[Mein liebes Kind, sagt mir mein weiser Held und Lehrer!]

[445] »Mein liebes Kind,« sagt mir mein weiser Held und Lehrer!

»Ich werde Dir jetzt meine Einsicht offenbaren.

Der Schritt nach Norden wird den Menschen immer schwerer,

Und auf sein Wollustopfer stürzt der Sonnenaar!«
[445]

Verstand und Kraft, die sich im Manne furchtbar paaren,

Empfinden, ahnen Gott, der in der Seele lebt.

Den Wandel bannend, zahlen wir nach Erdenjahren,

Der Schein jedoch vermuthet was uns nie entschwebt.


Der Herrgott selber wächst mit unsern Sonnenkräften,

Und anders, ohne Unterschied, in jedem Glied!

Es ist, als ob die Völker Pilgersegel refften,

Obwohl der Odem sie, durch Gegenwinde, schied.


Die Erde, unsere Lebensgluth, was Unbegonnen,

Der Dinge Frist, das Nichts, sind voll von Deutlichkeit.

Nicht Sie sind Alle! Sprudel nie! Nur Fluch von Bronnen,

Und dem Gedanken eine holde Bräutlichkeit.


Doch Christus ist die Ruhe Gottes und der Dinge.

Er ist das ganze Ja und das bejahte Nein,

Der Ursprung, der nur kreist, daß er sich jung erringe:

Er blüht ihm Heil und überglüht der Sterne Schein!


Die Gnade ist kein Sinn, kein Sein, sondern blos Einheit.

Sie ist das Leid der Gottheit, das sich offenbart:

In unsern Seelen aber schmerzbefreite Reinheit,

Die Liebe im Geschöpf, die sich ums Urweh schaart.


»Ich selber sterbe!« hat die Gottheit ausgesprochen!

»Wir wissen es«, einst endigt unser altes Weltenleid:

Soeben stirbt ein Stern, Schmerz hat sein Herz gebrochen,

Und ewig ruft es: »Todte, ach, wie schön Ihr seid!«


Gott selbst ist eine Gluth. Die Gnade ist sein Glühen.

Der Heiland hat sie über seinen Tod verneint.

Mit der Erfüllung müssen wir uns nordwärts mühen,

»Denn dort ruht sie noch tief, versteinert, rein verneint!«
[446]

»Nicht wahr, Du Meister,« sage ich: »Der Gottheit Ende

Ist nur ein Bild, wie aller Tod und Ungeburt.

Wir wachen, wirken nicht, der Geist der Gegenstände

Tritt unter uns und heißt: ich bin, was Ihr erfuhrt!


Das Chaos giebt es nicht: es kann sich nicht gebaren!

Die Gnade ist und muß darum lebendig sein.

Gott sündigte, um uns Erlösung zu gewähren:

In Ewigkeit ist selbst der Tod von Sünde rein.«


»Mein Kind, das ist der Geist, den Christus uns versprochen!«

Erwidert mir mein sorgenloser Gottesmann:

»Er ist aus unsern Seelen herrlich ausgebrochen:

Jetzt lebt der Gott, den sich der Mensch dereinst ersann!


Bald werden wir ihm keine Tempelräume schaffen,

Auch Christus wird nicht mehr als Heilsgestalt bestehn.

Er kann sich voller Menschlichkeit dem Bild entraffen

Und urlebendig in den Weltgeist übergehn.


Der Geist in der Dreieinigkeit ist auferstanden:

Der Lebensgott und Christi Gnade sind nur Er.

Die Einheit hören wir aus unserm Herzen branden,

Durchs Anderssein ergründen wir sie nimmermehr!«


»Warum sprichst Du vom Glühen und von Gottesflammen,

Ist auch das Feuerelement blos ein Symbol!

Ein Bild scheint mir ein Keim, dem Thatsachen entstammen,

Und heute,« sag ich: »Fassen wir bereits ein Wohl.«


»Mein Kind,« spricht nun mein lieber Meister: »Jedes Gleichniß,

Das tausendfach entsteht und ewig furchtbar wiederkehrt,

Ist Wirklichkeit und nicht, was mehr ist, ein Verzeichniß

Undeutbarer Weltwahrheiten, die man verehrt.
[447]

Was Gott geschaffen hat, war kraftvoll ausgestattet:

Leibhaftig hat der Geist sich in die Nacht gesenkt,

Und jedem Weltgedanken, der das All verwaltet,

Hat seine Bildwucht erst die Lebensform geschenkt.


Denn glaube, Sonnenstrahlen sind blos Gottesarme,

Mit deren Wucht Er alles zu zermalmen droht,

Doch seine Hände sind auch weiche Luft, und warme

Leibhaftigkeiten schafft der Tag durch Selbstgebot.


Seid jeher glühte Christus in der Nacht der Erde,

Aus jeder Blüthenschönheit, die aus Liede starb.

Im Abendwind, aus jeder Dankbarkeitsgeberde

Des Baumes, der am Tag sein Feierkleid erwarb:


Aus jedem Reh, durch dessen Blick der Jäger zagte,

In allem Kindeslachen ist er hold erwacht!

Der Heiland ist der Mensch, der in der Menschheit tagte,

Und Christus hat die That der Erdmutter vollbracht.«


»Da er ein Mensch war, wollen wir die Menschen lieben

Und ihn verehren, wo man seinen Nächsten schätzt.

Es ist uns,« sage ich: »Sein Fleisch und Blut geblieben,

Der Geist hat unsere Leiblichkeiten festgesetzt.«


»Mein Kind, es naht das Ende der Gewaltaskese,

Die Keuschheit hat uns Selbstzucht hintermacht,

Es ist bestimmt, daß unser Weib des Fluchs genese:

Des Fleisches Auferstehung,« sagt er: »Sei vollbracht!


Gewahrsagt ward im Inderland von einer Nymphe:

Der Mann steige dereinst zu Gott allein bergan.

Das Weib entsinkt ihm da, im eigenen Fleisch und Schimpfe,

Doch auch der Tag erscheint, da er sie freien kann.
[448]

Es hat der Mann sich einst vom Weibe ganz geschieden,

Aus Freigeschlechtlichkeit die Welt nicht mehr gekannt!

Doch stürzte er: Und wieder wandeln wir hienieden!

Nun rächt die Erde sich: wir sind dem Weib verwandt.


Wir Menschen treten uns seit langer Zeit entgegen.

Der Mann, der jetzt die Frau über sich selber setzt,

Empfindet, daß er nach den steilen Wanderwegen,

Das Weib, das sorglos schlief, sonst nimmer würdig schätzt,


Mit ihm die Kraft des Geistes furchtlos zu erfahren:

Und glaube mir, viel Männlichkeit durchtränkt die Frau,

Sonst könnte sie die eigenen Tiefen nicht gewahren:

Nie träfe sie der Mann am Wanderwunderbau.


Kämst Du, mein Kind, nach einigen hundert Jahren wieder,

So wärest Du nicht mehr des Weibes Kavalier,

Es käme als Gefährtin freier Töchter nieder

Und hälfe dir!« Da frage ich: »Das Weib in mir!«


»Mein Kind, Du sollst nicht blos das Innigste verstehen!

Denk auch,« Erfahre ich: »was Dich am Tag erfreut!

Gefährlich ists, in Wissenswehmuth zu vergehen,

Und Pflichterfüllung, daß man Urerkennrniß scheut!«


»Von Spaniens Klippen, wo die letzten Mauren hausen.

Über Sevilla und Toledo braust ein Sturm!

Es tanzen ihn Gespenster, Hexen und Banausen,

Und siehe,« sage ich, »es zieht mich zu dem Wurm!


Es freute mich, mit einer Metze mich zu drehen,

Und im Besitz von Weibern will ich untergehn.

Im Taumel fühlt ich eisigtief die Pyrenäen:

Ganz Frankreich könnte meiner Lust nicht widerstehn!
[449]

Von tausend Teufelinnen durch die Luft getragen,

Entleerten wir uns allesamt über Toulouse!

Das wäre wildes, gottverdammtes Lusterjagen:

Nein, nein, mit keinem Weibe wandre ich zu Fuß!


In meiner Freude will ich wie die Eulen fliegen:

In einer Nacht zehntausendmal vom Riff zum Rhein.

Die Ehe hasse ich und das Zusammenliegen:

Ich will ein schöner Träumer meiner Sünde sein!«


»Es würde Dich der Sabbath ganz bestimmt anwidern,

Du nahmst,« erfahre ich, »daran noch niemals Theil.

Die Welt läßt sich nicht heilsam ineinandergliedern,

Denkt jeder nur an seine Lust und nicht ans Heil.


Die Gluth der Sinnlichkeit kann selten frei erglimmen:

In Indien und im alten Rom, da hat das Meer

Vermocht, die Rhythmen der Familie klar zu stimmen,

Doch heute ist man weibertoll und wonneleer!«


»Das nächste Mal jedoch will ich zum Sabbath reiten!

Daß ich ein Sünder bin, oh Meister, weiß ich wohl.

Doch was die Sünde ist, darüber läßt sich streiten,

Was man so nennt,« Erwidre ich: »Ist ein Symbol!


Durch jeden Schritt und Athemzug sät man Zerstörung.

Als unser Schöpfer übel that, war ich dabei.

Doch, daß ein Mord schon Sünde sei, das ist Bethörung:

Das Leben ist die Sünde, Gott haßt blos das Ei!


Aufjubeln heißt, die dumme Niedertracht vergessen.

Die zehn Gebote sind ein eitel Staatsgeschäft.

Zum Sabbath stiegen, heißt sein Ungewicht ermessen,

Und teuflisch ist man nur, weil man den Flug nachäfft.
[450]

Der Satan trachtet seinem Gott schrittweis zu gleichen.

Den dummen Teufel, der ihn nachahmt, nenne schlecht.

Der Spiegel selbst, der Neid, die Sucht, Ruhm zu erschleichen,

Und das Geschlecht ist schlecht, so lange es ein Knecht!


Ich aber trachte keine Rotznase zu zeugen.

Dem Schöpfenden sind Dienst und Zufallspiel ein Graus.

Ich will mich nicht vor Gott und seiner Prüfung beugen,

Und schaffe gut, wie das Genie, aus Gott heraus.


Mein Weib ist weich und frei. Mein Zweites ist meineidig.

Und unsere Lust gellt jungen Jubel in die Welt.

Die Luft ist gut. Kein Pfuhl ist so geschmeidig.

Sag Beelzebub, ob dieses Dreiblatt Dir gefällt!


Ein Hagelball ist unsere Sommernachtmatratze,

Die hält uns frisch, und nimmer dampft der Weiber Schweiß.

Im Winter deckt der Föhn mich zu mit meinem Schatze:

Ein Geist bin ich und liebe leichtes Traumgeschmeiß.«


»Mein Sohn, knie nieder und empfange meinen Segen!

Du reizt Dich oft zu grausen Sabbathträumen auf.

Ich weiß: Dein Sündenüberblick ist kühnverwegen

Und drum erlaubt auch Gott nicht Deinen Heilsverkauf!«


Das höre ich und fühle Hände auf dem Haupte,

Und dann: »Oh Herr, bewahr ihn vor dem Thatentschluß!

Nur Du, sein Schöpfer weißt, was ihm die Heimath raubte.

Mein Kind, nun ziehe fort, das war mein Abschiedsgruß!«


Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 445-451.
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