Siebenundzwanzigster Gesang

[393] Dem Vater, wie dem Sohn' und heil'gen Geiste,

Begann das ganze Paradies, sei Ehre! –

So daß der heiße Sang mich gar berauschte,

Was ich gewahrte däuchte mir ein Lächeln

Des ganzen Weltalls, so daß das Entzücken

Zugleich durch Ohr und Augen in mich eindrang.

O Freud', o Wonn' in Worten nicht zu schildern,

Der Liebe und des Friedens lautres Leben,

O sichrer Reichtum, frei von weitrem Wunsche!

Vor meinen Augen standen die vier Fackeln

In lichtem Brand, und die zuerst gekommen

Begann noch heller als zuvor zu leuchten.

So war sie anzuschaun wie Jupiter,

Wenn Vögel wären er sowohl als Mars,

Und das Gefieder wechselweis sie tauschten.

Es hatte, die Beruf und Folge dort[393]

Bestimmt, die Vorsehung, dem sel'gen Chore

Stillschweigen auferlegt nach jeder Seite,

Als ich vernahm: Wenn ich mich so verfärbe,

Soll dich's nicht wundern; alle diese wirst du

Verfärben sich bei meiner Rede sehn.

Der auf der Erde meinen Stuhl sich anmaßt,

Den Stuhl, den Stuhl, der in dem Angesichte

Des Sohnes Gottes jetzt erledigt ist,

Verwandelt hat er zu des Blut's und Stankes

Kloake meinen Kirchhof, drob der Arge

Der von hier niederstürzte, drunten froh ist. –

Da sah den ganzen Himmel in der Farb' ich,

Mit der die Sonne, gegenüberstehend,

Die Wolken früh und Abends malt, erglühend.

Und wie ein sittig Mädchen, das auch ferner

Sich rein fühlt, dennoch ob des fremden Fehltritts

Betreten wird, wenn sie ihn nur mit anhört,

So wechselte das Aussehn Beatrice,

Und solche Finsternis ward wohl im Himmel

Als an dem Kreuz die höchste Macht gelitten.

Dann fuhr in seiner Red' er weiter fort,

Doch so verändert klang dabei die Stimme,

Daß größer nicht des Aussehns Wandlung war:

Es ward mit meinem Blut und dem des Linus

Und Cletus Christi Braut nicht aufgezogen,

Daß sie gebraucht zum Gelderwerbe werde.

Nein, zum Erwerbe dieses sel'gen Lebens

Vergossen Sixtus, Pius und Calixt

Ihr Blut gleich Urban unter manchen Tränen.

Wir wollten nicht, daß von dem Christenvolke

Ein Teil zur Rechten und ein Teil zur Linken

Von denen säße, die im Amt uns folgten,

Und nicht, daß die mir anvertrauten Schlüssel

Zum Wappenschild für eine Fahne würden,

Die zu dem Kampfe mit Getauften führte.

Auch nicht, daß ich das Siegelbild erkaufter[394]

Und lügenhafter Privilegien werde,

Darob ich oft erröt' und Funken sprühe.

Im Kleid des Hirten sieht man von hier oben

Auf jeder Weide gier'ge Wölfe gehn;

O Schutz des Herrn, was zögerst du so lange!

Gascogner rüsten sich und Cahorsiner

Von unserem Blut zu trinken. Hoher Anfang,

Zu was für schnödem Ende mußt du sinken!

Doch die mit Scipio Rom den Ruhm der Welt

Erhielt, die hohe Vorsehung, zur Hilfe

Wird bald Sie, wie ich schon erkenne, eilen.

Und du, o Sohn, der ob der Erdenschwere

Noch dorthin wiederkehrst, tu' auf den Mund

Und birg den andren nicht was ich nicht berge. – o

Wie von gefrornen Dünsten unsre Luft,

Wenn mit der Himmelsziege Horn die Sonne

Zusammenstößt, nach unten Flocken sendet,

So sah ich aufwärts sich den Äther schmücken

Und jene siegesfrohen Flammen schnein,

Die dort bisher mit uns geweilet hatten.

Es hing mein Aug' an ihrer Lichterscheinung

Und folgte bis des Zwischenraumes Größe

Nicht mehr gestattete hindurchzudringen.

Worauf die Herrin, die vom Aufwärtsschauen

Befreit mich sah, mir sagte: Senke nun

Den Blick und sieh, wie weit du dich gewendet. –

Seit meinem ersten Niederblick durchmessen

Hatt' ich den Bogen, den die erste Zone

Von ihrer Mitte macht bis an ihr Ende,

So daß ich Gades jenseits von Ulysses'

Tollkühnem Paß erblickte, diesseits aber

Den Strand, wo süße Last Europa ward.

Und weiter wäre dieses Balls Gestaltung

Mir noch entdeckt; indes, ein Zeichen vor mir

Und mehr, schritt unter mir die Sonne vorwärts.

Mein liebentbrannter Geist, der immerdar[395]

Um meine Herrin wirbt, begehrte heißer

Als je, den Blick auf sie zurückzuwenden.

Bot Lockungen Natur, bot jemals Kunst sie

Im Fleisch des Menschen, oder dessen Bilde

Den Augen, um durch sie den Geist zu fangen,

Sie würden insgesamt gleich nichts erscheinen

Der Himmelslust verglichen, die mir strahlte,

Als in ihr lächelnd Angesicht ich schaute.

Die Kraft, die solcher Anblick mir gewährte,

Entriß dem schönen Neste Leda's mich,

Und trieb hinan mich zu dem schnellsten Himmel.

So gleich in sich sind seine lebensvollen,

Erhabnen Teile, daß den von Beatrix

Erkornen Ort ich nicht bezeichnen kann.

Sie aber, die erkannte was ich wünschte,

Begann, und lächelte dabei so selig,

Daß Gottes Freud' aus ihrem Antlitz strahlte:

Der Welt Beschaffenheit, die nur der Mitte

Zu ruhn, sonst allem sich zu drehn gebeut,

Beginnt von hier aus ihrem Ausgangspunkte.

Es gibt kein andres wo in diesem Himmel

Als Gottes Geist, an dem die Lieb' entbrennt,

Die ihn bewegt, dem seine Kraft entstammt.

Wie alle andren er, also umgibt ihn

Ein Kreis von Licht und Lieb', und diesen Kreis

Erkennet der allein der ihn gewölbt hat.

Nicht andres dient zum Maß für dieses Himmels

Bewegung, sondern sie mißt alle andren,

Wie Hälft' und Fünftel Maß sind für die Zehn.

Nun kann dir offenbar geworden sein,

Daß dies der Boden ist, in dem die Zeit

Die Wurzeln hat, und anderwärts die Blätter.

O Habsucht, die du unter dich die Menschen

So tief hinabdrückst, daß aus deinen Fluten

Die Augen zu erheben keiner Kraft hat!

Es blüht der Wille wohl im Menschenherzen;[396]

Jedoch der stete Regenguß verwandelt

Was edle Pflaume war in schlechte Huzel.

Unschuld und Treu und Glauben findet man

Nur noch bei Kindern; doch bevor die Wange

Behaart ist, flieht die eine wie die andre.

Gar mancher fastet noch solang' er stammelt;

Doch mit gelöster Zunge schlingt in jedem

Kalendermonat jede Speis' er nieder.

Auf seine Mutter hört in Liebe mancher

Solang' er stammelt; doch ist seine Rede

Entwickelt, möcht' er sie begraben sehn.

So schwärzt sich, die beim ersten Anblick weiß

Erschien, die Haut der schönen Tochter dessen,

Der, Morgen bringend, hinter sich die Nacht läßt.

Damit du aber dich nicht wunderst, denke,

Daß jetzt auf Erden keiner ist, der herrsche;

Drum irrt soweit ab das Geschlecht der Menschen.

Doch eh' noch (weil das Hundertsteil ihr drunten

Nicht rechnet) Jänner aus dem Winter austritt,

Wird solch ein Tönen dieser Himmelskreise

Bewegung wecken, daß die allersehnte

Fortuna, wo das Steuer ist, den Schnabel

Hinwenden wird, so daß die Flotte recht läuft

Und nach der Blüte wahre Frucht man erntet. –

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 393-397.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
La Commedia / Die göttliche Komödie: I. Inferno / Hölle Italienisch/Deutsch
Inferno: Die göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Die Narrenburg

Die Narrenburg

Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.

82 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon