[Mein Weib ist gesunken. Mein Weib ist gefangen]

[309] Mein Weib ist gesunken. Mein Weib ist gefangen

Und schmachtet bewacht im Palast der Kastraten.

Mein Weib! Als Bacchantinnen Tanzlieder sangen,

Vergaß ich Dich ganz: ach, ich hab Dich verrathen!


Mein Weib, höre Weib: ach, zeig Dich noch einmal!

Du warst es bestimmt: ach, Du hast mich verspottet:

Du trugst auf der Schulter Dein untrüglich Weinmal,

Für Dich hat das Volk sich zusammengerottet.


Mein Bruder wird sicherlich alles aufbieten,

Das arme Geschöpf vor Gelüsten zu hüten!

Mein Bruder, – ich sah Dich, – Du warst mit Banditen!

Mein Bruder: Du schmücktest die Locken mit Blüthen!


Ich sah Dich bestimmt! Drin im Zug der Bacchanten!

Du nahmst Deine Larve rasch ab und Du lachtest,

Ich suchte Dich gleich unter alten Bekannten

Und kannte Dich nicht, als Du Spaßknixe machtest.
[309]

Du schrecklicher Gott, was hab ich gesehen!

Du ließest mich trunken mein Unglück vergessen,

Ich trank keinen Wein, Dein bloßes Herwehen

Berauschte mich, machte mich schönheitsbesessen.


Mein Weib eine Hure, – der Bruder Verräther!

Nein, nein, – nicht zu fassen, – nur weg! Einige Schritte!

Nur jetzt nicht dran denken: die Schande für später!

Die Schamgewalt her! Schnell: zum erdfernsten Ritte!


Mein Weib eine Hure! Ich stürze kopfüber!

Empor zwischen Ginster: das Schloß liegt schon tiefer!

Ihr Nebel steigt auf! Du Nacht werde trüber!

Doch blickt ich zurück, so sah ich blos Schiefer.


Mein Weib herzt und küßt meinen Bruder! Nein, nimmer!

Doch wie es auch sei, ich muß Euch verlassen,

Ich werde ein einsamer Felsenerklimmer,

Doch Kebsweib, mein Kebsweib, ich mag Dich nicht hassen!


Die Burg liegt dort unten, sie schlummert tief drunten,

Ich mußte mich eben vom Weibe mein trennen:

Nun ruh ich ein wenig: ich lebe nur bunten

Gluthfreuden, die tief aus der Sehnsucht erbrennen.


Kastratenpalast und Verließ geiler Weiber,

Du Festung von Persien, erfüllt mit Verratbern,

Du Babel asiatischer Haremszutreiber,

Du Erzspalt der Sünde, voll Betern, die zetern,


Du Halle, umstellt von priapischen Säulen,

Nun kenne ich Dich: ich seh Dich von oben!

Du Giftpilz der Erde, Du schlimmste der Beulen,

In Dir muß das Übel der Welt sich austoben.
[310]

Die Herrscher, die erdwärts dem Schlosse sich nähern,

Durchschaue ich jetzt mit ganz anderen Augen:

Hehr blickten sie erst aus den Seelen von Sehern,

Doch nun scheint ihr Wesen für uns schlecht zu taugen.


Ich will, daß ihr Brunstrumpf zum Gluthstumpf verrunzel!

Zu Kugeln verkrampft überglühn sie die Erde.

Erloschen ist sonst jedes Schloß und Bergfunzel,

Und weg jene herrliche Flügelgeberde.


Es sind sieben Monde wahrhaftig am Himmel,

Ich kann ihren Untergang gar nicht erwarten,

Den richtigen doch überwimmeln Gischtschimmel:

Er mag gar nicht sehn, wie Mondschemen entarten.


Der erste sank längst in den Hof des Palastes.

Ich kann ihn von oben dort unten gewahren.

Er macht mir den Eindruck ganz maaßlosen Mastes

Und stirbt nun im Harem, bei Artunzuchtpaaren.


Ganz ausgegeilt, unverschämt, schwelgt er sich fertig.

Der zweite, ein Lüstling, steht steil überm Schlosse,

Das Hofpack besorgt schon, des Einbruchs gewärtig,

Die Jugend für Orgien, zum Krönungszug Rosse.


Erscheine mir, Zervan Akeren, erscheine!

Und sprich zu mir Angromainyous der Große!

Verneine mich, Andra! Verneine! Verneine!

Und hüte die Schlange im wollüstigen Moose.


Du bist nicht der Schatten und Spötter des Lichtes,

Die Finsterniß bist Du, Du nistest im Schooße

Der Dinge, Du bist die Geburt des Gewichtes

Und willst, daß was ist, da zu sein sich erboße.
[311]

Ich sehe Dich schon und bald kann ich Dich fassen:

Erblicke ich doch rings die riesigste Stirne,

Mit tausend Pulsadern, die Ruh und Glück hassen

Und hämmern und grübeln, daß Gott drob erzürne.


Du selbst bist mit AhouraMazda verschlungen.

Ihr seid eng verkapselt. Du zwingst ihn zu werden

Und ruhst nicht, bis alle Geburt ihm entrungen:

Du engst Dich und uns aus den Daseinsbeschwerden.


Du hastest dabei, immer andres zu schaffen.

Die Eigenqual drängt sich, was war umzubauen

Und schamlos stets andres dem Gott zu entraffen,

Du willst auch das Sonnlicht fünfspaltig durchschauen.


Drum bist Du der Allgottheit schlechtes Gewissen!

Die Angst, daß das Weltall für ewig mißlungen:

Du hast das Bewußtsein Ahoura entrungen,

Und drum bleibt die Ruhe urewig verklungen.


Du bist die Zwangsreihe von allen Versuchen:

Es schämt sich der Mensch, sich im Kind fortzusetzen,

Drum fangen wir an, auf die Zeugung zu fluchen

Und ehren die Menschen, die Kampfwaffen wetzen.


Wozu denn, was ewig ist, stets jung verbessern?

Wozu was mißrathen, noch fortwiederholen!

Ich rate hingegen: greift forsch zu den Messern,

Bringt um und brennt ab und laßt ab von Idolen.


Fürwahr, ich durchblicke die Pulsaderstürme:

Ach, Angromainyous du denkst unsern Himmel,

Dein Sorgengehämmer erscheint als Gestirne,

Und nimmer genügt sich das Weltengebimmel.
[312]

Wahrhaftig der Satan ragt senkrecht zu Tage!

Unsagbar viel Häupter bedrohn mich im Kreise:

Es scheint, daß der Stadtkronen erdmächtig trage,

Die schimmern, als stäke der Mond tief im Eise.


Denn rings ist der Schweiß, um die Erdriesenstirnen,

Die kalte Gedanken durchblitzen, erfroren.

Hier seh ich, steht Babel, die Stadt wilder Dirnen,

Dort oben thront Zion, mit Thürmen und Thoren!


Genau gegenüber erkenn ich die Hallen

Des Herrscherpalastes, vor dem ich gestanden.

Ich fühle bereits, wie die Fäuste sich ballen,

Und fühle die Wuth Satans Schloß roth umbranden.


Der Teufelstopf drunten kann gar nichts mehr sagen:

Ich habe sein ganzes Geheimniß erfahren!

Es lallt seine Zunge, dann leert sich der Magen,

Ich kann nur das Harem, als Speibrei, gewahren.


Jetzt dehnt sich die Langweile weit durch die Hallen

Und tritt auch leibhaftig als Löwin zu Tage:

So schlank ist noch niemals ein Thier ausgefallen,

Es gleicht fast sein Leib einer endlosen Klage.


Ich kann meinen Ärger nicht länger bezwingen,

Ich reiß einen Pfeil aus dem Köcher und ziele.

Er trifft und ich seh ihn ins Schenkelfleisch dringen.

Die Bestie gähnt schrecklich, und Schweiß deckt die Diele.


Jetzt hebt sich das Babelhaupt läppisch nach vorne

Und schiebt unsere Perserburg ruckweis bei Seite:

Sofort speien rings ihre Weltweisheitsborne,

Und gleich merk auch ich, daß ich geistig fortschreite.
[313]

»Ein größeres Babel als das will ich schaffen,

Doch AhouraMazda durchkreuzt meine Pläne,

Ich kann kaum der Ruhe, was da ist, entraffen,

Vielleicht weil ich stets etwas anderes ersehne.«


So spricht zu mir Agromaynious der Große

Und fährt dann fort, stolz die Natur zu erklären:

»Ich wirke in jeglichem Erdbebenstoße

Und mag auch kein Gleichmaaß an Wärme gewähren.


Drum wälze ich mich, ewig sonnenscheinflüchtig,

Im Gluthbett umher, als der Sonnenbescheerer,

Doch macht mich, im Herbste, das Licht eifersüchtig,

So thürme ich Burgen aus Stürmen, und hehrer


Als Ahouras Pappeln erheben sich jene,

Dann hoch in den Äther; und alle Lichtsaaten

Entjäte ich rasch auf der Wintersfruchtlehne,

So muß Gottes Folgenwerk ewig mißrathen.


Ich habe nicht Hände, um weich zu gestalten.

Der Weltschöpfung lichtweiße Strahlenpracht haß ich.

Ich trachte das Ungethier wild zu erhalten,

Und nichts, was schwarzrassig ist, schlag und verlaß ich.


Die Fledermausflügel, die dumm meinem Leibe,

Zum Aufflug kaum taugend, zu riesig entwachsen,

Erzeugen in mir, wenn ich ruhlos verbleibe,

Das grause Bedürfniß zu zweckarmen Faxen.


Du selbst wirst, oh Mensch, durch die Angst aufgerieben:

Du fühlst oft Furchtflügel sich ohnmächtig spreizen,

Du wirst halbasthmatisch zum Fenster getrieben,

Und spürst gleich die Luft Dich zum Durchhusten reizen.
[314]

Du prallst vor den Sternen zurück, die das Grauen

Des stahlharten Tages gar bald nicht vertragen,

Du fühlst in der Brust den Furchtausbruch sich stauen,

Und Flügel aus Galle bleiweiß um Dich schlagen.


Die fallen wie windarme Segel zusammen

Und reißen Dich wirbelrasch rettungslos nieder,

Und ich will zum Selbsteinbruch alle verdammen,

Gewährt mir nicht Ahoura Handwerkerglieder.


Gerecht will die Gottheit die Menschengeschicke

Aus Ursachenarbeit behutsam entschälen,

Doch ich, der ich alle ins Angstgarn verstricke,

Laß Magier von Wiederkunftsphasen erzählen.


Ganz Babel erwartet damit fatalistisch,

In Saus und Braus, was uns die Sterne bescheeren:

Mein Wahrsagaltar ist der Weltärgernißtisch

Von Gott, dessen Wesen auch wir schließlich lehren!«


Jetzt fängt auch das Babelhaupt matt an zu schwanken,

Und machtvoll erscheint Zions Goldreifenkrone.

Den Kopf unter ihr furchen Urfurchtgedanken

Und gleich spricht der Mund mir vom Ende der Frohne:


»Jehovah, der männlichste Herr, mein Bezwinger,

Den einstmals der Bauch eines Königs geboren,

Ist nichts als ein eifriger Folgenverschlinger,

Ein Zeitgott und Einfall von logischen Thoren.


Er ist nur ein Vorbild fanatischer Streber:

Und ich, die Unmöglichkeit seiner Erscheinung,

Bin Satan, bin Schöpfung und Schicksalsverweber,

In mir keimt die Hoffnung der Folgenverneinung.
[315]

Ich fühle ein Feuer mein Inneres durchglühen:

Einst war es mir fremd, doch in Babylons Frohne

Empfand ich es hilfreich, es linderte Mühen,

Es sprühte aus Süden empor, leicht flüsternd vom Lohne


Der schrecklich geknechteten Kinder der Erde!

Das Feuer sprengt einst jede Zeitfolgenfessel:

Was Anfang, was Sterben, was Pilgerbeschwerde,

Das schmilzt bald des Weltschöpfers ehernen Sessel!


An sich ist es ewig, drum stärker als alles,

Was jemals ein Schöpfer in sich erst vollbrachte,

Es trotzt den Gesetzen des Weltwerdungsfalles,

Es ist was noch niemals zum Dasein erwachte!


Unsterblich sind Götter, aus Furcht vor dem Tode!

In mir aber keimt was einst angstlos das Sterben,

Als jeglicher Folgenschaft Urantipode,

Erdulden wird, um über Trümmer und Scherben


Der Todesnacht siegreich sein Zion zu bauen.

Iehova will selbst meinen Haß überwinden

Und fangt an, mein Wesen bereits zu durchschauen,

Und jedes Verständniß bezeugt Gleichempfinden.


Einst glühen Jehovah und Satan verschmolzen,

Im Menschengeschlecht, fest zusammen, und alles

Was weiterkeucht, klettert am sonnhohen, stolzen

Erbfolgemast dann in des Glückswiederhalles


Unendliches Reich. Und bereits werfen viele

Aus sich etwas Gutes ins Wesentlichbeste.

Die eigentlich Starken verwetten, beim Spiele

Ums Dasein, zwar manches und nur kleine Reste
[316]

Entkommen ins Sphärenthum erblicher Meinung!

Drum sind die Verbrecher bestimmt interessanter,

Und tragisch ihr Zwang äußerer Lasterverneinung!

– Probleme birgt einzig ein Satansverwandter! –


Doch kann, ohne mystische Menschenbefreiung,

Der Sonnengedanke den Zwangsraum nicht sprengen,

Es bliebe bei logischer Zahlenanreihung

Und gäbe nur riesige Lichtellenlängen.


Doch einst tritt das Ewige vor im Gemüthe!

Schon wälzt es sich selbst in das Sternegetriebe

Und furchtlos durchschaut es die keimlose Blüthe

Und fühlt sich und weiß sich vom Duft ewiger Liebe!«

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 309-317.
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