf sich nicht der ganze Stamm daran berauschen,

Der Menschheit will ich sie symbolisch nur gewähren,

Zuerst jedoch die Erde selber noch belauschen.
[270]

Doch die Orakelantwort ahne ich zur Stunde:

Die Erde will, daß alle sich zuvörderst läutern,

Denn ihre reinste Frucht enthüllt sich nur im Munde

Des edlen Pilgrims und der echten Lebensdeuter!


Und Du, mein Sohn, genieße blos vom goldenen Weine,

Im Augenblick, da Du Dich ganz als Mann erkanntest:

Den Wahrsten blos durchschauere hold das Feuerreine,

Das sag ich Dir, zum Lohn, weil Du Dich schon ermanntest.


Du zwingst die Erde Deinen Traumrausch zu verlangen,

Es liebt die Welt bereits die Frucht unserer Bekanntschaft,

Wer Bilder sieht, braucht keinen Eindruck zu empfangen,

Das Mannwerk kennt man bald am Mangel aller Landschaft!«


»Die Kunst in uns erwuchs noch nie im stumpfen Rudel!«

So rufe ich: »Allein will ich mein Werk vollenden,

Es wuchtet in mir selbst ein furchtbar dumpfer Sprudel,

Oh Greis, ich zieh von Dir, hab Dank für Deine Spenden!


Der Mann, der sich vom Weibe gänzlich ausgespalten,

Kann in sich selbst den Geist vom Leibe unterscheiden,

Und läßt die Seele, als sein Liebstes, über beiden walten,

Und wird am Leib, was sie beleidigt, frei vermeiden.


Ein bloßes Wiederholen ist das Kinderzeugen,

Die Menschlichkeit hingegen dient Begeisterungszwecken,

Dem sucht die Frau, durch ihr Geheimniß vorzubeugen,

Und deshalb sehn wir Weiber das Geschlecht verstecken.


Vom Weib, von Erdenfesseln muß der Mann sich trennen

Und milde was ihn hindert in die Kissen legen,

Allein den Eigenmangel soll er rasch erkennen

Und schroff verachten, ohne lange zu erwägen.«
[271]

Das Sausenheim, das Tropfsteinloch des Grottengreises,

Vertausch ich nun mit Sturmgewölk und Regenmahnen,

Ich wähle mir den Schloßenscklag des Hageleises,

Statt eines Weisen Bart mit Weltbegeisterungsthränen!


Das prasselt und das gischtet erderfrischend nieder,

Und sieh, das spritzt und plätschert, wie der Stahl zersplittert,

Aus Schlitz und über Spitz der reinen Erdfelsglieder:

Und Licht erblick ich, das den Silberguß durchzittert.


Du heilige Himmelstraufe, die den Fels entkleidet,

Die Ackerkrumen vom bebauten Lande spülte

Und die es nimmer leidet, wenn man sorglos weidet,

Dich grüßt der Geist, der sich im Fleisch erwühlte.


Du reiner Regen, der das Felsgestein durchschauert,

Der mit dem Mondlicht, erdverliebt, sich ganz entladet,

Du Wasserbart, der den Orkan fast überdauert,

Du letztes Sturmwuchtbündel, wo der Geist sich badet,


Oh, laß mich einst das unfruchtbare Ding erfassen:

Ich kann mein Haus, der Noth gehorchend, nicht besorgen,

Das muß ich Weibern und den Knechten überlassen,

Ich fühle Ewigkeit und ich vergaß das Morgen.


So wie des Weisen Bart vom Geist herabgeflossen,

Denn in den Augen muß die Seele wohl erglühen,

So hast auch Du aus einem Sterne Dich ergossen,

Denn nur der Sirius kann so reine Pracht versprühen.


Die Seele wächst in diesem herrlich frischen Regen:

Sie öffnet ihrer Feuerblüthe Sternkelchflammen

Und läßt sich still von hellen Lichtgeweben hegen,

Sie muß bestimmt vom inneren Erdensterne stammen!
[272]

Oh lichte Himmelsmilch, ergieße Dich hernieder,

Umspinn der Urgluthblume weiblich keusches Becken,

Berühr der Kelchamphora wabezarte Glieder,

Und gleich wird sie in heiliger Furcht zusammenschrecken.


Umprassle, eisiger, kalter Schauer, meine Mannesmähne,

Laß Stahlgedanken Staatsgewalten scharf zerspalten:

Da ich mit blutiger Inbrunst mich nach Schlachten sehne,

So laß in mir das gluthgeschweißte Schwert erkalten.


Die Sterne werden mich auf meinem Zug begleiten!

Es zieht das Blut zum nimmersinkenden Gestirne:

Jetzt hört der Wuchtguß auf, der Umblick muß sich weiten,

Und Sterne spiegeln sich im Perlennaß der Stirne.


Heil Sirius, der den frischen Regen uns gespendet!

Du Erden und Du Himmelseinheit ohne Gleichen,

Du steigst nicht gern empor, lang bleibst Du abgewendet,

Und meidest da Tagarbeitsäcker, voll von Leichen.


Oh dunkle Schlummernacht, wie Du uns alle reinigst,

Wie sonderbar und wunderreich Du Dich betrachtest,

Mit Sternen glüht die reine Seele still vereinigt

Und staunt, wie sich das Lichtlosleibliche verachtet.


Die Erde selbst versinkt in ihre Eigenfalten:

Das Glanzlose ist Nachts dem kalten Nichts verfallen,

In Wirbelträumen fegen alle Taggewalten,

Mit Schreckgewalt, hinab in halbzerfallene Hallen.


Der Mensch vergißt sein Thun, daß er sich nur vergebet

Denn unschuldsrein, ein Kind der Ewigkeit, sind alle.

Lebst Du auch kurz in Deinem Schlummerspinngewebe,

So wahrt Dich doch das Zeitlose vom Folgenfalle.
[273]

Den Frevel bangt, hinabgeträumt ins Urbewußte,

Noch einst, als Zorneshose, tosend aufzutauchen,

Und das Verbrechen, das man einst begehen mußte,

Vermag man, unerkannt, zum Heile zu gebrauchen.


Mit Kindeseinfalt ruhen eingelullte Seelen,

Wie reine Seeen, nach den garstigen Tagesträumen:

Sie spiegeln Sterne und sie spielen mit Juwelen

Und fädeln Märchen ein und hegen Schicksalsbäume.


Oh Nacht, das Wunder fliegt aus Wolken um die Erde,

Der Geist erfrischt Dich wie der Wind und füllt die Lücken

Und Zwickel jeder jungermessenen Weltgeberde:

Die Freiheit siehst Du überall ihr Lichtschwert zücken.


Das Mondlicht will sogar das arme Land umarmen.

Erlösung möchte durch die Schönheitsflechten leuchten.

Wozu? Die Erde wird in garstiger Brunst erwarmen!

Warum die Feindin mit Geschmeiden rein befeuchten?


»Was brütest Du Menschenkind, hilf uns geschwinde,

Fang an, Deinen Acker zum Schutz zu ummauern,

Wo sind Deine Pferde, Dein Weib, das Gesinde,

Du bist wohl der Faulste von allen uns Bauern!«


Ich schau auf den Rufer und seh einen Wagen,

Von Rindern gezogen, mit Quadern befrachtet,

Bergauf einen mäßigen Halbtrab anschlagen,

Und drauf hockt ein Bauer, der schlau mich betrachtet.
[274]

»Ha Nachbar, Feldredner, erkennst Du mich nimmer?«

Dies hör ich: »Heh, wird denn Dein Blick auch schon trüber?«

Mein Nachbar fürwahr! Ich erkenn ihn im Schimmer

Des Mondlichts und laß ihn ganz lautlos vorüber.


Im Thal dort vernehm ich unsägliches Klagen,

Wahrscheinlich hat unten der furchtbare Regen

Die Bergsturzlawinen zusammengetragen,

Ich merk es, weil Menschen sich schrecklich aufregen.


Jetzt seh ich auf einmal Gestalten erscheinen:

Bestimmt nackte Männer, die bergaufwärts laufen.

Die Wehrlosen sehn mich und wimmen und weinen:

»Du magst uns aus Gnade als Sklaven ankaufen!«


»Ich brauche wohl Knechte, mein Feld zu besorgen!«

Dies geb ich zur Antwort; das Land, das mein Eigen,

Ist goldreich: so hoffe ich! Es mißt viele Morgen.

Und ich will mich nimmer zum Staub niederneigen.


»Wer seid Ihr?« so herrsch ich die Kerle entschlossen

Jetzt an. Und erbebend erklären mir jene:

»Die Fluth, die sich hoch über Berge ergossen,

Gebar uns für Dich, dort am Fuß dieser Lehne!«


Jetzt seh ich die Felsen auf einmal erstrahlen,

Ein Flammenband prachtvoll die Zacken umglasten,

Dann merk ich, wie Fackeln in Weltbrandspiralen

Erdämmern, da Männer den Sklaven nachhasten.


Sie klimmen am Abhang behend. »Unsere Krieger!«

So ruf ich und kann schon den ersten umarmen.

Das sind Babels Stadtthurm und Zinnenerflieger!

»Stoßt nieder!« schreit einer: »Und habt kein Erbarmen!«
[275]

»Erzählt erst was hat sich im Thale begeben!«

Bestimm ich; drauf sagt mir der Führer der Stürmer:

»Ein Wunder ists, daß diese Flüchtlinge leben,

Der Regen bescheert uns die elenden Würmer!«


»Der heilige Regen!« bestätigen die Gelben,

Denn erdfahl erscheinen die Flüchtigen belichtet;

Ich wende mich ab und vernehme vom selben:

»Wir haben schon längst die Gefangenen gerichtet!


Wir schonten sie nur, um die Geier zu speisen,

Sie lagen bewacht im befestigten Lager,

Und einzelne hatten sogar Feffeleisen,

Doch nährten wir sie, denn sie schienen zu hager,


Um einst unsern heiligen Geiern zu schmecken.

Wir dachten sie eben im Thal abzuschlachten,

Da goß es aus einmal an allen vier Ecken,

Es war als ob Himmel und Erde zerkrachten!«


»Gefesselt!« Befehl ich und höre dann weiter:

»Der Wall unseres Lagers ward plötzlich durchbrochen,

Nichts sah ich, die Bresche ward immer noch breiter,

Und da sind uns alle Gefangenen entkrochen!«


»Ich werde sie alle als Sklaven behalten!«

Dies wurde vom Kriegsvolk sofort angenommen:

»Wir haben ein riesiges Reich zu verwalten,

Und Parsen darf niedrige Arbeit nicht frommen!«


Jetzt seh ich im Felsschloß, knapp links gegenüber,

Entzückt eine herrliche Feuererscheinung:

Ich sehne mich hin, doch es wälzt sich ein trüber

Gebirgsbach, als trennte uns schroff eine Meinung,
[276]

Wildaufgeregt gischtend und zischend dazwischen.

Zwölf Riesen mit Fakeln stehn hoch auf der Brüstung!

Dort weilt auch mein Bruder: an echtkriegerischen

Geberden erkenn ich ihn jetzt in der Rüstung.


Er sieht mich und winkt mir nun freundlichabwehrend.

Er späht in die Tiefe. Er gleicht einem Sterne!

Es trachtet sein Troß, daß er Tod und Noth, wahrend

Er niederblickt, schnell aus dem Rückhalt entferne:


Jetzt wittert er sicherlich wildfremde Dinge!

Ich sehe ihn tiefinnerlich schrecklich erbeben.

Es ist, als ob Licht rings zu Schatten verklinge,

Er will sich vielleicht in den Himmel erheben.


Giganten gruppieren vertheilt Flammenflügel,

Es bilden die Fackeln, zu sechs, eine Spanne;

Mein Bruder bleibt ruhig und führt über Hügel

Die Heerschaaren aufwärts, im Augapfelbanne.


Jetzt seh ich verschiedene Fremdlinge nahen.

Zu mir kommen Greise mit herrlichen Bärten,

Die nackt sind und trotzdem mit Schmuck sich versahen

Und Treiber und Thiere mit Lasten beschwerten.


Sie tragen sonnartige, goldene Scheiben,

Die Weiber erscheinen in gelben Gewändern,

Und Kinder, die munter die Maulthiere treiben,

Entstammen bereits den verschiedensten Ländern.


Es spricht jetzt ein Greis: »Sieh die Priesterschaft Babels,

Hier stehn wir von Ria geschützt und gefangen,

Wir suchen Poissona im Schooß des Weltnabels

Und möchten zum Schiffe des Nouah gelangen.
[277]

Dem Licht sind wir immer entgegen gezogen,

Und leicht wallt kein Voltsstamm von Norden nach Osten,

Drum sind wir dem Gold und dem Gelb stets gewogen,

Auch wir sind Naturen, die nimmermehr rosten!


Wir haben die Sonnensymbole, zum Schutze

De Freiheit der Welt, in die Knechtschaft getragen,

Doch nun wird es dunkel, und siehe, ich stutze:

Vielleicht kann die Nacht uns jetzt zwiefach arg plagen.


Denn Bal rast vom Ausgang nach Westen und trachtet

Den Lichtschatz auf ewig für sich zu erhalten;

Erjagt er die Räuber, so ringt er, umnachtet,

Im Erdbauche selbst, um die Alltagsgewalten.


Nun sieh, diese Schilde und Weltlichtgeschirre

Versteckten wir tief in den Felstempelkellern,

Hier sind sie jetzt, ach, und ich fürchte, Bal irre

Durch Erdlabyrinthe, mit Himmelserhellern,


Und könne die Krönungsgeschmeide nicht finden!

Wir haben sie oben nach Osten getragen.

Gestatte darum, daß wir selbst nicht erblinden,

Sie dorthin zu thun, wo sie dereinstig lagen.«


Beim Bruder verunglimpft man mich jetzt wahrscheinlich,

Denn alle Verfolger und Peiniger sind drüben,

Doch wahrlich, mir ist diese Schimpfart nicht peinlich,

Es kann mich die Grausamkeit höchstens betrüben.


Ich habe im Kriege zwei Söhne verloren

Und kann die Gefangenen als Sklaven behalten,

Was wollen auf einmal die mordlustigen Thoren?

Nur fortwährend Köpfe und Töpfe zerspalten!
[278]

Jetzt fordern die Tröpfe zum mindesten Weiber!

»Ihr Priester des Bal, laßt uns liebliche Geiseln!«

So sprech ich: »und dann, weiße Lichtervertreiber,

Bringt Sonnenschein wieder, sonst wird man Euch geißeln!«


Drauf sagt Bals Vertreter: »Oh Parsifürst, glaube,

Wir leben und laben uns nur durchs Erraffen,

Die Grausamkeit juckt uns am meisten beim Raube,

Und selbst unsere Sinne sind schreckliche Waffen.


Das Weib an sich reißen, das Fleisch geil besitzen,

Das scheint mir der Innbegriff aller Entartung,

Das Dasein ist nichts als ein Sinnenerhitzen,

Drum freie im Weibe den Keim der Erwartung!


Ein anderes, früheres, leidloses Leben

Wird einst durch die Reize der Weiblichkeit zittern,

Oh sieh, hier steht Zirbanit, dem hold ergeben,

Der trachten wird, Räthsel im Rausche zu wittern.


Fürwahr, ihr Nacktheit ist prachtvoll zu schauen,

Ihr Blutfunkelauge ist scheu abgewendet,

Es bangt jede Faser, den Leib faßt ein Grauen,

Wo wäre der Mensch, den der Zauber nicht blendet?


Es sucht jede Muskel sich keusch zu verstecken,

Das Fieber der Scham übersprüht ihre Brüste,

Es müssen Dich Flammen der Sehnsucht belecken,

Wo wäre der Mann, der nicht zustürzen müßte!«


»Vertraue ihm nicht!« schreit auf einmal ein anderer,

»Auch ich bin ein Priester und herrlicher Seher,

Ich stamme vom Volke der Nilthalauswanderer,

Das Babylon knechtete: ich bin Hebräer!
[279]

Das alles war lasterhaft falsches Geplapper,

Ich selbst habe häufig vom Weltfall gesprochen,

Doch sagt ich das alles gleich klarer und knapper,

Und der hat begierig am Braten gerochen.


Sieh Zirbanit hier, die verwerfliche Metze,

Die Scheol aus sich in die Menschheit gespieen:

Sie spinnt jetzt Lichtschleier und Sinnlichkeitsnetze,

Ihr ward demiurgische Urkraft verliehen.


Die Tochter der Schlange kann niemand besiegen,

Drum sollt Ihr sie nimmer dem Sonnengott opfern,

Ich weiß, was ich sage, sie kann nicht erliegen!

Ich horchte schon oftmals mit Felsgrottenklopfern


In schallenden Hallen, an Wänden und Schlünden,

Und habe die Wahrheit des Daseins erfahren,

Nun will ich sie Euch, edle Parsen, verkünden,

Dann könnt Ihr uns allen viel Unheil ersparen!


Die menschliche Seele kann nimmermehr sterben

Und trachtet, entleibt, was ihr gleicht, zu umschleichen,

Um irdische Wesen für sich anzuwerben

Und Gutes und Böses, nach Lust, zu erreichen.


In Zirbanit walten unendliche Mächte!

Sie würde, geschlachtet, Euch alle durchgruseln,

Ihr würdet der Wollust ergebenste Knechte,

Drum laßt sie, in Kerkerhaft, langsam verduseln.«


»Ich kann Euch die Antwort, bei Leide, nicht sagen,

Mein Bruder nur darf einen Urtheilsspruch fallen,

Ihr seht ihn dort hehr, hellerleuchtet aufragen!«

So sprech ich: »Ihr mögt Euch zu ihm hingesellen!
[280]

Das Reich unserer Seele, ihm sei es beschieden:

Der Geist hat die Pflicht in die Lücken zu dringen,

Er schaffe aus Willkür den Krieg und den Frieden,

Und ich muß die Welt in sein Rechtsystem zwingen.


Ersetzt jetzt den Gießbach, der endlich versiegte,

Nun mögen mich Menschen vom Erzbruder trennen!«

Es ist mir, als ob sich ein Greis heranschmiegte,

Derweilen schon einige den Lichtfels berennen.


»Ich kam aus Milet, um mit Dir aufzutreten,«

So lispelt mir jemand, allein, in die Ohren,

Ich sehe mich um und bemerk den Poeten,

Der früher sich unter den Fremden verloren.


»Ich bin erst, Du sahst es, den Priestern entschlichen,«

So spricht er jetzt leise: »Ich liebe die Geister,

Die Einsamkeit suchend, der Lust ausgewichen,

Ich selbst bin ein Weiser und Leidenschaftsmeister.


Der Sieg über Babylon ist Euch gelungen,

Das wird Euerm Leibe wahrscheinlich behagen:

Die Juden sind tief in das Reich eingedrungen,

Drum kann Eure Seele Propheten befragen!


Doch Hellas allein wird die Selbsteinsicht scharfen,

Von mir kannst Du einst noch das Auffliegen lernen:

Und ohne den freundlichen Leib abzuwerfen,

Gelangst Du zu Roß bis empor zu den Sternen.


Ihr glaubt an die Engel, die wolkenhoch stiegen,

Und habt Sonnenboten noch niemals gesehen,

Doch konnte ein Mensch sich im Winde schon wiegen,

Denn Bellerophon sah ich himmelwärts wehen.
[281]

Aus Griechenlands wonnigen Rebengeländen

Vermagst Du dereinst in den Äther zu schweben,

Es wird Dir ein Abend, mit zitternden Händen,

Dort Flügel aus tönenden Goldwellen weben.


Dann fliegst Du zu Pferd über Länder und Meere,

Gesehn und gefolgt von geharnischtem Heere,

Kein Volk setzt sich je solchen Helden zur Wehre,

Drum komme, beschwingt durch die sonneigene Schwere!«


Ich kann das Gesicht dieses Weisen nicht leiden,

Es strahlt aus dem Greis eine schreckliche Kälte,

Ich will, er soll gleich meine Einsamkeit meiden,

Wer weiß, was mir jäh meinen Flugtraum vergällte?

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 258-282.
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