[Es fließt der Rhône herbei, mit seinen breiten Wogen]

[427] Es fließt der Rhône herbei, mit seinen breiten Wogen.

Fast wirbellos, ganz selbstverständlich ist sein Strom.

Von Rossen wird ein Floß den Fluß hinaufgezogen:

Mit rother Kappe kauert drauf der Mittagsgnom.


Wie herrlich flimmern doch die ungestümen Fluchen!

Ein immer anderes Ereigniß schäumt empor:

Ich höre ferne blöken: Glocken tönen: thuten:

Vor mir hier zittert silberhell ein Pappelthor.


Drei junge Mädchen sehe ich am Ufer spinnen.

Geschäftig regen sie die Hände und den Blick.

In Unschuld aber ruht die Seele: ihren Sinnen

Genügt ein Schlankheitseindruck, ohne ein Geschick.


Ihr Mädchen, freut Euch stets an schmucken Kriegsgestalten,

Doch, daß Ihr Euer Sein durchschaut, das gebt nicht zu!

Laßt Euer Jungfernthum nicht durchs Bewußtsein spalten,

Nur eine Unschuldsfrucht bringt dann das Weib zur Ruh!


Ich bin auf einen Abweg und in Traum gerathen!

Im goldenen Korn ist irgendwo ein Wind erwacht.

Die reifen Ähren glühen reife Sprühdukaten,

Denn ringsum überfunkelt sie die Mittagspracht.


In weißem Festkleids erscheinen jetzt drei Reiter.

Der Pferde Füße bleiben ganz verdeckt vom Korn.

Es sieht so aus, als wäre keiner ein Begleiter:

Drei gleiche Gottesstreiter sinds, mit Kreuz und Sporn!


Ich trüge gerne selber solche Rüstungsstücke.

Der Mantel mit dem rothen Achtzackkreuz ist schön.

Jetzt ist es Zeit, daß ich mich grüßend niederbücke,

Denn immer näher höre ich das Eisenkleidgedröhn.
[427]

»Katharer sind wir!« Sagt ein Mann im Kampfgewande:

»Und Du! gieb klare Auskunft, wer Du bist!«

»Ein wandernder Scholar aus dem Barbarenlande,«

Erwidre ich: »Und auch ein nimmermüder Christ!«


»Fürwahr, auch wir sind tapfere Heilandsstreiter

Und hassen jenen Gott vom Judentestament!

Der Böse herrscht auf Erden!« Spricht der Ritter weiter:

»Und rein wird, wer das Weib und seinen Schreck nicht kennt!«


»Für die Geschlechtlichkeit ward uns der Tod zur Strafe,

Und ungeschlechtlich ist der Heiland, der nicht starb:

Ich ahne meinen Tod, wenn ich ein Weib beschlafe!«

Erwidre ich: »Und weiß, wie ich den Sarg erwarb.«


»Bist Du ein Schotte!« Frägt man mich und springt vom Rosse.

Man drückt mir fest die Hand und ist dann rasch verstimmt.

»Nein,« sage ich darauf: »Ein Allemannensprosse!«

Und sehe gleich wie jedes Auge grimmig glimmt!


»Was willst Du, schlauer Hascher aus des Kaisers Landen?«

Fragt man mich barsch: »Wir tödten Dich, wenn Du nicht sprichst!«

»Entschuldigt, Herr, ich habe nicht den Gruß verstanden,«

Erwidre ich: »Doch schlecht ists, wenn Du mich erstichst.


Die Scholle selbst hat meine Glaubensart geboren.

Die Christusstamme grünt und blüht aus jedem Blatt.

Ich bin nicht einer von den römisch trockenen Thoren,

Für die der Heiland Gott nicht überwunden hat!«


»Oh Bruder, sagst Du wahr und fromm, so sei willkommen!«

Spricht jetzt ein Tempelherr im Herzen tief erfreut:

»Die Reinheit ist durch Heilandsschuld in Dir erglommen:

Du sprichst nur aus, was Dir der Geist gebeut.«
[428]

»Die Wahrheit ist die Flamme, die wir lallend ahnen,

Die unerfaßbar ewig nach Gestalt verlangt:

Sie kann uns an verwandte Reinheitsbahnen mahnen,

An Rasse,« sag ich: »oder Zucht, nach der uns bangt.«


»Das ist der Augenblick der Waldanachoreten,

Geschlechtsertödterin ist Christi Freinatur!«

Erfahre ich: »In Helden, die jetzt ernst auftreten,

Verblaßt und birst die strenge Mannkontur.«


»Das was die Erde schafft, hier ist es ausgesprochen,

Das gleiche Ziel erkührt sich das Gewühlsgefühl!«

Erwidre ich: »Es liegt dem Volke in den Knochen,

Doch weiß es nicht, womit das Blut es sauber spült!«


»Man haßt uns, weil wir Christi That aussprechen,

Denn das Verlangen aller, da ist es gethan!«

Vernehme ich: »Es will die Welt mit Rom nicht brechen,

Und Aller Urbegehren sckaumt dadurch als Wahn!«


»Ein heiliger Sinn ist jedem dummen Sträuben inne,

Durch Krieg und Trutz nur halt die Ordnung stand.«

Erwidre ich: »Der Geist, die Furcht und Christusminne,

Erglimmen in der Menschheit Angstsaharasand!«


»Doch Du tritt in den Orden ein, Du bist berufen:

Sei Bruder uns und trage unser Streitgewand!«

So sagt man mir: »Wir kennen einzig Altersstufen,

Als Greis, seist Du zum Großmeister ernannt!«


»Es kann der Mantel Euren Schatten nicht bedecken.

Auch Ihr bleibt wandelbar und heiligt eine Zucht!«

Erwidre ich: »Verrenkte Spottgeberden strecken

Sich von Euch aus, verkündet Ihr die Irrthumsflucht!«
[429]

»Du darfst nicht glauben, daß wir uns des Körpers schämen,

Mit Leibeskräften führen wir den Geisterkrieg!«

Erfahre ich: »Voll Wucht ist unser Trutzbenehmen:

Sprich, trittst Du bei, sonst ringe um den Schemensieg!«


»Ich sage kurz, mein Wesen sucht nach Schaulustruhe,

Die Stille selbst birgt einen Lebenspriesterschein.«

Erwidre ich; »Ich ruhe, wenn ich stumpf mitthue;

Drum sage ich entschlossen: meine Herren, nein!«

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 427-430.
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